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Haftung des Gerichtssachverständigen wegen fehlerhaften aussagepsychologischen Gutachten

OLG Köln – Az.: I-5 U 104/12 – Beschluss vom 04.10.2012

Die Berufung der Klägerin gegen das am 30.3.2012 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen – 11 O 24/12 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten aufgrund eines ihrer Behauptung nach unrichtigen psychologischen Gutachtens der Beklagten zur Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin als Zeugin in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Frankenthal, Aktenzeichen 5221 Js 7282/05, ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 25.000,00 € nebst Zinsen.

Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe ihre Angaben während der Exploration im Gutachten nicht wörtlich wiedergegeben, falsche Angaben zur Übergabe von Fragebögen gemacht und weder eine gebotene Sexualanamnese noch einen erforderlichen Fantasietest durchgeführt, weshalb das Gutachten unrichtig sei. Die Beklagte habe ihr, der Klägerin, unterstellt, dass sie, die Klägerin, den damaligen Beschuldigten wissentlich falsch einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung bezichtigt habe und ferner festgestellt, dass sie, die Klägerin, unter einer Borderline-Störung leide und massive Falschbeschuldigungsmotive entwickelt habe. Das falsche Gutachten habe zur Einstellung des Strafverfahrens geführt sowie zu einer Verschlechterung ihres psychologischen Zustands.

Zudem hat die Klägerin die Aussetzung des Verfahrens beantragt bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Verfahren gleichen Rubrums vor dem Landgericht Aachen, Aktenzeichen 9 O 372/11, jetzt 5 U 127/12 OLG Köln, auf Herausgabe der Transkriptionen sowie bis zum Abschluss des gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Frankenthal, Aktenzeichen 5221 JS 7262/05, wegen der Herstellung der Tonbandaufzeichnungen durch sie selbst während ihrer Exploration durch die Beklagte. Zudem hat sie im Termin vom 23.3.2012 Schriftsatznachlass zur Klageerwiderung der Beklagten vom 13.3.2012 beantragt.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und ist dem Vorbringen der Klägerin im Einzelnen entgegengetreten.

Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 138 ff. GA) Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, einem Anspruch gemäß § 839 a Abs. 1 BGB stünden die Vorschriften der §§ 839 a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB entgegen, da die Klägerin gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Frankenthal vom 10.12.2008 in dem Verfahren 5221 Js 7282/05 nicht zulässig Rechtsmittel eingelegt und daher nicht von allen ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten Gebrauch gemacht habe, den behaupteten Schaden abzuwenden. Ein Anspruch gemäß § 826 BGB scheide ebenfalls aus, da schon nach dem Vorbringen der Klägerin ein auf den Eintritt des hier geltend gemachten (Gesundheits-)Schadens bei der Klägerin bezogener Vorsatz der Beklagten als Schädiger nicht ersichtlich sei. Da es damit weder auf die Richtigkeit der Transkriptionen ankomme noch auf die Ausführungen der Beklagten in der Klageerwiderung, habe im Übrigen zu einer Aussetzung des Verfahrens und zur Einräumung einer Schriftsatznachlassfrist keine Veranlassung bestanden.

Die Klägerin hat gegen das Urteil frist- und formgerecht Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel, mit dem sie ihren erstinstanzlichen Klageantrag weiterverfolgt, ordnungsgemäß begründet.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags behauptet die Klägerin weiterhin, die Beklagte habe entgegen ihrer Pflichten als Sachverständige das Gutachten nicht objektiv erstellt. Die Beklagte habe bestehende und für die Erstellung psychologischer Gutachten zur Glaubhaftigkeit von Aussagen anerkannte Grundsätze nicht beachtet und Abläufe im Zusammenhang mit der Erstellung des Gutachtens falsch wiedergegeben. Zudem habe sie ihre Befragung in einer völlig unangemessenen Form durchgeführt, indem sie unangemessene Fragen gestellt und sie, die Klägerin, bei der Beantwortung der Fragen nicht habe ausreden lassen. Durch die unvollständigen und damit falschen Transkriptionen habe die Beklagte ihre Aussagen anlässlich der Exploration verfälscht, ebenso durch Veränderung des von ihr verwendeten Kommunikationsstils, weswegen das Gutachten nicht brauchbar sei. Das Landgericht habe fehlerhaft einen Anspruch gemäß § 839 a BGB verneint, weil sie nicht die gebotenen Rechtsmittel gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Frankenthal ergriffen hätte. Zum einen hätte das Landgericht darauf hinweisen müssen, dass es diesen Umstand seiner Entscheidung zu Grunde legen werde und ihr Gelegenheit geben müssen, dazu Stellung zu nehmen. Außerdem habe das Landgericht übersehen, dass eine Abwendung des Schadens ihr nicht über § 172 Abs. 2 bis 4 StPO möglich gewesen sei. Denn mithilfe eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 StPO hätte der mit der Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld geltend gemachte Schaden nicht verhindert werden können. Das Rechtsmittel des § 172 StPO stelle kein Rechtsmittel im Sinne des § 839 BGB dar, da ein Schadensersatzanspruch auf diese Weise grundsätzlich nicht durchgesetzt werden könne. Vorliegend gehe es um die Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Die Beklagte habe ihr mit den Ausführungen in ihrem Gutachten unterstellt, den Beschuldigten wissentlich falsch einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung bezichtigt zu haben. Das Gutachten habe bei ihr zu einer Verschlechterung ihres psychischen Zustands geführt. Bedingt durch die fehlerhafte Begutachtung habe sich bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Sie sei nunmehr ständig ängstlich und nervös und ihre Lebensqualität sei stark eingeschränkt. Das Rechtsmittel des § 172 StPO hätte aber nicht zur Abwehr der Entstehung des Schadens – der erheblichen Verschlechterung ihres psychischen Zustands – führen können. Im Übrigen wäre das strafrechtliche Verfahren für die landgerichtliche Entscheidung auch nicht präjudiziell gewesen. Von einer Aussetzung des Verfahrens habe das Landgericht wegen Vorgreiflichkeit des Verfahrens auf Herausgabe der Transkriptionen und des mit ihren eigenen Tonbandaufzeichnungen im Zusammenhang stehenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht absehen dürfen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 30.3.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts Aachen, Aktenzeichen 11 U 24/12, die Beklagte zu verurteilen, an sie im Zusammenhang mit der fehlerhaften Erstellung des Gutachtens vom 24.9.2008 ein angemessenes und mit Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit verzinsliches Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nicht aber unter 25.000,00 € liegen sollte.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen der Klägerin im Einzelnen entgegen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin wird gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 29.8.2012 (Bl. 249 ff. GA) Bezug genommen, § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO.

Die mit der Stellungnahme vom 24.9.2012 zu den Hinweisen des Senats erhobenen Einwände der Klägerin führen auch nach nochmaliger eingehender Überprüfung zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Die Klägerin wiederholt im Kern lediglich ihre bereits vorgetragenen Einwände, mit denen der Senat sich im Hinweisbeschluss auseinandergesetzt hat. Im übrigen verkennt die Klägerin mit ihren Ausführungen zu 1., dass zu unterscheiden ist zwischen der Schadensentstehung und dem (Haftung-)Grund dafür, den sie aus dem vermeintlich fehlerhaften Gutachten und der vermeintlich darauf basierenden Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft herleitet, der freilich durch ein Klageerzwingungsverfahren hätte abgewendet werden können, und der Durchsetzung dieser Ansprüche in einem zivilgerichtlichen Verfahren. Soweit die Klägerin daher vorträgt, sie fühle sich zwar durch das Gutachten verletzt, aber insbesondere die Nichtsanktionierung des Herrn L. sei für sie belastend, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie gerade dies durch ein Klageerzwingungsverfahren hätte vermeiden können. Wie im Hinweisbeschluss bereits ausgeführt, lässt sich entgegen der weiteren Ansicht der Klägerin dem Gutachten der Beklagten auch nicht die (ehrenrührige) Tatsachenbehauptung entnehmen, die Klägerin hätte Herrn L. wissentlich falsch einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Klägerin bezichtigt. Eine derartige Aussage ist in dem Gutachten an keiner Stelle enthalten. Die Beklagte ist vielmehr zu dem Ergebnis gelangt, aus aussagepsychologischer Sicht könne aufgrund der Angaben der Klägerin nicht mit forensisch hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass ihre Aussagen auf dem Erleben sexueller Nötigung durch Herrn L. beruhten. Eher sei anzunehmen, dass die Beschuldigungen aus autosuggestiven Prozessen entstanden seien, als dass sie auf tatsächlich Erlebtem beruhten. Dies sind Wertungen aufgrund der psychologischen Exploration, aber keine Tatsachenbehauptungen.

Auf die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs kam es schließlich nicht mehr an, nachdem die Klägerin Gelegenheit hatte, mit ihrer Berufung vorzutragen. Der Senat hat das gesamte Berufungsvorbringen der Klägerin geprüft, im Ergebnis aber nicht für durchgreifend erachtet.

Schließlich kam und kommt auch eine Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss des Verfahrens auf Herausgabe der Transkriptionen sowie des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens 5221 JS 7262/05 StA Frankenthal nicht in Betracht. Die Ergebnisse dieser Verfahren sind aus den vorstehenden Gründen und den Gründen des Hinweisbeschlusses für das hier zu entscheidende Verfahren ohne Relevanz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert: 25.000,00 €

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