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Grundstückausfahrer – Sorgfaltspflichten gegenüber fließendem Verkehr

Oberlandesgericht Bremen

Az: 5 U 45/09

Urteil vom 25.02.2010


In dem Rechtsstreit hat der 5. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 11.02.2010 für Recht erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bremen – 7. Zivilkammer, Einzelrichterin – vom 15.09.2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der Begründung der Entscheidung im Einzelnen wird ergänzend auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin den erstinstanzlich gestellten Klagantrag weiter. Der Berufungsvortrag der Klägerin ergibt sich aus ihrer Berufungsbegründung mit Schriftsatz vom 11.12.2009 (Bl. 87 ff. d.A.).

Die Beklagten beantragen Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil und treten dem Berufungsvorbringen entgegen. Wegen des Vortrags der Beklagten wird auf das Vorbringen in ihrem Schriftsatz vom 19.01.2010 (Bl. 110 f. d.A.) Bezug genommen.

II. Die statthafte (§ 511 ZPO), form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 517, 519, 520 ZPO), aber unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Angriffe der Klägerin haben keinen Erfolg.

1. Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten als Gesamtschuldnern kein Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Schadens gemäß § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 3 StVG, § 3 PflVersG, § 421 BGB zu.

a) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin seine Pflicht aus § 10 StVO verletzt hat.

aa) Nach § 10 StVO hat derjenige, der aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin greift zugunsten der Beklagten der Anscheinsbeweis. Dieser gelangt zur Anwendung, wenn es im räumlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren auf die Fahrbahn zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr kommt. Ein solcher Zusammenhang ist hier zu bejahen. Der Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin wollte aus der Grundstücksausfahrt über die …-Straße in den …-Damm fahren. Es kam zum Zusammenstoß, als der Beklagte zu 2. ihm aus dem …-Damm entgegenkam und aus seiner Sicht nach links in die …-Straße abbiegen wollte. Das Fahrzeug der Klägerin hatte die Grundstücksausfahrt erst mit einem geringfügigen Abstand verlassen. Es befand sich – quer zur Fahrtrichtung – noch im Bereich der ersten Fahrspur und kann daher schon aufgrund seiner Position nicht dem fließenden Verkehr zugerechnet werden.

Für die Anwendung des § 10 StVO ist es unerheblich, dass der Beklagte zu 2. nach links abbiegen wollte, als es zu dem Unfall kam. Nach dem Schutzzweck dieser Vorschrift hat derjenige, der aus dem ruhenden Verkehr anfährt, auf ein Vorrecht des übrigen Verkehrs zu achten (Geigel/Zieres, Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kapitel 27 Rn. 310). Dazu gehört nicht nur der Querverkehr, sondern auch der entgegenkommende nach links abbiegende Verkehr. § 10 Satz 1 StVO stellt insoweit klar, dass an den Ein- und Ausfahrten nicht etwa die allgemeinen Vorfahrtsregeln gelten (Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 10 StVO Rn. 2). Ein verkehrsbedingtes Anhalten des Beklagten zu 2. an der Einmündung …-Damm führt auch nicht dazu, dass er als Verkehrsteilnehmer aus dem fließenden Verkehr ausscheidet und damit das Vorrecht gegenüber dem ausfahrenden Fahrzeug verliert (vgl. KG, VRS 100, 286; NZV 2008, 625; Burmann, aa…, § 10 StVO Rn. 13).

bb) Die Klägerin meint, es liege ein atypischer Geschehensablauf vor, weil der Beklagte zu 2. den Linksabbiegevorgang von dem Osterholzer Möhlendamm auf die …-Straße noch nicht eingeleitet habe, als der Zeuge R. von der Grundstücksauffahrt auf die Straße gefahren sei. Ein Anscheinsbeweis komme daher nicht zum Tragen.

Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sich Feststellungen, die diesen Sachvortrag bestätigen, nicht treffen lassen. Die von der Klägerin angeführte Aussage des Zeugen R. bietet für die Annahme eines solchen Geschehensablaufs keine Grundlage, denn nach seinen eigenen Bekundungen hat er auf das von dem Beklagten zu 2. geführte Fahrzeug nicht geachtet.

Im Übrigen verkennt die Klägerin, dass ein solcher Geschehensablauf, auch wenn er sich so ereignet hätte und darin zugleich ein Verkehrsverstoß zu sehen wäre, nicht dazu führt, dass der Anscheinsbeweis für eine Verletzung der Sorgfaltsanforderungen gemäß § 10 StVO entkräftet wird. Die Pflichten aus § 10 StVO entfallen nicht deshalb, weil dem bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer ebenfalls ein Verkehrsverstoß zur Last fällt. Dieser Umstand ist vielmehr im Rahmen der Haftungsverteilung zu berücksichtigen (vgl. KG, VRS 100, 286, 287).

b) Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin ein Verschulden des Beklagten zu 2. an dem Unfall nicht bewiesen hat. Ein Anscheinsbeweis zugunsten der Klägerin wegen einer Verletzung der Pflichten nach § 9 StVO scheidet aus, weil der Beklagte zu 2. gegenüber dem Fahrzeug der Klägerin nicht wartepflichtig war (vgl. Burmann, aaO., § 9 Rn. 28). Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass der Beklagte zu 2. seine Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr nicht beachtet hat (§ 1 StVO). Es fehlt insoweit an Anhaltspunkten, dass es dem Beklagten zu 2. möglich gewesen wäre, auf das Fahrmanöver des entgegenkommenden Fahrzeugs rechtzeitig zu reagieren und dadurch den Unfall zu vermeiden.

c) Das Landgericht ist danach zu Recht von einer alleinigen Haftung der Klägerin ausgegangen, denn bei einem Verstoß gegen § 10 StVO tritt die Betriebsgefahr im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 StVG erforderlichen Abwägung der Verursachungsbeiträge zurück, so dass den Ausfahrenden die volle Haftung trifft (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 17 StVG Rn. 10, 18 m.w.N.).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO).

 

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