LG Saarbrücken – Az.: 13 S 92/20 – Urteil vom 13.11.2020
1. Auf die Berufung wird das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 25.06.2020 – 36 C 529/19 (12) abgeändert. Auf die Klage werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt an die Klägerin weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 78,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.01.2020 zu zahlen, im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1.) hat die Klägerin zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten haben die Drittwiderbeklagte zu 66% und die Beklagte zu 2.) zu 34% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2.) haben die Klägerin und die Drittwiderbeklagte gesamtschuldnerisch zu 12% und die Klägerin darüber hinaus zu 88% zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin und die Beklagte zu 2) begehren wechselseitig Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall vom 19.09.2019 in ….
Die Klägerin parkte mit ihrem Fahrzeug auf dem Gehweg der … im Bereich einer mit Haltstellenzeichen ausgewiesenen Bushaltestelle. Der Beklagte zu 1) fuhr mit dem Linienbus der Beklagten zu 2) diese Haltestelle an. Beim Verlassen der Örtlichkeit fuhr er an einem vor ihm stehenden weiteren Bus links vorbei und berührte hierbei mit seiner hinteren rechten Karosserie das parkende Fahrzeug der Klägerin auf dessen linker Seite. Auf den von der Klägerin vorgerichtlich geltend gemachten Schaden von insgesamt 9.617,40 € zahlte die Beklagte zu 2) ausgehend von einer eigenen Haftungsquote von 75 % einen Betrag von 6.200,76 € sowie weitere 1.008,54 €. Auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten leistete die Zweitbeklagte einen Betrag von 650,34 €.
Mit der Klage hat die Klägerin, ausgehend von einer Alleinhaftung der Beklagten, einen weiteren Betrag von 2.171,85 € zur Zahlung an die Reparaturwerkstatt und hilfsweise an sich selbst sowie weitere 575,81 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 236,69 €, jeweils nebst Zinsen, geltend gemacht. Sie meint, aufgrund ihrer Schwerbehinderung sei ihr wegen Zuparkens der Behindertenparkplätze nichts Anderes übriggeblieben, als auf dem Gehweg zu parken. Den Zweitbeklagten treffe hier die Alleinverantwortung, da er grundsätzlich gewährleisten müsse, dass sämtliche Gehwegnutzer durch den Busverkehr nicht zu Schaden kämen.
Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Mit der Widerklage haben Sie unter Annahme einer eigenen Mithaftungsquote von 75 % gegenüber der Klägerin und der Drittwiderbeklagten die Zahlung eines anteiligen eigenen Schadens in Höhe von 274,77 € nebst Zinsen geltend gemacht. Sie haben behauptet, auch der Bus sei bei der Kollision beschädigt worden, und die Auffassung vertreten, infolge des verbotswidrigen und verkehrsbehindernden Parkens im Bushaltestellenbereich treffe die Klägerin ein Mitverschulden von 25 %. Daher seien anteilige Nettoreparaturkosten von 224,53 €, Vorhaltekosten für einen Tag von 44 € sowie 6,25 € Kostenpauschale zu ersetzen.
Die Klägerin und die Drittwiderbeklagte sind der Widerklage entgegengetreten. Zur Schadenshöhe haben sie die Erforderlichkeit der Reparaturkosten und der Vorhaltekosten bestritten. Zudem sei ein Abzug von 20 % aufgrund des Unternehmergewinns vorzunehmen, da der Bus unstreitig in der eigenen Werkstatt repariert wurde.
Das Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Klägerin und die Drittwiderbeklagte verteidigen das erstinstanzliche Urteil. In der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2020 haben sich die Beklagte zu 2) und die Widerbeklagten vergleichsweise auf eine Abgeltungszahlung für die Widerklage in Höhe von 180 € geeinigt.
II.
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht erhoben, sie ist mithin zulässig. Auch in der Sache hat das Rechtsmittel ganz überwiegend Erfolg. Die der Berufung nach § 529 ZPO zugrunde zulegenden Tatsachen rechtfertigen eine abweichende Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
1. Vorliegend hat neben den Beklagten auch die Klägerin grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des §§ 17 Abs. 3 StVG darstellte.
a) Ein im Verkehrsraum geparktes Fahrzeug befindet sich im Betrieb, solange es den Verkehr irgendwie beeinflussen und für diesen eine Gefahr darstellen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19, NJW 2020, 2116). Vorliegend stellte das verbotswidrig auf dem Gehweg neben der Bushaltestelle abgestellte Fahrzeug der Klägerin ein Hindernis im öffentlichen Verkehrsraum dar. Die damit einhergehende Gefahr einer Kollision anderer Verkehrsteilnehmer mit diesem Hindernis hat sich hier durch den Anstoß des die Bushaltestelle verlassenden Linienbusses verwirklicht, so dass der erforderliche Haftungszusammenhang gegeben ist.
b) Weiterhin hat die hierfür darlegungs- und beweisbelastete Klägerin den Unabwendbarkeitsnachweis nicht zu führen vermocht. Unabwendbar nach § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers, die erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinausgehen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, NZV 2005, 305) – nicht abgewendet werden kann (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 14 f. m.w.N.). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich dabei nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren. Ein Idealfahrer hätte vorliegend eine mögliche Behinderung des Busverkehrs in seine Überlegungen mit einbezogen und sein Fahrzeug erst gar nicht verbotswidrig unmittelbar neben der Bushaltestelle auf dem Gehweg geparkt. Dass ein Bus an der Haltestelle rangieren oder diese wie vorliegend aufgrund Blockierung der Fahrspur schrägwinklig verlassen und dabei in den Bereich des angrenzenden Bürgersteigs geraten könnte, liegt im Bereich des Vorhersehbaren. Das Zuparken der in der Nähe befindlichen Behindertenparkplätze durch Nichtberechtigte stellte aus Sicht der Klägerin zwar verständlicherweise ein Ärgernis dar, zwang diese jedoch keinesfalls, verbotswidrig im Bereich der Bushaltestelle zu parken.
2. In die danach gebotene Haftungsabwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG hat die Erstrichterin einen den Beklagten zuzurechnenden, unfallursächlichen Verstoß gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten nach § 1 Abs. 2 StVO eingestellt. Dies ist zutreffend und wird von der Berufung auch nicht in Abrede gestellt.
3. Nicht zu folgen vermag die Kammer der erstinstanzlichen Entscheidung, soweit diese einen unfallursächlichen Verkehrsverstoß auf Seiten der Klägerin nicht berücksichtigt.
a) Zutreffend ist allerdings, dass sich der Verstoß der Klägerin gegen das aus § 12 Abs. 4 Satz 2, Abs. 4a StVO folgende allgemeine Parkverbot auf Gehwegen im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG nicht zu deren Lasten auswirkt. Denn das Verbot dient ausschließlich dem hier nicht berührten Schutz des Gehwegbenutzers. Ein Verstoß gegen ein Halte- oder Parkverbot begründet daher dann keine Mithaftung, wenn es – wie hier – nicht dem Schutz des Geschädigten dient (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Mai 2012 – 9 U 128/11, NJW-RR 2012, 1237; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 26. Juli 2007 – 8 O 2722/07, DAR 2007, 709).
b) Gleiches gilt, soweit § 20 Abs. 5 StVO dem Linienverkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Schulbussen den Vorrang vor dem fließenden Verkehr einräumt. Zum einen handelte es sich bei dem parkenden Fahrzeug der Klägerin nicht um fließenden, sondern um ruhenden Verkehr, zum anderen dient die Vorschrift dem Schutz von Fußgängern, die im räumlichen Bereich eines solchen Verkehrsmittels auf die Fahrbahn treten (vgl. (Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 20 StVO, Rn. 9).
c) Eine Mithaftung der Klägerin lässt sich vorliegend auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass im Bereich der streitgegenständlichen Haltestelle auch das Verkehrszeichen 283 (§ 41 StVO, Anlage 2) ein absolutes Halteverbot ausspricht. Denn dieses Zeichen bezieht sich lediglich auf die Fahrbahn, nicht aber auf den angrenzenden Gehweg (vgl. Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 41 StVO (Stand: 09.06.2020), Rn. 271 mwN).
d) Unstreitig hat die Klägerin hier aber ebenfalls gegen das aus § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Verkehrszeichen 224 folgende Parkverbot innerhalb einer Strecke von 15 Metern vor und hinter einer Bushaltestelle verstoßen. Zwar dient das Zeichen 224 in erster Linie dem Zweck, die Fahrbahn der Haltestelle für das öffentliche Verkehrsmittel freizuhalten, um diesem ein ungehindertes An- und Abfahren i.S.v. § 20 Abs. 5 StVO zu ermöglichen (vgl. z.B. LG Karlsruhe, Urteil vom 20. Februar 2002 – 1 S 140/01, DAR 2003, 321). Es bezieht sich allerdings auch auf den Seitenstreifen, um das unbeeinträchtigte Ein- und Aussteigen von Fahrgästen zu gewährleisten (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 12 StVO, Rn. 51). Des Weiteren muss der Bereich neben den Haltebuchten auch deshalb freigehalten werden, da z.B. Gelenkbusse Überhänge haben, die beim Ein- und Ausfahren erfahrungsgemäß über die Bordsteinkante hinausragen können (vgl. LG Essen, Urteil vom 20. Februar 1980 – 1 S 27/80, VersR 1981, 963; Freymann in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Auflage, Kap. 27, Rn. 361). Dass ein Linienbus, wie vorliegend, aufgrund eines weiteren vor ihm haltenden Busses die Haltestelle schrägwinklig verlässt, dabei ein Teil des Hecks auf den Gehweg ausschwenkt und ein dort in unmittelbarer Nähe zur Bordsteinkante abgestelltes Fahrzeug berührt, gehört zu den vorhersehbaren Gefahren in einem Haltestellenbereich, vor denen das Parkverbot gerade auch schützen soll. Anders als die Klägerin meint, geht diese Ausweitung des Schutzbereichs des Parkverbotes auch nicht mit einer unkontrollierbaren Gefährdung von Fußgängern im Bereich der Bushaltestelle einher. Wie häufig, wenn im Straßenverkehr verschiedene Teilnehmer aufeinandertreffen, kann ein Ausschluss jeglicher denkbaren Gefahren für sämtliche Beteiligte nicht garantiert werden. Dies gilt insbesondere für den Schutz vor Gefahren, die auf die Beschaffenheit der am Verkehr teilnehmenden Fahrzeuge sowie deren Abmessungen zurückzuführen und für jedermann gut erkennbar sind. Dass ein zu nahes Herantreten an einen an- oder abfahrenden Kraftomnibus für einen Fußgänger im Bereich der Haltestelle mit Gefahren verbunden sein kann und er deshalb einen angemessenen Sicherheitsabstand zu dem Gefährt einhalten muss, versteht sich von selbst. Im Gegensatz zu einem abgestellten Fahrzeug ist ein Mensch in der konkreten Situation auch in der Lage, einer etwaigen Gefährdung durch ein vorhersehbares Ausschwenken eines Linienbusses vorzubeugen bzw. auszuweichen, zumal an der konkreten Haltestelle ausreichend Raum für Fußgängerverkehr bzw. wartende Fahrgäste vorhanden ist.
e) Bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist der Sorgfaltsverstoß der Klägerin mit 25 % gegenüber einer akzeptierten Mithaftung der Beklagten von 75 % angemessen berücksichtigt, weshalb die erstinstanzlich angenommene Alleinhaftung der Beklagten nicht aufrechterhalten bleiben kann. Dies gilt selbst dann, wenn man hier einen Verkehrsverstoß der Klägerin verneinen wollte. Denn das Abstellen eines Fahrzeugs unmittelbar neben einer Linienbushaltestelle begründet ein Hindernis, welches bereits aus sich heraus die Gefahr birgt, dass es zu Beschädigungen im Zusammenhang mit dem Personentransportverkehr kommt. Diese Gefahr hat sich vorliegend gerade verwirklicht, so dass auch gegen die Gewichtung der reinen Betriebsgefahr mit 25 % keine Bedenken bestehen.
4. Der Klägerin stand daher insgesamt ein Schadensersatz in Höhe von 7.209,30 € (75% von 9.612,40 €, bestehend aus 7.304,14 € Reparaturkosten, 900 € Wertminderung, 1.383,26 € Sachverständigenhonorar und 25 € Unkostenpauschale entsprechend der ständigen Kammerrechtsprechung) zu. Diesen Betrag hat die Zweitbeklagte in zwei Teilzahlungen in Höhe von 6.200,76 € und 1.008,54 € bereits beglichen, sodass die Klage in der Hauptsache abzuweisen ist. Die Klägerin kann nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB allerdings Ersatz weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten aus dem berechtigten Gesamtanspruch ersetzt verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 20.05.2014 – VI ZR 396/13, VersR 2014, 1100). Ihr steht insoweit gemäß §§ 2, 13 RVG, Nrn. 2300, 7002, 7008 RVG VV Anspruch auf Ersatz einer 1,3-Geschäftsgebühr (vgl. hierzu zuletzt BGH, Urteil vom 27.05.2014 – VI ZR 279/13, NZV 2014, 507 m.w.N.) aus einem Gegenstandswert von 7.209,30 € in Höhe von 592,80 € + 20 € (Pauschale) + 116,40 € (Mwst.) = 729,23 € abzüglich gezahlter 650,34 € = 78,89 € zu. Der diesbezügliche Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91a, 92 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).