Hessisches Landesarbeitsgericht
Az: 13 Sa 800/00
Urteil vom 25.03.2002
Vorinstanz: ArbG Gießen – Az.: 2 Ca 380/99
In dem Rechtsstreit hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 13in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 25. März 2002 als Beisitzer für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 13. Januar 2000-2 Ca 380/99 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger ist am 1. Februar 1958 geboren, verheiratet und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Seit dem 15. Mai 1987 ist er für die Beklagte, zuletzt als Betonwerker, tätig. Am 18. September 1997 erlitt der Kläger bei der Beklagten einen Betriebsunfall. Der Kläger leidet an einer dauerhaften Schädigung der Hand und des Armes. Er kann Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit beider Arme erfordern und Arbeiten in gebückter oder vorn übergeneigter Körperzwangshaltung, das Heben und Tragen schwerer Lasten von 35 – 50 kg sowie Arbeiten unter Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft, ferner Überkopf- und Schichtarbeit nicht mehr durchführen. Alles dies kann bei den ursprünglichen Tätigkeiten des Klägers als Betonarbeiter nicht ausgeschlossen werden.
Nachdem der Kläger aus seinem Urlaub am 5. Juli 1999 zurückgekehrt und seine Arbeit bei der Beklagten antreten wollte, stellte er fest, dass seine Stechkarte gesperrt worden war. Der Meister schickte ihn sodann im Auftrag der Geschäftsleitung nach Hause und teilte ihm auf seine Nachfrage mit, die Geschäftsleitung habe ihn dazu beauftragt, dem Kläger mitzuteilen, dass er nicht zur Arbeit erscheinen müsse. Beginnend mit dem Monat Juli 1999 zahlte die Beklagte an den Kläger keinen Lohn mehr aus. Der Kläger begehrt die Zahlung von 6 x monatlich 3.612,00 DM brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes. Die Höhe der Klageforderung ist zwischen Parteien unstreitig.
Eine dem Kläger mit Schriftsatz vom 29. Juni 1999 ausgesprochene Kündigung zum 30. November 1999 wurde rechtskräftig wegen mangelhafter Beteiligung des Betriebsrats für unwirksam erklärt (Urteil der erkennenden Kammer vom 5. Februar 2001 -Az.: 13 Sa431/00).
Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe dem Kläger eine seinemGesundheitszustand entsprechende Tätigkeit zugewiesen; in einem Gespräch am 2. Juni1999 zwischen seiner Ehegattin und dem Sohn des Geschäftsführers der Beklagten alsderen Vertreter sei man übereingekommen, dass der Kläger nach Beendigung seinesUrlaubs für einen Stundenlohn von 21,50 DM in der Plastikrollladenabteilung der Beklagten arbeiten werde. Er hat behauptet, trotz seiner aufgrund des Betriebsunfalls vom18. September 1997 eingeschränkten Einsatzmöglichkeit bestehe die Möglichkeit, ihn außer in der Plastikrollladenabteilung auch im Bereich Fenster- und Türenmontage und nach einer entsprechenden Umschulungsmaßnahme als Staplerfahrer einzusetzen.
Der Kläger hat beantragt,die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 21.672,00 DM brutto abzüglich 8.938,02 DM netto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,die Klage abzuweisen.Die Beklagte hat behauptet, in ihrem Betrieb sei ein freier Arbeitsplatz, an dem der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung beschäftigt werden könnte, nicht vorhanden. Ihm sei auch keine Tätigkeit in der Plastikrollladenabteilung zugesagt worden.
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 13. Januar 2000 durch Vernehmung der Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13. Januar 2000 (Blatt 30 bis 33 der Akte) Bezug genommen.
Durch Urteil vom 13. Januar 2000, der Beklagten am 17. April 2000 zugestellt, hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben nach Würdigung der Beweisaufnahme im Sinne der klägerischen Behauptungen zu der Vereinbarung einer leichteren Arbeit in der Plastikrollladenabteilung. Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Blatt 35 – 40 d. A.) verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Mai 2000 am 10. Mai 2000 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 13. Juni 2000 am gleichen Tag (Dienstag nach Pfingsten) per Fax eingegangen, begründet.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und wendet sich gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung. Dem Kläger sei kein Arbeitsplatz in der Plastikrollladenabteilung zugesagt worden. Seine ursprünglich geschuldete Tätigkeit als Betonwerker könne der Kläger nach dem Betriebsunfall vom 18. September 1997 nicht mehr ausüben.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 13. Januar 2000 -2 Ca 380/99-abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,die Berufung zurückzuweisen.Der Kläger verteidigt das erstinstanziiche Urteil und hält insbesondere die vom Arbeitsgericht vorgenommene Beweiswürdigung für zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens im zweiten Rechtszug wird auf die in der mündlichen Verhandlung vom 25. März 2002 vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Akte 13 Sa 620/00 des erkennenden Gerichts und durch erneute Vernehmung der Zeugen.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25. März 2002 (Blatt 105 ff. d. A.) Bezug genommen. Die Akte 13 Sa 431/00 des erkennenden Gerichts war darüber hinaus zur Erörterungszwecken Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Der gemäß den §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO an sich statthaften Berufung begegnen hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 ArbGG) keine Bedenken. Sie ist nach Maßgabe der im Tatbestand mitgeteilten Daten auch form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG; 516, 518, 519 ZPO a.F.) und damit insgesamt zulässig.
In der Sache hat die Berufung Erfolg.
Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Vergütung für die Zeit von Juli bis Dezember 1999, insbesondere nicht aus dem Gesichtspunkt des, Annahmeverzugs (§ 615 BGB) oder als Schadensersatz wegen schuldhafter Fürsorgepflichtverletzung (§ 280 BGB n. F.).
Der Kläger war nach seinem Arbeitsunfall vom 18. September 1997 unstreitig nicht mehr in der Lage, seine bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit als Betonwerker auszuüben. Wer aber als Schuldner selbst nicht imstande ist, die geschuldete (Arbeits-) Leistung zu bewirken, kann den Gläubiger der (Arbeits-) Leistung -hier den Arbeitgeber- nicht in Annahmeverzug setzen (§ 297 BGB). Unmöglichkeit der Leistung durch den Arbeitnehmer und Annahmeverzug schließen sich gegenseitig aus (BAG AP Nr. 2 zu § 297 BGB; LAG Hamm EzA-SD 99, Nr. 18).
Die Beklagte war unter den gegebenen Umständen auch nicht verpflichtet, dem Kläger von sich aus einen leidensgerechten Arbeitsplatz zuzuweisen, etwa im Bereich der Fenster- und Türenmontage, der Plastikrollladenabteilung oder als Staplerfahrer nach Umschulung. Hierfür ist eine Rechtsgrundlage nicht erkennbar.
Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur die Frage diskutiert, in welchem Umfang ein Arbeitgeber bei Vorliegen subjektiver Leistungshindernisse des Arbeitnehmers verpflichtet ist, leidensgerechte Arbeit zuzuweisen. Es besteht dabei allerdings insoweit Einigkeit, dass sich der Vertragsinhalt nicht automatisch ändert und der Arbeitnehmer nunmehr eine leidensgerechte Arbeit schuldet. Dies verstieße gegen den allgemeinen Grundsatz der vertraglichen Gestaltungsfreiheit (ErfK/Preis, 2. Auflage 2001, § 615 BGB Randziffer 44; MünchArB/Boewer, 2. Auflage 2000, § 78 Randziffer 26; Boecken in Anmerkung zu EzA Nr. 69 zu § 615 BGB). Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, dem Arbeitnehmer eine nicht geschuldete Arbeitsleistung zuweisen zu müssen.
Aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht gibt es allenfalls dann, wenn es dem Arbeitgeber ohne Vertragsänderung und ohne Auswirkungen auf die Höhe des Vergütungsanspruchs möglich und zumutbar ist, dem krankheitsbedingt nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmer leidensgerechte Arbeit zuzuweisen, eine entsprechende Verpflichtung, die Zuweisung anderer Arbeiten zu unterlassen (BAG vom 11. März 1999 -2 AZR 538/98- n. v.; BAG AP Nr. 27 zu § 618 BGB; LAG Hamm a. a. 0.). Eine solche Fallkonstellation steht hier aber nicht in Rede.
Eine generelle Pflicht, in solchen Fällen eine neue Stelle zu schaffen, gibt es auch nicht (BAG NJW 97, 2711; Hessisches LAG vom 8. Januar 1998 -5 Sa 895/97- n. v.). Siewurde vom Bundesarbeitsgericht allein für den besonderen Fall erwogen, dass einem Schwerbehinderten, der aus gesundheitlichen Gründen seine vertraglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen konnte, im Hinblick auf die besonderen Förderungspflichten aus § 14 Absatz 2 Satz 1 SchwbG a. F. ein angemessener Arbeitsplatz einzurichten sein könnte (BAG AP Nr. 1 zu § 14 SchwbG 1986). Selbst für den Fall, dass -wie hier- die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung durch einen Arbeitsunfall hervorgerufen wurde, begründete dies keinen allgemeinen Anspruch des Arbeitnehmers auf Einrichtung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes. Dies kann allenfalls dann in Frage kommen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsunfall vorwerfbar oder gar vorsätzlich herbeigeführt hat, Unfallverhütungsvorschriften nicht beachtet hat o. ä. (BAG AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969; LAG Hamm NZA-RR 2000, 239). Dazu ist im vorliegenden Fall aber nichts dargetan.
Die Parteien haben auch keine einvernehmliche Veränderung des Arbeitsvertrages dahingehend herbeigeführt, dass der Kläger ab Anfang Juni 1999 nunmehr in der Plastikrollladenabteilung der Beklagten zu einem Stundenlohn von 21,50 DM arbeiten sollte. Dann wäre Annahmeverzug anzunehmen, denn die Tätigkeit dort hätte, den Vortrag des Klägers insoweit unterstellt, von ihm auch trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgeübt werden können. Den entsprechenden Beweis ist der insoweit voll beweispflichtige Kläger allerdings nach der Überzeugen der Berufungskammer und entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts schuldig geblieben.
Die Zeugin, Ehefrau des Klägers, hat zwar ebenso wie im ersten Rechtszug bei ihrer Vernehmung am 25. März 2002 bekundet, sie habe im Beisein des Klägers mit dem Sohn des Geschäftsführers, dem Zeugen, eine entsprechende Vereinbarunggetroffen. Widersprüche oder Unstimmigkeiten in ihrer Aussage konnte die Kammer nicht erkennen, auch wenn generell eine gewisse Zurückhaltung bei der Bewertung ihrer Bekundungen im Blick auf ihre enge persönliche Beziehung zum Kläger geboten erscheint.
Aber auch der Zeuge hat ähnlich bei seiner Vernehmung vor demArbeitsgericht bekundet, eine solche Vereinbarung eben nicht mit dem Kläger beziehungsweise seiner Ehefrau getroffen zu haben. Aus seiner Sicht war nur von Umschulungsmaßnahmen die Rede, um die er sich kümmern wollte. Eine gewisse Plausibilität hat die Aussage des Zeugen schon deshalb, weil in der Plastikrolladenabteilung unwidersprochen auch schwere Lasten zu heben sind, die der Kläger nicht bewältigen kann und weil -ebenfalls unwidersprochen- der dort beschäftigte Helfer nur 19,50 DM pro Stunde verdient, während der Kläger dort nach der Aussage der Zeugin Z sogleich 21,50 DM pro Stunde verdienen sollte.
Er trägt als Unterlegener die Kosten des Rechtsstreits (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Ein Grund für die Zulassung der Revision ist nicht erkennbar (§ 72 Abs. 2 ArbGG).