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Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft

AG Neustadt (Rübenberge), Az.: 82 M 30133/13, Beschluss vom 11.06.2013

Der Antrag der Gläubigerin auf Erlass eines Haftbefehls wird zurückgewiesen.

Gründe

Ein Haftbefehl kann nicht ergehen, weil es an einer Rechtsgrundlage fehlt. Die Gläubigerin stützt ihren Antrag auf § 22 Abs. 1 und 4 NVwVG. Diese Vorschrift lautet:

„(1) Die Vollstreckungsschuldnerin oder der Vollstreckungsschuldner hat auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers oder der Vollstreckungsbehörde gegenüber der Gerichtsvollzieherin oder dem Gerichtsvollzieher des für sie oder ihn zuständigen Amtsgerichts ein Verzeichnis ihres oder seines Vermögens vorzulegen und für ihre oder seine Forderungen den Grund und die Beweismittel zu bezeichnen, wenn

1. die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt hat,

2. anzunehmen ist, dass durch die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen eine vollständige Befriedigung nicht zu erlangen sein wird,

3. die Vollstreckungsschuldnerin oder der Vollstreckungsschuldner die Durchsuchung (§ 9) verweigert hat oder

4. die Vollstreckungsbeamtin oder der Vollstreckungsbeamte die Vollstreckungsschuldnerin oder den Vollstreckungsschuldner wiederholt in der Wohnung nicht angetroffen hat, nachdem die Vollstreckung mindestens einmal zwei Wochen vorher angekündigt worden ist, es sei denn, dass die Vollstreckungsschuldnerin oder der Vollstreckungsschuldner die Abwesenheit genügend entschuldigt und den Grund glaubhaft gemacht hat.

Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft
Symbolfoto: aruba200/Bigstock

(4) Für das Verfahren gelten die §§ 899 bis 914 der Zivilprozessordnung entsprechend. Als Auftrag im Sinne des § 900 Abs. 1 der Zivilprozessordnung genügt die schriftliche Erklärung des Antragstellers über Höhe, Grund und Vollstreckbarkeit der Forderung…“

Der Erlass des Haftbefehls war in § 901 ZPO aF geregelt. Diese Vorschrift lautete:

„Gegen den Schuldner, der in dem zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestimmten Termin nicht erscheint oder die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ohne Grund verweigert, hat das Gericht zur Erzwingung der Abgabe auf Antrag einen Haftbefehl zu erlassen. In dem Haftbefehl sind der Gläubiger, der Schuldner und der Grund der Verhaftung zu bezeichnen. Einer Zustellung des Haftbefehls vor seiner Vollziehung bedarf es nicht.“

§ 901 ZPO aF wurde mit Inkrafttreten Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung zum 01.01.2013 aufgehoben. Damit verweist § 22 Abs. 4 NVwVG auf eine nicht mehr existierende Bestimmung, auf deren Grundlage ein Haftbefehl nicht erlassen werden kann.

Wenn ein Gesetz auf ein anderes Gesetz verweist, so kann es sich um eine dynamische Verweisung (BVerfG Beschl. v. 17.04.2013 – 2 BvL 20/08) oder um eine statische Verweisung handeln. Soll nach der Verweisungsnorm das Verweisungsobjekt in seiner jeweiligen Fassung gelten, handelt es sich um eine „dynamische“ Verweisung. Soll hingegen der bei Erlass der Verweisungsnorm oder der zu einem früheren Zeitpunkt geltende Normtext, auf den verwiesen ist, maßgebend sein, liegt eine „statische“ Verweisung vor. Dynamische Verweisungen haben vor allem dort ihre Berechtigung, wo das Verweisungsobjekt von vornherein auf häufige Änderungen hin angelegt ist. Von einer dynamischen Verweisung ist dagegen auszugehen, wenn eine Gesetzeslage festgeschrieben werden soll (BVerfG NJW 1982, 2859).

Danach handelt es sich bei der Verweisung in § 22 Abs. 4 NVwVG um eine dynamische Verweisung. Das bundesgesetzlich geregelte Vollstreckungsrecht der ZPO unterliegt regelmäßigen Veränderungen. Größere Änderungen sind in jüngerer Zeit erfolgt durch das Zweite Gesetz zur Änderung zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften (2. Zwangsvollstreckungsnovelle) vom 17.12.1997 und das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29.07.2009. Es kann also nicht damit gerechnet werden, dass die Vorschriften, auf die verwiesen wird, für nicht absehbare Zeit unverändert bleiben. Ferner bestand für den niedersächsischen Landesgesetzgeber keine Veranlassung, eine bestimmte Rechtslage festzuschreiben. Im Gegenteil wurde § 22 NVwVG erst vor 6 Jahren der Neufassung des § 807 ZPO durch die 2. Zwangsvollstreckungsnovelle angepasst, nachdem das AG Burgdorf entschieden hatte, dass die Voraussetzungen von § 22 Abs. 1 NVwVG aF für die Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung nicht vorlagen, wenn der Vollstreckungsbeamte den Schuldner an den festgesetzten Terminen jeweils nicht antraf, weil diese Vorschrift lediglich den Wortlaut von § 807 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO wiedergab, nicht aber den Wortlaut von § 807 Abs. 1 Nr. 4 ZPO (AG Burgdorf DGVZ 2006, 79). Es ist also grundsätzlich für das niedersächsische Verwaltungsvollstreckungsrecht ein Gleichlauf mit demjenigen der ZPO beabsichtigt. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn Abs. 4 von § 22 NVwVG als statische Verweisung aufgefasst würde.

Darüber hinaus verstehen alle anderen Bundesländer, deren Verwaltungsvollstreckungsgesetze auf die ZPO verweisen, diese Verweisungen offenbar als dynamische Verweisungen. Die entsprechenden Vorschriften verweisen sämtlich nicht mehr wegen des Erlass eines Haftbefehls auf § 901 ZPO aF sondern auf § 802g ZPO nF (Baden-Württemberg: § 24 LVwVG, gültig ab 01.01.2013; Brandenburg: § 31 VwVGBbg, gültig ab 01.09.2013; Hamburg: § 16 VwVG HA 2013, gültig ab 01.06.2013; Hessen: §§ 27,51, 76a, 77 HessVwVG, gültig ab 01.01.2013; Nordrhein-Westfalen: § 61 VwVG NRW, gültig ab 01.01.2013 bis 31.12.2014; Rheinland-Pfalz: §§ 25e, 67 LVwVG, gültig ab 01.01.2013; Sachsen-Anhalt: § 72 VwVG LSA, gültig ab 06.04.2013; Schleswig-Holstein: § 211, 240, 281a LVwG, gültig ab 01.01.2013; Thüringen: § 49 ThürVwZVG gültig ab 22.12.2012). Auch die Bundesgesetze, die auf das Haftbefehlsverfahren der ZPO Bezug nehmen – zB § 89 Abs. 3 FamFG, verweisen seit dem 01.01.2013 auf § 802g ZPO nF. Es ist nicht nachvollziehbar, warum allein in Niedersachsen ein Bedürfnis für eine statische Verweisung bestehen soll.

Ferner ist zu beachten, dass das Recht der eidesstattlichen Versicherung nach der ZPO, welches § 22 NVwVG in Bezug nimmt, auslaufen soll. Dieser Wille des Bundesgesetzgebers folgt aus der Übergangsvorschrift des § 35 EGZPO. Darin heißt es:

„Nr. 1 Für Vollstreckungsaufträge, die vor dem 1. Januar 2013 beim Gerichtsvollzieher eingegangen sind, sind anstelle der §§ 754, 755, 758a Abs. 2, von § 788 Abs. 4, der §§ 802a bis 802l, 807, 836 Abs. 3, der §§ 851b, 882b bis 882h, 883 Abs. 2 und von § 933 Satz 1 der Zivilprozessordnung die §§ 754, 806b, 807, 813a, 813b, 836 Abs. 3, der § 845 Abs. 1 Satz 3, die §§ 851b, 883 Abs. 2 und 4, der § 888 Abs. 1 Satz 3, die §§ 899 bis 915h und § 933 Satz 1 der Zivilprozessordnung in der bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung weiter anzuwenden. …

„Nr. 4 Im Rahmen des § 802d Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung und des § 284 Abs. 4 Satz 1 der Abgabenordnung steht die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 807 der Zivilprozessordnung oder nach § 284 der Abgabenordnung in der bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung der Abgabe einer Vermögensauskunft nach § 802c der Zivilprozessordnung oder nach § 284 der Abgabenordnung in der ab dem 1. Januar 2013 geltenden Fassung gleich. Kann ein Gläubiger aus diesem Grund keine Vermögensauskunft verlangen, ist er nach Maßgabe des § 299 Abs. 1 der Zivilprozessordnung dazu befugt, das beim Vollstreckungsgericht verwahrte Vermögensverzeichnis einzusehen, das der eidesstattlichen Versicherung zu Grunde liegt, und sich aus ihm Abschriften erteilen zu lassen. Insoweit sind die bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Vorschriften des Gerichtskostengesetzes über die Erteilung einer Ablichtung oder eines Ausdrucks des mit eidesstattlicher Versicherung abgegebenen Vermögensverzeichnisses oder den Antrag auf Gewährung der Einsicht in dieses Vermögensverzeichnis weiter anzuwenden.“

Die Vorschriften über die eidesstattliche Versicherung der §§ 899 ZPO ff aF sollen danach nur noch für Vollstreckungsaufträge gelten, die vor dem 01.01.2013 beim Gerichtsvollzieher eingegangen sind. Nur noch aufgrund dieser Vollstreckungsaufträge abgegebene eidesstattliche Versicherungen werden bei den örtlichen Vollstreckungsgerichten hinterlegt. Deren Aufgabe übernimmt für die aufgrund von Vollstreckungsaufträgen, die ab dem 01.01.2013 beim Gerichtsvollzieher eingegangen sind, abgenommene Vermögensauskunft das zentrale Vollstreckungsgericht. Wäre § 22 Abs. 4 NVwVG eine statische Verweisung, so bliebe das Verfahren der eidesstattlichen Versicherung allein in Niedersachsen auf unabsehbare Zeit (bis sich der Landesgesetzgeber zu einer Änderung entschließt) erhalten mit der Folge, dass nicht nur eine nicht erforderliche niedersächsische Sonderregelung entsteht sondern dass auch die angestrebte Entlastung der örtlichen Vollstreckungsgerichte von den damit verbundenen Aufgaben in Niedersachsen nicht vollends eintreten könnte.

Letztlich ist zu bedenken, dass der von der Gläubigerin beantragte Erlass eines Haftbefehls einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt. Die Freiheit der Person ist durch Art. 104 GG besonders geschützt. Das Gericht hält es für nicht zulässig, mit Hilfe der wie dargestellt sehr bedenklichen Auslegung des § 22 Abs. 4 NVwVG im Sinne einer statischen Verweisung einen Haftbefehl aufgrund der aufgehobenen bundesgesetzlichen Vorschrift des § 901 ZPO aF zu erlassen. Nach alledem ist der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zurückzuweisen.

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