VGH Baden-Württemberg
Az.: 10 S 614/00
Beschluss vom 25.07.2001
Vorinstanz: VG Freiburg – Az.: 4 K 2267/99
Rechtskräftig
Leitsatz
Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Fahreignung kann vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis zur Klärung von Eignungszweifeln auch dann angeordnet werden, wenn diese zuvor nur wegen einer – erheblichen – Straftat (hier: Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung [ §§ 315c Abs.1 Nr.2, 240 StGB]) entzogen worden war.
In der Verwaltungsrechtssache wegen Versagung der Fahrerlaubnis hier: Antrag auf Zulassung der Berufung hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 25. Juli 2001 beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 1. Februar 2000 – 4 K 2267199 – wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,– DM festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 1. Februar 2000 – 4 K 2267199 – ist zulässig, aber unbegründet.
Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) – dem allein geltend gemachten Zulassungsgrund – zuzulassen. Denn es liegen keine ernstlichen Zweifel vor.
Der Kläger vertritt – in seinem Zulassungsvorbringen sich hierauf beschränkend – die Ansicht, die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei rechtswidrig gewesen, so dass die Fahrerlaubnisbehörde zu Unrecht die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wegen seiner Weigerung, ein solches Gutachten vorzulegen, versagt habe. Denn das Vorliegen nur einer Straftat – hier seine Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 2, 240 StGB – rechtfertige noch nicht gem. § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 Buchst. b i.V.m. Nr. 4 FeV die Anforderung eines Gutachtens, da § 2 Abs. 4 S. 1 StVG, § 11 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 S. 1 Nr. 4 FeV von „Straftaten“ sprächen.
Wie das Verwaltungsgericht teilt auch der Senat diese Auffassung nicht. Nach § 2 Abs. 4 S. 1 StVG ist zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet, wer – neben hier nicht weiter interessierenden Voraussetzungen – nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Die Eignungsvorschriften in § 11 (bis § 14) FeV konkretisieren die Bestimmung in § 2 Abs. 4 StVG (BR-Drs. 443/98 S. 218). § 11 Abs. 1 S. 3 FeV wiederholt im Wesentlichen den Wortlaut des § 2 Abs. 4 S. 1 StVG. § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 FeV, der nur noch von „Straftaten“ spricht, kann insoweit nicht isoliert betrachtet werden, sondern steht – wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat – in systematischem Zusammenhang mit § 2 Abs. 4 S. 1 StVG und § 11 Abs. 1 S. 3 FeV; seine Auslegung hat sich demnach an diesem Kontext auszurichten. Unter Berücksichtigung dieser systematischen Normeneinheit rechtfertigt allein die Verwendung des Begriffs „Straftaten“ im Plural gerade im Hinblick auf das durch die (disjunktive) Konjugation „oder“ einander gegenüber gestellte Begriffspaar „erheblich“ und „wiederholt“ nicht die Auslegung, die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei auch bezüglich des Begriffs „erheblich“ grundsätzlich nur bei mehr als einer Straftat zulässig. Der Normgeber wollte durch die Begriffe „erheblich“ und „wiederholt“ ersichtlich zwei in der Begehung unterschiedliche Varianten im Hinblick auf den Verstoß gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze schaffen, was er grammatisch durch die Verwendung des Wortes „oder“ zum Ausdruck brachte. Andererseits hat der Gesetzgeber erkennbar beiden Varianten ein solches Gewicht beigemessen, dass jeder allein eignungsausschließende Bedeutung zukommen kann. Der wiederholten Begehung von Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze wird der – nur – einmalige, dafür aber erhebliche Verstoß gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze gegenüber gestellt. Allein dieses Verständnis wird dem Sinn und Zweck der Norm, der grammatischen und der systematischen Auslegung gerecht (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 2 StVG Rn 13; in diesem Sinne auch OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 11.4.2000, NJW 2000, 2442 = DAR 2000, 377). Dieses Normverständnis folgt insoweit der Auslegung zu § 15b Abs. 1 S. 2 StVZO a.F., wie er sie in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung gefunden hat. § 15b Abs.1 S.2 StVZO verwendete gleichfalls die Begriffe „verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze“ im Plural, und unter dessen Geltung konnte grundsätzlich auch bei einem sogenannten Ersttäter die Vorlage eines Gutachtens einer medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle verlangt werden (BVerwG, Urt. v. 27.9.1995, BVerwGE 99, 249 = DVBI. 1996, 165 = NZV 1996, 84; Urt. v. 20.2.1987, Buchholz 442.10. § 2 StVG Nr. 6 = NJW 1987, 2246 = DAR 87, 234; Urt. v. 15.12.1989, Buchholz 442.16, § 15b StVZO Nr. 19).
Da im übrigen ernstliche Zweifel an der Bewertung der Straftat des Klägers als erheblich und an den sonstigen Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 FeV entsprechend den Anforderungen nach § 124a Abs. 1 S. 4 VwGO nicht dargelegt sind und auch nicht vorliegen, war die Berufung nicht zuzulassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 25 Abs. 2, 20 Abs. 3, 14 Abs. 3 und 13 Abs. 1 GKG (i.V. mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit NVwZ 1996, 563, II Ziff. 45.2 und 45.3).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.