Bundesarbeitsgericht
Az: 6 AZR 215/06
Urteil vom 20.09.2006
In Sachen hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2006 für Recht erkannt:
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. Februar 2006 – 16 Sa 1421/05 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über eine Haftung des Beklagten für Vergütungsansprüche aus einem Ausbildungsverhältnis.
Der Kläger war vom 1. August 2001 bis zum 31. März 2003 als Auszubildender bei der E GmbH beschäftigt, deren Geschäftsführer der Beklagte war. Die durchschnittliche Bruttovergütung betrug 518,96 Euro brutto, wobei als Ausbildungsvergütung ein Betrag von 480,61 Euro sowie Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen vereinbart waren. Die Firma E GmbH zahlte auf die geschuldete Ausbildungsvergütung des Klägers für die Monate November und Dezember 2002 insgesamt einen Teilbetrag von 89,12 Euro netto.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 5. August 2003 (- 145 IN 387/03 -) wurde über das Vermögen der E GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Zu einem späteren Zeitpunkt erwarb der Geschäftsführer und jetzige Beklagte vom Insolvenzverwalter die Betriebsausstattung der Schuldnerin und betreibt seitdem in den Räumlichkeiten der Insolvenzschuldnerin an gleicher Stelle die Einzelfirma E-S.
Der Kläger macht gegenüber dem Beklagten die Vergütungsansprüche aus der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dem Haftungsgrund der Firmenfortführung gem. § 25 HGB geltend. Mit der am 28. Juni 2005 zunächst beim Amtsgericht Mettmann eingegangenen Klage und nach Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht Düsseldorf beansprucht der Kläger vom Beklagten die Zahlung der Ausbildungsvergütung für die Monate November und Dezember 2002. Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
gegen den im Verhandlungstermin nicht anwesenden Beklagten ein Versäumnis-Urteil zu erlassen und ihn zu verurteilen, an den Kläger 1.037,92 Euro brutto abzüglich gezahlter 89,12 Euro netto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. September 2004 zu zahlen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Klageabweisung damit begründet, dass eine Haftung aus § 25 HGB entfalle, soweit Insolvenzgläubiger betroffen seien. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter, während der Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung weiterer Ausbildungsvergütung für die Monate November und Dezember 2002.
1. Der Kläger kann seine Forderung nicht mit Erfolg auf § 25 Abs. 1 HGB stützen.
Nach dieser Vorschrift haftet grundsätzlich der Erwerber eines Handelsgeschäfts für die im Betrieb dieses Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers, wenn er das Geschäft unter der bisherigen Firma fortführt.
Der Kläger ist jedoch Insolvenzgläubiger iSv. § 38 InsO. Ein Konkurs- bzw. Insolvenzgläubiger kann sich aber nicht auf § 25 Abs. 1 HGB berufen, wenn der Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter das Handelsgeschäft veräußert hat (vgl. BAG 29. April 1966 – 3 AZR 208/65 – BAGE 18, 286; 21. Februar 1990 – 5 AZR 160/89 – BAGE 64, 196; BGH 11. April 1988 – II ZR 313/87 – BGHZ 104, 151; 4. November 1991 – II ZR 85/91 – ZIP 1992, 398; 28. November 2005 – II ZR 355/03 – DB 2006, 444; OLG Düsseldorf 21. Mai 1999 – 22 U 259/98 – NJW-RR 1999, 1556). Dieser Rechtsprechung ist die Literatur einhellig gefolgt (vgl. GK-HGB/Nickel 5. Aufl. § 25 Rn. 11; Roth in Koller/Roth/Morck HGB 5. Aufl. § 25 Rn. 4; Ebenroth/Boujong/Joost/Zimmer/Scheffel HGB Bd. 1 § 25 Rn. 41; Hüffer in Großkomm. HGB 4. Aufl. Bd. I § 25 Rn. 60 f.; MünchKommHGB/Lieb 2. Aufl. Bd. 1 § 25 Rn. 32; MünchKommInsO-Ott Bd. 1 § 80 Rn. 102; Baumbach/Hopt HGB 32. Aufl. § 25 Rn. 4; Uhlenbruck ZIP 2000, 401, 403; Henckel in Jaeger InsO 1. Aufl. Bd. 1 § 35 Rn. 30). Die Auffassung wird mit zum Teil unterschiedlicher Begründung auch nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung weiterhin vertreten. Hiervon abzuweichen besteht nach Ansicht des Senats kein Anlass.
a) Die Anwendung von § 25 Abs. 1 HGB auch im Falle des Erwerbs vom Insolvenzverwalter stünde im Widerspruch zu den bestimmenden Grundsätzen des Insolvenzverfahrens und der dem Insolvenzverwalter darin zugewiesenen Funktion. Die Veräußerung in der Insolvenz duldet wesensgemäß eine Schuldenhaftung des Erwerbers nach § 25 Abs. 1 HGB nicht (vgl. noch zur KO Beitzke Anm. zu BAG 29. April 1966 – 3 AZR 208/65 – AP BGB § 419 Betriebsnachfolge Nr. 7). Aufgabe des Insolvenzverwalters ist es, die Vermögensgegenstände des Gemeinschuldners zu verwerten und dabei im Interesse der Insolvenzgläubiger den höchstmöglichen Erlös zwecks anschließender Verteilung zu erzielen. Mit dieser Aufgabe wäre es unvereinbar, wenn der Erwerber eines zur Masse gehörenden Unternehmens nach § 25 Abs. 1 HGB oder § 419 BGB aF haften müsste. Eine Veräußerung des Unternehmens mit sämtlichen Schulden, die zum Zusammenbruch geführt haben, wäre in den seltensten Fällen erreichbar. Die Unanwendbarkeit des § 25 Abs. 1 HGB auf Unternehmensveräußerungen durch den Konkursverwalter beruht, wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 11. April 1988 (- II ZR 313/87 – BGHZ 104, 151) ausgeführt hat, maßgeblich auf dem Gesichtspunkt, dass die Aufgabe des Konkursverwalters, das Unternehmen im Interesse der Gläubiger an der schnellstmöglichen Verwertung der Masse im Ganzen zu veräußern, nicht durch eine mögliche Haftung des Erwerbers für die Schulden des bisherigen Unternehmensträgers erschwert werden soll. Zu Recht hat auch das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, es käme zur Bevorzugung einzelner Insolvenzgläubiger und gleichzeitig zur Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger, da sich im Falle einer nach § 25 HGB bestehenden Haftung des Erwerbers der Preis, den der Käufer für den Erwerb des Unternehmens zu zahlen bereit wäre, entsprechend reduzieren würde. § 25 HGB erfasst nämlich nur Geschäfts-, nicht auch Privatgläubiger. Eine Bevorzugung einzelner Insolvenzgläubiger wäre systemwidrig und widerspräche dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Dass mit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung nur die Vorschrift des § 419 BGB entfallen ist (Art. 33 Nr. 16 EGInsO), ändert daran angesichts des auf Geschäftsgläubiger beschränkten Anwendungsbereichs von § 25 HGB ebenso wenig wie die bloße Möglichkeit einer Haftungsvermeidung gem. Abs. 2 dieser Vorschrift.
b) Auch in der Literatur wird betont, Sinn einer solchen Veräußerung sei es, den Erlös zur Masse zu ziehen, nicht aber die weitergehende Haftung des Erwerbers zu begründen (vgl. GK-HGB/Nickel 5. Aufl. § 25 Rn. 11). Beim Erwerb vom Insolvenzverwalter bleibe § 25 Abs. 1 HGB trotz der Existenz des § 25 Abs. 2 HGB unangewendet (vgl. Roth in Koller/Roth/Morck HGB 5. Aufl. § 25 Rn. 4). Eine Haftung des Erwerbers gem. § 25 Abs. 1 HGB widerspräche grundlegenden Prinzipien des Insolvenzrechts, indem sie zu einer Umgehung der von der Insolvenzordnung vorgesehenen gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger führe (vgl. Ebenroth/Boujong/Joost/Zimmer/Scheffel HGB Bd. 1 § 25 Rn. 41). Die Vorschrift des § 25 HGB passe nicht für den Fall der Geschäftsübertragung aus einer Insolvenzmasse, denn § 25 HGB gehe von einer Übernahme der Aktiva und Passiva aus, während der Insolvenzverwalter nur Aktiva übertrage. Mit der Anwendung der Vorschrift würde sich eine Tilgung der Geschäftsschulden außerhalb des Insolvenzverfahrens vollziehen. Es sei aber ein Grundprinzip unseres Haftungsrechts, dass die Aktiva des Vermögens den Gläubigern hafteten und die Realisierung dieser Haftung nicht dadurch verkürzt werden dürfe, dass Aktiva mit Schulden belastet übertragen würden, die den am Verwertungserlös Berechtigten nicht vorgehen (vgl. Henckel in Jaeger InsO 1. Aufl. § 35 Rn. 30).
c) Dem steht nicht entgegen, dass § 25 HGB ansonsten auch auf die Übernahme des Unternehmens eines überschuldeten Rechtsträgers angewendet wird, denn die genannten durch die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens bedingten Gesichtspunkte treffen bei einem Erwerb außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht in gleicher Weise zu.
aa) Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 4. November 1991 (- II ZR 85/91 – ZIP 1992, 398) gilt die Haftungsregelung des § 25 HGB auch für den Fall, dass die Eröffnung des Konkursverfahrens in Ermangelung einer die Verfahrenskosten deckenden Masse abgelehnt worden ist. Die in § 25 Abs. 1 HGB vorgesehene Rechtsfolge setze nicht voraus, dass das übernommene Unternehmen einen zur Befriedigung seiner Gläubiger ausreichenden Wert verkörpere. Dieser Rechtsprechung ist auch der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 28. November 2005 (- II ZR 355/03 – DB 2006, 444) gefolgt, die von der Revision zur Begründung ihrer Rechtsansicht angeführt wird. Danach gilt zwar die Haftungsregelung des § 25 HGB auch dann, wenn das übernommene Unternehmen insolvent ist. In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof – entgegen dem von der Revision erstrebten Ergebnis – aber ausdrücklich ausgeführt, dass der Kläger nicht so zu behandeln sei, als habe die Beklagte das Unternehmen in der Insolvenz erworben. Gerade letztgenannte Fallgestaltung ist jedoch vorliegend gegeben.
bb) Der Erwerb eines Handelsunternehmens aus der Hand eines Sequesters schließt die Anwendbarkeit von § 25 Abs. 1 HGB und von § 419 BGB aF nur dann nicht aus, wenn sich an die Sequestration nicht die Eröffnung des Konkursverfahrens anschließt (vgl. BGH 11. April 1988 – II ZR 313/87 – BGHZ 104, 151). Im Hinblick auf die grundlegende Verschiedenheit der Funktionen von Sequester und Konkursverwalter hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass die Sequestration das Prozessführungsrecht des Schuldners unberührt lasse. Eine Veräußerung des Unternehmens vor der Konkurseröffnung während der Sequestration stehe damit rechtlich einer Veräußerung durch den Schuldner näher als derjenigen durch den Konkursverwalter in Ausübung des ihm erteilten gesetzlichen Auftrags. Bei dieser Sachlage fehle es an einer inneren Rechtfertigung, die Unternehmensveräußerung durch den Sequester mit Zustimmung des Schuldners unter dem Gesichtspunkt von § 25 Abs. 1 HGB und § 419 BGB aF derjenigen durch den Konkursverwalter gleichzustellen. Dies müsse jedenfalls dann gelten, wenn sich, wie in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall, an die Sequestration nicht die Eröffnung des Konkursverfahrens anschließe, etwa weil sich herausstelle, dass die dafür erforderlichen Voraussetzungen (Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung) nicht erfüllt seien, oder eine kostendeckende Masse nicht vorhanden sei. Dagegen ist aber auch nach dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs § 25 Abs. 1 HGB dann nicht anwendbar, wenn der Konkursverwalter – wie vorliegend – das Unternehmen des Gemeinschuldners veräußert.
2. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung zu § 613a BGB. Diese Vorschrift ist bei einer Betriebsveräußerung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht anwendbar. Insoweit haben die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens Vorrang (so einhellige Meinung, vgl. zuletzt BAG 21. Februar 1990 – 5 AZR 160/89 – BAGE 64, 196 mwN; Henckel in Jaeger InsO 1. Aufl. § 35 Rn. 31). Nur auf Betriebsveräußerungen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist § 613a BGB uneingeschränkt anwendbar.