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Grundstücksübertragung – Pflegeübernahme und Pflegeheim

Bundesgerichtshof

Az: V ZR 132/09

Urteil vom 29.01.2010


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2010 für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 24. Juni 2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Mit notariellem Vertrag vom 14. Dezember 1982 übertrugen die Eltern des Beklagten zu 1 ihm und seiner Ehefrau, der Beklagten zu 2, ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück. Im Gegenzug wurde den Eltern ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht an den Räumlichkeiten im ersten Obergeschoß des Hauses eingeräumt. Ferner wurde in § 2 Nr. 2b des Vertrages vereinbart:

„Der Erwerber verpflichtet sich weiterhin, dem Übergeber unentgeltlich eine gute Pflege, Betreuung und Aufwartung in Tagen seines Wohlbefindens und der Krankheit zu gewähren, auf Wunsch des Übergebers insbesondere für die Reinigung und Instandhaltung von dessen Wohnung, Kleidung und Wäsche zu sorgen.

Gegen angemessenes Entgelt kann der Übergeber auch die Zubereitung der seinem jeweiligen Gesundheitszustand angepassten Mahlzeiten verlangen, auf Wunsch des Übergebers auch die Beköstigung am gemeinsamen Tisch mit der Familie des Erwerbers.

Sollte der Erwerber einmal zukünftig die vorstehenden Leistungen nicht persönlich erbringen können, so hat er auf seine Kosten für eine entsprechende Hilfskraft zu sorgen.“

Die Mutter des Beklagten zu 1 verstarb Ende 1998. Der Vater lebt, nachdem eine Betreuung unter anderem für die Bereiche Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung angeordnet worden war, seit 1999 in einem Seniorenheim.

Der Kläger, der dem Vater seit November 2006 Sozialhilfe gewährt, leitete dessen Ansprüche gegen die Beklagten aus dem Übertragungsvertrag wegen ersparter Aufwendungen aus nicht mehr erbrachten Pflegeleistungen auf sich über. Er setzt die Ersparnis für die Pflegeleistungen entsprechend der Pflegestufe 1 mit monatlich 225 EUR und für die hauswirtschaftliche Tätigkeit mit monatlich 75 EUR an.

Die auf Zahlung von 4.281,35 EUR für den Zeitraum von November 2006 bis Januar 2008 gerichtete Klage ist in erster Instanz erfolgreich gewesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht meint, der geltend gemachte Anspruch folge weder aus der Regelung in § 2 Nr. 2b des Übergabevertrages noch aus einer ergänzenden Auslegung dieses Vertrages. Die Vereinbarung in § 2 Nr. 2b habe allein den Fall im Auge, dass die Pflegeverpflichtung aus Gründen, die in der Person des Erwerbers lägen, nicht mehr erbracht werden könne. Die ergänzende Auslegung des Übergabevertrages ergebe zwar, dass die Beklagten sich an den Kosten des Heimaufenthalts in Höhe der ersparten Aufwendungen für nicht mehr zu erbringende Sachleistungen beteiligen müssten. Der Zahlungsantrag sei aber nicht hierauf gestützt, sondern beruhe auf der wertmäßigen Erfassung der ersparten Pflegeleistungen. Für solche hätten die Beklagten mangels entsprechender Anhaltspunkte im Vertrag keinen Geldersatz zu leisten.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.

1.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten folge nicht aus § 2 Nr. 2b des Übergabevertrages, ist nicht zu beanstanden. Die Auslegung einer Individualabrede kann von dem Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden, nämlich darauf, ob der Tatrichter die gesetzlichen und allgemein anerkannten Auslegungsregeln, die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die der Auslegung zugrunde gelegten Tatsachen ohne Verfahrensfehler ermittelt hat (st. Rspr.; vgl. Senat, Urt. v. 23. Januar 2009, V ZR 197/07, NJW 2009, 1810, 1811 m.w.N.). Ein solcher Rechtsfehler liegt hier nicht vor. Die in der mündlichen Verhandlung erhobene Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Interessen des Übergebers außer Acht gelassen und damit gegen den zu den allgemeinen Auslegungsregeln zählenden Grundsatz einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung verstoßen, ist unbegründet. Die Annahme, die Parteien hätten in § 2 Nr. 2b nur den Fall regeln wollen, dass die Pflegeverpflichtung aus in der Person der Beklagten liegenden Gründen nicht mehr erbracht werden könne, lässt nicht erkennen, dass das Interesse des Übergebers, im Alter umfassend versorgt zu sein, bei der Auslegung unzureichend berücksichtigt worden ist. Zusammen mit den übrigen von den Beklagten übernommenen Verpflichtungen stellt die Klausel die häusliche Versorgung des Übergebers gerade sicher. Dafür, dass die Parteien mit der Klausel auch die Absicherung des Übergebers nach einem Umzug in ein Heim regeln wollten, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Der Wortlaut der Klausel spricht gegen eine solche Absicht. Die Verpflichtung der Beklagten, auf ihre Kosten für eine „Hilfskraft zu sorgen“, ergibt im Fall eines Heimaufenthalts keinen Sinn, da Heime die für sie tätigen Hilfskräfte selbst auswählen und bezahlen.

2.

Das Berufungsgericht nimmt zutreffend an, dass sich der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auch nicht aus einer ergänzenden Auslegung des 1982 geschlossenen Übergabevertrages ergibt.

a)

Allerdings ist eine ergänzende Vertragsauslegung geboten, wenn die Beteiligten eines Übergabevertrages bei dessen Abschluss davon ausgegangen sind, der Übergeber könne im Alter zu Hause gepflegt werden, und deshalb keine Regelung für den Fall seines Umzugs in ein Senioren- oder Pflegeheim getroffen haben (vgl. Senat, Beschl. v. 21. November 2002, V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, 1127; Beschl. v. 23. Januar 2003, V ZB 48/02, NJW-RR 2003, 577, 578; Urt. v. 9. Januar 2009, V ZR 168/07, NJW 2009, 1348 [für ein Wohnrecht] sowie Krüger, ZNotP 2010, 2).

b)

Eine solche Regelungslücke ist unter Berücksichtigung der von den Parteien eingegangenen Bindungen zu schließen. Sollen die Verpflichtungen des Übernehmers, wie hier, zu der Alterssicherung des Übergebers beitragen oder diese umfassend gewährleisten, entspricht es dessen Absicherungsinteresse, dass ihm im Umfang der ersparten Aufwendungen ein Anspruch auf Beteiligung an den Pflegekosten zusteht, wenn er in einem Maße pflegebedürftig wird, dass er professionelle Pflege braucht und der Übernehmer seine Pflegeverpflichtung deshalb nicht mehr selbst erfüllen kann (vgl. Senat, Beschl. v. 21. November 2002, V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, 1127).

Der Umfang der ersparten Aufwendungen richtet sich nach dem Inhalt der ursprünglichen Verpflichtung zu Wart und Pflege (Senat, aaO). An die Stelle nicht mehr zu erbringender Sachleistungen treten Zahlungsverpflichtungen, die den Wert der ersparten Aufwendungen für diese Leistungen abschöpfen (Senat, Beschl. v. 23. Januar 2003, V ZB 48/02, NJW-RR 2003, 577, 578). Hinsichtlich vereinbarter Pflege- und sonstiger Dienstleistungen (z.B. Reinigung von Wohnung und Bekleidung, Zubereitung von Mahlzeiten) ist zu differenzieren:

Sind die Vertragsparteien bei Abschluss des Übergabevertrages übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Übernehmer hierfür eine Hilfskraft engagiert und bezahlt, zählt das Entgelt für die Hilfskraft zu den infolge des Heimaufenthalts ersparten Aufwendungen. Dagegen tritt an die Stelle von Pflege- und Dienstleistungen, die nach der Vorstellung der Vertragsparteien von dem Übernehmer oder dessen Familienangehörigen persönlich erbracht werden sollten, kein Zahlungsanspruch des Übergebers. Andernfalls führte die ergänzende Vertragsauslegung zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstandes. Der Übernehmer verpflichtet sich zu der Pflege und Betreuung des Übergebers meist in der Annahme, die geschuldeten Dienste selbst oder durch Familienangehörige, also ohne finanziellen Aufwand, erbringen zu können. Es entspricht deshalb in aller Regel nicht dem – für die ergänzende Vertragsauslegung maßgeblichen – hypothetischen Parteiwillen, dass Geldzahlungen an die Stelle der versprochenen Dienste treten, wenn diese aus Gründen, die der Übernehmer nicht zu vertreten hat, nicht mehr erbracht werden können. Müsste der Übernehmer den aufgrund des Heimaufenthalts des Übergebers entstandenen (Frei-)Zeitgewinn in Geld ausgleichen, wäre jedoch genau dies die Folge.

Abweichendes ergibt sich, anders als die Revision unter Hinweis auf Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (RNotZ 2005, 485 sowie Urt. v. 5. April 2004, I-9 U 180/03, […] Rdn. 46 ff.) meint, nicht aus der Entscheidung des Senats vom 21. November 2002 (V ZB 40/02, NJW 2003, 1126). Die darin enthaltenen Erwägungen zu dem Umfang der von der Übernehmerin geschuldeten Pflegeleistungen dienten nicht dazu, die infolge des Heimaufenthalts der Übergeberin ersparte Zeit für Pflegeleistungen zu konkretisieren. Sie sollten vielmehr verdeutlichen, dass die Übernehmerin keine Vollzeitpflege schuldete und deshalb auch dann keine professionellen Pflegekräfte hätte engagieren und bezahlen müssen (woraus sich dann ersparte Aufwendungen ergeben hätten), wenn deren Inanspruchnahme für eine ordnungsgemäße häusliche Pflege der Übergeberin im Laufe der Zeit unumgänglich geworden wäre.

c)

Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze ist das Berufungsgericht für den hier zu beurteilenden Sachverhalt rechtsfehlerfrei zu einer ergänzenden Auslegung des Übergabevertrages gelangt, nach der dem Vater des Beklagten zu 1 kein Geldausgleich für die ihm versprochenen, infolge seines Heimaufenthalts aber nicht mehr möglichen Pflege- und Dienstleistungen seitens der Beklagten zusteht.

Etwas anderes käme zwar in Betracht, wenn die Beklagten aus in ihrer Person liegenden Gründen heute nicht mehr in der Lage wären, die geschuldeten Leistungen selbst zu erbringen und deshalb – lebte der Übergeber noch in ihrem Haus – nach § 2 Nr. 2b des Übergabevertrages verpflichtet wären, auf ihre Kosten eine Hilfskraft zu besorgen; denn in diesem Fall hätten die Beklagten infolge des Heimaufenthalts des Übergebers finanzielle Aufwendungen erspart. Dass es sich so verhält, macht der Kläger indes nicht geltend. Auf ersparte Aufwendungen für Sachleistungen ist die Klage nicht gestützt worden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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