Die Haftungsverteilung nach qualifiziertem Rotlichtverstoß stand zur Debatte, als ein Busfahrer 24 Sekunden Rotlicht missachtete und mit einem wendenden Pkw kollidierte. Das Gericht musste abwägen, inwiefern dieser extreme Fehler die Mitschuld des Pkw-Fahrers wegen seines gefährlichen 180-Grad-Manövers aufwiegt.
Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Haftung nach Rotlichtverstoß: Wer zahlt, wenn grobe Fahrlässigkeit auf ein riskantes Fahrmanöver trifft?
- Was genau geschah an jener verhängnisvollen Kreuzung?
- Nach welchen Regeln wird die Schuld bei einem Unfall verteilt?
- Warum das Gericht eine geteilte Verantwortung sah: Die Analyse im Detail
- Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann trage ich eine Mitschuld, obwohl der Unfallgegner einen groben Rotlichtverstoß begangen hat?
- Wie wird die Haftung bei einem Verkehrsunfall aufgeteilt, wenn beide Fahrer Fehler gemacht haben?
- Wie wirkt sich ein Mitverschulden auf meine Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus?
- Welche Beweise sind bei der Haftungsabwägung entscheidender als Zeugenaussagen (z.B. Ampelprotokolle)?
- Wann wird ein unübliches oder riskantes Fahrmanöver als Mitverschulden gewertet?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 10 U 213/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
- Datum: 23.09.2025
- Aktenzeichen: 10 U 213/22
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Haftung, Verkehrsunfallrecht, Schadensersatz
- Das Problem: Ein Pkw kollidierte im Kreuzungsbereich mit einem Linienbus. Die Mutter des Pkw-Fahrers starb bei dem Unfall. Die Parteien stritten über die Schuld und die Höhe des Schadensersatzes.
- Die Rechtsfrage: Muss der Busfahrer fast die gesamte Haftung tragen, obwohl der Autofahrer in der Kreuzung ein unerlaubtes Wendemanöver durchführte?
- Die Antwort: Ja, die Beklagten (Bus und Versicherung) tragen die überwiegende Haftung von 80 Prozent. Der Busfahrer beging einen qualifizierten Rotlichtverstoß von über 22 Sekunden. Der Kläger (Pkw) trug eine Mitschuld von 20 Prozent wegen seines riskanten Wendemanövers und des langen Verweilens in der Kreuzung.
- Die Bedeutung: Selbst bei einem schwerwiegenden Rotlichtverstoß des Unfallgegners kann ein eigenes riskantes Fahrmanöver die Ansprüche mindern. Das Gericht muss alle Verursachungsbeiträge im Detail abwägen.
Haftung nach Rotlichtverstoß: Wer zahlt, wenn grobe Fahrlässigkeit auf ein riskantes Fahrmanöver trifft?
Ein Linienbus ignoriert eine seit über 20 Sekunden rot leuchtende Ampel. Ein Autofahrer führt im selben Moment ein gewagtes Wendemanöver mitten auf der Kreuzung durch. Es kommt zu einer katastrophalen Kollision mit tödlichen Folgen. Wer trägt die Verantwortung, wenn zwei grundverschiedene Fehler aufeinandertreffen? Mit dieser komplexen Frage der Haftungsverteilung befasste sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 23. September 2025 (Az. 10 U 213/22) und lieferte eine detaillierte Abwägung, die zeigt, dass selbst ein extremer Verkehrsverstoß nicht zwangsläufig zur alleinigen Haftung führt.
Was genau geschah an jener verhängnisvollen Kreuzung?

An einem Septembernachmittag im Jahr 2019 näherte sich ein junger Mann am Steuer eines Mercedes der E-Klasse einer großen Kreuzung. Auf dem Beifahrersitz saß seine Mutter. Er ordnete sich auf der Linksabbiegerspur ein, um seine Fahrtrichtung zu ändern. Als die Ampel für die Linksabbieger auf Grün schaltete, fuhren vier Fahrzeuge vor ihm los. Er folgte als fünftes Fahrzeug und rollte in den Kreuzungsbereich.
Zur selben Zeit näherte sich aus der Gegenrichtung ein Linienbus auf der rechten Geradeausspur. Dessen Fahrer setzte seine Fahrt ungebremst fort. Mitten auf der Kreuzung kam es zur Kollision: Der Bus prallte mit Wucht in die Seite des Pkw. Die Mutter des Fahrers erlitt bei dem Aufprall tödliche Verletzungen.
Die spätere Rekonstruktion des Unfallhergangs durch Gutachter und die Auswertung der Ampelschaltpläne zeichneten ein präzises, aber erschreckendes Bild. Die Ampel für den Busfahrer zeigte zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie bereits seit mindestens 22 bis 24 Sekunden Rot. Seine Geschwindigkeit betrug kurz vor dem Aufprall etwa 58 km/h. Gleichzeitig stellten die Sachverständigen fest, dass der Autofahrer nicht einfach nur links abbog. Seine Fahrspur, die langsame Geschwindigkeit von nur rund 20 km/h und seine Verweildauer von acht bis neun Sekunden im Gefahrenbereich deuteten unmissverständlich auf ein beabsichtigtes 180-Grad-Wendemanöver hin. Er hatte die Haltelinie überfahren, als die Ampel für ihn bereits auf Gelb oder gerade auf Rot umsprang.
Der Fahrer des Pkw und weitere Angehörige verklagten daraufhin den Busfahrer und dessen Versicherung auf umfassenden Schadensersatz, darunter Reparaturkosten, Verdienstausfall, Schmerzensgeld und ein Hinterbliebenengeld für den Verlust der Mutter.
Nach welchen Regeln wird die Schuld bei einem Unfall verteilt?
Wenn es zu einem Unfall zwischen zwei Kraftfahrzeugen kommt, geht es nicht immer um eine simple „Alles-oder-nichts“-Entscheidung. Stattdessen nimmt das Gericht eine genaue Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge vor. Die zentrale Vorschrift hierfür ist § 17 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Das Gesetz verlangt von den Richtern, die Umstände des Einzelfalls zu prüfen und zu bewerten, inwieweit der eine oder andere Teil den Unfall verschuldet hat.
Ein entscheidender Faktor in dieser Abwägung ist die sogenannte Betriebsgefahr. Dieser Begriff beschreibt das grundlegende Risiko, das von jedem Fahrzeug im Betrieb ausgeht – allein durch seine Masse, seine Geschwindigkeit und seine Unberechenbarkeit. Ein schwerer Linienbus hat naturgemäß eine höhere Betriebsgefahr als ein normaler Pkw. Dieser Faktor wird zulasten des Fahrzeugs mit der höheren Betriebsgefahr in die Waagschale geworfen.
Kommt ein besonders schwerwiegender Verkehrsverstoß hinzu, wie etwa das Missachten eines roten Ampelsignals nach § 37 der Straßenverkehrsordnung (StVO), wiegt dieser Beitrag zur Unfallursache besonders schwer. Juristen sprechen von einem qualifizierten Rotlichtverstoß, wenn die Ampel bereits länger als eine Sekunde Rot zeigte. Ein Verstoß von über 20 Sekunden ist ein extrem grober Pflichtenverstoß, der die Haftung des Verursachers massiv erhöht.
Warum das Gericht eine geteilte Verantwortung sah: Die Analyse im Detail
Das Landgericht Frankfurt hatte in erster Instanz den Beklagten die volle Haftung zugesprochen. Das Oberlandesgericht korrigierte diese Einschätzung jedoch und kam zu einer differenzierten Haftungsquote von 80 % zu Lasten des Busfahrers und 20 % zu Lasten des Autofahrers. Diese Entscheidung stützte sich auf eine sorgfältige Analyse mehrerer Schlüsselfaktoren.
Der entscheidende Faktor: Ein 24-sekündiger Rotlichtverstoß des Busses
Für den Senat stand zweifelsfrei fest, dass der Busfahrer einen extremen Verkehrsverstoß begangen hatte. Grundlage dieser Feststellung waren nicht die widersprüchlichen Aussagen von Zeugen, sondern die harten, technischen Fakten. Die Auswertung des Signalmitschriebs der Ampelanlage bewies sekundengenau, wann welche Ampel welche Farbe zeigte. In Kombination mit den unfallanalytischen Gutachten ergab sich das Bild eines Fahrers, der eine seit fast einer halben Minute rot leuchtende Ampel schlicht ignorierte.
Die Argumentation der Beklagten, Zeugen hätten von einer grünen Ampel für den Bus berichtet, wies das Gericht zurück. Es erklärte, dass die objektiven, technischen Daten einer subjektiven menschlichen Wahrnehmung, die in einer emotionalen Stresssituation wie einem schweren Unfall fehleranfällig ist, klar überlegen sind. Auch die Vermutung einer technischen Fehlfunktion der Ampel („feindliches Grün“) wurde durch polizeiliche Überprüfungen widerlegt. Dieser grobe Verstoß gegen § 37 StVO war somit der mit Abstand größte und schwerwiegendste Verursachungsbeitrag.
Das riskante Wendemanöver: Warum der Autofahrer eine Mitschuld von 20 % trägt
Obwohl der Fehler des Busfahrers gravierend war, ließen die Richter das Verhalten des Autofahrers nicht außer Acht. Die Gutachter hatten überzeugend dargelegt, dass er kein gewöhnliches Abbiegemanöver durchführte. Ein 180-Grad-Wenden mitten auf einer großen Kreuzung ist ein unübliches und potenziell gefährliches Fahrmanöver. Wer so etwas tut, unterliegt einer besonders hohen Sorgfaltspflicht.
Das Gericht stellte fest, dass der Autofahrer sich durch dieses Manöver ungewöhnlich lange – nämlich acht bis neun Sekunden – im Kollisionsbereich des Gegenverkehrs aufhielt. Ein normaler Abbiegevorgang hätte nur etwa vier bis viereinhalb Sekunden gedauert. In diesem Fall wäre sein Fahrzeug längst aus dem Gefahrenbereich gewesen, als der Bus die Kreuzung erreichte. Indem der Fahrer sich für das langsame und riskante Wendemanöver entschied, nachdem seine eigene Ampel bereits auf Rot umsprang, schuf er eine Gefahrenlage, die maßgeblich zum Zustandekommen des Unfalls beitrug. Dieses Verhalten wertete das Gericht als Mitverschulden, das eine Haftungsquote von einem Fünftel (20 %) rechtfertigte.
Die Betriebsgefahr des Busses: Ein zusätzlicher Faktor zulasten der Beklagten
Zusätzlich zu dem massiven Rotlichtverstoß berücksichtigte das Gericht die bereits erwähnte erhöhte Betriebsgefahr des Linienbusses. Seine schiere Größe, sein Gewicht und seine Schwerfälligkeit stellen im Straßenverkehr ein höheres Gefahrenpotenzial dar als ein Pkw. Dieser Umstand erhöhte den Verursachungsbeitrag aufseiten der Beklagten weiter und festigte die Entscheidung, ihnen den Löwenanteil der Haftung von 80 % aufzuerlegen.
Warum die Argumente der Busversicherung nicht überzeugten
Die Anwälte des Busfahrers und seiner Versicherung brachten weitere Argumente vor, um die Haftung zu reduzieren, konnten den Senat damit aber nicht überzeugen. Der Einwand, der Pkw habe eine unzulässige Mischbereifung gehabt, wurde durch einen Sachverständigen entkräftet, der bestätigte, dass dies für den Unfall nicht ursächlich war. Auch der Hinweis auf ein mögliches Verkehrszeichen, das das Wenden hätte verbieten können, wurde als nicht ausreichend substantiiert zurückgewiesen. Das Gericht machte klar, dass die beiden zentralen Elemente – der extreme Rotlichtverstoß auf der einen und das riskante Wendemanöver auf der anderen Seite – für die Haftungsverteilung entscheidend waren.
Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
Dieses tragische Fallbeispiel verdeutlicht eindrücklich mehrere Kernprinzipien des deutschen Verkehrshaftungsrechts, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind.
Die erste und wichtigste Lehre ist die enorme rechtliche Bedeutung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes. Wer eine Ampel ignoriert, die bereits seit vielen Sekunden Rot zeigt, begeht einen der schwersten denkbaren Verkehrsverstöße. Die daraus resultierende Haftung wiegt so schwer, dass sie in der Regel den Hauptanteil der Verantwortung begründet. Technische Beweismittel wie Ampelprotokolle sind hierbei von unschätzbarem Wert und wiegen in der gerichtlichen Würdigung schwerer als unsichere Zeugenaussagen.
Gleichzeitig zeigt das Urteil, dass auch das Opfer eines groben Verkehrsverstoßes nicht von eigenen Sorgfaltspflichten entbunden ist. Das Straßenverkehrsrecht basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme. Wer selbst ein unübliches, riskantes oder unerwartetes Fahrmanöver durchführt, muss mit einer Mitschuld rechnen, auch wenn der Hauptfehler bei einem anderen Verkehrsteilnehmer liegt. Die Entscheidung des Gerichts, dem Autofahrer eine Mithaftung von 20 % zuzuweisen, ist eine klare Botschaft: Jeder ist für sein eigenes Verhalten im Straßenverkehr verantwortlich und muss die Konsequenzen tragen, wenn er vorhersehbare Gefahren schafft oder erhöht.
Schließlich führt der Fall vor Augen, wie eine Haftungsquote die finanziellen Ansprüche direkt beeinflusst. Alle geltend gemachten Schadenspositionen – vom Fahrzeugschaden über den Verdienstausfall bis hin zum Schmerzens- und Hinterbliebenengeld – wurden vom Gericht um den Mitverschuldensanteil von 20 % gekürzt. Die juristische Abwägung der Schuld hat somit unmittelbare und spürbare finanzielle Folgen für die Betroffenen.
Die Urteilslogik
Das Verkehrsrecht verpflichtet alle Teilnehmer zur Abwägung, denn selbst extremste Pflichtverletzungen entbinden den Geschädigten nicht von der eigenen Sorgfaltspflicht.
- Der extreme Regelverstoß dominiert die Haftung: Ignoriert ein Verkehrsteilnehmer ein seit langer Zeit (qualifiziert) rotes Ampelsignal, begründet dieser grobe Pflichtenverstoß den überwiegenden Anteil der Unfallhaftung. Technische Daten und Ampelprotokolle verdrängen dabei unsichere Zeugenaussagen bei der gerichtlichen Beweiswürdigung.
- Jede Gefahrenerhöhung begründet Mitschuld: Selbst wenn der Unfallgegner grob fahrlässig handelt, trägt ein Verkehrsteilnehmer eigene Haftung, wenn er durch ein unübliches, zeitlich verlängerndes oder riskantes Fahrmanöver die Kollisionsgefahr im Kreuzungsbereich maßgeblich schafft oder erhöht.
- Die Quote wirkt auf alle Ansprüche: Der festgestellte Grad des Mitverschuldens kürzt ausnahmslos alle geltend gemachten Schadensersatzpositionen proportional, was auch die Ansprüche auf Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld direkt reduziert.
Das Urteil unterstreicht, dass die juristische Verteilung der Schuld eine minutiöse Betrachtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge erfordert und jedem Fahrer Verantwortung für das eigene Verhalten zuweist.
Benötigen Sie Hilfe?
Wie wird die Haftung bei gleichzeitigen schweren Verkehrsverstößen verteilt?
Lassen Sie Ihre individuelle Situation durch eine erste rechtliche Einschätzung prüfen.
Experten Kommentar
Viele Autofahrer denken, wer eine rote Ampel um 24 Sekunden überfährt, trägt automatisch die volle Schuld. Dieser tragische Fall beweist das Gegenteil: Selbst der extremste Rotlichtverstoß ist keine Freifahrtschein, wenn man selbst unnötige Gefahren schafft. Das OLG Frankfurt zieht eine klare rote Linie und zeigt, dass jeder, der durch ein gewagtes Manöver – wie das langsame Wenden in der Kreuzung – die Kollisionsgefahr verlängert, eine Mitverantwortung trägt. Die daraus resultierende Haftungsverteilung von 80 zu 20 demonstriert messerscharf: Das Gericht kürzt die Ansprüche auf Schadensersatz und Hinterbliebenengeld konsequent um den Mitschuldanteil.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann trage ich eine Mitschuld, obwohl der Unfallgegner einen groben Rotlichtverstoß begangen hat?
Selbst ein grober Rotlichtverstoß des Unfallgegners – wie das Überfahren einer Ampel, die seit 24 Sekunden Rot zeigte – entbindet Sie nicht von Ihren eigenen Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr. Eine Mitschuld entsteht immer dann, wenn Sie durch ein unübliches Fahrmanöver eine zusätzliche und vermeidbare Gefahrenlage schaffen. Entscheidend ist die juristische Bewertung der kausalen Verknüpfung zwischen Ihrem Verhalten und dem tatsächlichen Zustandekommen der Kollision.
Die Regel: Das Straßenverkehrsrecht verlangt von allen Teilnehmern stets gegenseitige Rücksichtnahme. Wer ein potenziell gefährliches oder ungewöhnliches Manöver durchführt – wie ein 180-Grad-Wenden mitten auf einer großen Kreuzung –, unterliegt automatisch einer deutlich erhöhten Sorgfaltspflicht. Gerichte bewerten, ob die gewählte Art der Durchführung des Manövers zur Haftungsbegründung beiträgt. Der schwerwiegende Fehler der Gegenpartei hebt die eigene Verantwortung für das selbst geschaffene Risiko nicht vollständig auf.
Ein Beispiel: Ein Gericht stellte eine Mitschuld fest, weil das Wendemanöver die Zeit unnötig verlängerte, die das Auto im Kollisionsbereich verbrachte. Hätte der Fahrer ein gewöhnliches Abbiegemanöver durchgeführt, wären lediglich vier Sekunden benötigt worden, um den Gefahrenbereich zu verlassen. Durch das Wendemanöver verweilte das Fahrzeug jedoch acht bis neun Sekunden dort. Diese unnötig verlängerte Verweildauer wurde als kausaler Beitrag zur Kollision gewertet und führte zur Haftungsquote von 20 Prozent zulasten des Wendenden.
Skizzieren Sie präzise, wie lange Ihr Manöver im Vergleich zu einem regulären Vorgang gedauert hätte, um die unnötig geschaffene Gefahrenzeit zu beziffern.
Wie wird die Haftung bei einem Verkehrsunfall aufgeteilt, wenn beide Fahrer Fehler gemacht haben?
Wenn beide Fahrer zum Unfall beigetragen haben, erfolgt keine einfache 50/50-Teilung. Die Haftung wird stattdessen nach § 17 StVG beurteilt. Dieses Gesetz verlangt von den Gerichten eine gewichtete Abwägung aller Verursachungsbeiträge im Einzelfall. Dabei werden die konkreten Verkehrsverstöße und die abstrakte Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge berücksichtigt.
Richter prüfen zunächst die Schwere der jeweiligen Fehler. Ein grober Pflichtenverstoß, etwa ein qualifizierter Rotlichtverstoß, bei dem die Ampel länger als eine Sekunde Rot ignorierte, wiegt in dieser Waagschale extrem schwer. Im Gegensatz dazu wird die unvermeidbare, gesetzliche Betriebsgefahr des jeweiligen Fahrzeugs als abstrakter Faktor immer in die Haftungsverteilung einbezogen. Die Quote spiegelt die prozentuale Verantwortung jedes Fahrers wider.
Konkret: Fährt ein schwerer Linienbus bei Rot über die Kreuzung, trägt er den Hauptanteil der Schuld. Die erhöhte Betriebsgefahr des Busses aufgrund seiner Größe und Masse erhöht seinen Haftungsanteil zusätzlich. Selbst wenn der andere Fahrer durch ein riskantes Manöver eine Mitschuld von 20 Prozent trägt, begründet der grobe Verstoß des Busfahrers in der Regel den Löwenanteil der Haftung (zum Beispiel 80 Prozent).
Ermitteln Sie stets das genaue Gewicht und die Fahrzeugkategorie Ihrer Unfallgegner, da dies die Höhe der Betriebsgefahr als festen Haftungsfaktor beeinflusst.
Wie wirkt sich ein Mitverschulden auf meine Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus?
Ein festgestelltes Mitverschulden führt zu einem direkten, prozentualen Abzug von der gesamten Schadenssumme. Diese Kürzung betrifft ausnahmslos alle Positionen, die Sie geltend machen. Ist Ihnen beispielsweise eine Mitschuld von 20 Prozent zugewiesen, erhalten Sie maximal 80 Prozent des Ihnen zustehenden Gesamtschadens vom Unfallgegner erstattet.
Die juristische Abwägung der Verantwortung quotiert die gesamte Haftung für den Unfall. Die festgestellte Haftungsquote – zum Beispiel 80 Prozent zu Ihren Gunsten – dient als Multiplikator für jede einzelne Forderung. Gerichte unterscheiden nicht zwischen materiellen Schäden wie Reparaturkosten oder Verdienstausfall und immateriellen Schäden wie Schmerzensgeld oder Hinterbliebenengeld. Die Quote wird pauschal auf die berechnete Höchstsumme angewandt.
Nehmen wir an, Ihnen steht nach dem Unfall ein Schmerzensgeld von 15.000 Euro und ein Sachschaden von 5.000 Euro zu, insgesamt also 20.000 Euro. Wird Ihnen ein Mitverschulden von 20 Prozent angelastet, reduziert sich die Erstattung um 4.000 Euro. Ihr Anspruch gegen die Versicherung sinkt damit auf 16.000 Euro. Die 20 Prozent Mitschuld stellen somit Ihren Selbstbehalt dar, den Sie zwingend selbst tragen müssen.
Listen Sie alle potenziellen Schadenspositionen detailliert auf und kalkulieren Sie sofort den maximalen Selbstbehalt anhand der festgestellten Haftungsquote.
Welche Beweise sind bei der Haftungsabwägung entscheidender als Zeugenaussagen (z.B. Ampelprotokolle)?
Objektive und technische Beweismittel genießen vor Gericht stets eine höhere Beweiskraft als menschliche Aussagen. Gerade in komplexen Fällen, in denen Zeugenaussagen widersprüchlich sind, bilden technische Fakten die unanfechtbare Grundlage für die juristische Wahrheitsfindung. Die Gerichte stützen sich auf Beweise, die frei von subjektiver Wahrnehmung oder Erinnerungslücken sind und somit eine höhere Glaubwürdigkeit besitzen.
Entscheidend sind Dokumente, die den Unfallhergang sekundengenau und emotionslos abbilden. Ein Ampelprotokoll beispielsweise liefert den exakten Zeitpunkt der Lichtzeichen und beweist damit unwiderlegbar, ob und wie lange eine Ampel Rot zeigte. Im Gegensatz zur menschlichen Erinnerung, die unter Stress oft fehlerhaft ist, dokumentiert dieses Protokoll grobe Pflichtverletzungen, wie einen Rotlichtverstoß von über 20 Sekunden. Deshalb werten Richter diese digitalen Aufzeichnungen als primäres Beweismittel.
Ergänzend dazu sind Sachverständigengutachten essenziell, um die Kausalität des Unfalls zu belegen. Diese Gutachten ermitteln physikalische Größen wie die Geschwindigkeit der Fahrzeuge oder die genaue Verweildauer im Gefahrenbereich. Stehen diese harten technischen Daten im Konflikt mit den Aussagen mehrerer Zeugen, zieht das Gericht fast immer die Objektivität der Technik der fehleranfälligen menschlichen Wahrnehmung vor.
Fordern Sie durch Ihren Anwalt schnellstmöglich Einsicht in die polizeilichen Unterlagen an und bitten Sie gezielt um die Sicherung aller relevanten technischen Aufzeichnungen.
Wann wird ein unübliches oder riskantes Fahrmanöver als Mitverschulden gewertet?
Ein Manöver wird dann als haftungsbegründendes Mitverschulden gewertet, wenn es die gesetzlich geforderte Sorgfaltspflicht verletzt, indem es unüblich ist und unnötige Gefahren schafft. Die Gerichte bewerten nicht nur die prinzipielle Erlaubtheit des Vorgangs, sondern seine praktische Ausführung. Entscheidend ist, wie lange Sie sich durch das riskante Manöver im potenziellen Kollisionsbereich aufhalten. Die ungewöhnlich lange Verweildauer erhöht die Gefahr für den gesamten Querverkehr.
Richter stufen Manöver wie ein 180-Grad-Wenden mitten auf einer großen, belebten Kreuzung generell als unüblich ein. Diese Ungewöhnlichkeit verpflichtet den Fahrer zu einer besonders hohen Sorgfalt. Obwohl das Wenden an sich erlaubt sein mag, müssen Sie sicherstellen, dass andere Verkehrsteilnehmer durch den Vorgang nicht gefährdet werden. Juristisch entsteht der Fehler dann, wenn Sie die Verweildauer im Kreuzungsbereich unnötig verlängern und dadurch eine vermeidbare Gefahrenlage kausal für den Unfall schaffen.
Nehmen wir an: Bei einem Unfall auf einer belebten Kreuzung, bei dem ein Autofahrer wendete, stellte das Gericht eine Mitschuld von 20 % fest. Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass ein normaler Abbiegevorgang nur rund vier Sekunden gedauert hätte. Durch die langsame Durchführung des Wendemanövers verlängerte der Fahrer die Zeit im Gefahrenbereich jedoch auf acht bis neun Sekunden. Das Fahrzeug wäre bei einer normalen Abbiegebewegung längst außerhalb des Gefahrenbereichs gewesen, als der Unfallgegner die Kreuzung erreichte.
Sichern Sie umgehend alle Beweise, die belegen, dass Ihr Manöver schnell und flüssig erfolgte, um die unnötige Verweildauer zu widerlegen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Betriebsgefahr
Die Betriebsgefahr beschreibt das abstrakte, grundlegende Risiko, das jeder Betrieb eines Kraftfahrzeugs allein durch seine Masse, Geschwindigkeit und Unberechenbarkeit im Straßenverkehr mit sich bringt. Das Gesetz berücksichtigt diesen Faktor immer bei der Haftungsabwägung, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass von größeren und schwereren Fahrzeugen prinzipiell ein höheres Gefahrenpotenzial ausgeht.
Beispiel: Im vorliegenden Fall erhöhte die erhöhte Betriebsgefahr des schweren Linienbusses den Verursachungsbeitrag zulasten der Beklagten zusätzlich, da das Fahrzeug aufgrund seiner Größe eine höhere potenzielle Gefahr darstellte.
Haftungsquote
Die Haftungsquote ist das prozentuale Ergebnis der juristischen Abwägung der Verursachungsbeiträge beider Unfallbeteiligter, die das Gericht nach den Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes festlegt. Mit dieser Quote wird die Verantwortlichkeit für den Unfall rechtssicher zugewiesen, um anschließend alle Schadensersatzansprüche exakt anteilig zu kürzen oder zuzusprechen.
Beispiel: Das Oberlandesgericht Frankfurt legte nach der Analyse aller technischen Fakten eine Haftungsquote von 80 Prozent zu Lasten des Busfahrers und 20 Prozent zu Lasten des Autofahrers fest.
Mitverschulden
Juristen sprechen von einem Mitverschulden, wenn der Geschädigte durch eigenes fehlerhaftes Verhalten kausal zum Schaden oder dessen Entstehung beigetragen hat. Dieses Prinzip verhindert, dass ein Unfallbeteiligter, der selbst Gefahren schafft, die volle Entschädigung erhält, denn das Straßenverkehrsrecht basiert auf dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme.
Beispiel: Das riskante 180-Grad-Wendemanöver des Pkw-Fahrers wurde vom Gericht als Mitverschulden gewertet, da es die Unfallgefahr im Kollisionsbereich maßgeblich erhöhte.
Qualifizierter Rotlichtverstoß
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß liegt vor, wenn ein Fahrer eine Ampel ignoriert, die bereits länger als eine Sekunde Rot leuchtete, was den Verstoß als besonders schwerwiegend einstuft. Diese juristische Einordnung hat massive Auswirkungen auf die Haftungsverteilung, da sie einen extrem groben Pflichtenverstoß darstellt, der in der Regel den Hauptanteil der Unfallursache begründet.
Beispiel: Der Busfahrer beging einen extremen qualifizierten Rotlichtverstoß, da die Ampel für ihn nachweislich bereits seit 22 bis 24 Sekunden Rot zeigte, als er die Haltelinie überfuhr.
Verweildauer
Die Verweildauer bezeichnet die Zeitspanne, die ein Fahrzeug für die Durchführung eines Fahrmanövers im Kollisionsbereich einer Kreuzung oder Fahrbahn verbringt. Dieser zeitliche Faktor ist entscheidend für die Bewertung des Mitverschuldens, da eine unnötig verlängerte Verweildauer die Gefahrenlage für den Querverkehr kausal erhöht und das Unfallrisiko verlängert.
Beispiel: Die ungewöhnliche Verweildauer des Pkw von acht bis neun Sekunden im Gefahrenbereich aufgrund des langsamen Wendemanövers war ein entscheidender Grund für die Zuweisung der 20 Prozent Mitschuld.
Das vorliegende Urteil
OLG Frankfurt – Az.: 10 U 213/22 – Urteil vom 23.09.2025
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz





