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Hausratsversicherung – Medikament als Arbeitsgerät

Oberlandesgericht Koblenz

Az: 10 U 270/06

Urteil vom 11.05.2007


Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2007 für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 26. Januar 2006 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.808,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 25.Juli 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Ansprüche aus einer Hausratversicherung geltend.

Die Klägerin ist Augenärztin. Ihren Beruf übt sie als angestellte Ärztin in einem … Krankenhaus aus. Sie hat bei der Beklagten eine Hausratversicherung abgeschlossen, für welche die Geltung der Versicherungsbedingungen VHB 84 vereinbart wurde.

Im Privathaus der Klägerin wurde am 28.12.2003 ein Einbruchdiebstahl verübt, bei welchem neben vielen anderen Sachen, deren Regulierung zwischen den Parteien nicht streitig ist, auch vier Einheiten des Medikaments Visudyne im Gesamtwert von 6.808,40 EUR entwendet wurden. Die Klägerin hatte diese Medikamente in einer Apotheke in E gekauft, selbst abgeholt und auch bezahlt. Sie legte dabei Rezepte von vier Patienten vor, die durch die Klägerin mit diesen Medikamenten später behandelt werden sollten. Die Klägerin nahm die in der Apotheke gekauften Medikamente mit in ihr Privathaus, um sie dort bis zur Mitnahme in die Klinik aufzubewahren.

Die Klägerin hat vorgetragen:

Die Beklagte sei verpflichtet, den Kaufpreis der Medikamente zu erstatten. Es habe sich dabei um den Hausrat Dritter gehandelt, der nach den Versicherungsbedingungen VHB 84 ebenfalls unter den Versicherungsschutz falle. Darüber hinaus müsse das Medikament als Arbeitsgerät der Klägerin betrachtet werden und unterfalle nach den Regelungen der VHB 84 auch deshalb dem Versicherungsschutz.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.808,40 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (25.7.2005) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, bei den entwendeten Medikamenten habe es sich nicht um versicherte Sachen gehandelt. Das Medikament habe von der Klägerin im Rahmen einer ärztlichen Behandlung bei den Patienten eingesetzt werden sollen. Derartige Gegenstände, die ausschließlich dem Beruf des Versicherungsnehmers dienten, seien kein Hausrat. Auch handele es sich bei den Medikamenten nicht um Arbeitsgerät.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Wegen der Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass bezüglich der entwendeten Medikamente Versicherungsschutz bestehe. Medikamente seien eindeutig dem Begriff des Hausrats zuzuordnen, da sie einem Haushalt, wenn auch nur vorübergehend, zu Einrichtung oder Gebrauch dienten. Hausrat sei auch versichert, soweit er fremdes Eigentum ist. Der Umstand, dass das hier in Rede stehende Medikament von der Klägerin an den Patienten außerhalb des Haushaltes im Rahmen einer ärztlichen Behandlung angewandt werde, nehme ihm nicht den Begriff des Haushaltsgegenstandes. Das Landgericht habe einen Eigentumserwerb der Medikamente durch die Patienten der Klägerin angenommen. Vorsorglich werde noch einmal vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass es zwischen der Apothekerin W und der Klägerin klar gewesen sei, dass diese die Medikamente für die Patienten erwerbe. Weiterhin gehe das Landgericht rechtsirrig davon aus, dass es sich bei den Medikamenten nicht gleichzeitig um Arbeitsgerät der Klägerin gehandelt habe, das ebenfalls unter den Versicherungsschutz gemäß § 1 Nr. 2 lit. d, Nr. 3 VHB 84 falle. Der Begriff Arbeitsgerät sei in der VHB 84 nicht definiert. Deshalb sei davon auszugehen, dass für die Auslegung dieses Begriffs die für die Versicherung von gewerblichen Sachen übliche Abgrenzung maßgeblich sei. Es seien deshalb alle Sachen umfasst, die in der Geschäftsversicherung zur technischen und kaufmännischen Betriebseinrichtung zählen. Der Begriff der Betriebseinrichtung sei weit auszulegen. Nicht darunter fielen Waren, die der Versicherungsnehmer herstelle oder mit denen er handele, Rohstoffe sowie Hilfs- und Betriebsstoffe, die im Zuge eines Herstellungsprozesses ver- oder bearbeitet würden. Um derartige Stoffe handele es sich bei den Medikamenten nicht. Es handele sich vielmehr um Arbeitsgerät, ohne welches die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit, nämlich die Behandlung des Auges, nicht ausführen könne. Dem Medikament komme bei der Behandlung eine ganz wesentliche und nicht etwa nur eine untergeordnete Bedeutung zu, so dass es nicht als Hilfs- oder Betriebsstoff angesehen werden könne.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 21.1.2006 verkündeten Urteils des Landgerichts Mainz Az: 4 O 180/05, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 6.808,40 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass das Landgericht mit zutreffender Begründung sowohl die Hausrateigenschaft der entwendeten Medikamente als auch deren Funktion als Arbeitsgerät verneint habe. Es könne jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht unterstellt werden, dass nicht die Klägerin, sondern deren Patienten Eigentümer der Medikamente geworden seien. Die Klägerin habe die Medikamente in der Apotheke abgeholt und mit eigenen Mitteln bezahlt. Auch dann, wenn die Patienten Eigentümer geworden seien, wären die Medikamente gleichwohl nicht deren Hausrat geworden. Die Hausrateigenschaft eines Gegenstandes setze nämlich voraus, dass dieser durch einen Willensakt einem bestimmten Haushalt zugeordnet werde. Dieser Willensakt hätte durch die jeweiligen Patienten vorgenommen werden müssen. Es werde bestritten, dass dies geschehen sei. Eine bloße Eignung als Hausrat ohne den notwendigen Widmungsakt genüge nicht. Das Landgericht habe auch völlig zu Recht die Eigenschaft als Arbeitsgerät verneint.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises der vier Einheiten des Medikaments Visudyne nach §§ 1, 49 VVG iVm § 1 Nr. 2 lit. d VHB 84, deren Geltung unstreitig zwischen den Parteien vereinbart war.

Gemäß § 1 Nr. 2 lit. d VHB sind in der Hausratversicherung auch versichert Arbeitsgeräte und Einrichtungsgegenstände, die dem Beruf oder dem Gewerbe des Versicherungsnehmers dienen. Der Senat teilt – abweichend vom Landgericht – die Auffassung der Klägerin, dass es sich bei den in Rede stehenden Medikamenten um „Arbeitsgeräte“ der Klägerin im Sinne der genannten Versicherungsbedingung handelt, so dass sie in ihrer Hausratversicherung mit erfasst waren und ihr die hierfür aufgewandten Kosten erstattet werden müssen.

Die Begriffe „Arbeitsgeräte und Einrichtungsgegenstände, die dem Beruf oder Gewerbe dienen“ sind in den Bedingungen der Hausratversicherung (VHB 84) nicht definiert. Daher ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, welche Gegenstände nach dem Sinn und Zweck des Einschlusses dieser Sachen in die Hausratversicherung davon erfasst sein sollen. Dabei darf nicht nur auf den Wortsinn des Begriffs „Geräte“ abgestellt und „Arbeitsgeräte“ definiert werden als Vorrichtungen, mit deren Hilfe eine bestimmte Einwirkung auf eine zu bearbeitende Sache, eine Untersuchung, ein Rechenvorgang oder dergleichen vollzogen wird. Der Begriff Arbeitsgeräte ist vielmehr weit auszulegen. Dabei ist zu beachten, dass die Einbeziehung dieser vom Versicherungsnehmer ausschließlich beruflich oder gewerblich genutzten Sachen in die Hausratversicherung eine Haftungserweiterung des Versicherers begründet und von der Überlegung getragen ist, dass Arbeitsgeräte und Einrichtungsgegenstände, die dem Beruf oder Gewerbe des Versicherungsnehmers oder sonstiger Haushaltsmitglieder dienen, in vielen Fällen ständig oder vorübergehend innerhalb der Wohnung aufbewahrt werden. Zudem wird hierdurch eine Deckungslücke geschlossen, die dadurch entsteht, wenn die genannten Sachen in der Wohnung aufbewahrt werden und eine Außenversicherung in der Geschäftsversicherung nicht besteht. Es wird weiterhin dem Umstand Rechnung getragen, dass es Personen gibt, die mit geringem sachlichem Aufwand ihren Beruf oder ihr Gewerbe innerhalb ihrer Wohnung betreiben und für welche der Abschluss einer gesonderten Geschäftsversicherung einen unangemessenen Aufwand verursachen würde (vg. Dietz, Hausratversicherung 84,2. Aufl. § 1 Rdn. 4.4).

Aus dieser Auslegung ergibt sich, dass der Begriff „Arbeitsgeräte“ alle Gegenstände umfasst, die der Versicherungsnehmer zu seiner Berufsausübung benötigt. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob von der Hausratsversicherung mit den „Arbeitsgeräten und Einrichtungsgegenständen“ grundsätzlich alle Sachen umfasst sind, die in der Geschäftsversicherung zur technischen und kaufmännischen Betriebseinrichtung zählen (so Dietz aaO. Rdn 4.4.2). Für einen Arzt gehören zu den „Arbeitsgeräten“ auf jeden Fall auch die Medikamente, die er mit sich führt, um sie bei seinen Patienten einzusetzen, und zwar auch dann, wenn er ein bestimmtes Medikament nur ausnahmsweise und vorübergehend bei sich aufbewahrt hat, um es dann bei einem bestimmten Patienten einzusetzen. Für den Arzt sind „Arbeitsgeräte“ im Sinne des § 1 Nr. 2 lit. d VHB 84 nicht nur technische Vorrichtungen, die im herkömmlichen Sprachgebrauch unter den Begriff „Geräte“ gefasst werden, sondern zumindest solche Medikamente, die er persönlich dem Patienten zu dessen Behandlung mittels Spritze oder Infusion verabreicht. Es wäre unter Beachtung der dargestellten Motive für die Einbeziehung beruflich genutzter Gegenstände in die Hausratversicherung sinnwidrig, wenn bei einem Arzt zwar der Arztkoffer sowie die Hilfsmittel Spritzen und Kanülen von der Hausratversicherung gedeckt würden, nicht aber die Medikamente, die dem Patienten zu seiner Behandlung mittels der Spritzen zugeführt werden und ohne die eine sinnvolle Behandlung (und damit Berufsausübung) im Einzelfall nicht erfolgen könnte.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, in wessen Eigentum die Medikamente standen, ob in dem der Klägerin, in dem ihrer Patienten oder noch in dem des abgebenden Apothekers, da Arbeitsgeräte im Sinne des § 1 Nr. 2 lit. d VHB 84 auch dann versichert sind, wenn sie nicht im Eigentum des Versicherungsnehmers stehen, sondern fremdes Eigentum sind (§ 1 Nr. 3 VHB 84).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird wegen der nachfolgenden Rechtsfrage zugelassen: Die Auslegung des Begriffs „Arbeitsgeräte“ in § 1 Nr. 2 lit. d VHB 84 hat über den Streit der Parteien hinausgehend für eine Vielzahl von Fällen Bedeutung. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist hierzu – soweit ersichtlich – noch nicht ergangen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 6.808,40 EUR festgesetzt.

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