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Grenzüberbau – Veränderung eines bereits vorhandenen nicht überbauenden Gebäudes

LG Rostock, Az.: 1 S 99/14, Urteil vom 31.07.2015

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 24.04.2014 verkündete Urteil des Amtsgerichts Rostock (42 C 458/13) wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Verfahren I. Instanz und für das Berufungsverfahren jeweils auf einen Wert bis zu 2.000,–€ festgesetzt.

Gründe

(abgekürzt nach §§ 540Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO)

Grenzüberbau - Veränderung eines bereits vorhandenen nicht überbauenden Gebäudes
Symbolfoto: Von seo byeong gon /Shutterstock.com

Die Berufung der Beklagten zulässig, insbesondere in rechter Form und Frist eingelegt und begründet. In der Sache aber kann sie keinen Erfolg haben. Die Kläger sind nicht verpflichtet, an die Beklagte 1.583,68 EUR zu zahlen. Zu Recht hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil im Anschluss an die Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urteil vom 16.01.2014, 1 S 106/13) die Widerklage der Beklagten abgewiesen, weil ihr für die Inanspruchnahme ihres Grundstücks durch die Veranda der Kläger weder Nutzungsentschädigung noch Überbaurente zusteht.

Die Kläger schulden keinen Nutzungsersatz gem. § 987 Abs. 1 BGB, da ein etwaiger Herausgabeanspruch der Beklagten bzgl. der Verandafläche (§ 985 BGB) nicht rechtshängig ist und die Kläger hinsichtlich eines durch Kündigung der Grundstücksleihe möglicherweise weggefallenen Besitzrechtes jedenfalls keine positive (Rechts-) Kenntnis hat (§ 990 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Kläger schulden auch keinen Nutzungsersatz gem. § 988 BGB, selbst wenn sie den Besitz an der Verandafläche unentgeltlich, d.h. nicht durch entgeltliches Rechtsgeschäft, erlangt hätten (s.u.). Denn die Kläger sind zum Besitz der Verandafläche berechtigt (§ 986 Abs. 1 BGB), da insoweit ein sog. berechtigter Überbau vorliegt.

Liegt sachenrechtlich ein Überbau im Sinne von § 912 Abs. 1 BGB vor und hat der beeinträchtigte Grundstückseigentümer diesem zugestimmt (sog. rechtmäßiger Überbau), fallen dem Überbauenden erst recht weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit zur Last, so dass der jeweilige Eigentümer des überbauten Grundstücks analog § 912 BGB den Überbau stets zu dulden hat und dem jeweiligen Eigentümer des Stammgrundstücks das Eigentum am überbauten Gebäudeteil und ein Recht zum Besitz an der überbauten Fläche zustehen. Darin liegt eine Verdinglichung der obligatorischen Zustimmung in Ansehung der Duldungspflicht (vgl. BGHZ 157, 301 = NJW 2004,1237; Staudinger/Roth, BGB (2009), § 912 Rn. 69 u. 71).

Sachenrechtlich liegt gem. § 912 Abs. 1 BGB ein Überbau vor, wenn ein einheitliches Gebäude über die Grenze gebaut wird. Ob ein einheitliches Gebäude vorliegt, muss unter Würdigung aller Fallumstände beantwortet werden; neben der körperlichen bautechnischen Beschaffenheit kommt es auf die funktionelle Einheit an (vgl. BGH, Urt. v. 2.6.1989 – V ZR 167/88, juris; Urt. v. 4.12.1987 -V ZR 189/86, juris; Staudinger/Roth, aaO., § 912 Rn. 6 – 10).

Bei der verfahrensgegenständlichen Sachlage ist von einem Überbau im Sinne von § 912 Abs. 1 BGB auszugehen. Dabei wäre zwar grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Gebäudeerrichtung, also hier das Jahr 1911 abzustellen. Seinerzeit könnte allerdings manches dafür gesprochen haben, dass es an einem einheitlichen Gebäude im Sinne von § 912 Abs. 1 BGB fehlte. Denn die Veranda hätte sich – im Zustand von 1911 – möglicherweise wieder entfernen lassen, ohne dass das Wesen und die Funktion des Hauptgebäudes sich entscheidend verändert hätten.

Das kann aber dahin gestellt bleiben. Denn maßgeblich ist hier der aktuelle Zustand, wie er mit der von der Beklagten erteilten Baugenehmigung (Anlage K 12, Bl. 103 Bd. I), geschaffen wurde. Grundsätzlich findet nämlich § 912 Abs. 1 BGB dann analoge Anwendung, wenn – wie hier – bei der Veränderung eines Gebäude erstmals über die Grenze gebaut wird (vgl. BGH NJW-RR 2009, 24 f., zitiert nach Juris). Daher kann auch die Veränderung und Erweiterung eines bereits vorhandenen nicht überbauenden Gebäudes in Ausdehnung der Regelung des § 912 BGB als Überbau zu werten sein. Abzustellen ist dann auf das Gesamtgebäude. Die Anwendung der Überbauvorschriften hängt dabei nicht von der Art der Baumaßnahme ab, sondern von den mit einem Rückbau verbundenen Folgen. Entscheidend für die analoge Anwendung ist danach, ob sich die Beseitigung des Überbaus auf diesen beschränken lässt, oder ob sie auch zu einem Wertverlust der innerhalb der Grundstücksgrenzen befindlichen Gebäudeteile führt (vgl. BGH a.a.O., Staudinger/Roth a.a.O. § 912 Rn. 17 f.).

Hier wurde erst mit den Umbaumaßnahmen im Jahr 1992 aus dem Haupthaus und der Veranda ein einheitliches Gebäude im Sinne von § 912 Abs. 1 BGB geschaffen. Die bisherige Veranda wurde dabei fast vollständig entfernt und eine neue aufgebaut. Das dahinterliegende Zimmer des Haupthauses wurde mit dieser Veranda verbunden und somit ein neuer Raum geschaffen (Anlage B 11, Bl. 120 d. A. und Bild Anlage B 3 Außenfassade Bl. 57 in Bd. I d. A.). Aufgrund dieser Baumaßnahmen lässt sich nunmehr eine bauliche, wirtschaftliche und funktionelle Trennung des Gebäudes nicht mehr ohne weiteres herbeiführen. Denn unstreitig würde es im Erdgeschoß an einer Außenmauer fehlen, wenn die Veranda entfernt würde. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Maßnahme zu einem erhebliche Substanz- und Wertverlust des Haupthauses führen würde. Denn dann würde dem Haupthaus – ohne Veranda – eine Fläche von 14,7 m2 fehlen (Anlage B 9, Bl. 117, Bd. I). Hinzu käme, dass das Außenmauerwerk für den dahinter liegenden Raum neu errichtet werden müsste und außerdem nicht unerhebliche Schäden bei einer Entfernung der Veranda zu befürchten wären. Für diese Einschätzung bedarf die Kammer keines Sachverständigengutachtens.

Es ist unstreitig, dass die Beklagte dem Überbau bei Errichtung im Jahre 1992 durch die Baugenehmigung zugestimmt hat. Denn es ist davon auszugehen, dass die Nutzung der streitigen Teilfläche mit Zustimmung der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern im Eigentum erfolgt ist. Gegenteiliges hat die Beklagte jedenfalls nicht dargetan, sondern geht selbst davon aus, dass die Nutzung der Teilfläche für den Verandaanbau von der ursprünglich gemeinsamen Errichtung von Haupthaus und Verandabau bis zum heutigen Ausbauzustand mit ausdrücklicher Genehmigung der städtischen Behörden erfolgt ist.

Selbst wenn die Erteilung der Zustimmung zeitlich in die 1980er Jahre einzuordnen wäre, als die Umbaumaßen durchgeführt worden sind, und seinerzeit lediglich der Rat der Stadt Rostock oder ein anderer als Rechtsträger von Volkseigentum und nicht die Beklagte als Eigentümerin des überbauten Grundstückes gehandelt hat, ist die Beklagte an der Zustimmung der seinerzeit Verfügungsbefugten als Rechtsnachfolgerin im Eigentum gebunden. Nach Art. 231 § 5 Abs. 5, Art. 233 § 2 Abs. 1 EGBGB Ist § 912 BGB auch auf die vor dem 03.10.1990 errichteten Überbauten anwendbar, wenn der Überbau zu DDR-Zeiten errichtet wurde (Münchener Kommentar/Roth § 912 BGB Rn. 82). Die Rechtsträger nach der Anordnung über die Rechtsträgerschaft an volkseigenen Grundstücken vom 07.07.1969 waren Verfügungsbefugte in Ansehung des ihnen anvertrauten Eigentums des Volkes (vgl. § 19 Abs. 1 und Abs. 3 ZGB, vgl. auch Landgericht Rostock, Urteil v. 27.03.2015 zum Az. 3 O 544/13 (3)).

Der Beklagten steht eine Überbaurente gemäß §§ 912, 913 BGB nicht zu. Wenn – wie hier – im Falle des rechtmäßigen Überbaus eine Entschädigungsregelung fehlt, muss durch Auslegung ermittelt werden, ob eine Überbaurente nicht gezahlt werden soll; anderenfalls ist anzunehmen, dass die Beteiligten jedenfalls die gesetzliche Rechtsfolge des § 912 Abs. 2 BGB gewollt haben (vgl. RGZ 74, 87; Staudinger/Roth, aaO., § 912 Rn. 68 mwN).

Hier haben die Beklagte bzw. ihre Gesamtrechtsvorgängerin und der damalige Eigentümer des Hausgrundstücks F.-Straße … unstreitig – sei es ausdrücklich oder konkludent – Unentgeltlichkeit für die Nutzung der Verandafläche vereinbart, so wurde es jedenfalls bis zur Kündigung der Grundstücksleihe am 10.03.2010 auch gehandhabt. Damit wurde zugunsten des Überbauenden und seiner Sonderrechtsnachfolger (Käufer des Stammgrundstücks) die Zahlung einer Überbaurente abbedungen; hieran sind der damalige Eigentümer des überbauten Grundstücks und seine Gesamtrechtsnachfolger, nicht hingegen Sonderrechtsnachfolger (Käufer des Straßengrundstücks) gebunden.

Soweit die Beklagte erstmals in der Berufungsbegründung eine Unentgeltlichkeit bestreitet, setzt sie sich in Widerspruch zu ihrem Vortrag in der I. Instanz vom 07.01.2013 (Bl. 45 Bd. I d.A.). Dort hat sie nämlich den Leihvertrag (und damit dessen Unentgeltlichkeit) bestätigt. An diese Unentgeltlichkeit bleibt die Beklagte trotz Zuordnungsbescheid vom 17.01.1995 gebunden. Denn nach § 1 a VZOG gehören auch Schulden und Forderung sowie Rechte und Pflichten aus bestehenden Schuldverhältnissen zum Gegenstand der Zuordnung (vgl. Norbert Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl., § 12 Rn. 9).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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