Hessisches Landessozialgericht
Az.: L 7 AS 86/06 ER
Urteil vom 06.07.2006 (rechtskräftig)
Vorinstanz: Sozialgericht Frankfurt, Az.: S 58 AS 334/06 ER, Urteil vom 20.04.2006
Entscheidung:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. April 2006 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab dem 4. April 2006 bis zum 31. Juli 2006 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. bewilligt.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten zu 4/5 (vier Fünftel) zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB – Zweites Buch – (SGB II).
Der im Jahre 1972 geborene Antragsteller mietete zusammen mit der Frau B. O. C. O. (O.) am 21. Februar 2006 eine Zweizimmerwohnung in der A-Straße in A-Stadt. Diese Wohnung wird seit dem 1. März 2006 von beiden bewohnt. Zuvor wohnte der Antragsteller mit O. in der A-Straße in A-Stadt. Zu dieser Zeit bezog er von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Im Rahmen der Wohnungssuche wandten sich der Antragsteller und O. an das städtische Amt für Wohnungswesen, auf dessen Vermittlung das Mietverhältnis über die Wohnung in der A-Straße zu Stande kam. Nach Rücksprache der Antragsgegnerin mit dem Wohnungsamt hatte die Wohnung gemietet werden können, weil die Mitbewohnerin die Verlobte des Antragstellers sei. Tatsächlich hatten beide anlässlich der Wohnungsbewerbung unterschriftlich bestätigt, dass der Antragsteller Verlobter der O. sei. Der Antragsteller setzte seine Unterschrift neben das in dem Bewerbungsformular vorgedruckte Wort “ Ehepartner/in“, wobei der Wortbestandteil „Ehe“ durchgestrichen worden ist.
Mit Schreiben vom 16. März 2006 erklärte der Antragsteller, er wohne mit der O. in Wohngemeinschaft und nicht „wie ein Paar oder Lebensgemeinschaft“. Sie lebten in der Wohnung getrennt und seien auch nicht verlobt. Jeder trage seine eigenen Kosten und die Wohnkosten würden geteilt. O. erklärte unter dem 15. März 2006 ihrerseits, mit dem Antragsteller nur in einer Wohngemeinschaft zusammenzuleben; jeder trage die Kosten zu 50%. Sie sei mit dem Antragsteller nicht verlobt und stehe in keinem irgendwie gearteten Verhältnis zu ihm. Sie lebten von Bett und Tisch getrennt.
Durch Bescheid vom 23. März 2006 lehnte die Antragstellerin einen vom Antragsteller gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab. Der Antragsteller sei seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, weil er sich geweigert habe, das Einkommen seiner Lebenspartnerin O. anzugeben. Deshalb hätten seine Einkommensverhältnisse nicht geprüft werden können. Er habe daher keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Mit seinem Widerspruch machte der Antragsteller geltend, dass zwischen ihm und O. weder ein Verlobtenverhältnis noch eine Partnerschaft bestehe. Sie hätten lediglich gemeinsam eine Wohnung gemietet, um sich die Miete zu teilen. Dies sei auch schon in der Vergangenheit, nämlich seit ungefähr zwei Jahren, so gewesen und habe gut geklappt, so dass sie sich nun wieder zusammen eine Wohnung gesucht und gemeinsam gemietet hätten. Über den Widerspruch ist – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden.
Am 4. April 2006 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Diesen Antrag hat das SG durch Beschluss vom 20. April 2006 abgelehnt, weil der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht habe, dass er hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II sei. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft lebten, sei auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehöre als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II auch die Person, die mit ihm in eheähnlicher Gemeinschaft lebe. Davon sei vorliegend auszugehen. Dies ergebe sich daraus, dass der Antragsteller sich in der Vergangenheit selbst als „Verlobter“ bzw. als „Partner“ von O. bezeichnet habe. Die Angabe, seine Beziehung sei als reine Wohngemeinschaft, nicht jedoch als eheähnliche Lebensgemeinschaft anzusehen, erscheine vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft. Um die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers prüfen zu können, bedürfe es daher auch genauer Angaben über das Einkommen und das Vermögen von O. Da solche Angaben bisher nicht gemacht worden seien, lasse sich nicht feststellen, dass das Gesamteinkommen der zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Partner zur Bedarfsdeckung nicht ausreiche.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 25. April 2006 eingegangenen Beschwerde. Er und O. lebten nicht in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, vielmehr sei ihr Zusammenleben als Wohngemeinschaft zu werten. Der zuständige Sachbearbeiter vom Wohnungsamt der Stadt X. habe erklärt, dass die Registrierung der O. und des Antragstellers als Verlobte aus technischen Gründen erfolgt sei. Die Verschlüsselung im Programm des Wohnungsamtes würde nur eine Registrierung als Verheiratete beziehungsweise als Verlobte zulassen. Weitere Verschlüsselungsmerkmale wie etwa Freunde oder Wohngemeinschaft seien im Programm nicht vorgesehen. Aus diesem Grunde habe der Sachbearbeiter den Antragsteller und O. unter „verlobt“ registriert. Zu keinem Zeitpunkt habe eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bestanden. Die Wohnung werde von beiden gewohnt und sei aufgeteilt. Es handele sich um eine Zweizimmerwohnung, wobei der Antragsteller ein eigenes Schlafzimmer und O. gleichfalls ein eigenes Zimmer habe. Die Zimmer würden nur von den jeweiligen Inhabern ausschließlich benutzt. Die einzigen Räume, die sich die Bewohner teilten, seien die Küche, Flur und das Bad. Die Miet- und die Nebenkosten, Strom, Kabel und Kaution würden von beiden hälftig getragen. Dazu hat der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung der O. vom 20. April 2006 vorgelegt.
Durch Beschluss vom 24. April 2006 hat das SG der Beschwerde nicht abgeholfen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass der Vortrag des Antragstellers, beim Wohnungsamt würden auch Geschwister oder Freunde als (gemeinsam) Wohnungssuchende registriert, im Allgemeinen durchaus zutreffend sei. Dies ändere aber nichts daran, dass auf den konkret vom Antragsteller und O. ausgefüllten und unterschriebenen Antrag handschriftlich „Verlobter“ eingetragen worden sei. Dies spreche, gerade wenn ein derartiges Näheverhältnis für den beim Wohnungsamt zu stellenden Antrag gar nicht notwendig gewesen sei und daher für eine interessengeleitete Angabe kein Anlass bestanden habe, um so mehr für das tatsächliche Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Der Antragsteller beantragt (sinngemäß), die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. April 2006 im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihm ab März 2006 und für die Folgezeit Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass nicht glaubhaft gemacht sei, dass es sich um keine eheähnliche Gemeinschaft handele. Eine Wohnung für öffentlich geförderten Wohnraum werde nur vergeben, wenn bei nicht verheirateten Paaren erkennbar sei, dass es sich um eine Lebensgemeinschaft und nicht nur um eine reine Wohngemeinschaft handele. Aufgrund der vorherigen Informations- und Vergabehinweise zur Anmietung öffentlich geförderten Wohnraums sowie der geleisteten Unterschriften in den Antragsformularen sei davon auszugehen, dass die dem Wohnungsamt gemachten Angaben der Wahrheit entsprächen und vollständig seien. Wegen der Anmietung unter den genannten Bedingungen sowie der Tatsache, dass der Beschwerdeführer bereits länger als zwei Jahre mit seiner Partnerin in einer Wohnung zusammenlebe, lasse sich eine eheähnliche Gemeinschaft annehmen. Seine Behauptung, der Vermutungstatbestand einer Lebensgemeinschaft sei nicht erfüllt und die dem Wohnungsamt gemachten Angaben entsprächen nicht der Wahrheit und seien nur gemacht worden, um in den Genuss einer öffentlich geförderten Wohnung zu gelangen, reichten nicht aus, um die Vermutung zu widerlegen oder zu entkräften.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Verwaltungsakte und der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung sind zugunsten des Antragstellers erfüllt.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. etwa Beschluss vom 29. Juni 2005 – L 7 AS 1/05 ER – und Beschluss vom 6. Januar 2006 – L 7 AS 87/05 ER; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86 b, Rdnrn. 27 und 29 m. w. N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – info also 2005 S. 166).
Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 29. Juni 2005 – L 7 AS 1/05 ER; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., Rdnrn. 16 b, 16 c, 40; Berlit, info also 2005, 3, 8).
Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. etwa Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, a. a. O., Rdnr. 42, s. auch Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rdnr. 165 ff.). Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zutage getreten sind, vom Senat zu berücksichtigen (so die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. etwa Beschluss vom 6. Januar 2006 – L 7 AS 87/05 ER.
Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem Antrag des Antragstellers zu entsprechen. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind hinreichend glaubhaft gemacht. Im Fall des Antragstellers geht der Senat zum einen davon aus, dass die Erfolgsaussichten einer Klage im Hauptsacheverfahren offen sind. Ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung würde ihm zudem ein gegenwärtiger erheblicher Nachteil drohen, der nicht hinzunehmen ist.
Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Zu den zu gewährenden Leistungen gehören als Arbeitslosengeld II insbesondere die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus den zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II bestimmt, dass bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen sind. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört als Partner des erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen auch die Person, die mit ihm in eheähnlicher Gemeinschaft lebt (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II).
Vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist im Falle des Antragstellers auszugehen. Nach dem im Eilverfahren feststellbaren Sachverhalt ist sein Lebensunterhalt nicht durch anrechenbare Mittel Dritter gesichert. Insbesondere kann nicht vom Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft des Antragstellers mit O. ausgegangen werden.
Eine eheähnliche Gemeinschaft ist allein die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich – im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft – durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Paare füreinander begründen, also über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87, BVerfGE 87, 234, 264; BSG, Urteil vom 17. Oktober 2002 – B 7 AL 96/00 R – SozR 3-4100 § 119 Nr. 26; Landessozialgericht – LSG – Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. April 2005 – L 2 B 9/05 AS ER). Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung im vorbezeichneten Sinne, wobei an die Ernsthaftigkeit strenge Anforderungen zu stellen sind (Beschluss des erkennenden Senats vom 27. Juli 2005 – L 7 AS 18/05 ER im Anschluss an das Urteil des BSG vom 17. Oktober 2002 – B 7 AL 72/00 R – SozR 3-4300 § 144 Nr. 10), sind insbesondere deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität und eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft, daneben aber auch weitere Umstände, etwa die gemeinsame Versorgung von Angehörigen. Dagegen setzt die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht die Feststellung voraus, dass zwischen den Partnern geschlechtliche Beziehungen bestehen (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2002 – B 7 AL 96/00 R – a. a. O.).
Der Senat hat bereits geklärt, dass diese Begriffserläuterung nicht auf das Recht der Arbeitslosenversicherung beschränkt ist (Beschluss des erkennenden Senats vom 27. Juli 2005 – L 7 AS 18/05 ER). Im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG (Urteil vom 17. November 1992 a. a. O.) ist auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) unter Aufgabe seiner früheren abweichenden Rechtsprechung im Wesentlichen von vorgenannten Grundsätzen ausgegangen (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 – 5 C 16/93 – BVerwGE 98, 195, 198 f.). Insoweit besteht in der Rechtsprechung insbesondere Übereinstimmung, dass das Zusammenleben unter einer Meldeanschrift noch kein Indiz für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft – vor allem in den Notfällen des Lebens – darstellt.
Vom Vorliegen einer derartig charakterisierten Gemeinschaft, in der ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens von beiden Personen erwartet werden kann, kann derzeit jedenfalls nicht ausgegangen werden. Nach dem im Falle des Antragstellers ermittelten Sachverhalt gibt es zwar Indizien, die für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft sprechen. Das gilt für die vom Antragsteller selbst gewählte Bezeichnung als „Verlobter“ bzw. „Partner“ der O. Darauf haben das SG und die Antragsgegnerin zu Recht hingewiesen. Hieraus kann entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin aber nicht auf einen – vom Antragsteller nicht widerlegten – Vermutungstatbestand geschlossen werden, wonach vorliegend von einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen sei. Für deren Annnahme sind jedenfalls weitere Indizien erforderlich, zumal der subjektiven Einschätzung der gegenseitigen Bezeichnung seitens des Antragstellers nur beschränktes Gewicht beigemessen werden kann. Aus dieser Einschätzung folgt nicht grundsätzlich das tatsächliche Vorhandensein einer Einstandsgemeinschaft im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.
Die Antragsgegnerin und das SG haben jedoch erhebliche Umstände unberücksichtigt gelassen. Es ist nämlich noch nicht einmal festgestellt, dass zwischen dem Antragsteller und O. eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft besteht, die Grundvoraussetzung einer eheähnlichen Gemeinschaft ist (vgl. Winkler, info also 2005 S. 251, 252). Der Antragsteller hat nämlich von vornherein vorgetragen und durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der O. glaubhaft gemacht, dass jeder der Bewohner der Wohnung über ein eigenes Zimmer verfügt, dass nur ihm zur Verfügung steht. Die einzigen Räume, die sich die Bewohner teilen, sind Küche, Flur und Bad. Damit aber liegt eine Wohnsituation vor, wie sie nicht für eheähnliche Gemeinschaften, sondern für Wohngemeinschaften kennzeichnend ist, für die das BVerfG explizit dahin erkannt hat, dass sie weder zu einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b SGB II noch zu einer „Haushaltsgemeinschaft“ nach § 9 Abs. 5 SGB II gehört (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. September 2004 – 1 BvR 1962/04 – info also 2004 S. 260). Bei summarischer Beurteilung geht der Senat daher allenfalls vom Bestehen einer Wohn- und Zweckgemeinschaft, nicht aber von einer eheähnlichen Gemeinschaft aus.
Der Senat verkennt nicht, dass die Feststellung einer eheähnlichen Gemeinschaft die Antragsgegnerin vor erhebliche Probleme stellt. Sie haben im Übrigen – wenn auch in anderem Zusammenhang – nach Presseberichten dazu geführt, dass die Bundestagsverwaltung auf eine Prüfung, ob ein Abgeordneter in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt, verzichtet und nur noch Partner einer eingetragenen Lebensgemeinschaft berücksichtigt (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 10./11. September 2005). Ein entsprechendes Verhalten kann zwar vor dem gesetzlichen Hintergrund des SGB II dem Antragsgegner nicht angesonnen werden. Die bezeichneten Probleme sind indes im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in Kauf zu nehmen. Denn die leichtfertige Annahme des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft beinhaltet die doppelte Gefahr, dass einem Antragsteller Unterstützungsleistungen von seinem „Partner“ mangels „innerer Bindungen“ versagt bleiben, der tatsächlich hilfsbedürftige Antragsteller darüber hinaus ohne existenzsichernde Leistungen bleibt, die für ihn ein menschenwürdiges Leben sichern sollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 a.a.O.).
Der Senat hat auch einen Anordnungsgrund bejaht. Die Folgenabwägung im Rahmen dieser Voraussetzung fällt vorliegend zu Gunsten des Antragstellers aus. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, mithin der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – a.a.O. – unter Hinweis auf BVerfGE 82, 60, 80). Ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung bliebe das Existenzminimum des Antragstellers noch für Monate nicht gedeckt. Dabei handelt es sich um eine erhebliche Beeinträchtigung, die auch nachträglich bei einem erfolgreichen Abschluss des Widerspruchs- oder Klageverfahrens nicht mehr bzw. nur mit längerer Verzögerung ausgeglichen werden kann. Denn der elementare Lebensbedarf eines Menschen kann grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht. Insoweit wäre zu Lasten des Antragstellers eine „Vorwegnahme der Hauptsache“ eingetreten. Der zu befürchtenden Beeinträchtigung der Menschenwürde durch die Vorenthaltung von Leistungen zur Existenzsicherung steht lediglich die Möglichkeit ungerechtfertigter Geldzahlungen seitens des Antragsgegners gegenüber. Vor dem Hintergrund, dass dieser im Falle erfolgloser Rechtsbehelfe von dem Antragsteller grundsätzlich die Rückzahlung von Leistungen geltend machen kann, ist diese Möglichkeit im Rahmen der Folgenabwägung indes von geringem Gewicht und in Kauf zu nehmen.
Die Leistungspflicht der Antragsgegnerin war allerdings auf die Zeit ab 4. April 2006 zu beschränken. Einen Anordnungsgrund erkennt der Senat in Fällen der vorliegenden Art regelmäßig nicht für die Vergangenheit an, weil sich die aktuelle Notlage, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen vermag, erst im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht dokumentiert. Dies war vorliegend der 4. April 2006. Soweit der Antragsteller daher Leistungen bereits ab März 2006 geltend gemacht hat, konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben.
Im Rahmen seines ihm nach § 86b Abs. 2 SGG zustehenden Ermessens hat der Senat darüber hinaus die Leistungspflicht der Antragsgegnerin bis zum 31. Juli 2006 begrenzt. Dadurch wird zum einen die Antragsgegnerin in die Lage versetzt, die bislang fehlenden Ermittlungen zu den Wohn- und Lebensverhältnissen des Antragstellers nachzuholen; zum anderen berücksichtigt der Senat die mit Wirkung vom 1. August 2006 vorgesehene Änderung des § 7 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 Buchstabe b SGB II im Sinne einer Vermutungsregelung, mit der der Gesetzgeber eine Umkehr der Beweislast bezweckt hat, so dass eine abweichende Beurteilung nicht auszuschließen ist.
Dem Antragsteller war für das Beschwerdeverfahren gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seine Verfahrensbevollmächtigte nach § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsteller nicht in vollem Umfange obsiegt hat.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).