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Hausdurchsuchung – vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen

Landgericht Hildesheim

Az: 21 Qs 1/06

Urteil vom 27.07.2006


Gründe:

I.
Das Amtsgericht hat ohne vorherige Anhörung der A. mit dem angefochtenen Beschluss gemäß §§ 103, 105 StPO die Durchsuchung der Büro- und Geschäftsräume der A. angeordnet und gemäß §§ 94 Abs. 2, 98 Abs. 1 StPO die Beschlagnahme angeordnet, und zwar von sämtlichen Unterlagen, Dateien oder Daten, aus denen sich für den Zeitraum 1999 bis 2004 Namen und Anschriften der 50 hinsichtlich des Produktes X umsatzstärksten Apotheken im Bundesgebiet ergeben. Ferner sollten Unterlagen, Dateien oder Daten, aus denen sich für den Zeitraum 1999 bis 2004 die Anzahl der von diesen 50 Apotheken jeweils eingekauften Produkte X nachvollziehen lässt, sichergestellt und beschlagnahmt werden.

In Vollziehung dieses Beschlusses erfolgte am 4.5.2006 eine Durchsuchung bei der A., in deren Rahmen zur Abwendung einer weitergehenden Durchsuchung unter dem Druck der Anordnung eine Datei in Kopie zur Verfügung gestellt, jedoch nicht freiwillig herausgegeben und somit beschlagnahmt wurde.

In der Folge ist die beschlagnahmte Datei bereits gesichtet worden. Ausdrucke der Datei befinden sich in den Ermittlungsakten (Bl. .. d.A.).

II.

Die Beschwerde der A. ist zulässig und begründet. Soweit sich die Beschwerde gegen die Anordnung der Durchsuchung richtet, ist sie zwar prozessual überholt, weil die Durchsuchung bereits am 4.5.2006 erfolgt und die beschlagnahmten Beweismittel bereits gesichtet sind. Es handelt sich jedoch bei der Durchsuchung um einen tiefgreifenden Eingriff in das Grundrecht der A. aus Art. 13 Abs. 1 GG. In solchen Fällen gibt das Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes der von der Maßnahme betroffenen Person das Recht, die Berechtigung auch eines nicht mehr fortwirkenden Eingriffs gerichtlich klären zu lassen (BVerfG NJW 1997, 3163 mwN.).

Auf die Beschwerde hin waren die Rechtswidrigkeit der angeordneten Durchsuchung festzustellen und die Beschlagnahmeanordnung aufzuheben, weil hierfür die Voraussetzungen zu keiner Zeit vorgelegen haben.

Die Anordnung einer Durchsuchung setzt wegen des Gewichts des Eingriffs Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen, voraus (BVerfG NStZ-RR 2005, 207). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Zwar wurde unter Bezugnahme auf einen Vermerk vom selben Tage durch Einleitungsvermerk vom 14.6.2005 (Bl. .. d.A.) ein Ermittlungsverfahren gegen namentlich noch unbekannte Fachärzte im Bundesgebiet wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer 2000 bis 2003 und Solidaritätszuschlag 2000 bis 2003 durch Abgabe inhaltlich unrichtiger Steuererklärungen eingeleitet, jedoch sind in dem in Bezug genommenen Vermerk (Bl. .. d.A.) keine sachlich zureichenden plausiblen Gründe, die eine Durchsuchung rechtfertigen könnten, genannt. Solche ergeben sich auch im Übrigen nicht aus den Ermittlungsakten.

Soweit es in dem Vermerk heißt,
Die bisherigen Ermittlungen haben somit bestätigt, dass eine Vielzahl von Ärzten das Präparat X von überregional liefernden Apotheken beziehen und die zumeist bar vereinnahmten Erlöse aus Verkauf und Verwendung des Präparats dann nicht (vollständig) versteuern.
stellt dies lediglich eine unzutreffende Schlussfolgerung, welche nicht von tatsächlichen Erkenntnissen gestützt ist, dar. Insgesamt handelt es sich um sechs Fälle, in welchen im Rahmen von Betriebsprüfungen bei Ärzten steuerliche Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Produkts X festgestellt worden sind. Drei dieser Verfahren sind steuerlich noch nicht abgeschlossen. Nach Aktenlage ist gegen keinen der davon betroffenen Ärzte ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet worden. Festgestellt wurde lediglich eine Differenz zwischen der Anzahl der erworbenen Produkte, dem vorhandenen Bestand und der Anzahl der abgerechneten Behandlungen. Anhaltspunkte dafür, dass, wie in dem Vermerk behauptet/vermutet, die Erlöse aus dem Verkauf und der Verwendung des Präparats zumeist bar vereinnahmt werden, sind den Akten nicht zu entnehmen.

Die Kammer verkennt bei dieser Sachlage nicht, dass es vermutlich weitere Ärzte im Bundesgebiet geben wird, welche sich in ähnlicher Weise nicht steuerlich korrekt verhalten haben. Es fehlt jedoch am Vorliegen von Tatsachen, welche konkrete Verdachtsgründe für näher bestimmbare Straftaten begründen könnten. Zur Begründung eines solchen Verdachts brauchen die Taten in ihren Einzelheiten nicht festzustehen. Sie müssen jedoch so individualisiert sein, dass sie von denkbaren ähnlichen oder gleichartigen Vorkommnissen zu unterscheiden sind (BGH wistra 1991, 272, 273). Auf der Grundlage von bloßen Vermutungen oder nur vagen Verdachtsgründen darf eine Durchsuchung nicht angeordnet werden. Dasselbe gilt zur Überzeugung der Kammer wegen des Gewichts des damit verbundenen Grundrechtseingriffs auch für die Anordnung von Beschlagnahmen.

Allein der Bezug der Produkte über überregional liefernde Apotheken ergibt noch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Einnahmen aus der Verwendung der Produkte der Besteuerung nicht unterworfen werden sollen. Erst das lediglich vermutete steuerunehrliche Verhalten weiterer namentlich nicht bekannter Ärzte führt letztlich zu der Annahme, hier könnten weitere Straftaten begangen worden sein.

Für diesen Bereich, in welchem sowohl Vermutungen als auch kriminalistische Erfahrung dafür sprechen, dass noch weitere Steuerstraftaten gleicher Art begangen worden sein könnten, die Stufe eines vagen Anfangsverdachts jedoch noch nicht überschritten ist, hat die Rechtsordnung der Steuerfahndung unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Aufgabe der Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle gem. § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO übertragen und die Befugnisse nach § 93 AO gewährt. Diesen Weg hat hier vorliegend die Steuerfahndung zunächst auch zutreffend gewählt. Erst als dieser Weg nach Einlegung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Hannover vom 11.11.2005 nicht mehr kurzfristig zum Ziel zu führen schien, ist hier ohne veränderte Verdachtslage und ohne Versuch, das Auskunftsersuchen mit Zwangsmitteln durchzusetzen, erstmals am 22.12.2005 (Vermerk Bl. .. d.A.) die Möglichkeit einer Durchsuchung erwogen und schließlich ohne neue Erkenntnisse nach vorheriger Erweiterung des Ermittlungsverfahrens um den Zeitraum 2004 der Erlass des angefochtenen Beschlusses beantragt worden.

Da nicht einmal ein konkreter Anfangsverdacht besteht, hätte seitens des Amtsgerichts weder ein Durchsuchungsbeschluss noch eine Beschlagnahmeanordnung erlassen werden dürfen.

Angemerkt sei hier noch, dass keinerlei Gefährdung des Zwecks der Anordnung i. S. d. § 33 Abs. 4 StPO ersichtlich ist, der das Absehen von der vorherigen Anhörung der von der Durchsuchung betroffenen A. hätte rechtfertigen können.

Darüber hinaus ist in dem angefochtenen Beschluss die Bezeichnung der zu beschlagnahmenden Beweismittel viel zu unbestimmt erfolgt, als dass schon im Vorfeld der Durchsuchung eine Beschlagnahmeanordnung hätte ergehen dürfen. Die Bezeichnung des zu beschlagnahmenden Gegenstands – darauf hat die Kammer schon vielfach hingewiesen – hat mit solcher Genauigkeit zu erfolgen, dass Zweifel über den Umfang der Maßnahme nicht aufkommen können (Meyer-Goßner, StPO, § 98 Rnr. 9 mwN).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 StPO.

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