Finanzgericht München
Az: 2 K 2081/05
Urteil vom 25.08.2005
Leitsatz:
Die Leistungen aus einer vom Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer abgeschlossenen Gruppenunfallversicherung sind nicht als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu behandeln, wenn sie keinen Lohnersatz darstellen, sondern einen beim Arbeitnehmer verbleibenden Körperschaden ausgleichen bzw. mindern sollen.
In der Streitsache wegen Einkommensteuer 2000 und 2001 hat der 2. Senat des Finanzgerichts München ohne mündliche Verhandlung am 25. August 2005 für Recht erkannt:
1. Die Einkommensteueränderungsbescheide für 2000 vom 04.11.2004 und 22.03.2005 sowie der Einkommensteueränderungsbescheid für 2001 vom 22.03.2005 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 19.04.2005 werden unter Beibehaltung der in der Einspruchsentscheidung geregelten Vorläufigkeitsvermerke aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Rechtsmittelbelehrung XXX
Gründe:
I.
Streitig ist, ob die Leistungen aus einer vom Arbeitgeber des Klägers abgeschlossenen Gruppenunfallversicherung beim Kläger als Arbeitslohn zu versteuern sind.
Der Kläger erzielt nichtselbständige Einkünfte. Anlässlich einer Lohnsteueraußenprüfung beim Arbeitgeber des Klägers (künftig: Arbeitgeber) wurde bekannt, dass der Kläger wegen zwei Freizeitunfällen von seinem Arbeitgeber Leistungen aus einer Gruppenunfallversicherung ausbezahlt erhalten hatte. Der Arbeitgeber hatte aufgrund einer im Jahr 1997 geschlossenen Betriebsvereinbarung eine Gruppenunfallversicherung abgeschlossen und die Zahlung der Prämien übernommen. Die Versicherung erstreckte sich auf Unfälle innerhalb und außerhalb des Berufes.
Der Kläger hatte sich aufgrund von Freizeitunfällen im Jahr 1999 eine dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung eines Fingers und im Jahr 2000 eine dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung eines Beines zugezogen. Deshalb zahlte die Versicherung im Jahr 2000 eine Invaliditätsentschädigung in Höhe von 1.500 DM und im Jahr 2001 in Höhe von 8.400 DM an den Arbeitgeber, der sie an den Kläger weiterleitete.
Bis einschließlich 2000 stand die Ausübung der Rechte allein dem Arbeitgeber zu. Aus diesem Grund unterlagen nach Auffassung der Lohnsteuerprüfung die vom Arbeitgeber gezahlten Versicherungsprämien nicht der Lohnsteuerpflicht. Da die Prämien nicht lohnversteuert worden seien, seien die ausgezahlten Leistungen als Arbeitslohn zu versteuern.
Mit Änderungsbescheiden vom 4.11.2004 änderte das Finanzamt (FA) zunächst die Bescheide des Jahres 1999 und 2000 und erhöhte den Arbeitslohn 1999 um 1.500 DM und den des Jahres 2000 um 8.400 DM. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Daraufhin machte das FA die Erhöhung des Arbeitslohnes 1999 wieder rückgängig, da die Versicherungsleistungen im Jahr des Zuflusses und nicht im Jahr des Unfalles zu erfassen seien. Mit Bescheid vom 22.03.2005 änderte es den Bescheid 2000 und setzte in diesem Jahr nur noch eine Versicherungsleistung in Höhe von 1.500 DM an, gleichzeitig änderte es den Bescheid für das Jahr 2001 und erhöhte für dieses Jahr den Bruttolohn um 8.400 DM. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein.
Der Kläger trägt unter Berufung auf das Urteil des Schleswig Holsteinischen Finanzgerichts vom 19.06.2002 (I 1339/97 EFG 2002, 872) vor, dass die Leistungen aus der Gruppenunfallversicherung nicht als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu behandeln seien, da sie keinen Lohnersatz darstellten sondern einen beim Arbeitnehmer verbliebenen Körperschaden ausgleichen sollten.
Mit Einspruchsentscheidung vom 19.04.2005 wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück. Das FA beruft sich im Wesentlichen auf das Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 17.07.2000 (BMF IV C 5 S 2332 67/00 BStBl I 2000, 1204). Danach seien die Versicherungsleistungen als Arbeitslohn zu behandeln, wenn wie im Streitfall, die im Kalenderjahr des Versicherungsfalles geleisteten Beiträge des Arbeitgebers, keinen Arbeitslohn darstellten. Nur wegen des Abschlusses der Unfallversicherung durch den Arbeitgeber sei es zur Versicherungsleistung für die Privatunfälle gekommen.
Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung führt der Kläger im Wesentlichen ergänzend an, dass die Versicherungsleistungen kein steuerpflichtiger Arbeitslohn sondern Schadensersatz für den erlittenen Körperschaden darstellten. Die Versicherungsleistung habe nicht dem Zweck, Einnahmeausfälle des verunglückten Klägers auszugleichen, gedient.
Dass es sich um eine Invaliditätsentschädigung gehandelt habe, zeige sich daran, dass die Höhe des Betrages im Voraus vertraglich fest vereinbart worden sei. Ob dem Kläger Einnahmeverluste entstanden seien oder Entschädigung von Dritter Seite geleistet worden sei, sei unerheblich gewesen. Es sollten nur die durch die Funktionsbeeinträchtigungen entstandenen Belastungen ausgeglichen, bzw. gemildert werden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Einkommensteueränderungsbescheide für 2000 vom 4.11.2004 und 22.03.2005 sowie für 2001 vom 22.03.2005 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.04.2005 unter Beibehaltung der Vorläufigkeitsvermerke aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen. Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.
Die Parteien haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung FGO).
II.
Die Klage ist begründet. Die Invaliditätsentschädigungen stellen nichtsteuerbaren Schadensersatz für den erlittenen Gesundheitsschaden dar.
1. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit neben den Gehältern und Löhnen u.a. auch andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im privaten Dienst gewährt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Arbeitslohn alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis oder einem früheren Dienstverhältnis zufließen und als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit anzusehen sind. Dabei ist gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG) oder unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie gewährt werden.
Nach ständiger Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 19.08.2004 VI R 33/97 BStBl II 2004, 1076 m.w.N.) werden Bezüge oder Vorteile für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst worden sind. Erforderlich ist nicht, dass sie eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers sind. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, d.h. wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist. Arbeitslohn kann auch bei einer Zuwendung eines Dritten anzunehmen sein, wenn diese ein Entgelt „für“ eine Leistung bildet, die der Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses für seinen Arbeitgeber erbringt, erbracht hat oder erbringen soll.
Voraussetzung ist, dass sie sich für den Arbeitnehmer als Frucht seiner Arbeit für den Arbeitgeber darstellt und im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis steht. Arbeitslohn liegt jedoch dann nicht vor, wenn die Zuwendung wegen anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger, nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt wird (BFH, Urteil vom 14.04.2005 VI R 134/01 BB 2005, 1266).
Es kommt weniger auf den rechtlichen als auf den tatsächlichen Zusammenhang der Einnahmen mit dem Dienstverhältnis an.
Invaliditätsentschädigungen, d.h. Zahlungen von Kapitalbeträgen der Versicherungsgesellschaft für den Todesfall und den Eintritt von Dauerfolgen an Arbeitnehmer unterliegen nicht der Lohnsteuer, da damit Schadensersatz für Gesundheitsschädigungen in Form von Schmerzensgeld und für evtl. von dritter Seite nicht ersetzte Krankheitskosten geleistet wird
(Urteil des BFH vom 13.04.1976 VI R 216/72 BStBl II 1976, 694).
Bei der Leistung der Todesfall-Versicherungssume aus einer betrieblichen Auto-Unfallversicherung fehlt es an einem hinreichenden tatsächlichen Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis des verunglückten Arbeitnehmers. Die Versicherungsleistung dient nicht – jedenfalls nicht in erster Linie oder auch nur überwiegend – dem Zweck, Einnahmeausfälle der tödlich verunglückten Arbeitnehmer zu ersetzen. Die Todesfall-Versicherungssumme soll vielmehr alle Unbilden materieller und immaterieller Art ausgleichen, die durch den Unfalltod eines Menschen seinen Angehörigen oder Dritten erwachsen. Demgegenüber tritt ein etwa vorhandener objektiver Bezug der Todesfall-Versicherungssumme zum Arbeitsverhältnis in den Hintergrund. Die Kapitalzahlung erfolgt, weil der Versicherungsfall eingetreten ist. Die Todesfall-Versicherungssumme ist nicht Entgelt für eine vom Arbeitnehmer geleistete Tätigkeit.
Auch in ihrer von vornherein – unabhängig vom Ausmaß der Schäden – mit einem bestimmten Betrag festgelegten Höhe steht die Todesfall-Versicherungssumme nicht in einer ausreichenden Beziehung zu den geleisteten Diensten oder zu der Höhe etwa entgangener oder entgehender Einnahmen des tödlich verunglückten Arbeitnehmers (BFH-Urteil vom 22.04.1982 III R 135/79 BStBl II 1982, 496).
Nach den Urteilen des BFH vom 16.04.1999 (VI R 60/96 BStBl II 2000, 406 und VI R 66/97 BStBl II 2000, 408) können Leistungen der Versicherung im Schadensfall, wenn die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ausschließlich dem Arbeitgeber zustehen, zu Arbeitslohn führen. Einem etwaigen Lohnzufluss können dann aber außergewöhnliche Belastungen im Falle eines Unfalls im privaten Bereich bzw. Werbungskosten bei einem Dienstunfall gegenüber stehen. Letztlich würden nur solche Leistungen aus der Versicherung besteuert, die auch Lohnersatz darstellen (so auch das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht, Urteil vom 19.06.2002 I 1339/97 EFG 2002, 1381 und Drenseck in Schmidt EStG § 19 Tz. 50 Unfallversicherung).
Demgegenüber behandelt die Verwaltung die Leistungen aus einer Unfallversicherung als steuerpflichtigen Arbeitslohn, wenn die vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer ausgekehrte Leistung aus der Unfallversicherung wegen eines im privaten Bereich eingetretenen Versicherungsfalls veranlasst war und die im Kalenderjahr des Versicherungsfalles geleisteten Beiträge des Arbeitgebers keinen Arbeitslohn darstellen, weil die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ausschließlich ihm zustanden (Schreiben des BMF vom 17.07.200 s.o.).
2. In Anwendung der oben angeführten Rechtsgrundsätze gelangt der Senat zu der Auffassung, dass im Streitfall nicht steuerbarer Schadensersatz gegeben ist. Schadensersatz ist grundsätzlich ein der Einkommensteuer nicht unterliegender Vorgang.
Im Streitfall ist zwar insofern ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen Dienst- und Versicherungsverhältnis gegeben, als der Arbeitgeber aufgrund der Betriebsvereinbarung die Versicherungsverträge für seine Arbeitnehmer abgeschlossen hatte, die auch Unfälle im dienstlichen Bereich absichern sollten. Gleichwohl sind die Versicherungssummen nicht als Ertrag i.S.v. § 19 Abs. 1 EStG anzusehen. Die Versicherungsleistung diente nicht dem Zweck, Einnahmeausfälle des Klägers, sondern die verbliebenen Körperschäden zu ersetzen. Dies zeigt sich, wie der Kläger zu Recht ausführt, sowohl aufgrund des im Voraus vertraglich vereinbarten festen Betrages als auch daran, dass die Versicherung ohne Rücksicht darauf zu leisten war, ob der Kläger durch den Schadensfall möglicherweise Einnahmeverluste hatte oder anderweitig entschädigt wurde. Die Schadensersatzleistungen wurden nicht für eine Beschäftigung i.S.d. § 19 Abs. 1 EStG gewährt, sie sind somit keine Einnahmen aus dem Dienstverhältnis. Demgegenüber muss der objektive Bezug der Versicherungssumme zum Arbeitsverhältnis in den Hintergrund treten. Es ist auch weder vorgetragen noch erkennbar, dass der Arbeitgeber den zunächst ihm zustehenden Betrag an den Kläger deswegen weitergegeben hatte, weil der Kläger besondere Dienste für den Arbeitgeber erbracht hätte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).