Ein Vertriebspartner forderte Millionenprovisionen aus dem lukrativen Schnelltest-Geschäft, obwohl der zugrundeliegende Vertrag lediglich als Kooperationsvertrag deklariert wurde. Das OLG Frankfurt musste klären, ob ein Handelsvertretervertrag trotz Kooperationsvertrag vorliegt und welche Auskunftsrechte dem Partner nun tatsächlich zustehen.
Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Handelsvertreter trotz Kooperationsvertrag: Wann zählt der Inhalt mehr als der Titel?
- Ein lukratives Geschäft in der Pandemie: Was war genau passiert?
- Handelsvertreter vs. Makler: Welche Rechte und Pflichten stehen auf dem Spiel?
- Die Logik der Richter: Warum der Vertriebspartner teilweise Recht bekam
- Was bedeutet dieses Urteil für Ihre Vertriebsverträge?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann gilt mein Kooperationsvertrag rechtlich als Handelsvertretervertrag?
- Welche Ausgleichsansprüche drohen mir als Unternehmer, wenn mein Kooperationspartner als Handelsvertreter gilt?
- Wann habe ich als Handelsvertreter Anspruch auf einen Buchauszug nach § 87c HGB?
- Wie erhalte ich Provisionsansprüche, wenn das Geschäft über eine Partner- oder Tochterfirma lief?
- Wie gestalte ich Verträge mit einer Schriftformklausel, damit mündliche Zusagen unwirksam sind?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 14 U 193/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
- Datum: 08.07.2025
- Aktenzeichen: 14 U 193/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Handelsvertreterrecht, Vertragsrecht, Kaufrecht
- Das Problem: Eine Vertriebspartnerin stritt mit einem Hersteller von Corona-Tests um Provisions-, Ausgleichs- und Schadensersatzzahlungen. Der Hauptstreitpunkt war die rechtliche Natur des geschlossenen Kooperationsvertrags.
- Die Rechtsfrage: Gilt unser „Kooperationsvertrag“ tatsächlich als Handelsvertretervertrag und habe ich als Partnerin deshalb einen Anspruch auf Auskünfte und Provisionen?
- Die Antwort: Ja, das Gericht stellte fest, dass die tatsächliche Ausgestaltung einem Handelsvertretervertrag entspricht. Die Vertriebspartnerin hat somit Anspruch auf einen detaillierten Buchauszug über alle provisionspflichtigen Geschäfte. Über die geforderten Provisions- und Ausgleichszahlungen muss das Landgericht erneut verhandeln und entscheiden.
- Die Bedeutung: Der Vertragstyp wird durch die tatsächliche Verpflichtung zur ständigen Geschäftsvermittlung bestimmt, nicht durch die Bezeichnung. Dies löst für den Vertriebspartner starke Informationsrechte gegen den Vertragspartner aus.
Handelsvertreter trotz Kooperationsvertrag: Wann zählt der Inhalt mehr als der Titel?
Ein Vertrag, zwei Interpretationen und ein Streitwert in Millionenhöhe – inmitten des boomenden Geschäfts mit Corona-Schnelltests entbrannte zwischen einer Herstellerin und ihrer Vertriebspartnerin ein fundamentaler Rechtsstreit. Obwohl ihr Vertrag als „Kooperationsvertrag“ überschrieben war, sah sich die Vertriebspartnerin als Handelsvertreterin mit weitreichenden Rechten.

Die Herstellerin widersprach vehement. In diesem Fall musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 08. Juli 2025 (Az. 14 U 193/23) eine grundlegende Frage des Vertriebsrechts klären: Entscheidet der Name eines Vertrages über seine rechtliche Natur oder kommt es allein auf den gelebten Inhalt der Zusammenarbeit an?
Ein lukratives Geschäft in der Pandemie: Was war genau passiert?
Am 2. März 2021, auf dem Höhepunkt der Nachfrage nach Corona-Tests, schlossen die beiden Unternehmen einen Vertrag. Die Aufgabe der Vertriebspartnerin war klar definiert: Sie sollte bestimmte Corona-Tests der Herstellerin vermitteln und den Vertrieb ankurbeln. Die Zusammenarbeit lief an und die Vertriebspartnerin akquirierte erfolgreich Kunden, darunter auch den Z-Konzern, ein potenzielles Großgeschäft.
Doch die Beziehung zerbrach nach wenigen Monaten. Die Vertriebspartnerin warf der Herstellerin vor, ihr die Abschlussvollmacht entzogen und die Annahme von vermittelten Bestellungen eingestellt zu haben. Darin sah sie einen schwerwiegenden Vertragsbruch und kündigte im September und Oktober 2021 fristlos. Die Herstellerin sprach ihrerseits ebenfalls eine Kündigung aus.
Nach dem Ende der Zusammenarbeit forderte die Vertriebspartnerin, was ihr aus ihrer Sicht zustand: Provisionen für das Großgeschäft mit dem Z-Konzern, einen millionenschweren Ausgleichsanspruch für den von ihr aufgebauten Kundenstamm sowie Schadensersatz für die vorzeitige Vertragsbeendigung. Das Problem: Um diese Ansprüche exakt beziffern zu können, benötigte sie detaillierte Einblicke in die Geschäftsbücher der Herstellerin. Sie verlangte einen sogenannten Buchauszug für den gesamten Zeitraum ihrer Tätigkeit.
Die Herstellerin lehnte sämtliche Forderungen ab. Ihre zentrale Verteidigungslinie: Der Vertrag sei ein einfacher Kooperations- oder Maklervertrag gewesen, kein Handelsvertretervertrag. Daher bestünden die von der Klägerin geltend gemachten, speziellen handelsrechtlichen Ansprüche gar nicht. Zudem sei das Geschäft mit dem Z-Konzern gar nicht mit ihr selbst, sondern mit einer anderen Firma, der X GmbH, zustande gekommen.
Handelsvertreter vs. Makler: Welche Rechte und Pflichten stehen auf dem Spiel?
Um die Entscheidung des Gerichts zu verstehen, müssen Sie den entscheidenden Unterschied zwischen einem Handelsvertreter und einem einfachen Makler oder Kooperationspartner kennen. Das Handelsgesetzbuch (HGB) stattet den Handelsvertreter mit einem besonderen Schutz und starken Rechten aus, weil er typischerweise eng in die Vertriebsorganisation eines Unternehmens eingebunden ist.
Der entscheidende Begriff ist die „Ständige Betrauung„. Nach § 84 Abs. 1 HGB ist Handelsvertreter, wer als selbstständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Ein Makler hingegen wird nur für einzelne, konkrete Geschäfte tätig.
Aus dieser Einordnung als Handelsvertreter ergeben sich weitreichende Konsequenzen, die in diesem Fall den Kern des Streits bildeten:
- Anspruch auf Buchauszug (§ 87c Abs. 2 HGB): Um seine Provisionsansprüche kontrollieren zu können, kann der Handelsvertreter vom Unternehmer einen detaillierten Auszug aus den Geschäftsbüchern verlangen. Dieser muss alle für die Provision relevanten Geschäfte auflisten.
- Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB): Endet das Vertragsverhältnis, hat der Handelsvertreter unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf eine angemessene Ausgleichszahlung. Diese soll ihn dafür entschädigen, dass der Unternehmer aus dem von ihm geschaffenen Kundenstamm auch nach Vertragsende erhebliche Vorteile zieht.
Die zentrale Frage für das Gericht war also: War die Vertriebspartnerin trotz der Vertragsbezeichnung „Kooperationsvertrag“ eine Handelsvertreterin im Sinne des Gesetzes?
Die Logik der Richter: Warum der Vertriebspartner teilweise Recht bekam
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hob das Urteil der Vorinstanz, die die Klage komplett abgewiesen hatte, teilweise auf. Es entschied, dass die Vertriebspartnerin tatsächlich als Handelsvertreterin agierte und ihr daher grundsätzlich ein Anspruch auf einen Buchauszug zusteht. Die weitergehenden Zahlungsansprüche wurden jedoch zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen. Sehen wir uns die Argumente des Senats im Detail an.
Die entscheidende Frage: Handelsvertreter oder nur Kooperationspartner?
Das Gericht stellte klar, dass für die rechtliche Einordnung nicht die Überschrift des Vertrages, sondern dessen tatsächlicher Inhalt und die gelebte Praxis entscheidend sind. Es analysierte den Vertragstext und kam zu dem Schluss, dass alle wesentlichen Merkmale eines Handelsvertretervertrages erfüllt waren.
- Argument der Herstellerin: Der Vertrag sei befristet, umfasse nur wenige Produkte und verpflichte die Vertriebspartnerin nicht ausdrücklich zum Tätigwerden. Das spreche gegen eine „ständige Betrauung“.
- Urteil des Gerichts: Der Senat widersprach dieser Auslegung. Er fand im Vertrag eine klare „Aufgabe“ zur Vermittlung und zum Vertrieb der Produkte. Diese Formulierung begründe eine vertragliche Pflicht zum ständigen Bemühen um Geschäftsabschlüsse. Die Tatsache, dass der Vertrag zunächst auf drei Jahre befristet war, schließe eine dauerhafte, auf Wiederholung angelegte Tätigkeit nicht aus. Zudem enthielt der Vertrag selbst Begriffe wie „Unterhandelsvertreter“ und in einer Klausel sogar das Wort „Handelsvertretervertrag“, was die Absicht der Parteien unterstrich, eine enge und dauerhafte Vertriebsbeziehung einzugehen. Das Gesamtbild entsprach laut Gericht eindeutig dem eines Handelsvertreterverhältnisses nach § 84 HGB.
Warum der Anspruch auf den Buchauszug nur teilweise Erfolg hatte
Obwohl das Gericht den Status als Handelsvertreterin bestätigte, bekam die Klägerin nicht alle geforderten Informationen. Der Anspruch auf einen Buchauszug nach § 87c Abs. 2 HGB ist nämlich streng auf die Geschäfte begrenzt, die in den Büchern des eigenen Vertragspartners – hier der Herstellerin – verzeichnet sind.
- Argument der Vertriebspartnerin: Sie forderte auch Auskunft über das Geschäft mit dem Z-Konzern, das über die X GmbH abgewickelt wurde. Sie argumentierte, die X GmbH sei wirtschaftlich eng mit der Herstellerin verflochten.
- Urteil des Gerichts: Das Gericht lehnte dies ab. Das Geschäft mit dem Z-Konzern wurde unstreitig mit der X GmbH und nicht mit der Beklagten geschlossen. Daher taucht es in den Büchern der Beklagten nicht auf und kann nicht Teil des Buchauszugs sein. Ein Anspruch auf Einsicht in die Bücher Dritter besteht nicht. Die Klägerin konnte auch nicht ausreichend beweisen, dass zwischen der Herstellerin und der X GmbH eine „Wirtschaftliche Einheit“ bestand, die eine solche erweiterte Auskunftspflicht hätte begründen können. Geringe Anteilsverhältnisse oder informelle Absprachen reichten dafür nicht aus. Die Vertriebspartnerin erhielt daher „nur“ den Buchauszug über alle direkt mit der Herstellerin abgeschlossenen und provisionspflichtigen Geschäfte.
Mündliche Zusagen und E-Mails: Warum die Schriftformklausel siegte
Die Vertriebspartnerin berief sich für ihre Provisionsansprüche bezüglich des Z-Geschäfts auch auf mündliche Zusagen und E-Mails, in denen die Provisionspflicht bestätigt worden sei. Doch auch hier folgte ihr das Gericht nicht.
- Argument der Vertriebspartnerin: Telefonate und eine E-Mail mit der Formulierung „bestätigt. Vertragspartner werden wir“ hätten eine verbindliche Provisionszusage begründet.
- Urteil des Gerichts: Der Vertrag enthielt in § 14 eine sogenannte Doppelte qualifizierte Schriftformklausel. Diese besagt, dass Änderungen des Vertrages schriftlich erfolgen müssen und auch die Aufhebung dieser Schriftformklausel selbst der Schriftform bedarf. Mündliche Absprachen sind damit grundsätzlich unwirksam, es sei denn, die Parteien heben die Klausel bewusst – wenn auch nur durch schlüssiges Verhalten (konkludent) – auf. Dafür fand das Gericht aber keine Anhaltspunkte. Auch die E-Mails wertete das Gericht nicht als verbindliche Zusage. Die Formulierung „Vertragspartner werden wir“ legte der Senat so aus, dass eine Provision nur dann fällig würde, wenn die Herstellerin selbst den Vertrag mit dem Z-Konzern schließt – was nicht geschehen war.
Warum das Verfahren an die erste Instanz zurückging
Das Gericht entschied nur über die erste Stufe der Klage – den Auskunftsanspruch. Es stellte fest, dass der Anspruch auf den Buchauszug besteht, und verurteilte die Herstellerin zur Erteilung. Über die eigentlichen Zahlungsansprüche (Provisionen, Ausgleich, Schadensersatz) konnte und wollte es noch nicht entscheiden. Da diese Ansprüche eng mit den Informationen aus dem nun zu erstellenden Buchauszug verknüpft sind, wäre eine Entscheidung verfrüht gewesen. Um widersprüchliche Urteile zu vermeiden, wurde der Fall für die Verhandlung über die Zahlungsansprüche an das Landgericht Marburg zurückverwiesen (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO). Dort wird nun auf Basis des Buchauszugs weiterverhandelt werden müssen.
Was bedeutet dieses Urteil für Ihre Vertriebsverträge?
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist eine wichtige Erinnerung daran, dass im Vertriebsrecht der gelebte Inhalt einer Geschäftsbeziehung oft mehr wiegt als die formale Bezeichnung eines Vertrages. Für Unternehmer und Vertriebspartner ergeben sich daraus konkrete Handlungsempfehlungen.
Checkliste: Kooperationsvertrag oder Handelsvertreter?
Prüfen Sie Ihre Verträge und Ihre Zusammenarbeit anhand der folgenden Punkte, um unerwartete rechtliche Konsequenzen zu vermeiden:
- Titel vs. Inhalt: Verlassen Sie sich nicht auf die Überschrift Ihres Vertrages. Ein „Kooperationsvertrag“ kann schnell als Handelsvertretervertrag eingestuft werden, wenn die Kriterien erfüllt sind.
- Definition der Pflichten: Analysieren Sie die Kernaufgaben. Ist der Partner verpflichtet, sich „ständig zu bemühen“, Kunden zu akquirieren und den Absatz zu fördern? Oder agiert er nur bei konkreten Einzelgelegenheiten? Die Verpflichtung zu einer dauerhaften Vertriebstätigkeit ist das stärkste Indiz für einen Handelsvertreter.
- Grad der Integration: Wie eng ist der Partner in Ihre Vertriebsorganisation eingebunden? Muss er Weisungen befolgen, Berichte abliefern oder darf er Untervertreter einsetzen? Je enger die Einbindung, desto wahrscheinlicher ist eine Handelsvertreterstellung.
- Vergütungsmodell: Eine reine Erfolgsprovision, die erst nach Ausführung des Geschäfts und Zahlung durch den Kunden fällig wird, ist typisch für Handelsvertreter (§ 87a HGB) und ein starkes Indiz gegen einen reinen Maklervertrag.
- Schriftformklauseln ernst nehmen: Wenn Sie mündliche Absprachen ausschließen wollen, verwenden Sie eine „doppelte qualifizierte Schriftformklausel“. Seien Sie sich aber bewusst, dass auch diese im Geschäftsalltag durch konsequentes Handeln beider Seiten aufgeweicht werden kann. Dokumentieren Sie alle wichtigen Vereinbarungen immer schriftlich.
- Konzernstrukturen klar regeln: Wenn Ihr Vertriebspartner auch für Schwester- oder Tochtergesellschaften tätig werden soll, muss dies im Vertrag eindeutig und provisionsrechtlich sauber geregelt werden. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass eine „wirtschaftliche Einheit“ automatisch zu Provisionsansprüchen führt – die Hürden hierfür sind juristisch sehr hoch.
Die Urteilslogik
Im Vertriebsrecht definiert stets der tatsächliche Inhalt einer Kooperation die rechtliche Stellung der Parteien, niemals deren gewählter Vertragstitel.
- Inhalt sticht Form: Der rechtliche Status eines Vertriebspartners bestimmt sich nach der gelebten Praxis und den vertraglich fixierten Pflichten zur ständigen Betrauung, selbst wenn der Vertrag formell anders (z.B. als Kooperations- oder Maklervertrag) betitelt ist.
- Begrenzung der Auskunftspflicht: Der Unternehmer muss Auskunft nur über jene provisionsrelevanten Geschäfte erteilen, die in seinen eigenen Geschäftsbüchern verzeichnet sind; ein Handelsvertreter kann die Einsicht in die Bücher rechtlich verbundener Dritter nur bei schlüssigem Beweis einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Einheit verlangen.
- Schriftformklauseln durchsetzen: Eine doppelt qualifizierte Schriftformklausel in einem Vertriebsvertrag macht mündliche Provisionszusagen oder informelle E-Mail-Absprachen unwirksam, solange die Parteien die Gültigkeit der Klausel nicht durch konsequentes abweichendes Handeln konkludent außer Kraft setzen.
Unternehmen müssen die formellen und materiellen Anforderungen des Handelsvertreterrechts strikt beachten, um weitreichende Ausgleichs- und Auskunftspflichten zu vermeiden.
Benötigen Sie Hilfe?
Gilt Ihr Vertriebs- oder Kooperationsvertrag rechtlich als Handelsvertretervertrag? Nutzen Sie die Gelegenheit für eine unverbindliche rechtliche Einschätzung Ihrer Vertragslage.
Experten Kommentar
Wie oft wird versucht, die strengen Rechte eines Vertriebspartners einfach mit einem cleveren Vertragstitel wegzudefinieren? Das OLG Frankfurt stellt klar: Der Inhalt der Zusammenarbeit zählt, nicht die Überschrift – wer sich ständig bemüht, ist Handelsvertreter und bekommt folgerichtig den Buchauszug. Die praktische Konsequenz ist unmissverständlich: Die starken Schutzmechanismen des HGB können nicht durch kreative Vertragsgestaltung ausgehebelt werden. Allerdings zeigt das Urteil auch die Grenzen auf; wer Ansprüche aus Geschäften gegen assoziierte Tochterfirmen durchsetzen will, muss eine lückenlose Beweiskette für eine wirtschaftliche Einheit vorlegen. Das ist die hohe Hürde, die im Tagesgeschäft die Durchsetzung von Provisionsansprüchen extrem erschwert.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann gilt mein Kooperationsvertrag rechtlich als Handelsvertretervertrag?
Der formelle Titel Ihres Vertrages ist für die juristische Einordnung irrelevant. Ein Vertrag gilt dann als Handelsvertretervertrag, wenn der tatsächliche Inhalt und die gelebte Praxis der Zusammenarbeit die Kriterien des Handelsgesetzbuches (HGB) erfüllen. Gerichte prüfen primär, ob eine ständige Betrauung mit der Vermittlung von Geschäften vorliegt. Dies ist entscheidend, denn die Einstufung als Handelsvertreter löst massive Folgekosten wie Ausgleichsansprüche aus.
Das Hauptkriterium ist die Pflicht zur dauerhaften Vertriebstätigkeit gemäß § 84 Abs. 1 HGB. Diese ständige Betrauung bedeutet eine vertragliche oder faktische Verpflichtung, sich fortlaufend um Neukunden und die Absatzförderung zu kümmern. Unternehmer unterschätzen oft, dass selbst ein auf wenige Jahre befristeter Vertrag als dauerhaft genug gilt, um diese Pflicht zu begründen. Sie müssen daher auf Formulierungen achten, welche eine klare „Aufgabe“ oder „Verpflichtung zum ständigen Bemühen“ definieren.
Die Richter analysieren ferner, ob der Partner eng in den Vertrieb eingebunden ist oder ob Sie typische Bezeichnungen verwenden. Nehmen wir an: Ihr Vertrag nutzt interne Begriffe wie „Unterhandelsvertreter“ oder definiert die Tätigkeit als permanente Markterschließung. Solche starken Indizien sprechen dafür, dass die besonderen Schutzvorschriften für den Handelsvertreter gelten, auch wenn Sie den Partner offiziell anders nennen. Vermeiden Sie es, Vertragspflichten vage zu formulieren.
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Welche Ausgleichsansprüche drohen mir als Unternehmer, wenn mein Kooperationspartner als Handelsvertreter gilt?
Ihnen droht in erster Linie der Ausgleichsanspruch nach § 89b des Handelsgesetzbuchs (HGB). Diese Entschädigungszahlung dient dazu, den ehemaligen Vertriebspartner für den aufgebauten Kundenstamm zu entlohnen. Obwohl das Vertragsverhältnis beendet ist, kann diese finanzielle Verpflichtung erhebliche Dimensionen annehmen, oft in Millionenhöhe. Die Entschädigung besteht zudem unabhängig davon, ob Ihr ursprünglicher Vertrag befristet oder unbefristet war.
Der Anspruch entsteht, weil Sie als Unternehmer nach Vertragsende weiterhin erhebliche Vorteile aus den vom Handelsvertreter neu gewonnenen Kunden ziehen. Der Gesetzgeber sieht darin einen Gerechtigkeitsausgleich für die Wertschöpfung des Vertriebspartners. Er hat investiert und akquiriert; Sie profitieren nun dauerhaft von dieser Arbeit. Gerichte sehen auch eine Tätigkeit von wenigen Jahren als dauerhaft an, wenn die Pflicht zur ständigen Betrauung zur Vermittlung bestand. Verlassen Sie sich daher nicht darauf, dass eine vertragliche Befristung den Anspruch automatisch ausschließt.
Die Berechnung der Höhe dieses Anspruchs ist komplex, orientiert sich jedoch primär am entgangenen Provisionseinkommen des Handelsvertreters. Die Zahlung ist auf das durchschnittliche Provisionsjahreseinkommen der letzten fünf Jahre begrenzt. Wurden Großkunden akquiriert, deren Umsätze nach Beendigung des Vertrages weiterlaufen, schnellt dieser Durchschnitt schnell in die Höhe. Dieses Risiko der Nachzahlung ist die größte finanzielle Belastung, die aus einem falsch klassifizierten Kooperationsvertrag resultiert.
Identifizieren Sie sofort alle Großkunden der letzten zwölf Monate, um das finanzielle Risiko des Ausgleichsanspruchs realistisch zu beziffern und Rückstellungen zu bilden.
Wann habe ich als Handelsvertreter Anspruch auf einen Buchauszug nach § 87c HGB?
Als Handelsvertreter haben Sie gemäß § 87c Abs. 2 HGB Anspruch auf einen Buchauszug, um die Richtigkeit Ihrer Provisionsabrechnungen zu kontrollieren. Dieser Auskunftsanspruch ist jedoch streng begrenzt. Sie können Einsicht nur über Geschäfte verlangen, die tatsächlich in den Geschäftsbüchern Ihres direkten Vertragspartners verbucht sind. Die Regel dient ausschließlich der Überprüfung der eigenen Provisionsbasis.
Der Grund für diese Begrenzung liegt in der juristischen Eigenständigkeit der Unternehmen. Ein Anspruch auf Auskunft kann nur gegen den Unternehmer geltend gemacht werden, mit dem Sie den Handelsvertretervertrag geschlossen haben. Geschäfte, die von Dritten wie Schwester- oder Tochtergesellschaften abgewickelt werden, fallen nicht automatisch unter diese Pflicht, selbst wenn die Unternehmen wirtschaftlich eng verflochten erscheinen. Sie werden oft auf diese Formalität verwiesen, wenn Ihr Partner die genauen Zahlen zurückhält.
Möchten Sie Auskunft über die Bücher einer Drittfirma erhalten, müssen Sie eine juristisch belastbare wirtschaftliche Einheit zwischen Ihrem Vertragspartner und der Drittfirma beweisen. Die Hürde dafür ist extrem hoch. Geringe Anteilsverhältnisse oder informelle Absprachen, die keine klare Organisationsstruktur belegen, reichen hierfür nicht aus. Konzentrieren Sie sich daher primär auf die Direktgeschäfte Ihres Vertragspartners, wenn keine erweiternde vertragliche Regelung existiert.
Sichern Sie alle internen Dokumente oder E-Mails, die beweisen, dass Ihr Vertragspartner relevante Geschäfte bewusst über Dritte gelenkt hat, um Ihren Provisionsanspruch zu umgehen.
Wie erhalte ich Provisionsansprüche, wenn das Geschäft über eine Partner- oder Tochterfirma lief?
Provisionen für Geschäfte, die über eine Partner- oder Tochterfirma Ihres Vertragspartners abgewickelt werden, erhalten Sie nur unter sehr strengen Voraussetzungen. Sie benötigen entweder eine explizite vertragliche Regelung, eine sogenannte Konzernklausel, oder Sie müssen beweisen, dass die Abwicklung über die Drittfirma eine Provisionsumgehung durch Ihren Vertragspartner darstellt. Ohne diese Nachweise entfällt der Anspruch meistens, da die Drittfirma rechtlich eigenständig ist.
Das Handelsrecht betrachtet jede Tochtergesellschaft, wie eine GmbH, als unabhängiges Rechtssubjekt, selbst wenn sie eng in eine Konzernstruktur eingebunden ist. Ihre Provisionsansprüche sind daher primär auf die Geschäfte beschränkt, die Ihr direkter Vertragspartner selbst abgeschlossen und in dessen Geschäftsbüchern verzeichnet sind. Sie tragen die hohe Beweislast, darzulegen, dass Ihr Vertragspartner die Abwicklung bewusst über Dritte gelenkt hat, um die Zahlung einer Provision zu vermeiden.
Diese Beweisführung, dass eine juristisch belastbare „wirtschaftliche Einheit“ vorliegt, welche die Provisionspflicht auslöst, ist in der Praxis extrem schwierig. Nehmen wir an: Sie vermitteln den Z-Konzern als Großkunden, das Geschäft wird aber von der Schwesterfirma X GmbH ausgeführt. Gerichte verlangen mehr als bloße Verflechtungsindizien. Mündliche Absprachen oder vage E-Mails, in denen eine Provisionspflicht für Dritte angedeutet wird, sind zudem oft unwirksam, wenn der Hauptvertrag eine strenge Schriftformklausel enthält.
Fügen Sie neuen Verträgen immer eine detaillierte Konzernklausel hinzu, um Provisionspflichten für Geschäfte mit explizit benannten Tochter- oder Schwestergesellschaften klar zu definieren.
Wie gestalte ich Verträge mit einer Schriftformklausel, damit mündliche Zusagen unwirksam sind?
Um maximale Rechtssicherheit zu gewährleisten und informelle Zusagen auszuschließen, verwenden Sie die doppelte qualifizierte Schriftformklausel. Diese Klausel schützt den Vertrag nicht nur vor einfachen mündlichen Absprachen, sondern macht es den Vertragsparteien auch schwerer, die Klausel selbst unwirksam zu erklären. Sie zielt darauf ab, dass Vertragsänderungen ausschließlich in einem formalen Dokument erfolgen. Sie verhindern so, dass ein beiläufiges Telefonat oder eine vage E-Mail später als bindende Vertragsänderung ausgelegt wird.
Die doppelte Qualifikation besteht aus zwei Ebenen, die Sie unbedingt im Vertragstext verankern müssen. Zuerst legen Sie fest, dass alle Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages zwingend der Schriftform bedürfen. Entscheidend ist der zweite Schritt: Sie müssen ergänzen, dass auch die Aufhebung dieser Schriftformklausel selbst nur schriftlich erfolgen darf. Dadurch vermeiden Sie, dass eine mündliche Vereinbarung unbeabsichtigt die gesamte Formvorschrift aushebelt und spätere Zusagen trotz Formpflicht bindend werden.
Diese starke Klausel bietet jedoch keinen absoluten Schutz vor der gelebten Realität. Gerichte können die Klausel als konkludent (schlüssig) aufgehoben betrachten, wenn Sie über Jahre hinweg konsequent und bewusst gegen die Schriftformerfordernisse verstoßen haben. Nutzen Sie die Klausel daher als disziplinierendes Element in Ihrer internen Kommunikation. Vermeiden Sie jegliche verbindlich klingende, informelle Kommunikation, beispielsweise in E-Mails oder Telefonaten, die spätere Änderungen des Vertrages impliziert.
Prüfen Sie sofort Ihre Standardverträge und ergänzen Sie, falls die doppelte Qualifikation fehlt, den Wortlaut: „…auch die Aufhebung dieser Schriftformklausel bedarf der Schriftform.“
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Ausgleichsanspruch
Der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB ist eine finanzielle Entschädigung, die ein Handelsvertreter vom Unternehmer fordern kann, wenn das Vertragsverhältnis beendet wird. Das Gesetz will den Handelsvertreter dafür belohnen, dass er einen Kundenstamm aufgebaut hat, von dem der Unternehmer auch nach dem Ende der Zusammenarbeit profitiert. Diese Zahlung dient dem Ausgleich von ungleicher Wertschöpfung und verhindert, dass der Unternehmer unbillig bereichert wird.
Beispiel: Da die Vertriebspartnerin erfolgreich den Z-Konzern akquirierte, forderte sie neben den Provisionsansprüchen einen millionenschweren Ausgleichsanspruch für den geschaffenen Mehrwert und den aufgebauten Kundenstamm.
Buchauszug
Juristen nennen den Buchauszug ein wichtiges Kontrollinstrument des Handelsvertreters, mit dem er nach § 87c Abs. 2 HGB detaillierte Einsicht in die Geschäftsbücher des Unternehmers verlangen kann. Dieses Auskunftsrecht dient primär der Überprüfung der Provisionsabrechnungen und stellt sicher, dass der Handelsvertreter seinen Anspruch ohne vollständige Abhängigkeit vom Vertragspartner korrekt beziffern kann. Nur Geschäfte, die tatsächlich im Buch des direkten Vertragspartners verbucht wurden, müssen offengelegt werden.
Beispiel: Um ihre Provisionsansprüche beziffern zu können, verlangte die Vertriebspartnerin zunächst einen Buchauszug für alle provisionspflichtigen Geschäfte, die die Herstellerin in der Zeit der Zusammenarbeit getätigt hatte.
Doppelte qualifizierte Schriftformklausel
Eine doppelte qualifizierte Schriftformklausel ist eine strenge vertragliche Regelung, die festlegt, dass Vertragsänderungen zwingend schriftlich erfolgen müssen und auch die Aufhebung dieser Klausel selbst nur schriftlich möglich ist. Diese Klausel zielt darauf ab, maximale Rechtssicherheit zu schaffen, indem sie verhindert, dass unbedachte mündliche Absprachen oder E-Mails als bindende Vertragsänderungen ausgelegt werden. Das Risiko unbeabsichtigter Vertragsanpassungen soll damit aktiv minimiert werden.
Beispiel: Das Oberlandesgericht Frankfurt lehnte die Geltendmachung mündlicher Provisionszusagen ab, weil der Kooperationsvertrag der Parteien eine doppelte qualifizierte Schriftformklausel enthielt.
Ständige Betrauung
Die ständige Betrauung ist das entscheidende Kriterium nach § 84 Abs. 1 HGB, das eine Person als Handelsvertreter qualifiziert und eine vertragliche Pflicht zur dauerhaften Vermittlung von Geschäften beim Unternehmer begründet. Dieses Merkmal unterscheidet den Handelsvertreter klar vom einfachen Makler, der nur fallweise tätig wird, und löst die weitreichenden Schutzrechte des Handelsgesetzbuchs aus. Das Gesetz fokussiert auf die auf Wiederholung angelegte Tätigkeit und die enge Eingliederung in den Vertrieb.
Beispiel: Obwohl die Herstellerin argumentierte, der Vertrag sei befristet, sah das Gericht in der Pflicht der Vertriebspartnerin, den Vertrieb ständig anzukurbeln, eine klare ständige Betrauung, die für den Handelsvertreterstatus sprach.
Wirtschaftliche Einheit
Eine juristisch anerkannte wirtschaftliche Einheit liegt vor, wenn zwei oder mehr Unternehmen zwar rechtlich eigenständig sind, faktisch aber so eng miteinander verflochten sind, dass sie wie ein einziger Vertragspartner agieren. Die Behauptung einer wirtschaftlichen Einheit ist oft der Versuch, vertragliche Pflichten oder Provisionsansprüche auf Tochter- oder Schwestergesellschaften auszuweiten, wenn der direkte Vertragspartner die Geschäfte dorthin verlagert hat. Die Hürde für einen solchen Nachweis ist in der Praxis extrem hoch, um die Rechtsklarheit der einzelnen juristischen Personen zu wahren.
Beispiel: Das Gericht lehnte die Forderung nach Auskunft über das Geschäft der X GmbH ab, da die Vertriebspartnerin nicht beweisen konnte, dass zwischen der Herstellerin und der Drittfirma eine juristisch belastbare wirtschaftliche Einheit bestand.
Das vorliegende Urteil
OLG Frankfurt – Az.: 14 U 193/23 – Urteil vom 08.07.2025
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz





