LG Kassel, Az.: 1 S 263/15, Urteil vom 07.03.2017
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Fritzlar vom 04.09.2016 – Az. 8 C 850/14 (15) – abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.11.2012 zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits 1. und 2. Instanz zu tragen.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Klägerin gewährte für das Fahrzeug Kia Pride GLXi, mit dem amtlichen Kennzeichen … Haftpflichtversicherungsschutz nach Maßgabe der AKB der Klägerin mit Stand 01.10.2007 (Bl. 7 ff. d. A.). Versicherungsnehmer ist der Vater des Beklagten, Herr M G. Der Beklagte verursachte als Fahrer des genannten Fahrzeuges am 15.06.2008 gegen 03:30 Uhr im alkoholisierten Zustand einen Verkehrsunfall, bei dem der mit seinem Fahrrad sich in gleicher Fahrtrichtung bewegende Geschädigte tödlich verletzt wurde. Die Klägerin begehrt vom Beklagten Erstattung des an die Mutter des Getöteten geleisteten Ersatzbetrages. Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung, es sei Verjährung eingetreten, abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Rechtsmittel.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 201 ff. Bd. I d. A.) Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 2 i. V. m. § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO auf Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen verzichtet.
Die Berufung musste in der Sache Erfolg haben. Der Klägerin steht der geltend gemachte Regressanspruch gegen den Beklagten aus dem Gesichtspunkt des Innenausgleichs unter Gesamtschuldnern gemäß §§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB, 116 Abs. 1 S. 2 VVG zu.
Die Parteien haften als Gesamtschuldner für den durch den Verkehrsunfall eingetretenen Schaden.
Die Haftung der Klägerin folgt aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 115, 117 VVG. Die Haftung des Beklagten folgt aus § 18 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 StVG. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Haftung des Halters sowie des Fahrzeugführers gemäß §§ 7, 18 StVG sind erfüllt. Zu Gunsten des Beklagten kann schon deshalb nicht von einer Widerlegung der Verschuldensvermutung gemäß § 18 Abs. 1 S. 2 StVG ausgegangen werden, weil er als alkoholisierter Fahrer im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit den Unfallgegner übersah und den tödlichen Unfall verursachte.
Gemäß § 115 Abs. 1 S. 4 VVG haften der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherungsnehmer als Gesamtschuldner. Dies gilt nach herrschender Auffassung, der sich die Kammer anschließt, auch für die in den Versicherungsschutz mit einbezogenen Personen (vgl. Knappmann, in Prölls/Martin, WG, 29. Aufl., § 115 Rn. 18). Maßgeblich für den vorliegenden Rechtsstreit ist insofern das VVG, das mit Wirkung vom 01.01.2008 geändert worden war. Hingegen sind maßgeblich im Übrigen die eingangs genannten Versicherungsbedingungen der Klägerin mit Stand 01.10.2007, die aufgrund der bis zum 31.12.2008 noch laufenden Anpassungsfrist im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls noch in ihrer alten Fassung Gültigkeit hatten.
Der Beklagte war als Führer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges in die Haftpflichtversicherung als versicherte Person mit eingeschlossen (§ 10 Abs. I (II) c der AKB), so dass aus dem Vorgenannten die Gesamtschuldnerstellung der Parteien folgt.
Nach Regulierung des Schadens durch die Klägerin kann sie vom Beklagten Ersatz verlangen. § 116 Abs. 1 S. 1 VVG bestimmt, dass im Verhältnis der Gesamtschuldner nach § 115 Abs. 1 S.4 VVG zueinander der Versicherer allein verpflichtet ist, soweit er dem Versicherungsnehmer aus dem Versicherungsverhältnis zur Leistung verpflichtet ist. Soweit eine solche Verpflichtung allerdings nicht besteht, ist in ihrem Verhältnis zueinander der Versicherungsnehmer allein verpflichtet (§ 116 Abs. 1 S. 2 VVG). Von Letztgenanntem ist vorliegend auszugehen. Die Klägerin ist im Verhältnis zum Beklagten von ihrer Leistungspflicht freigeworden.
§ 3 der AKB der Klägerin bestimmt ausdrücklich, dass näher aufgeführte für den Versicherungsnehmer gültige Bedingungen auch sinngemäß für die Mitversicherten, vorliegend den Fahrzeugführer, anzuwenden sind.
Aufgrund der Trunkenheit des Beklagten und des damit verbundenen Obliegenheitsverstoßes gemäß § 2b lit e) der AKB Ist die Klägerin gemäß § 2c (1) a) der AKB bei hier anzunehmendem bedingten Vorsatz, jedenfalls aber grober Fahrlässigkeit berechtigt, die Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechendem Verhältnis zu kürzen. Aufgrund einer Alkoholisierung im Bereich der absoluten Fahruntüchtigkeit (ab 1,1 Promille) ist eine vollständige Versagung des Versicherungsschutzes nicht zu beanstanden. Soweit der Beklagte die Berechnung seiner Alkoholisierung in Zweifel zieht, ist er den diesbezüglichen Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil, wonach er mindestens 1,38 Promille aufgewiesen habe, nicht substantiiert entgegengetreten. Zwar entfalten die Feststellungen keine Bindungswirkung, stellen indes ein starkes Indiz dar und erfordern bei einem Entgegentreten substantiierten Vortrag, der vorliegend nicht gehalten wurde. In der Klageerwiderung (Bl. 68 d.A.) hat der Beklagte vielmehr selbst angeführt, er sei wegen der zurückgerechneten 1,38 Promille zu Recht strafrechtlich verurteilt worden.
Hinzu kommt, dass der Beklagte anschließend Unfallflucht begangen hat, was nicht nur gemäß § 142 StGB strafbar ist, sondern gemäß § 7 I (2) AKB einen Verstoß gegen die Verpflichtung, alles zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienliche zu tun, darstellt. Soweit der Beklagte einwendet, er habe zunächst gedacht, es sei ein Wildunfall, ändert dies ungeachtet der Frage, dass der Beklagte dann schon sehr die Augen vor der Wahrheit hätte verschließen müssen, nichts daran, dass er im Interesse des Fahrzeughalters und der Klägerin hätte anhalten und das Ausmaß des entstandenen Schadens hätte feststellen müssen. Folge der Obliegenheitsverletzung ist ebenfalls Leistungsfreiheit, § 7a (1) AKB.
Soweit der Beklagte einwendet, die Klägerin habe die Regulierung eines auch der Höhe nach nicht berechtigt geltend gemachten Schadens vorgenommen und auch die Zusammensetzung der auf die Hauptforderung gezahlten 4.000,00 € sei nicht nachvollziehbar, kann dem nicht gefolgt werden.
Der Beklagte muss die Vereinbarung zwischen der Klägerin und seinem Unfallgegner bzw. dessen Hinterbliebenen über eine Entschädigung in Höhe von 4.000,00 € gegen sich gelten lassen. Ist der Anspruch des Dritten nämlich gegenüber dem Versicherer durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder – wie vorliegend – Vergleich festgestellt worden, muss der Versicherungsnehmer, gegen den von dem Versicherer Ansprüche auf Grund des § 116 Abs. 1 Satz 2 geltend gemacht werden, diese Feststellung gegen sich gelten lassen, es sei denn, der Versicherer hat die Pflicht zur Abwehr unbegründeter Entschädigungsansprüche sowie zur Minderung oder zur sachgemäßen Feststellung des Schadens schuldhaft verletzt, § 124 Abs. 2 VVG. Gleiches gilt für die Mitversicherten.
Dem Beklagten steht mithin nur der Einwand zu, dass die Klägerin bei der Schadenregulierung ihre Pflicht zur Abwehr unbegründeter Entschädigungsansprüche sowie zur Minderung oder zur sachgemäßen Feststellung des Schadens schuldhaft verletzt habe. Eine solche schuldhafte Pflichtverletzung kann nicht angenommen werden, denn der Klägerin ist bei der Entscheidung über die Entschädigung des Unfallgegners ein Ermessensspielraum eingeräumt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. August 2005 – 20 W 28/05 Rz. 2, juris; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 124 VVG Rn. 14) und ein willkürlicher Ermessensmissbrauch lässt sich nicht feststellen.
Im Falle der Tötung umfasst die Ersatzpflicht u.a. die Kosten einer versuchten Heilung sowie die Kosten der Beerdigung, § 10 Abs. 1 StVG. Ungeachtet der Frage, ob die Mutter des Getöteten zum Beispiel sämtliche geltend gemachten Fahrtkosten nachgewiesen hatte, hielten sich die geltend gemachten Kosten insgesamt im Rahmen dessen, was eine Beerdigung üblicherweise kostet. Die Klägerin musste auch nicht zwingend versuchen, die erhobenen Ansprüche aufgrund etwaigen Mitverschuldens des Getöteten noch weiter nach unten zu drücken. Da nicht mehr festgestellt werden konnte, ob die Alkoholisierung des Getöteten tatsächlich mitursächlich für den Unfall war, musste dieser Aspekt bei der Regulierungsentscheidung außen vor bleiben. Etwaig mangelnde Beleuchtung am Fahrrad, was allerdings jedenfalls hinsichtlich der Reflektoren und des Rücklichts nach dem Sachverständigengutachten im Strafverfahren (Bl. 33, 37 Bd. I d.A.) nicht mit Sicherheit feststeht, hätte ohnehin lediglich zu einem geringen Mitverschulden geführt, weil der Beklagte verpflichtet war, so zu fahren, dass er jederzeit beim Auftauchen auch unbeleuchteter Hindernisse hätte anhalten können, § 3 Abs. 1 S. 4 StVO.
Dass die Klägerin in diese Situation von den geltend gemachten 5.665,54 € einen Betrag in Höhe von 4.000,00 € im Vergleichswege reguliert, erscheint keinesfalls ermessensfehlerhaft. Der Anspruch der Mutter des Geschädigten war im Zeitpunkt der Regulierung (Mai 2012) auch nicht verjährt. Durch die Anmeldung des Schadens (z.B. Anwaltsschreiben vom 22.09.2011, Bl. 142 f. Bd. I d.A.) wurde die Verjährung gehemmt (§ 15 VVG) und war auch bis zur erneuten Hemmung durch Einleitung des Mahn- bzw. Klageverfahrens im April 2012 noch nicht verjährt.
Schließlich kann der Beklagte der Klägerin auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, an der Regulierungsentscheidung nicht ausreichend beteiligt worden bzw. sogar in dem Glauben gelassen worden zu sein, die Ansprüche würden abgewehrt. Das Schreiben vom 12.10.2011 (Bl. 70 d.A.) war nur an den Versicherungsnehmer gerichtet, nicht an den Beklagten. Diesem musste schon aufgrund seiner Alkoholisierung bei der Unfallverursachung klar sein, dass er letztendlich für den Schaden würde aufkommen müssen, Das Mahnverfahren der Mutter des Getöteten war auch gegen ihn gerichtet, so dass ihm bewusst war, dass ein Schadensersatzverlangen auf ihn zukommen kann.
Der Rückforderungsbetrag der Klägerin hält sich auch im Rahmen der Höchstgrenze gemäß den AKB (§ 2c (2) a), 7a (2)).
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist auch der vorliegend streitgegenständliche Regressanspruch nicht verjährt. Der übergegangene Anspruch des Geschädigten gegen den Versicherten ist zu unterscheiden vom Ausgleichsanspruch der Gesamtschuldner untereinander. Hinsichtlich letztgenanntem beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist erst mit dem Schluss des Jahres der Regulierung durch den Versicherer, § 116 Abs. 2 VVG. Damit begann die Verjährung am 01.012013 zu laufen und war bei Klagezustellung am 09.12.2014 noch nicht eingetreten.
Die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen folgt aus §§ 280, 286, 288 Abs. 1 BGB. Der Beklagte wurde u.a. mit Schreiben vom 26.10.2012 (Bl. 63 d.A.) zur Zahlung bis zum 15.11.2012 aufgefordert.
Nach alldem mussten die Klage und die Berufung Erfolg haben.
Entsprechend war das angefochtene Urteil abzuändern. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach §§ 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO, § 26 Ziffer 8 EGZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.