OLG Koblenz, Az.: 1 U 1080/14, Urteil vom 07.05.2015
Die Berufung des Beklagten gegen das Teilend- und Grundurteil des Einzelrichters der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 18. August 2014 wird zurückgewiesen.
In Hinblick auf den Tenor zu 1. des angefochtenen Urteils wird klargestellt, dass der Schadensersatzanspruch der Klägerin aus übergegangenem Recht besteht.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v.H. des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin – gesetzliche Unfallversicherung – verfolgt gegenüber dem Beklagten, unter Ansatz einer Mitverschuldensquote von 30 v.H., Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall eines versicherten Beschäftigten am 2. Juli 2009 – Sturz von einem am Hausanwesen des Beklagten errichteten Gerüst bzw. von der Mauer –.
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme mit Teilend- und Grundurteil vom 18. August 2014 (Bl. 218 ff. GA) den Anspruch der Klägerin auf Ersatz der aufgrund des Arbeitsunfalls dem Versicherten bereits entstandenen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensquote von 30 v.H. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; es hat des Weiteren die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz der zukünftigen Schäden in Höhe einer Haftungsquote von 70. v.H. festgestellt. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten.
Der Beklagte rügt unzureichende – spekulative – Tatsachenfeststellungen sowie Rechtsfehler im angefochtenen Teilend- und Grundurteil. Die konkrete Ursache des Gerüststurzes, für die auch kein Anscheinsbeweis streite, habe bei der erstinstanzlichen Beweisaufnahme gerade nicht (auf-)geklärt werden können; alternativ kämen auch Gründe in der Person des Versicherten (Adipositas, Kreislaufschwäche, Schuhwerk) in Betracht. Der Gerüstaufstieg am Unfalltage sei zum Zwecke der (Neu-)Vermessung der Kaminabdeckung nicht notwendig gewesen und von ihm, dem Beklagten, auch weder bemerkt noch veranlasst worden; der Mauervorsprung sei kein Teil des Gerüstes gewesen; eine mit der Konstruktion des Gerüsts verbundene Gefahr habe sich nicht verwirklicht. In rechtlicher Bewertung könne damit eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten im Verhältnis zum Versicherten nicht vorliegen; das Gerüst sei einzig für die Maler- und Putzarbeiten durch den Zeugen …[A] bestimmt und konzipiert gewesen; jedenfalls aber müssten – im Blick auf den vom Arbeitsauftrag umschlossenen Aufstieg zum Kamin und die Pflicht des Arbeitgebers zur Sicherheitsausrüstung – die Grundsätze des gestörten Gesamtschuldverhältnisses eingreifen. Schlussendlich müsse unter den obwaltenden besonderen Umständen – besondere handwerkliche Fachkunde des Versicherten; bestimmungswidrige Gerüstnutzung – ein haftungsausschließendes oder zumindest überwiegendes Mitverschulden angenommen werden.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 18. August 2014 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Erkenntnis. Der – teilweise mit neuem Sachvortrag unterlegte – Berufungsvortrag setze sich in Widerspruch zum unstreitigen Sachverhalt und zum Ergebnis der Beweisaufnahme. Das Gerüst sei insgesamt fehlerhaft und im Besonderen auch hinsichtlich des als „Zwischenstufe“ genutzten Mauervorsprungs ohne Absturzsicherung errichtet worden; die Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften lasse ohne Weiteres des Rückschluss auf eine dementsprechende Gefahrverwirklichung zu. Bei einer hinreichenden Verkehrssicherung wäre der streitgegenständliche Unfall dann auch vermieden worden; der Gerüstaufstieg sei aufgrund der vom Beklagten beanstandeten Kaminabdeckung notwendig geworden und von diesem selbstredend auch erkannt worden. Aus Sicht des Mitgliedsunternehmens sei es am Unfalltage lediglich um die Anlieferung der Kaminabdeckung und gerade nicht deren Montage gegangen; die Reklamation des Beklagten und das sich anschließende Nachmessen mit Gerüstaufstieg vor Ort habe nicht vorausgesehen werden können und müssen. Der Ansatz einer höheren Mitverschuldensquote sei nicht zu rechtfertigen; die Erkennbarkeit der Gefahr sei mit der angesetzten Mithaftungsquote ausreichend und angemessen berücksichtigt.
II.
Die – zulässige – Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat mit Recht dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus übergegangenem Recht gegen den Beklagten wegen des Gerüststurzes am 2. Juli 2009 bejaht (§ 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. §§ 229 StGB, 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
1. Der Beklagte hat eine ihn als Bauherrn – auch – zum Schutze des Versicherten treffende Verkehrssicherungspflicht jedenfalls fahrlässig verletzt, was den Arbeitsunfall des Versicherten zumindest mitverursacht hat.
a) Nach den unbeanstandeten tatbestandlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil hatte der Beklagte an seinem Hausanwesen Renovierungsarbeiten (Außendämmung; Farbanstrich) in Schwarzarbeit ausführen lassen; das (Fassaden-)Gerüst war im Auftrag des Beklagten vom Zeugen …[A] und einer weiteren Person mit „ausgeliehenen Teilen“ errichtet worden (Lichtbilder Bl. 110 ff. GA und Anlagen K 1 bis K 3). Innerhalb des Gerüsts waren – ab der ersten Ebene – keine Aufstiegsleitern vorhanden, sodass es beim weiteren Aufstieg erforderlich wurde, über das seitliche Gerüstgestänge und/oder alternativ über den angrenzenden – mit Blech abgedeckten – Mauervorsprung (Abgrenzung zum Innenhof) zu klettern. Der Zeuge …[B], Mitarbeiter der Fa. …[C] GmbH in …[Z] (Versicherter), lieferte am Unfalltage eine neue Kaminabdeckung an die Baustelle; einen Auftrag zur Installation des Bauteils hatte sein Arbeitgeber nicht erhalten. Der Versicherte kletterte über das Gerüst in Richtung des Kamins (dritte/vierte Gerüstebene); beim Abstieg betrat er den Mauervorsprung und stürzte in den etwa vier Meter tiefer liegenden Innenhof, wobei er sich schwere Verletzungen zuzog.
b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im ersten Rechtszug (Protokoll vom 14. Juli 2014; Bl. 193 ff. GA) hatte der Beklagte die angelieferte Kaminabdeckung beanstandet („fehlender Diffusstutzen“); nach seinem Willen wurde der sich in einem benachbarten Café aufhaltende Versicherte an die Baustelle zurückgeholt. Dem Beklagten war klar, dass der Versicherte zum Zwecke des „Nachmessens“ das Gerüst hochsteigen wollte und er hat diesen, was er bei seiner Anhörung selbst eingeräumt hat, jedenfalls noch vor dem Sturzereignis auf dem Gerüst stehend gesehen. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit des gefundenen Beweisergebnisses zu begründen vermögen, erkennt der Senat nicht (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Durchgreifende Fehler bei der Beweiswürdigung oder der Aufklärung des – entscheidungserheblichen – Sachverhalts (§ 286 ZPO) vermag die Berufung nicht aufzuzeigen.
c) Der nach alledem feststehende Sachverhalt trägt den Vorwurf der schuldhaften und sturzursächlichen Verkehrssicherungspflichtverletzung. Der Beklagte als umfassend und selbständig verantwortlicher Bauherr hat mit der von ihm veranlassten unsicheren – die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften (BGV C 22; unbeanstandet wiedergegeben in der Berufungserwiderung Bl. 268 ff. GA) missachtenden (OLG Stuttgart NJW-RR 2000, 752 Tz. 46 ff.; Spindler in: Bamberger/Roth, BGB, 3. Auflage 2012, § 823 Rn. 372; Staudinger/Johannes Hager [2009], § 823 Rn. E 236) – Gerüsterstellung eine Gefahrenstelle eröffnet, die ihm eine Verkehrssicherungspflicht gerade auch im Hinblick auf das durch ihn veranlasste oder zumindest herausgeforderte Verhalten des Versicherten auferlegte. Das Gerüst verfügte weder über Aufstiegsleitern noch – in Ansehung der für jeden Nutzer nahe liegenden Inanspruchnahme des Mauervorsprungs als „Trittstufe“ in jedem Fall gebotenen – Absturzsicherungen; es war – ebenfalls unstreitig – noch nicht einmal ein Warnschild angebracht. Die Nichtbeachtung der Unfallverhütungsvorschriften begründet regelmäßig den Vorwurf der Fahrlässigkeit; hiervon vermag sich der Beklagte nicht zu entlasten. Eine Delegation der Sicherungspflichten auf den – schwarz arbeitenden – Zeugen …[A] kommt, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, keinesfalls in Betracht; auch ein etwaiges Fehlverhalten des Versicherten wäre dem Beklagten im Blick auf die von ihm unmittelbar veranlasste und erkennbare Nutzung des verkehrsunsicheren Gerüsts haftungsrechtlich noch zuzurechnen (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 1310, 1311; Staudinger/Johannes Hager a.a.O. Rn. E 240). Der unter den hier gegebenen Umständen zu Gunsten des Versicherten eingreifende Anscheinsbeweis für den (mit-)ursächlichen Zusammenhang des Pflichtverstoßes mit dem Gerüststurz (vgl. etwa OLG Stuttgart a.a.O. Tz. 49) wird durch den – ersichtlich spekulativen – Vortrag des Beklagten nicht erschüttert.
2. Die Grundsätze der gestörten Gesamtschuld greifen hier nicht ein, da dem Arbeitgeber des Versicherten unter den besonderen Umständen der vorliegenden Fallgestaltung der Vorwurf einer auch nur fahrlässigen Schutzpflichtverletzung (§§ 280Abs. 1, 618 Abs. 1 BGB) nicht gemacht werden kann und daher ein – fiktives – Gesamtschuldverhältnis schon im Ausgangspunkt ausscheidet.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können in den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers (hier: §§ 104 ff. SGB VII) gestört wäre. Die Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, dass einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten durch eine gesetzliche Unfallversicherung, nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden allein tragen zu lassen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist der Zweitschädiger in Höhe des Verantwortungsteils freizustellen, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinwegdenkt. Dabei ist unter Verantwortungsteil die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen (BGH VersR 2015 Tz. 19).
b) Im Streitfall ist dem Versicherten – wie der Senat in der mündlichen Verhandlung ausführlich mit den Parteien erörtert hat – gegen seinen Arbeitgeber kein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus dem Arbeitsverhältnis erwachsen. Der Arbeitgeber war unstreitig gerade nicht mit der Installation der Kaminabdeckung betraut worden, der Versicherte aus ihrer Sicht daher am Unfalltage als bloßer Auslieferer dieses vom Beklagten käuflich erworbenen Bauteils berufen. Der nachfolgende – unmittelbar auf nicht vorhersehbare Veranlassung des Beklagten erfolgte – Gerüstaufstieg ist dem Arbeitgeber daher haftungsrechtlich nicht mehr zuzurechnen; dieserhalb musste auch keine besondere Schutzausrüstung mitgegeben werden.
3. Die – von der Klägerin seit jeher berücksichtigte und vom Landgericht übernommene – eigene Mithaftungsquote des Versicherten von 30 v.H. wird vom Senat gebilligt. Die Berufung vermag keinen durchgreifenden Fehler bei der Abwägung der Umstände des Einzelfalls aufzuzeigen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708Nr. 10, 709 Satz 2,711 Satz 1 und 2 ZPO.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache betrifft die Entscheidung in einem Einzelfall und hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch ist der Streitfall zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu eröffnen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
V.
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird gemäß §§ 47Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO festgesetzt auf 128.142 Euro.