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Haftpflichtversicherung – Begriff des Sachschadens und Auslegung der Bearbeitungsklausel

BGH, Az: IVa ZR 154/81, Urteil vom 21.09.1983

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 1981 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Haftpflichtversicherung - Begriff des Sachschadens und Auslegung der Bearbeitungsklausel
Symbolfoto: l i g h t p o e t / Bigstock

Die Klägerin betreibt ein Weinlabor, in dem sie Mostproben analysiert, die ihr von Winzern eingereicht werden. Anhand ihrer Ergebnisse und der Angaben der Winzer über die Gesamtmenge des Untersuchungsgutes errechnet sie Rezepturen zur bestmöglichen Behandlung des Mostes; so unterrichtet sie beispielsweise ihre Kunden darüber, wieviel Kalk oder wieviel Zyankali dem Most zur Entsäuerung oder zur sogenannten Blauschönung beigefügt werden müssen. Den Zusatz der betreffenden Mittel nehmen die Winzer dann entsprechend den ihnen übermittelten Mengenangaben selbst vor.

Für ihren Betrieb hat die Klägerin bei der Beklagten eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) zugrunde liegen.

Im Oktober 1979 übergab ein Winzer der Klägerin eine Mostprobe zur Bestimmung des Oechslegrads und der Säure. Die Klägerin analysierte die Probe und wollte dann auftragsgemäß die Kalkmenge bestimmen, mit der der verhältnismäßig hohe Säuregrad im gesetzlich zulässigen Rahmen zu vermindern war. Dabei bezog sie in ihre Berechnung versehentlich den Säurewert nicht ein, der im Ergebnis erreicht werden sollte. So übergab sie dem Winzer eine Rezeptur, die – nachdem die entsprechende Kalkmenge dem Most beigefügt war – zu dessen völliger Entsäuerung und damit zur Untauglichkeit für die Weinbereitung führte.

Die Klägerin leistete dem Winzer für den unbrauchbar gewordenen Most (2478 1) eine Entschädigung von 9.520,- DM. Bei der Veräußerung eines Teils des Mosts an eine Essigfabrik erzielte sie 331,42 DM. Wegen des Differenzbetrages nimmt sie die Beklagte auf Versicherungsschutz in Anspruch.

Die Beklagte bestreitet ihre Ersatzpflicht. Sie bringt vor: Es handele sich nicht um einen Sach-, sondern um einen allgemeinen Vermögensschaden, der nicht in den Schutzbereich der strittigen Haftpflichtversicherung falle. Jedenfalls greife die „Bearbeitungsklausel“ nach § 4 I Nr. 6 Abs. 1 b AHB ein. Außerdem sei kein Versicherungsschutz gegeben, weil es sich um eine Ersatzleistung anstelle der Erfüllung eines Vertrages i.S. von § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB handele. Die Beklagte bestreitet ferner die Höhe des geltend gemachten Schadens.

Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit ihrer zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht läßt die Frage dahingestellt, ob die Klägerin einen Sachschaden verursacht hat, für den sie aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen einstehen muß (§ 1 Abs. 1 AHB). Diese Frage ist entgegen der von der Beklagten in der Revisionserwiderung vertretenen Ansicht zu bejahen.

1. § 1 AHB versteht unter Sachschaden u.a. die Beschädigung einer Sache, also eine körperliche Einwirkung auf die Substanz einer bereits bestehenden Sache, die einen zunächst vorhanden gewesenen Zustand beeinträchtigt und zu einer Aufhebung oder Minderung der Gebrauchsfähigkeit der Sache führt (vgl. BGH Urteil vom 14.4.1976 – IV ZR 60/75 – VersR 1976, 629, 630 („Wattenschiff“); Urteil vom 27.6.1979 – IV ZR 174/77 – VersR 1979, 853, 854 („schiefstehende Gebäude“)). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Most, der infolge der Anwendung der von der Klägerin gelieferten unrichtigen Rezeptur verdorben wurde, war vorher – wenn auch nur bei Anwendung einer richtigen Rezeptur – zur Herstellung von Wein geeignet und dazu auch bestimmt. Es handelte sich daher um eine – wenn auch nur bei richtiger Behandlung – zur Herstellung von Wein gebrauchsfähige Sache. Diese Gebrauchsfähigkeit wurde durch die Anwendung der unrichtigen Rezeptur der Klägerin aufgehoben und daher ein Sachschaden an dem Most als einer bereits vorhandenen Sache verursacht. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von den in den vorgenannten Urteilen entschiedenen Fällen, soweit es dabei um die Herstellung einer völlig neuen Sache ging.

Soweit die Beklagte ausführt, die Fälle müßten gleich behandelt werden, weil das Endziel die Herstellung von Wein aus dem Most gewesen sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Denn dies ändert nichts an der Tatsache, daß der zur Herstellung von Wein vorgesehene Most durch unrichtige Behandlung unbrauchbar wurde und daher ein Sachschaden an ihm entstand.

2. Die Herbeiführung dieses Sachschadens an dem Most beruht auf der unrichtigen Rezeptur der Klägerin und daher auf der unstreitig von ihr verschuldeten fehlerhaften Werkleistung, deretwegen sie dem geschädigten Winzer ersatzpflichtig geworden ist. Insoweit kann es auf sich beruhen, ob sich der Schadensersatzanspruch des Winzers aus § 823 Abs. 1 BGB oder aus positiver Vertragsverletzung oder aus § 635 BGB ergibt. Denn bei allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen liegt eine Inanspruchnahme aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts i.S. von § 1 Abs. 1 AHB vor. Hinsichtlich eines etwaigen Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB bedarf dies keiner weiteren Erläuterung. Von der Beklagten wird auch nicht in Zweifel gezogen, daß auch ein Anspruch aus positiver Vertragsverletzung ein Schadensersatzanspruch i.S. von § 1 Abs. 1 AHB ist (vgl. dazu Wussow AHB 8. Aufl. Anm. 64 zu § 1 m.w.N.). Soweit die Beklagte darauf abstellen will, daß lediglich ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung gemäß § 635 BGB in Betracht komme, ist dies im Rahmen des § 1 AHB unerheblich. Denn auch bei dem Schadensersatzanspruch nach § 635 BGB handelt es sich um eine Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers aufgrund gesetzlicher Haftungsbestimmungen privatrechtlichen Inhalts i.S. von § 1 Abs. 1 AHB. Die Frage, ob ein Erfüllungsanspruch oder „eine an die Stelle der Erfüllungsleistung tretende Ersatzleistung“ i.S. von § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB geltend gemacht wird, kann daher nicht im Rahmen des § 1 Abs. 1 AHB, sondern erst bei der Prüfung der Voraussetzungen der Ausschlußklausel nach § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB (siehe dazu nachfolgend unter III.) Bedeutung gewinnen (vgl. Littbarski VersR 1982, 915, 918).

II. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung in erster Linie mit der Erwägung begründet, der Versicherungsschutz sei ausgeschlossen, weil die in § 4 I Nr. 6 Abs. 1 b AHB enthaltene „Bearbeitungsklausel“ eingreife, wonach Schäden, „die an fremden Sachen durch eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Versicherungsnehmers an oder mit diesen Sachen (z.B. Bearbeitung, Prüfung …) entstanden sind“, nicht dem Versicherungsschutz unterliegen. Hierzu hat es ausgeführt:

Der Schaden sei bei einer Tätigkeit der Klägerin „an oder mit“ dem untersuchten Most entstanden. Gegenstand ihres Auftrags seien die Analyse des Mostes und – darauf aufbauend – die Bestimmung jener Kalkmenge gewesen, mit der im Rahmen des gesetzlich Zulässigen der zu hohe Säuregehalt abgebaut werden sollte. Die hierfür erforderliche Untersuchung sei an dem Most durchgeführt worden. Daß die Klägerin nur eine Probe analysierte, stehe dem nicht entgegen; das Untersuchungsergebnis habe als repräsentativ für die Gesamtmenge gegolten. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, daß nicht sie, sondern der geschädigte Winzer den Most durch Zusatz der überhöhten Kalkmenge unbrauchbar gemacht hat. Der Winzer sei bei seiner Arbeit unkritisch der von ihm nicht überprüfbaren, als sachverständig hingenommenen Anleitung der Klägerin gefolgt; er habe ohne eigene Verantwortlichkeit in der schuldlos irrigen Vorstellung gehandelt, seinem Most die zur Weinbereitung angemessene Behandlung angedeihen zu lassen. Die Klägerin habe deshalb fahrlässig in mittelbarer Täterschaft „durch einen anderen“ gehandelt. Eine solche mittelbare Sachbeschädigung reiche zum Ausschluß des Versicherungsschutzes nach § 4 I Nr. 6 Abs. 1 AHB jedenfalls bei beweglichen Sachen – wie dem hier unbrauchbar gemachten Most – aus; lediglich bei unbeweglichen Sachen gelte der Ausschluß nach der genannten Bestimmung nur insoweit, als die beschädigte Sache „unmittelbar Gegenstand der Tätigkeit gewesen“ ist.

Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

Der Begriff „Tätigkeit an oder mit einer fremden Sache“ ist nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auszulegen (vgl. Wehn/Schmidt, Die neue Fassung der Obhuts- und Bearbeitungsschadenklausel in der allgemeinen Haftpflichtversicherung, 3. Aufl. S. 34). Er erfordert daher eine körperliche Beziehung des Versicherungsnehmers zu der Sache, auf die eingewirkt wird (BGH Urteil vom 7.12.1959 – II ZR 166/58 – BGH LM Nr. 11 zu § 4 AHB; Wussow AHB Anm. 53 zu § 4). Daran fehlt es, wenn der Beitrag des Versicherungsnehmers an der Entstehung des Schadens lediglich darin besteht, daß er – wie hier – dem Eigentümer der Sache eine Rezeptur zu der von dem Eigentümer selbst vorzunehmenden Bearbeitung der Sache ausarbeitet (vgl. Wussow aaO, wo ausdrücklich das Beispiel des durch ein fehlerhaftes Rezept eines Tierarztes geschädigten Tieres genannt wird).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann eine Bearbeitung des Mostes durch die Klägerin auch nicht darin erblickt werden, daß sie die ihr übergebene Probe analysiert hat. Denn die an der Mostprobe vorgenommenen Tätigkeiten betrafen nur die von dem Most getrennte Probemenge und dienten lediglich zur Feststellung der Beschaffenheit der Mostmenge, von der die Probe gezogen worden war. Hierin kann keine Bearbeitung der bei dem Winzer verbliebenen Mostmenge erblickt werden, zumal diese erst nach den aufgrund der Analyse gewonnenen Erkenntnissen durch den Winzer selbst durchgeführt werden sollte, wie das dann auch geschehen ist. Der Schaden beruht nicht auf der – fehlerfrei durchgeführten – Analyse der Mostprobe, sondern auf einem Fehler bei der Erarbeitung der von der Klägerin erstellten Rezeptur, also einer Beratungstätigkeit, die auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer mittelbaren Täterschaft einer Bearbeitung des Mostes durch die Klägerin gleichgestellt werden kann. Deshalb handelt es sich im vorliegenden Fall auch nicht um einen vom Versicherungsschutz ausgeschlossenen Haftpflichtanspruch wegen Schäden, die durch eine „Prüfung“ i.S. von § 4 I Nr. 6 b AHB entstanden wären. Vielmehr ist gerade diese Tätigkeit Gegenstand des Haftpflichtversicherungsvertrages.

III. Dem Berufungsgericht kann auch nicht darin zugestimmt werden, daß die Beklagte nach § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB leistungsfrei sei, weil es sich bei dem Schadensersatzanspruch des Winzers gegen die Klägerin um einen Anspruch aus § 635 BGB handele, nicht dagegen aus positiver Vertragsverletzung auf Ersatz eines Mangelfolgeschadens, weil der an dem Most verursachte Schaden eine unmittelbare Folge des von der Klägerin erstellten fehlerhaften Gutachtens sei. Wie der Senat bereits im „Statikerfall“ (BGHZ 80, 284 = VersR 1981, 771 = NJW 1981, 1780, vgl. dazu Küpper, VP 1981, 273 ff. und Littbarski VersR 1982, 915) ausgeführt hat, können die Erwägungen, aus denen haftungsrechtlich gewisse Mangelfolgeschäden in die Gewährleistungshaftung nach § 635 BGB einbezogen werden, im Deckungsprozeß des Versicherten gegen den Versicherer nicht durchgreifen. Die in der genannten Entscheidung aufgestellten Grundsätze müssen auch im vorliegenden Fall gelten und zur Nichtanwendung der „Erfüllungsklausel“ in § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB führen, da nicht Deckung für Ersatz der Kosten einer neuen (richtigen) Rezeptur durch die Klägerin oder einen Dritten gefordert wird, sondern Deckung für Folgeschäden, die durch die Verwertung des von der Klägerin erstellten unrichtigen Gutachtens an dem Most entstanden sind und daher über das Interesse an der Erstattung eines fehlerfreien Gutachtens hinausgehen.

IV. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist daher die Beklagte für den an dem Most entstandenen Schaden deckungspflichtig. Da das Berufungsgericht aufgrund des von ihm eingenommenen Rechtsstandpunktes zu der von der Beklagten bestrittenen Schadenshöhe keine Feststellungen getroffen hat, mußte der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.

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