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Hausanschluss durch Wasserversorgungsunternehmen – Steuern

BUNDESFINANZHOF

Az.: V R 61/03

Urteil vom 08.10.2008


Leitsätze:

Die Verbindung des Wasser-Verteilungsnetzes mit der Anlage des Grundstückseigentümers (sog. Legen eines Hausanschlusses) durch ein Wasserversorgungsunternehmen gegen gesondert berechnetes Entgelt fällt unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG und ist deshalb mit dem ermäßigten Steuersatz zu versteuern, wenn die Anschlussleistung an den späteren Wasserbezieher erbracht wird .


Tatbestand:

I.

Streitig ist, ob das Legen von Hausanschlüssen zur Versorgung mit Wasser durch ein Wasserversorgungsunternehmen eine Leistung ist, die mit dem Regelsteuersatz oder mit dem ermäßigten Steuersatz zu versteuern ist, wenn die Anschlussleistung an den späteren Wasserbezieher erbracht wird.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung. Mitglieder sind mehrere Städte und Kreise eines sächsischen Landkreises. Er beliefert Kunden mit Wasser.

Ferner legt der Kläger auf Verlangen von Grundstückseigentümern gegen Kostenerstattung Hausanschlüsse, d.h. er verbindet sein Wasser-Verteilernetz mit der jeweiligen Anlage des Grundstückseigentümers. Die Hausanschlüsse bleiben im Eigentum des Klägers.

Der Kläger ist der Auffassung, auf diese Umsätze –soweit sie an Grundstückseigentümer ausgeführt werden, die zugleich Empfänger der nachfolgenden Wasserlieferungen sind– sei (ebenfalls) der ermäßigte Steuersatz von 7 % anzuwenden, der für die Lieferung von Wasser gelte. Denn die Hausanschlüsse hätten ausschließlich den Zweck, die Wasserlieferung sicherzustellen.

Er meldete in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2000 vom 17. November 2000 neben Umsätzen zum Steuersatz von 7 v.H. in Höhe von … DM (netto) Umsätze zum Steuersatz von 16 v.H. in Höhe von … DM (netto) aus der Errichtung von Hausanschlüssen an.

Mit seinem gleichzeitig eingelegten Einspruch beantragte der Kläger, auf diese Umsätze (ebenfalls) den Steuersatz von 7 v.H. anzuwenden, der auch für die Lieferung von Wasser gelte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2001 mit der Begründung zurück, das Legen von Hausanschlüssen sei als selbständige Hauptleistung „Verschaffung der Möglichkeit zum Anschluss an das Wasserversorgungsnetz“ anzusehen und mit dem Regelsteuersatz zu versteuern.

Diese Auffassung wird –abweichend von der bisherigen Praxis (vgl. Tz. 92 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen –BMF– vom 27. Dezember 1983, BStBl I 1983, 567, 581) erstmals in dem BMF-Schreiben vom 4. Juli 2000 (BStBl I 2000, 1185) vertreten (vgl. auch Tz. 119 des BMF-Schreibens vom 5. August 2004, BStBl I 2004, 638, 676).

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es änderte die Umsatzsteuer-Voranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2000 vom 17. November 2000 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2001 dahingehend ab, dass die Umsatzsteuer um … DM herabgesetzt wurde. Das FG führte zur Begründung aus: Die von dem Kläger gegenüber den jeweiligen Endabnehmern erbrachten Leistungen, nämlich die Lieferung von Wasser und das Legen der Hausanschlüsse, stellten insgesamt die einheitliche Leistung „Lieferung von Wasser“ dar, für die sich nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) i.V.m. Nr. 34 der Anlage die Umsatzsteuer auf 7 v.H. ermäßige. Es liege eine einheitliche Leistung vor, da das Liefern von Wasser die Hauptleistung und das Legen des Hausanschlusses eine unselbständige Nebenleistung zu dieser Hauptleistung sei, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teile.

Das Urteil ist u.a. in „Entscheidungen der Finanzgerichte“ (EFG) 2004, 689 veröffentlicht.

Gegen dieses Urteil hat das FA Revision eingelegt.

Das BMF ist dem Revisionsverfahren auf Aufforderung des Senats (Beschluss vom 18. Januar 2005 V R 61/03, BFHE 206, 496, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2005, 315) beigetreten.

Durch Beschluss vom 3. November 2005 V R 61/03 (BFHE 212, 168, BStBl II 2006, 149) hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Fällt die Verbindung des Wasser-Verteilungsnetzes mit der Anlage des Grundstückseigentümers (sog. Hausanschluss) durch ein Wasserversorgungsunternehmen gegen gesondert berechnetes Entgelt unter den Begriff ‚Lieferung von Wasser‘ i.S. der Richtlinie 77/388/EWG (Anhang D Nr. 2 und Anhang H Kategorie 2)?“

Der EuGH hat mit Urteil vom 3. April 2008 Rs. C-442/05, Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Thorgau-Westelbien (UR 2008, 432, BFH/NV Beilage 2008, 212) geantwortet:

„1. Art. 4 Abs. 5 und Anhang D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass unter den Begriff ‚Lieferungen von Wasser‘ im Sinne dieses Anhangs das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Ausgangsverfahren in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht, so dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig wird, für diese Leistung als Steuerpflichtiger gilt.

2. Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 sind dahin auszulegen, dass unter den Begriff ‚Lieferungen von Wasser‘ das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Ausgangsverfahren in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht. Zudem können die Mitgliedstaaten konkrete und spezifische Aspekte der „Lieferungen von Wasser“ –wie das im Ausgangsverfahren fragliche Legen eines Hausanschlusses– mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegen, vorausgesetzt, sie beachten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der dem Gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt.“

FA und BMF sind der Meinung, das EuGH-Urteil stehe der von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung, dass das Legen von Wasserleitungen einschließlich Hauswasseranschlüssen mit dem vollen Steuersatz zu besteuern sei (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1185 und in BStBl I 2004, 638, 676), nicht entgegen. Denn nach dem EuGH-Urteil –das nicht auf das Vorliegen von Haupt- und Nebenleistung abstelle– stehe den Mitgliedstaaten, solange die Wettbewerbsneutralität gewahrt sei, ein Wahlrecht zu, lediglich einzelne „Aspekte der Lieferungen von Wasser“ ermäßigt zu besteuern. Diese selektive Anwendung sei in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) dadurch erfolgt, dass § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG nur Lieferungen von Wasser erfasse, nicht aber sonstige Leistungen, wie das Verschaffen der Anschlussmöglichkeit durch das Legen des (im Eigentum des Klägers verbleibenden) Hausanschlusses, auch wenn beide Umsätze unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ i.S. des Anhangs H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) fielen.

Das BMF führt ergänzend aus, selbst wenn die Hausanschlüsse –anders als im Streitfall– geliefert würden, unterlägen (auch) diese Umsätze nicht der Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG. Denn der Umfang der von dieser Steuerermäßigung erfassten Gegenstände werde –europarechtlich zulässig– durch den Verweis in Nr. 34 der Anlage zum UStG auf den Zolltarif abgegrenzt. Da Kapitel 22 des Zolltarifs ausschließlich Flüssigkeiten umfasse, wäre der körperliche Gegenstand „Hausanschluss“ in keinem Fall in die von Nr. 34 der Anlage zum UStG in Bezug genommene Unterposition 2201 9000 des Zolltarifs einzureihen; dies schließe eine Anwendung der Steuerermäßigung auf das Legen eines Hausanschlusses aus.

Dieses Ergebnis entspreche auch dem historischen Willen des Gesetzgebers. Das UStG 1967 habe lediglich eine Steuerermäßigung für Milch, Wasser und bestimmte Milchmischgetränke enthalten. Dies mache deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG nur reine Wasserlieferungen, nicht jedoch andere damit in Zusammenhang stehende Leistungen habe begünstigen wollen.

Der Kläger tritt dem Vorbringen von FA und BMF entgegen. Er meint, das EuGH-Urteil besage insbesondere, dass unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ das Legen eines Hausanschlusses falle und dies nur bedeuten könne, dass das Legen von Hausanschlüssen durch ein Wasser-Versorgungsunternehmen zwar umsatzsteuerpflichtig sei, aber dem ermäßigten Steuersatz unterliege.

Das FA hat während des Revisionsverfahrens den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2000 vom 13. Dezember 2006 und sodann den geänderten Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2000 vom 13. Juni 2007 erlassen.

Das FA beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage gegen den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2000 vom 13. Juni 2007 als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2000 vom 13. Juni 2007 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um … DM (= … EUR) niedriger festgesetzt wird.

Das BMF hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe:

II.

Die Revision des FA ist im Ergebnis unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Sie führt zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

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1.

Das FG hat in dem angefochtenen Urteil die als Steuerfestsetzung wirkende Umsatzsteuer-Voranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2000 vom 17. November 2000 (§ 168 der Abgabenordnung –AO–) in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2001 geändert.

a) An die Stelle dieser Steuerfestsetzung trat während des Revisionsverfahrens gemäß § 68 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO zunächst der Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2000 vom 13. Dezember 2006 und sodann der geänderte Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2000 vom 13. Juni 2007 (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 23. August 2007 V R 10/05, BFHE 217, 332, BFH/NV 2007, 2217).

Damit liegt dem FG-Urteil eine nicht mehr existierende Steuerfestsetzung zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand mehr haben kann (vgl. BFH-Urteile vom 28. August 2003 IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10; vom 10. November 2004 XI R 30/04, BFHE 208, 194, BStBl II 2005, 274; vom 6. Dezember 2007 V R 61/05, BFH/NV 2008, 907, BStBl II 2008, 695, unter II.1.).

b) Einer Zurückverweisung an das FG nach § 127 FGO bedarf es nicht.

Denn durch den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2000 vom 13. Dezember 2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13. Juni 2007 hat sich angesichts des vom Kläger der Höhe nach beibehaltenen Antrags der bisherige Streitstoff nicht verändert, wie die Beteiligten übereinstimmend mitgeteilt haben. Es geht nach wie vor ausschließlich um die Steuerermäßigung von Umsätzen des Klägers, bei denen der Empfänger der Hausanschlussleistung mit dem Empfänger der nachfolgenden Wasserlieferung identisch ist.

Der erkennende Senat entscheidet deshalb gemäß § 126 Abs. 2 FGO in der Sache selbst. Er weist die Revision des FA mit der Maßgabe als unbegründet zurück, dass unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids für 2007 vom 13. Juni 2007 die Umsatzsteuer 2000 entsprechend dem Antrag des Klägers um … DM (= … EUR) niedriger festgesetzt wird.

2.

Das FG ist (stillschweigend) davon ausgegangen, dass der Kläger –als juristische Person des öffentlichen Rechts (Zweckverband)– mit dem Legen der Hausanschlüsse als Unternehmer tätig geworden ist.

Das ist zutreffend und ergibt sich nach nationalem Recht aus § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes –KStG– (vgl. den Vorlagebeschluss des Senats in BFHE 212, 168, BStBl II 2006, 149, unter II.1. a) und gemeinschaftsrechtlich aus Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 i.V.m. Anhang D Nr. 2 der Richtlinie 77/388/EWG, wie der EuGH in dem in dieser Sache ergangenen Urteil entschieden hat (Leitsatz 1). Insoweit besteht unter den Beteiligten auch kein Streit.

3.

Das FG ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass auf die streitigen Hausanschlussleistungen des Klägers der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist.

a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in der im Streitjahr 2000 geltenden Fassung ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb der in der Anlage bezeichneten Gegenstände.

Nr. 34 der Anlage zum UStG (jetzt: Anlage 2 zum UStG) lautet:

„Wasser, ausgenommen

– Trinkwasser, einschließlich Quellwasser und Tafelwasser, das

– in zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Fertigpackungen

– in den Verkehr gebracht wird,

– Heilwasser und

– Wasserdampf (aus Unterposition 2201 9000)“.

§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG geht zurück auf § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1967 i.V.m. Nr. 29 der Anlage zum UStG 1967, wonach für Wasser generell der ermäßigte Steuersatz galt (vgl. dazu und zur Entwicklung der Steuerermäßigung: BFH-Urteil vom 24. August 2006 V R 17/04, BFHE 215, 307, BStBl II 2007, 146).

b) Die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG für die „Lieferungen von Wasser“ steht im Einklang mit Art. 12 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach „Lieferungen von Wasser“ mit einem ermäßigten Satz besteuert werden dürfen.

c) Der EuGH hat in dem im vorliegenden Verfahren ergangenen Urteil entschieden, dass Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen sind, dass unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Streitfall in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht (Leitsatz 2, Satz 1).

aa) Zur Begründung hat der EuGH in Rdnr. 40 seines Urteils ausgeführt, da der Hausanschluss, wie sich aus Rdnr. 34 des Urteils ergebe, für die Wasserversorgung der Allgemeinheit unentbehrlich sei, falle er unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ in Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG. In Rdnr. 34 des Urteils heißt es, es stehe fest, dass ohne den Hausanschluss dem Eigentümer oder Bewohner des Grundstücks kein Wasser bereitgestellt werden könnte; der Anschluss sei also für die Wasserbereitstellung unentbehrlich.

bb) Der EuGH verwendet somit zur Begründung seiner Entscheidung nicht Begriffe wie „Hauptleistung“ oder „unselbständige Nebenleistung“, sondern subsumiert das Legen des Hausanschlusses unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“. Davon gehen die Beteiligten des vorliegenden Rechtstreits zu Recht übereinstimmend aus (vgl. auch Wagner, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht –UVR– 2008, 189 f.).

cc) Da der nationale Gesetzgeber in § 12 Abs. 2 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG ebenfalls den Begriff „Lieferungen von Wasser“ verwendet und dieser Begriff gemeinschaftsrechtlich ausgelegt werden muss, fällt das Legen eines Hausanschlusses somit unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ im Sinne dieser Vorschrift, so dass auf diese Leistung der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist (zutreffend Tehler, EU-Umsatzsteuer-Berater 2008, 38).

Ob –was das BMF geltend macht– dieses Ergebnis dem historischen Willen des Gesetzgebers des UStG 1967 widerspricht, ist unerheblich. Im Übrigen wurde in der überkommenen Rechtspraxis in der Bundesrepublik bis zum BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1185 das Legen von Hausanschlüssen als Nebenleistung zur (steuerbegünstigten) Lieferung von Wasser angesehen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 206, 496, UR 2005, 315, unter II. 2. b und c; BMF-Schreiben in BStBl I 1983, 567, 581).

d) Allerdings hat der EuGH ferner entschieden, die Mitgliedstaaten könnten konkrete und spezifische Aspekte der „Lieferungen von Wasser“ –wie das im Streitfall fragliche Legen eines Hausanschlusses– mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegen, vorausgesetzt, sie beachteten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liege (Leitsatz 2, Satz 2). Diese Ausführungen rechtfertigen aber keine andere Entscheidung des vorliegenden Streitfalls.

aa) Nimmt man diese Aussage des EuGH wörtlich, kommt ihr im Streitfall (bereits) deshalb keine Bedeutung zu, weil das FA das Legen eines Hausanschlusses nicht im Sinne von Leitsatz 2 Satz 2 des EuGH-Urteils „mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegen“ will, sondern –in Übereinstimmung mit den BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1185 und in BStBl I 2004, 638, 676– mit dem Regelsteuersatz. Im vorliegenden Streitfall geht es mithin –gewissermaßen umgekehrt– darum, dass das Verlegen der Hausanschlüsse vom FA mit dem Regelsteuersatz besteuert worden ist, während die Wasserlieferungen mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern sind.

bb) Der Senat geht aber angesichts der vom EuGH für diese Aussage gegebenen Begründung (Rdnrn. 41 bis 43 des Urteils) übereinstimmend mit den Beteiligten davon aus, dass Leitsatz 2 Satz 2 des EuGH-Urteils –entgegen dessen Wortlaut– in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Mitgliedstaaten das Legen eines Hausanschlusses von der grundsätzlichen Steuerermäßigung für die „Lieferungen von Wasser“ (Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG, § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG) ausschließen dürfen.

Denn der EuGH hat u.a. ausgeführt, der Wortlaut von Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG zwinge nicht zu der Auslegung, dass der ermäßigte Satz nur dann angewendet werden könne, wenn er sich auf alle Aspekte der „Lieferungen von Wasser“ im Sinne des Anhangs H der Richtlinie beziehe, so dass eine selektive Anwendung des ermäßigten Satzes nicht ausgeschlossen sei, sofern sie keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nach sich ziehe (Rdnr. 41). In dem dort vom EuGH in Bezug genommenen Urteil vom 8. Mai 2003 Rs. C-384/01, Kommission/Frankreich (Slg. 2003, I-4395, BFH/NV Beilage 2003, 161) hatte der EuGH die Rechtmäßigkeit der Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf Anschlussgrundgebühren für Gas- und Elektrizitätslieferungen in Frankreich bejaht, während die Lieferungen selbst dem Normalsatz unterlagen (vgl. Rdnrn. 4, 5 dieses EuGH-Urteils).

cc) Ein solcher Ausschluss des Legens eines Hausanschlusses durch „die Mitgliedstaaten“ von der für Wasserlieferungen geltenden Steuerermäßigung (Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG, § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG) kann nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung erfolgen (zutreffend Tehler, EU-Umsatzsteuer-Berater 2008, 38, 39).

Die BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1185 und in BStBl I 2004, 638, 676 reichen insoweit nicht aus. Sie enthalten lediglich Verwaltungsanweisungen, durch die eine selektive Anwendung des Regelsteuersatzes nicht angeordnet werden kann (vgl. Tehler, EU-Umsatzsteuer-Berater 2008, 38, 39 unter Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 16. Januar 2003 Rs. C-315/00, Rudolf Maierhofer (Slg. 2003, I-563, UR 2003, 86). Der EuGH hat in diesem Urteil entschieden, in den Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) enthaltene Verwaltungsanweisungen hätten nur Weisungscharakter und stellten keine Gesetzesbestimmungen dar; sie könnten daher keine weitere Ausnahme i.S. von Art. 13 Teil B Buchst. b Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (Steuerfreiheit der Vermietung von Grundstücken) einführen (Rdnr. 23). Dementsprechend können die Verwaltungsanweisungen in den BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1185 und in BStBl I 2004, 638, 676 für das Legen von Hausanschlüssen keine Ausnahme von der grundsätzlich für die Lieferung von Wasser vorgesehene Steuerermäßigung (Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG, § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG) begründen.

dd) Eine derartige gesetzliche (Ausnahme-)Regelung kann –entgegen der Auffassung des BMF und des FG– nicht daraus hergeleitet werden, dass die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG nur „Lieferungen“ (sowie die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb) von Wasser begünstigt, nicht aber „sonstige Leistungen“, die der Kläger im Streitfall durch das Legen der Hausanschlüsse erbracht habe.

Denn der EuGH hat, wie dargelegt, entschieden, dass das Legen eines Hausanschlusses unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ fällt; er hat also eine (rein) begriffliche Zuordnung vorgenommen. Auf die Frage, ob es sich dabei um eine Lieferung eines Gegenstandes oder um eine sonstige Leistung (Dienstleistung) handelt, kommt es nach der Rechtsauffassung des EuGH nicht an.

ee) Entgegen der Auffassung des BMF kann ein gesetzlicher Ausschluss des Legens eines Hausanschlusses von der Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG auch nicht daraus hergeleitet werden, dass Nr. 34 der Anlage zum UStG auf die Unterposition 2201 9000 des Zolltarifs verweist, der in Kapitel 22 ausschließlich Flüssigkeiten umfasst.

Nach der Rechtsprechung des Senats richtet sich zwar die Reichweite einer Steuerermäßigung nach dem Zolltarif, wenn in der Anlage zum UStG auf den Zolltarif verwiesen wird (vgl. BFH-Urteile vom 28. Juni 2000 V R 63/99, BFH/NV 2001, 348; vom 9. Februar 2006 V R 49/04, BFHE 213, 88, BStBl II 2006, 694, jeweils m.w.N.).

Nr. 34 der Anlage zum UStG nimmt aber von der Steuerermäßigung für die „Lieferungen von Wasser“ –worunter, wie ausgeführt, auch das Verlegen von Hausanschlüssen fällt– lediglich bestimmte Arten von Wasser aus („ausgenommen“) und verweist hierzu auf die Unterposition 2201 9000 des Zolltarifs. Diese Ausnahmen (Trinkwasser in Fertigpackungen, Heilwasser und Wasserdampf) haben aber für den Streitfall keine Bedeutung.

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