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Haftung beim Sturz eines älteren Fahrgastes beim Anfahren eines Busses

Rollator-Nutzerin erhält Schadensersatz nach Sturz im Linienbus

In einem aktuellen Gerichtsurteil wurde einer Klägerin Schadensersatz wegen eines Sturzes im Linienbus zugesprochen. Die Klägerin war mit einem Rollator unterwegs und verlangte Schadensersatz für den Vorfall. Das Landgericht hatte der Klage teilweise stattgegeben und der Beklagten, dem Busunternehmen, ein Verschulden des Busfahrers angerechnet.

Direkt zum Urteil: Az.: I-11 U 198/21 springen.

Teilweise Stattgabe der Klage

Das Landgericht hatte entschieden, dass die Beklagte für eine schuldhafte Verletzung ihrer Pflichten aus dem Beförderungsvertrag hafte. Der Busfahrer hätte demnach aufgrund der besonderen Hilfsbedürftigkeit der Klägerin mit dem Anfahren abwarten müssen. Allerdings wurde der Klägerin ein Mitverschulden von einem Drittel zugeschrieben, da sie es versäumt hatte, sich festen Halt zu verschaffen.

Busunternehmen legt Berufung ein

Das Busunternehmen legte Berufung ein und verfolgte den Antrag auf vollständige Klageabweisung. Sie argumentierten, dass keine besondere Hilfsbedürftigkeit der Klägerin erkennbar gewesen sei. Allein das Mitführen eines Rollators reiche hierfür nicht aus. Die Klägerin habe ein alleiniges Verschulden, hinter dem die Betriebsgefahr des Busses zurücktrete.

Teilweiser Erfolg der Berufung

Die Berufung hatte teilweise Erfolg, da der Klägerin aufgrund des Sturzes ein geringerer Schadensersatzanspruch zustand, als ihr das Landgericht zugesprochen hatte. Es wurde entschieden, dass der Sturz der Klägerin nicht auf einem schuldhaften Verhalten des Busfahrers beruhte, sondern auf ihrer mangelnden Vorsicht. Die Beklagte musste jedoch für die Betriebsgefahr des Busses gemäß § 7 Abs. 1 StVG einstehen. Das Mitverschulden der Klägerin wurde höher gewichtet als die Betriebsgefahr des Busses.

Leichte Fahrlässigkeit und Mitverschulden

Im vorliegenden Fall wurde der Klägerin lediglich leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt, da sie in einer schwierigen Situation das falsche Vorgehen wählte. Aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen und des kurzen Zeitraums zwischen Einsteigen und Abfahrt des Busses, war ein schnelles Handeln zur Einnahme eines sicheren Standorts nicht zu erwarten. Der Senat bewertet den Mitverschuldensanteil der Klägerin gegenüber der Betriebsgefahr des Busses mit 2/3, weshalb die Beklagte in Höhe von 1/3 für die entstandenen Schäden aufzukommen hat.

Ersatzfähiger Schaden und Schmerzensgeld

Der ersatzfähige materielle Schaden der Klägerin beträgt 206,77 Euro wegen des von ihr aufgebrachten Eigenanteils für die Kurzzeitpflege. Der Klägerin steht zudem als angemessenes Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB ein Betrag von 2.000,00 Euro zu. Sie erlitt einen Oberschenkelhalsbruch und musste sich einer Operation unterziehen, gefolgt von stationären Aufenthalten und Kurzzeitpflege. Die Klägerin war in ihrer Mobilität eingeschränkt und verspürte erhebliche Schmerzen, bevor allmählich eine Besserung eintrat.


Das vorliegende Urteil

OLG Hamm – Az.: I-11 U 198/21 – Urteil vom 29.04.2022

Haftung beim Sturz eines älteren Fahrgastes beim Anfahren eines Busses
(Symbolfoto: BearFotos/Shutterstock.com)

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 04.10.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bochum teilweise abgeändert.

Die Beklagte bleibt verurteilt, an die Klägerin 206,77 EUR sowie ein Schmerzensgeld von 2.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2019 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 64 % und die Beklagte zu 36 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 32 % und die Beklagte zu 68 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die am 00.00.19XX geborene Klägerin verlangt Schadensersatz wegen der Folgen eines Sturzes am 00.00.20XX um 17.41 im Linienbus der von der Beklagten betriebenen Linie # # # bei Abfahrt von der Haltestelle T – Straße/F-Straße in S.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 ZPO auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.

Das Landgericht hat nach uneidlicher Vernehmung des Zeugen Q der Klage wegen eines materiellen Schadens in Höhe von 727,88 EUR sowie eines Schmerzensgeldes in Höhe von 2.500,00 EUR nebst Zinsen teilweise stattgegeben und ausgeführt: Die Beklagte hafte für eine schuldhafte Verletzung ihrer Pflichten aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Beförderungsvertrag. Weil die Klägerin den Bus mit einem Rollator bestiegen habe, hätte sich dem Fahrer Q , dessen Verschulden der Beklagten zuzurechnen sei, ihre besondere Hilfsbedürftigkeit aufdrängen und er mit dem Anfahren abwarten müssen. Jedoch treffe die Klägerin ein mit einem Drittel zu bewertendes Mitverschulden, da sie versäumt habe, sich festen Halt zu verschaffen oder dem Fahrer Bescheid zu sagen, bevor sie in den Bus eingestiegen sei.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Sie rügt die Rechtsauffassung des Landgerichts, dass den Busfahrer ein Verschulden am Sturz der Klägerin treffe. Die Klägerin habe problemlos den Bus bestiegen, weshalb eine besondere Hilfsbedürftigkeit bei ihr nicht erkennbar gewesen sei. Allein das Mitführen eines Rollators reiche hierfür nicht aus. Stattdessen treffe die Klägerin ein alleiniges Verschulden, hinter dem die Betriebsgefahr des Busses vollständig zurücktrete.

Die Klägerin beantragt Berufungszurückweisung und verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.

Der Klägerin steht aufgrund des Sturzes am 00.00.20XX ein geringerer Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu, als ihr das Landgericht zuerkannt hat.

1.

Ob der Klägerin vertragliche Ansprüche aus einem mit der dem Verkehrsverbund U angehörenden Beklagten abgeschlossen Beförderungsvertrag in Verbindung mit § 280 Abs. 1 BGB zustehen, zumal sie aufgrund ihrer Schwerbehinderung zur kostenlosen Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel berechtigt war und keinen Fahrschein erworben hatte, kann dahinstehen. Denn jedenfalls beruht der Sturz der Klägerin entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht auf einem schuldhaften Verhalten des Busfahrer Q, welches sich die Beklagte zurechnen lassen müsse. Aus diesem Grund kann die Klägerin ihr Anspruchsbegehren auch nicht auf § 823 BGB stützen.

a) Ein Fahrfehler des Zeugen Q, insbesondere ein ruckhaftes Anfahren oder Bremsen liegt nicht vor. Wie das vom Senat in Augenschein genommene Video aus der Überwachungskamera des Busses zeigt, geschah der Sturz der Klägerin bei einem gewöhnlichen Anfahrvorgang an einer Haltestelle, bei dem andere Fahrgäste durch die Bewegung des Busses nicht aus dem Gleichgewicht gerieten.

b) Dem Zeugen Q kann des Weiteren nicht vorgehalten werden, dass er mit dem Anfahren nicht abgewartet hat, bis die Klägerin einen Sitzplatz eingenommen oder sonst sicheren Halt im Bus gefunden hatte, obwohl er sie ausweislich seiner Zeugenaussage vor dem Landgericht vor dem Anfahren des Busses samt Rollator im Spiegel gesehen hatte. Denn der Umfang der einen Busfahrer treffenden Pflichten umfasst regelmäßig nicht die Beobachtung der Fahrgäste. Vielmehr ist der Fahrgast in einem Bus sich grundsätzlich selbst überlassen und kann nicht damit rechnen, dass der Wagenführer sich um ihn kümmert. Der Busfahrer hingegen darf darauf vertrauen, dass ein Fahrgast seiner in den Beförderungsbedingungen festgelegten Verpflichtung nachkommt, sich stets einen festen Halt zu verschaffen. Daher braucht sich der Fahrer eines Linienbusses vor dem Anfahrvorgang nur dann zu vergewissern, ob ein Fahrgast Platz oder Halt im Wagen gefunden hat, wenn eine erkennbar schwere Behinderung des Fahrgastes ihm die Überlegung aufdrängt, dass der Fahrgast ohne besondere Rücksichtnahme gefährdet ist (vgl. Senat, Urteil vom 28.02.2018, 11 U 57/17, NJW-RR 2018, S. 786; OLG Frankfurt, Urteil vom 16.11.2010, 14 U 209/09, NZV 2011, S. 199, jeweils unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 01.12.1991, VI ZR 27/92, NJW 1993, S. 654). Allein das fortgeschrittene Lebensalter eines Fahrgastes reicht hierfür nicht aus.

Ausreichende Hinweise auf eine schwere Behinderung der Klägerin bestanden im vorliegenden Fall ungeachtet des Umstandes, dass sie einen Rollator mit sich führte, nicht. Denn das Mitführen eines Rollators kann zwar ein Hinweis auf eine erhebliche Gehbehinderung eines Fahrgastes sein, setzt dies jedoch nicht voraus und reicht daher ohne Hinzutreten weiterer Umstände zur Annahme einer schweren Behinderung und Gefährdung des ihn Führenden bei normalen Fahrvorgängen nicht aus. Rollatoren können im Handel auch ohne ärztliche Verordnung erworben werden und sind innerhalb der älteren Bevölkerung weit verbreitet. Sie werden zwar in der Regel mitgeführt, weil ihr Nutzer beim Gehen und Stehen unsicher ist oder sich zumindest unsicher fühlt. Daneben ermöglicht ein Rollator das komfortable Transportieren von Gegenständen und kann, je nach Modell, auch als Sitzgelegenheit genutzt werden. Die Benutzung des Rollators gleicht bei vielen Nutzern eine bestehende Gangunsicherheit aus und ermöglicht eine sichere Fortbewegung, weshalb das Mitführen ebenso wenig als ausreichender Hinweis auf eine besondere Hilfebedürftigkeit eines Fahrgastes gewertet werden kann wie etwa das Mitführen eines Gehstocks. Eine Person, die einen Rollator mit sich führt, ist daher regelmäßig in der Lage, in einem öffentlichen Verkehrsmittel den Rollator mit einer Hand festzuhalten, solange sie ihn noch nicht sicher abstellen konnte, und mit der anderen Hand durch Festhalten an einer Haltestange oder ähnlichen Vorrichtungen Eigensicherung zu betreiben. Darüber hinaus kann erwartet werden, dass eine Person, die in höherem Maße hilfsbedürftig ist, weil für sie das gleichzeitige Verschaffen von festem Halt und Sichern des Rollators nicht möglich ist, den Fahrer auf sich aufmerksam macht und ihn bittet, mit dem Anfahren abzuwarten.

Weitere Auffälligkeiten, die bei der Klägerin über das Mitführen eines Rollators hinaus auf eine besondere Hilfsbedürftigkeit schließen ließen, waren nicht vorhanden. Wie die Bilder aus der Überwachungskamera belegen, war die Klägerin in der Lage, den Bus mit dem Rollator in normaler Geschwindigkeit und ohne Hilfe anderer Personen zu besteigen und sich in Richtung des gegenüber der hinteren Tür gelegenen Freiraums zu bewegen. Weder vor noch nach dem Einsteigen hat die Klägerin auf sich aufmerksam gemacht und den Busfahrer gebeten, mit dem Anfahren zu warten, bis sie festen Halt gefunden hatte.

2.

Die Beklagte muss jedoch für die Betriebsgefahr des von ihr gehaltenen Busses gemäß § 7 Abs. 1 StVG einstehen.

a) Der Unfall der Klägerin stellte für sie weder höhere Gewalt noch ein unabwendbares Ereignis dar, sondern hätte unschwer dadurch vermieden werden können, dass der Busfahrer Q den Anfahrvorgang des Busses so lange zurückgestellt hätte, bis die Klägerin einen Sitzplatz oder anderweitig sicheren Halt im Bus gefunden hätte.

b) Der Klägerin fällt, wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ein Mitverschulden im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB zur Last.

Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Pflicht eines Fahrgastes zur Eigensicherung die Obliegenheit, sich unmittelbar nach dem Zusteigen in einen Bus sicheren Stand oder einen Sitzplatz sowie sicheren Halt zu verschaffen (vgl. u.a.: OLG Hamm, Urteil vom 27.05.1988, 13 U 29/98; Urteil vom 17.02.2017, 11 U 21/16, OLG Koblenz, Urteil vom 14.08.2000, 12 U 893/99, OLG Oldenburg, Urteil vom 06.07.1999, 5 U 62/99, sämtlich veröffentlicht bei juris, s. auch Hager in Staudinger, BGB, § 823 Rdnr. E175 mit weiteren Nachweisen). Auch aus § 4 Abs. 3 Satz 5 BefBedV und § 14 Abs. 3 Nr. 4 BOKraft ergibt sich, dass ein Fahrgast in einem Bus verpflichtet ist, sich stets festen Halt zu verschaffen. Kommt ein Fahrgast bei normaler Anfahrt eines Linienbusses zu Fall, spricht daher bereits der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Sturz auf mangelnde Vorsicht des Fahrgastes zurückzuführen ist (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 16.11.2010, 14 U 209/09, NZV 2011, S. 199).

Im vorliegenden Fall steht zudem aufgrund der Videoaufnahme der Überwachungskamera positiv fest, dass die Klägerin den an sie zu stellenden Anforderungen nicht genügt hat. Zu keinem Zeitpunkt nach dem Betreten des Busses kümmerte sie sich um ihre Eigensicherung und hielt sich an den vorhandenen Stangen fest, sondern war darauf bedacht, den Rollator in einen freien Bereich gegenüber der Einstiegstür zu schieben. Dabei musste sich ihr aufdrängen, dass der Bus jederzeit anfahren konnte, nachdem der Bus bereits einige Zeit an der Haltestelle gehalten hatte und die anderen Fahrgäste bereits eingestiegen waren. Ein männlicher Fahrgast, der vorne beim Fahrer eingestiegen war, war bereits zum Mittelbereich durchgelaufen und stellte sich in den freien Bereichen gegenüber der Mitteltür, als die Klägerin gerade eingestiegen war. Zudem war dem Anfahren des Busses das Schließen der Türen vorausgegangen, was ebenfalls ein deutliches Zeichen für das unmittelbar bevorstehende Anfahren war.

c) Die gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB gebotene Abwägung der beiderseitigen Verantwortungsanteile führt dazu, dass das Mitverschulden der Klägerin höher zu gewichten ist als die nicht durch ein Verschulden des Fahrers erhöhte Betriebsgefahr des Busses. Jedoch wirkt das Mitverschulden der Klägerin nicht anspruchsausschließend.

In der Rechtsprechung ist zwar häufig ausgeführt worden (vgl. nur Senat, a.a.O.; OLG Celle, Beschluss vom 26.06.2018, 14 U 70/19, NJW-RR 2018, S. 1231), dass bei einem fahrlässigen Verstoß eines Fahrgastes gegen seine Eigensicherungspflicht die Betriebsgefahr des Busses vollständig zurücktrete. Dies kann aber nicht grundsätzlich und unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls gelten. Insofern fehlt es an einem Rechtssatz, der diese Rechtsfolge zwingend anordnet. Vielmehr gilt, wie auch sonst bei der Haftung für die Betriebsgefahr eines Fahrzeuges im Straßenverkehr, der ein mitwirkendes schuldhaftes Verhalten des Geschädigten gegenübersteht, dass das schadensursächliche Verhalten der Beteiligten gegeneinander abzuwägen ist. Nur unter besonderen Umständen, wenn nämlich das Verhalten des Geschädigten durch ein hohes Maß von Fahrlässigkeit geprägt und daher von besonderem Gewicht ist, ist es geboten, die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des anderen Unfallbeteiligten vollständig zurücktreten zu lassen (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., StVG § 9 Rdnr. 7 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall wiegt jedoch das fahrlässige Verhalten der Klägerin nicht so schwer, dass es geboten erscheint, die Betriebsgefahr dahinter vollständig zurücktreten und sie ihren Schaden allein tragen zu lassen. Ihr fällt lediglich leichte Fahrlässigkeit zur Last, indem sie in einer für sie schwierig zu bewältigenden Situation das falsche Vorgehen wählte, indem sie vorrangig auf das Abstellen und die Sicherung ihres Rollators bedacht war statt auf die Sicherung ihrer eigenen Person. Aufgrund der bereits wenige Sekunden nach ihrem Einsteigen erfolgten Abfahrt stand der Klägerin sehr wenig Zeit zur Verfügung, weshalb sie auch andere Fahrgäste nicht um Hilfe bitten konnte. Wegen ihres Alters und ihrer bereits vor dem Unfall bestehenden körperlichen Einschränkungen, aufgrund derer ihr eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 70 unter Zuerkennung des Merkmals „G“ bewilligt war, war ein schnelles Handeln zur Einnahme eines sicheren Standorts nicht zu erwarten. Der direkte Zugang auf die der Tür gegenüberliegende freie Fläche war durch zwei Personen, die sich dort hingestellt hatten, versperrt. Eine einfache und sich aufdrängende Sicherung wie etwa das Einnehmen eines freien Sitzplatzes stand nicht zur Verfügung.

Der Senat bewertet daher den Mitverschuldensanteil der Klägerin gegenüber der Betriebsgefahr des Busses mit 2/3, weshalb die Beklagte in Höhe von 1/3 für die der Klägerin entstandenen Schäden aufzukommen hat.

d) Der ersatzfähige materielle Schaden der Klägerin wegen des von ihr aufgebrachten Eigenanteils für die Kurzzeitpflege beträgt 206,77 Euro. Es ist zwar unstreitig, dass sie hierfür insgesamt Beträge in Höhe von 1.097,82 Euro entrichten musste, jedoch sind die darin enthaltenen Verpflegungskosten nicht ersatzfähig, weil ihnen ein gleichwertiger Vorteil der Klägerin durch das Ersparen von Aufwendungen, die sie auch ohne das schädigende Ereignis für ihre Ernährung hätte tätigen müssen, gegenübersteht. Daher ist aus der Rechnung des Seniorenzentrums V vom 14.10.2014 der Verpflegungsanteil in Höhe von 28,96 Euro und aus den beiden Rechnungen des Ev. …werks vom 06.11. und 04.12.2019 jeweils ein weiterer Betrag von 224,28 Euro abzuziehen, weshalb sich aufgrund der ein ersatzfähiger Schaden von 620,30 Euro ergibt. 1/3 von dieser Summe ergibt den ausgeurteilten Betrag von 206,77 Euro.

e) Der Klägerin steht ferner als angemessenes Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB ein Betrag von 2.000,00 Euro zu. Die Klägerin hat unfallbedingt einen Oberschenkelhalsbruch erlitten, weshalb ihr eine Duokopfprothese implementiert werden musste. Nach zweiwöchigem stationären Aufenthalt musste sie sich, um weiter versorgt zu sein, zunächst in eine Kurzzeitpflege begeben, die sie bereits nach einem Tag wieder verlassen musste, da sie weitere starke Schmerzen hatte und wegen eines Abrisses des Trochanter major weiterer stationärer Behandlung bis zum 18.10.2019 bedurfte. Auch danach musste sie sich zunächst vier Wochen in eine Kurzzeitpflege begeben und war auch in der Folgezeit gegenüber dem Zustand vor dem Unfall in ihrer Mobilität weitergehend eingeschränkt und verspürte erhebliche Schmerzen in der linken Hüfte. Erst allmählich und nach weiterer Physiotherapie trat eine Besserung ein, bis – wie die Klägerin im Senatstermin glaubhaft darstellte – schließlich ein Zustand erreicht war, der demjenigen vor dem Unfallereignis gleicht. Angesichts der Länge der Klinik- und Kurzeitpflegeaufenthalte, der erlittenen Komplikationen, der Schmerzhaftigkeit der Verletzung und der Dauer der Nachbehandlungen erscheint daher der Ansatz eines Schmerzensgeldbetrages von 6.000,00 Euro für den Fall einer vollen Haftung der Beklagten angemessen. Unter Berücksichtigung des Mitverschuldens der Klägerin ergab sich ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 Euro.

f) Der Zinsanspruch der Klägerin beruht auf §§ 280, 286 BGB.

g) Wegen der weitergehenden Beträge, welche das Landgericht der Klägerin zugesprochen hatte, erweist sich die Klage als unbegründet und hat die Berufung Erfolg.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht geboten, weil bei der hier zu treffenden Einzelfallentscheidung die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  1. Beförderungsvertrag (BGB): Im vorliegenden Fall wurde ein Beförderungsvertrag zwischen der Klägerin und dem beklagten Busunternehmen geschlossen. Die Pflichten aus dem Beförderungsvertrag, insbesondere die Sicherung von Fahrgästen mit besonderen Hilfsbedürfnissen, sind von zentraler Bedeutung für das Urteil. Das Landgericht hatte entschieden, dass die Beklagte für eine schuldhafte Verletzung ihrer Pflichten aus dem Beförderungsvertrag hafte.
  2. Deliktshaftung (§ 7 Abs. 1 StVG): Das Urteil bezieht sich auf die Haftung für die Betriebsgefahr des Busses gemäß § 7 Abs. 1 StVG. Die Beklagte musste für die Betriebsgefahr des Busses einstehen, da der Sturz der Klägerin nicht auf einem schuldhaften Verhalten des Busfahrers beruhte, sondern auf ihrer mangelnden Vorsicht. Allerdings wurde das Mitverschulden der Klägerin höher gewichtet als die Betriebsgefahr des Busses, weshalb die Beklagte nur in Höhe von 1/3 für die entstandenen Schäden aufzukommen hat.
  3. Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB): Im Urteil wurde der Klägerin aufgrund des erlittenen Schadens ein Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB zugesprochen. Sie erlitt einen Oberschenkelhalsbruch und musste sich einer Operation unterziehen, gefolgt von stationären Aufenthalten und Kurzzeitpflege. Die Klägerin war in ihrer Mobilität eingeschränkt und verspürte erhebliche Schmerzen, bevor allmählich eine Besserung eintrat. Das Schmerzensgeld wurde aufgrund dieser Umstände als angemessen erachtet.

 

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