OLG Koblenz
Az.: 1 U 1545/98
Urteil vom 11.01.2000
Vorinstanz: LG Koblenz – Az.: 5 O 347/95
Urteil verkürzt:
Entscheidungsgründe:
I.
Der Kläger verlangt vom beklagten Land Schadensersatz wegen der Folgen des Abrisses eines Nachbarhauses, das an die Giebelwand seines Hauses angrenzte.
Er ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in St, . Das beklagte Land ist im Wege der Fiskalerbschaft Eigentümer des angrenzenden Hausgrundstückes geworden. Beide Häuser sind im vergangenen Jahrhundert auf einem gemeinsamen Fundament errichtet worden. Wegen Einsturzgefahr verfügte der Rhein-Lahn-Kreis mit Bescheid vom 12. Dezember 1994 (Bl. 215 f GA) gegenüber dem Beklagten den Abriss des Hauses mit entsprechenden Auflagen. Das hatte zur Folge, dass das Haus des Klägers im Bereich seines Wohnzimmers die Außenwand einbüßte, die zunächst notdürftig durch eine Gipskartonplattenwand, die außen mit Holzbohlen verschalt wurde, ersetzt wurde. Die obere Giebelseite wurde provisorisch mit Holzverschalung vernagelt. Unstreitig dringt Wasser und Feuchtigkeit in das Gebäudeinnere (s. Fotos Gutachten Bl.117, 118 und 121 GA). Deshalb verlangt der Kläger vom beklagten Land die von ihm, Kläger, für die anfallende Sanierung der Außenwand – angeblich – aufzuwendenden Kosten, die er, ausschließlich für Dachdeckerarbeiten im Bereich der Giebelwand und Maurer- und Verputzarbeiten mit 28.555,95 DM beziffert hat.
Die Parteien streiten im Wesentlichen darum, ob aufgrund des Nachbarrechtsgesetzes (von Rheinland-Pfalz) eine Verpflichtung zur Wiederherstellung bzw. Sanierung der Außenwand des Hauses des Klägers bestehe, insbesondere dabei um die Frage, ob es sich bei der beschädigten Wand um eine Grenzwand oder Nachbarwand im Sinne des Gesetzes handele und inwieweit – im Hinblick auf die uralte Bausubstanz und die in der Region St im vergangenen Jahrhundert üblichen polizeirechtlichen und ordnungsrechtlichen Gepflogenheiten – für den eine gemeinsame Hauswand teilweise Abreißenden eine Wiederherstellungspflicht bestehe.
Das Landgericht hat auf der Grundlage zweier eingeholter Gutachten (Bl. 49 f, 98 f, 135 f und 150 f GA) unter teilweiser Abweisung des Klagebegehrens dem Kläger 24.278,68 DM zugesprochen, nämlich Sanierungskosten von 13.086,90 DM für die Mauer selbst und (jeweils zuzügl. MwSt) 4.145 DM für die Beseitigung der Feuchtigkeitsstellen im Deckenbereich des Badezimmers und die Wiederherstellung eines mangelfreien Zustandes sowie 3.698,00 DM für Kosten für die Entsorgung von Schutteinheiten (Urteilsgründe Bl. 168 f GA).
Gegen dieses Urteil wehrt sich das beklagte Land mit der Berufung, mit der es unter Wiederholung des bisherigen Vorbringens im Wesentlichen die Rechtsanwendung des Landgerichts Anspruchsgrundlage nach §§ 14, 8 Abs. 3 Nachbarschaftsgesetzes Rheinland-Pfalz – rügt und vom Tatsächlichen her darauf verweist, dass es im vorliegenden Fall lediglich eine einzige Grenzwand, nämlich diejenige auf dem Grundstück des beklagten Landes, gegeben habe (Bl. 203 f, 240 f GA). Der Kläger widerspricht den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der Berufung (Bl. 226 f GA).
Von einer weiteren Sachdarstellung wird abgesehen (§ 543 ZPO).
II.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Landgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass der Kläger vom beklagten Land beanspruchen kann, so gestellt zu werden, wie er ohne den Abbruch der streitgegenständlichen Wand stünde. Dieser sowohl auf die Erstattung der Wiederherstellungskosten der Wand wie auch auf Ersatz der durch Feuchtigkeit entstandenen Schäden gerichtete Anspruch ist selbst dann gerechtfertigt, wenn man ihn nicht, wie das Landgericht, auf nachbarrechtliche Vorschriften 14 i.V.m. § 5 und 8 Abs. 3 Nachbarrechtsgesetz Rheinland-Pfalz vom 15. Juni 1970) stützt. Eine Anspruchsgrundlage ergibt sich nämlich auf jeden Fall aus der analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 BGB, d.h. dem sog. bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch.
Daher ist es nicht von entscheidendem Belang, ob der streitgegenständliche Teil der abgerissenen Wand als Nachbarwand oder Grenzwand im Sinne des Nachbarrechtsgesetzes zu qualifizieren ist. Ebenso wenig ändert der Umstand, dass das beklagte Land durch die Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises zu der Abbruchmaßnahme verpflichtet worden ist (Bescheid vom 12. Dezember 1994, Bl. 215 f GA) etwas an der Pflicht, für den durch die Abbruchmaßnahme verursachten Schaden des Nachbarn aufzukommen.
1.
Das Landgericht hat sich zunächst mit Recht auf die überzeugenden tatsächlichen Feststellungen der Sachverständigen gestützt. Danach ist, wie der Sachverständige, Architekt und Baumeister, in seinem Gutachten dargelegt hat, entgegen der Meinung des Beklagten davon auszugehen, dass es nicht nur eine allein auf dem Grundstück des ehemaligen Eigentümers des Anwesens Burgstraße 16 errichtete Grenzwand gegeben hat, sondern dass der abgerissene Teil der Trennwand jedenfalls auf Bauteilen beruhte, die sich auf dem Grundstück Burgstraße 15 befanden. Ebenso erheblich ist die gutachterlich ermittelte Feststellung, dass im Bereich des Obergeschosses der bergseitige Teil der Grenzwand als gemeinsame Wand ausgebildet gewesen sei, während der Wandbereich zwischen der Bruchsteinwand und der Wandöffnung als selbständiger Wand zu dem Anwesen Burgstraße 15 zu einem späteren Zeitpunkt erstellt worden sein muss (s. Zementschwemmsteine mit einer Stärke von 25 cm).
Jedenfalls kann, auch nach den vom Sachverständigen zugrunde gelegten tatsächlichen Feststellungen, zusammenfassend festgehalten werden, dass es vor der Abbruchmaßnahme im Erdgeschossbereich der beiden Häuser eine gemeinsame Grenzwand gab und dass der Kläger bzw. seine Rechtsvorgänger die abgebrochene Wand seit mindestens 100 Jahren als Abschlusswand zu den jeweiligen Wohnzimmern benutzt haben.
Auch die vom Landgericht aus den gutachterlichen Feststellungen gezogenen Schlüsse sind vom Ergebnis her nicht zu beanstanden (s. auch Skizze Bl. 51 GA).
2.
Es ist vom Grundsatz her anerkannt, dass ein Grundstückseigentümer, der sein in einer geschlossenen Häuserzeile stehendes Gebäude abbricht, verpflichtet ist, Vorkehrungen zum Schutz der dadurch freigelegten Wand des Nachbargebäudes zu treffen, insbesondere Vorkehrungen gegen Feuchtigkeitseinwirkungen. Ebenso anerkannt ist in der Rechtsprechung, dass es einen unerlaubten Eingriff in eine Grenzeinrichtung gemäß § 922 Satz 3 BGB darstellt, wenn ein Eigentümer in eine halbscheidige gemeinsame Giebelmauer durch Abriss seines Hauses, das an ein anderes angebaut ist, eingreift, so dass er in diesem Fall grundsätzlich für die Kosten einer dadurch nötig gewordenen Außenisolierung der Mauer aufzukommen hat (BGH NJW 1981, 866; OLG Frankfurt, OLGZ 1982, 352 und Korbion in Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB Teile A und B, 13. Aufl. 1996, Rdz. 213 zu § 10 Nr. 3 Teil B, 5.1646 f m.w.N.). Die Meinungen unterscheiden sich im Wesentlichen nur in der dogmatischen Begründung.
a)
Löst man das Problem nach den speziellen nachbarrechtlichen Vorschriften, so kommt, wie das Landgericht angenommen hat, ein Kostenerstattungsanspruch nach § 14 Abs. 3 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nachbarrechtsgesetz (Rheinland-Pfalz) in Betracht. Danach müsste der Beklagte, auf jeden Fall soweit es sich unstreitig um eine Abrissmaßnahme im oberen Bereich „Grenzwand“ handelt, da er das abgerissene Gebäude nicht neu errichten will, die Außenfläche des bisher gemeinsam genutzten Teiles der Wand in einen für eine Außenwand geeigneten Zustand zu versetzen. Denn die Regelung des § 14 Abs. 3 Nachbarrechtsgesetz geht davon aus, dass der jeweilige Eigentümer der Grenzwand nach erfolgtem Anbau die Wand nicht mehr eigenmächtig beseitigen darf, was dem wirtschaftlichen Interesse an der Erhaltung der jeweiligen Gebäudeeinheit gerecht wird und eine zulässige – über die Regelung des § 922 Satz 3 BGB hinausgehende – Beschränkung der Eigentümerbefugnisse (§ 903 BGB) bedeutet (Hülbusch-Bauer-Schlick, Nachbarrecht für Rheinland-Pfalz und das Saarland, 5. Aufl. 1998, Rdz.13 und 14 zu § 14).
Dabei kommt es nicht darauf an, welches der beiden Gebäude zuerst errichtet worden ist sowie ob sich die Abrissmaßnahme auch auf den Bereich der Nachbarwand erstreckt oder ausgewirkt hat. Denn zum einen gab es im Zeitpunkt der Errichtung der beiden Gebäude Burgstraße 15 und 16 vor etwa 100 Jahren diese Unterscheidung zwischen Nachbarwand und Grenzwand nicht (vgl. die Ausführungen im Gutachten M. Zum anderen trifft auch nach heutigem Recht jeden Grundstückseigentümer, der sein in einer geschlossenen Häuserzeile gelegenes Gebäude abbricht und damit die geschlossene Bauweise unterbricht, ganz gleich ob die gemeinsame Giebelmauer eine Nachbar- oder Grenzwand ist, die Verpflichtung nach §§ 922, 1004 BGB, mindestens Vorkehrungen zum Schutz der freigelegten Wand des Nachbargebäudes zu treffen, damit diese bisherige Hausabschlusswand nicht nunmehr ungeschützt der Feuchtigkeitseinwirkung ausgesetzt ist (OLG Frankfurt a.a.O., BGH NJW 1981, 866 = BGH BB 1981, 458).
Dass das beklagte Land derartige Vorkehrungen und Vorsorgemaßnahmen vor und während der Abbrucharbeiten treffen musste, ergibt sich nicht nur aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot, sondern konkret auch aus der Abrissverfügung der Kreisverwaltung vom 12. September 1994, auf die sich der Beklagte zu Unrecht als entlastend beruft. In Ziffer 11 dieser Verfügung heißt es nämlich eindeutig:
„Da das abzubrechende Gebäude beidseitig an bauliche Anlagen angebaut ist, ist beim Abbruchvorgang die größtmögliche Sorgfalt hinsichtlich eventueller Beschädigungen an den Nachbargebäuden anzuwenden. Eventuell auftretenden, diesbezüglichen Gefahren ist … vor Abbruch des Gebäudes vorzubeugen.“
Allerdings könnte der Anspruch des Klägers, gründet man ihn auf die landesgesetzlichen Nachbarrechtsvorschriften, dem Umfang nach teilweise scheitern, soweit man die Sanierungskosten, die Kosten zur Beseitigung der Feuchtigkeitsschäden im Bereich des Badezimmers und die Schuttentsorgungskosten nicht vollständig als Unterhaltungskosten i.S.v. § 14 Abs. 3 Nachbarrechtsgesetz auffasst. Denn die „gelegentlich des Gebäudeabbruches“ entstehenden weiteren notwendigen Instandsetzungsarbeiten sind von den Parteien zu gleichen Teilen gemeinsam zu tragen (Hülbusch, a.a.O., Rdz. 13 zu § 14 und Rdz. 11 zu § 8 m.w.N.).
b)
Um auch diese eventuelle Anspruchslücke zu füllen, steht dem Kläger aber auf alle Fälle die weitere Anspruchsgrundlage des bürgerlich-rechtlichen Ausgleichsanspruchs analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zur Seite.
Diese Anspruchsgrundlage hat die höchstrichterliche Rechtsprechung für die Fälle entwickelt, in denen von einem Grundstück auf das benachbarte Grundstück Einwirkungen ausgehen, die zwar rechtswidrig sind und deshalb nicht geduldet werden müssen, wobei der betroffene Eigentümer oder Besitzer jedoch aus besonderen Gründen gehindert ist, solche Störungen gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB zu unterbinden, und wenn er dadurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (BGH NJW 1999, 2896; NJW-RR 1997, 1374 und NJW 1984, 2207, jeweils m.w.N. sowie Staudinger-Roth, BGB, 13. Bearbeitung 1996, Rdz.82 f zu § 906).
So liegt der Streitfall. Der Kläger konnte die Abbruchmaßnahme als solche infolge des faktischen Duldungszwanges nicht verhindern, während das beklagte Land mit der Ausführung der ihm öffentlich-rechtlich aufgegebenen Abrissmaßnahme möglicherweise verschuldensfrei wie ein „Störer“ in das Eigentum des Klägers eingegriffen hat.
Die Frage, ob der Eigentümer eines Grundstücks für hiervon ausgehende Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks als Störer in Anspruch genommen werden kann, lässt sich nicht begrifflich klären, sondern kann nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall beantwortet werden (BGH NJW 1995, 2633, 2634). Danach könnte zwar gegen die Annahme der Störereigenschaft sprechen, dass ein Eigentümer sich im Rahmen bestimmungsgemäßer Nutzung seines Grundstücks gehalten oder, wie hier, sich lediglich einer Abrissverfügung gebeugt hat. Eine solche Sachlage schließt die Haftung jedoch nicht generell aus. Denn auch bei nicht gefahrgeneigter, bestimmungsgemäßer Nutzung des eigenen Grundstücks kommt eine Haftung nach § 1004 Abs. 1 BGB dann in Betracht, wenn Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks zu besorgen oder eingetreten sind, wobei entscheidend ist, ob es Sachgründe dafür gibt, auch in solchen Fällen die Verantwortung dem Eigentümer des Grundstücks aufzuerlegen, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen (BGH NJW 1999, 2897). Das ist im vorliegenden Fall aus den oben unter a) dargelegten Rechtsgründen zu bejahen.
c)
Dieser nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 BGB führt allerdings im Regelfall nicht unbedingt zum vollen Ersatz des Schadens, vielmehr hat regelmäßig nur eine angemessene Entschädigung in Geld nach den Grundsätzen über die Enteignungsentschädigung zur Folge.
Besteht allerdings die Einwirkung auf das Grundstück des Betroffenen – wie hier – in einer Substanzschädigung, so kann der Entschädigungsanspruch auch auf vollen Schadensersatz gehen (BGH NJW 1999, 2897 und NJW-RR 1997, 1374).
Der Kläger ist auf jeden Fall, wie oben ausgeführt, so zu stellen, dass die durch die Beeinträchtigungen seines Grundeigentums – Substanzschädigung der Hauswand und daraus entstandene Feuchtigkeitsschäden – erlittenen Einbußen ausgeglichen werden. Im Falle einer rechtswidrigen, an sich zur Abwehr berechtigenden Beeinträchtigung, die der Betroffene aus faktischen Gründen nicht hat verhindern können, steht der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch dabei einem Schadensersatzanspruch im engeren Sinne so nahe, dass der Kläger neben den Beseitigungskosten (hier: Sanierungskosten zur Instandsetzung der Giebelmauer und Beseitigung der Feuchtigkeitsschäden im Bereich des Badezimmers) auch die durch den Mauerabriss verursachten Schuttentsorgungskosten verlangen kann (vgl. BGH a.a.O.).
Die vom Landgericht aufgrund des Gutachtens zuerkannten Kostenerstattungsbeträge sind angemessen und nicht überhöht. Hierbei ist zu sehen, dass die Sanierungskosten von 13.086,90 DM nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht die Sanierung der vollständigen Giebelwand, sondern nur die Kosten darstellen, die notwendig sind, um die Nachbarwand in einen solchen Zustand zu versetzen, wie er von einer – nunmehr – Außenwand erwartet werden muss. Eine Wertsteigerung des Hauses durch die Sanierungsmaßnahmen ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig kommt ein Vorteilsausgleich „neu für alt“ in Betracht, weil der Kläger nach den Sanierungsmaßnahmen nicht besser steht als während des Vorhandenseins des schützenden Nachbarhauses.
III.
Da auch die Voraussetzungen der erhobenen Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses nach § 1990 BGB nicht gegeben, jedenfalls nach dem Vortrag nicht erkennbar sind, erweist sich die Berufung als insgesamt unbegründet. Sie ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 24.279 DM festgesetzt; der Beklagte ist in gleicher Höhe beschwert.