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Gewerbeuntersagung bei Betrug an Internetkunden

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen

Az: 4 B 215/11

Beschluss vom 22.02.2011


Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Instanzen auf jeweils 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, über die der Senat gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der vom Antragsteller dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt. Es ist ausreichend erkennbar, dass die Behörde sich des Ausnahmecharakters der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst war; die inhaltliche Richtigkeit der angeführten Gründe ist im gerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zu prüfen.

Auch in der Sache rechtfertigen die vorgebrachten Beschwerdegründe keine Änderung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, die Ordnungsverfügung sei nicht offensichtlich rechtswidrig und im Rahmen der Interessenabwägung sei der Schutz der Allgemeinheit höher zu bewerten als das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers, der voraussichtlich auch zukünftig nicht mit der im Geschäftsverkehr erforderlichen gewerberechtlichen Sorgsamkeit gegenüber Dritten zu handeln in der Lage bzw. gewillt sei.

Der vom Antragsteller geltend gemachte Anhörungsmangel im Sinne des § 28 VwVfG NRW allein führt, sein Vorliegen unterstellt, nicht dazu, dass dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers der Vorrang einzuräumen wäre. Zunächst spricht einiges für eine zwischenzeitliche Heilung gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW, nachdem der Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutzverfahren Gelegenheit hatte, sich zu der von der Antragsgegnerin verwendeten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 13. Januar 2011 zu äußern und die Antragsgegnerin ausweislich ihres Schriftsatzes vom 21. Februar 2011 den Bestand des Bescheides einer Überprüfung unterzogen hat. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin noch Gelegenheit, bis zur letzten Tatsacheninstanz des Hauptsacheverfahrens eine etwa erforderliche Anhörung nachzuholen. Unabhängig davon wäre ein Anhörungsmangel bezüglich der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO gem. § 46 VwVfG NRW unbeachtlich, weil das materielle Recht der Antragsgegnerin keinen Entscheidungsspielraum eröffnet. Dies gilt zwar nicht für die Untersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO, die im Ermessen steht. Insoweit kann sich der Antragsteller aber schon deshalb nicht auf ein vorrangiges Privatinteresse berufen, weil er nichts dafür dargetan hat, Tätigkeiten im Sinne dieser Vorschrift konkret zu beabsichtigen.

Die Ordnungsverfügung vom 27. Januar 2011 ist zur Überzeugung des Senats in materieller Hinsicht offensichtlich rechtmäßig. Die aus den Verwaltungsvorgängen und der Gerichtsakte ersichtlichen Tatsachen lassen entgegen der Ansicht des Antragstellers auf seine Unzuverlässigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung schließen. Dass der Sachverhalt noch nicht vollständig geklärt, die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht abgeschlossen und ihre bisherigen Ergebnisse der Antragsgegnerin lediglich aus dem Bericht der Staatsanwaltschaft über den Stand der Ermittlungen vom 13. Januar 2011 bekannt sind, steht einer Gewerbeuntersagung im vorliegenden Verfahren nicht entgegen. Es liegen bereits jetzt hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine negative Prognose vor; ein abgeschlossenes Strafverfahren setzt § 35 GewO nicht voraus. Der Antragsteller bietet schon deshalb keine Gewähr dafür, sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß auszuüben, weil er ausweislich der Verwaltungsvorgänge und seiner eigenen Angaben in Antrags- und Beschwerdeschrift seit der Gewerbeanmeldung im September 2009 nachhaltig und dauernd in außergewöhnlichem Ausmaß die zivilrechtlichen Pflichten gegenüber seinen Internetkunden verletzt hat und auch seinen kaufmännischen Buchführungs- und Bilanzpflichten nicht nachgekommen ist.

Weder die eingeräumte anfängliche Überforderung noch die Beschlagnahme der EDV durch die Staatsanwaltschaft vermögen hinreichend zu erklären, dass tausende offene Bestellungen und Stornierungen aufgelaufen sind, die bis zum Ergehen der Ordnungsverfügung weiterhin nicht umfassend abgearbeitet werden konnten, und dass eine Vielzahl von Kunden das Ausbleiben bestellter Ware und zurückzuzahlender Kaufpreise beklagt hat. Die Auffassung des Antragstellers, die Nicht- oder Schlechterfüllung zivilrechtlicher Pflichten könne keine Gewerbeuntersagung rechtfertigen, dürfte im Regelfall zutreffen. Etwas anderes gilt aber, wenn – wie hier – in qualitativ und quantitativ erheblichem Umfang Aufträge nicht ordnungsgemäß abgewickelt werden und Kunden, wie aus den bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Beschwerden ersichtlich, wiederholt erst nach hartnäckigem und energischem Auftreten sowie der Einschaltung von Medien, der Staatsanwaltschaft, der IHK oder der Antragsgegnerin schließlich die Ware erhalten bzw. den per Vorkasse gezahlten Kaufpreis erstattet bekommen. Die hohe Zahl von im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung etwa 2.700 Strafanzeigen spricht für ein systematisches Vorgehen, ohne dass es hier auf die strafrechtliche Relevanz des dem Antragsteller vorgeworfenen Verhaltens und die Einzelheiten der einzelnen Tatvorwürfe ankäme. Die Medienberichterstattung über das Unternehmen des Antragstellers, die angeblich versehentlich an alle Kunden gesandte E-Mail vom 8. September 2010 sowie das vom Antragsteller weiter angeführte Kundenverhalten im Internet mögen einen Teil der Strafanzeigen und sonstigen Eingaben ausgelöst haben. Dies ändert aber nichts daran, dass dem Unternehmen …. von zahlreichen Kunden unter Schilderung von Einzelheiten nachvollziehbar vorgeworfen wird, seine Vertragspflichten – in möglicherweise strafbarer Weise – planmäßig zu verletzten.

Zu dem Geschäftsgebaren gegenüber Dritten tritt hinzu, dass es dem Unternehmen auch an einer ordnungsgemäßen Buchführung im Sinne der §§ 238, 239 HGB fehlt und Bilanzen entgegen § 242 HGB ebenfalls nicht aufgestellt worden sind. Die Versuche, die Verantwortung hierfür der früheren Steuerberaterin zuzuweisen, sind wenig überzeugend, zumal der Antragsteller zunächst vorgetragen hat, die Steuerberaterin habe überraschend im Zuge des Ermittlungsverfahrens ihr Mandat niedergelegt (Stellungnahme Rechtsanwalt ….vom 18. Januar 2011) und nunmehr geltend macht, das kleine Steuerberatungsbüro sei mit der Vielzahl der Buchungen überlastet gewesen, weshalb man die Kanzlei gewechselt habe. Abgesehen davon, dass der Antragsteller nach dem jüngsten Vortrag die Buchführung über mehr als ein Jahr einer mit ihrer Aufgabe überforderten Steuerberaterin überlassen hat, hat er bis heute die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens nicht offengelegt und eine aktuelle Buchführung (für die Zeit ab dem 1. Juli 2010) sowie Bilanzen nicht vorgelegt. Vielmehr hat er lediglich vorgetragen, die neue Steuerberatungsgesellschaft sei mit der Aufarbeitung befasst. Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2011 war hingegen noch binnen eines Monats eine betriebswirtschaftliche Auswertung angekündigt worden. Die Zahl noch offener Kundenaufträge ist weiterhin unklar: Während der Antragsteller in der Beschwerdeschrift unter Bezugnahme auf den anwaltlichen Schriftsatz vom 18. Januar 2011 einerseits ausführt, es seien noch 1.500 Bestellvorgänge abzuarbeiten, trägt er andererseits vor, von den offenen 9.000 Bestellungen hätten über 70 % (6.300) abgearbeitet werden können.

In dieser Häufung lassen die Verstöße gegen gesetzliche Verpflichtungen einen Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften erkennen. Dass nach den eigenen Angaben des Antragstellers weiterhin der „Bearbeitungsrückstand“ nicht aufgelöst ist, die wirtschaftlichen Daten weiter ausstehen und er bisher weder in der Lage war, einen Stellvertreter zu benennen noch in der von ihm selbst genannten Frist von drei Wochen seit dem 18. Januar 2011 (vgl. den Schriftsatz gleichen Datums) die noch offenen Aufträge auszuführen und Gelder an Kunden zurückzuzahlen, spricht weiter dafür, dass er auch in Zukunft das Gewerbe nicht ordnungsgemäß betreiben wird. Darüber hinaus hat der Antragsteller durch sein Geschäftsgebaren das Vermögen der Kunden im Massengeschäft des Internet-Versandhandels gefährdet. Sollten, wie der Antragsteller geltend macht, bisher Vermögensschäden Dritter ausgeblieben sein, dürfte dies allein auf den öffentlichen sowie den Druck durch laufende Ermittlungs- und Verwaltungsverfahren zurückzuführen sein. Unabhängig davon ist offen, ob die noch offenen Verpflichtungen gegenüber Kunden ordnungsgemäß erfüllt werden können oder ob sich der Verdacht eines Schneeballsystems bestätigt. Mangels überzeugender Anhaltspunkte für eine Verhaltensänderung ist ein redlicher Wirtschaftsverkehr auch in Zukunft nicht zu erwarten. Die pauschale Behauptung, es hätten im Unternehmen Veränderungen gegriffen, reicht insoweit nicht aus. Die angeführten Optimierungen bei der Bestellabwicklung, die unter anderem als Reaktion auf den Fernsehbericht vom 28. September 2009 erfolgt sein sollen, haben ihr Ziel offensichtlich nicht erreicht. Ob der nicht ordnungsgemäße Geschäftsbetrieb lediglich auf gravierender Nachlässigkeit oder einem systematischen Handeln in betrügerischer Absicht beruht, kann offen bleiben, da die Gewerbeuntersagung ein Verschulden nicht voraussetzt.

Der Antragsteller stellt auch die weitere, die Gewerbeuntersagung rechtfertigende Annahme des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage, der Antragsteller habe seinem unzuverlässigen Bruder …………..die Führung der Geschäfte überlassen. Ob hier ein Strohmannverhältnis vorliegt, vermag der Senat mangels weiterer Erkenntnisse über die Innenverhältnisse des Unternehmens zwar nicht abschließend zu beurteilen. Der Antragsteller ist aber jedenfalls nicht in der Lage, einen Geschäftsbetrieb von der Größenordnung des Unternehmens …. am Geschäftssitz in ….selbst zu führen, da er in ….. wohnt und nach den von ihm nicht bestrittenen Annahmen der Antragsgegnerin ganztägig in einer Behindertenwerkstatt arbeitet. Er hat auch nicht substantiiert in Frage gestellt, dass sein als unzuverlässig zu betrachtender Bruder, der wegen Betruges angeklagt ist und gegen den eine erweiterte Gewerbeuntersagung vorliegt, als Betriebsleiter agiert, d.h. mit der tatsächlich Leitung des Betriebs beauftragt ist, oder jedenfalls einen maßgeblichen und bestimmenden Einfluss auf die Unternehmensführung hat.

Demgegenüber fallen die vom Antragsteller weiter angeführten, nach seiner Auffassung für ihn sprechenden Umstände nicht ins Gewicht. Die Zuverlässigkeit ist nicht allein deshalb zu bejahen, weil er erstmals gewerberechtlich auffällig geworden ist, Steuerschulden nicht vorlagen, sozialversicherungsrechtliche Verpflichtungen nicht verletzt waren und auch Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nicht feststanden.

Aus den obigen Ausführungen folgt zugleich, dass die Gewerbeuntersagung im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO aus Gründen des Kundenschutzes und damit zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist. Ob es, wie der Antragsteller behauptet, nachweislich bei keinem Dritten zu einem dauerhaften Vermögensschaden gekommen ist, ist, wie ausgeführt, zum einen derzeit unklar und zum anderen nicht entscheidend, da schon eine abstrakte Gefährdung ausreichend ist.

Schließlich greifen die Einwände des Antragstellers gegen die allgemeine Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts nicht durch. Sie fällt auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zu Lasten des Antragstellers aus. Dass das Ziel des Kundenschutzes, wie der Antragsteller vorbringt, nur durch eine längere Abwicklungszeit erreicht werden kann, ist nicht ersichtlich. Obwohl sich die ihm gewährte Abwicklungsfrist an seiner Ankündigung vom 18. Januar 2011 orientiert, die noch offenen 1.500 Bestellvorgänge würden in den nächsten drei Wochen abgearbeitet, ist nunmehr von 2.700 offenen Kundenbeziehungen die Rede, die nicht bis zur gesetzten Frist abgearbeitet werden könnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruhen auf §§ 40, 47 Abs. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG i.V.m. §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es liegt ein Fall einer umfassenden Gewerbeuntersagung (§ 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewO) vor, der im Hauptsacheverfahren mit 20.000 Euro zu bewerten ist. Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist die Hälfte dieses Betrages zugrunde zu legen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Februar 2010 – 4 B 78/10 -, und vom 1. Oktober 2004 – 4 B 1637/04 -.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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