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Haustürgeschäft – Verwirkung des Widerrufsrechts bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung

OLG München – Az.: 5 U 4557/11 – Urteil vom 27.03.2012

I. Die Berufung der Kläger gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 06.10.2011 wird zurückgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird, auch für die erste Instanz unter Abänderung der landgerichtlichen Festsetzung vom 01.12.2011, auf 29.176,98 Euro festgesetzt.

Tatbestand

I.

Haustürgeschäft - Verwirkung des Widerrufsrechts bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung
Symbolfoto: Von EdBockStock/Shutterstock.com

Die Kläger begehren die Rückabwicklung nach Widerruf eines mit der Beklagten (einer Sparkasse) zum Zweck der Finanzierung eines Beitritts zum geschlossenen Immobilienfonds „Atlas-Immo-GbR 10“ abgeschlossenen Darlehensvertrags, der auf Beklagtenseite am 15.12.1997, seitens der Kläger danach unterzeichnet wurde. Die Kläger machen hierzu geltend, der Darlehensvertrag sei in einer Haustürsituation abgeschlossenen worden, die hierzu erteilte Widerrufsbelehrung sei nicht ordnungsgemäß, weshalb die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen habe; Darlehensvertrag und Fondsbeitritt seien außerdem verbundene Geschäfte. Die Kläger begehren daher die Rückzahlung bereits erbrachter Leistungen Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus der treuhänderisch gehaltenen Beteiligung sowie die Feststellung, dass die Klageseite aus dem Darlehensvertrag keine Verpflichtungen gegenüber der Beklagten mehr habe und dass sich die Beklagte mit der Annahme der Zug um Zug angebotenen Abtretung im Verzug befinde. Auf die tatsächlichen Feststellungen in der landgerichtlichen Entscheidung wird Bezug genommen gemäß § 540 Abs. 1 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz verfolgen die Kläger ihren erstinstanzlichen Klageanspruch unter Klageerhöhung (wegen zwischenzeitlich erbrachter weiterer Zahlungen) weiter. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen A. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.03.2012 verwiesen.

Im Übrigen wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze sowie auf das genannte Protokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet.

1.

Zu Recht wendet die Berufung sich freilich gegen die rechtliche Wertung des Landgerichtes, an der Ausübung des Widerrufsrechtes seien die Kläger gemäß § 242 BGB gehindert. Dies ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar.

a) Zunächst ist die Verwirkung entgegen der Auffassung des Landgericht kein neben dem Verbot der unzulässigen Rechtsausübung in der Form widersprüchlichen Verhaltens stehender Anwendungsfall des § 242 BGB, sondern ihrerseits eine Fallgruppe des widersprüchlichen Verhaltens (Looschelders/Olzen in: Staudinger, BGB, 2009, § 242 Rn. 302).

b) Für die Verwirkung ist, wie auch das Landgericht nicht verkennt, zudem erforderlich, dass der Verpflichtete sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das streitgegenständliche Recht nicht mehr geltend machen werde.

Ein derartiger Vertrauenstatbestand ist bei der Beklagten nicht entstanden.

aa) Dies scheidet nämlich regelmäßig und auch hier aus, wenn der Schuldner (hier: die Bank) davon ausgehen muss, dass der Berechtigte von dem ihm zustehenden Anspruch nichts weiß (BGH, Urteil vom 15.09.1999 – I ZR 57/97, NJW 2000, 140, juris Rn. 24).

bb) So liegt die Sache hier. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die Beklagte den Klägern eine „Widerrufsbelehrung für finanzierte Geschäfte“ (Anlage K12) erteilt hat, in der davon die Rede ist, dass der Kunde seine auf den Abschluss des Kreditvertrages „gerichtete Willenserklärung innerhalb einer Woche uns gegenüber schriftlich widerrufen“ kann. Nachdem unstreitig die als möglicher Fristbeginn in der Belehrung genannten Umstände sich im Dezember 1997 bis spätestens Februar 1998 zugetragen haben, mussten die Kläger bei verständiger Lektüre dieser Belehrung spätestens ab Frühjahr 1998 davon ausgehen, dass ihnen ein Widerrufsrecht nicht mehr zustehe. Woraus die Kläger Gegenteiliges hätten folgern sollen, ist nicht ersichtlich. Völlig unbehelflich ist der Hinweis des Landgerichts auf die insoweit erfolgten Veröffentlichungen der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung in juristischen Fachzeitschriften (NJW, WM, BB oder EuZW). Dass derartige Zeitschriften zur üblichen Lektüre von Nicht-Juristen gehören, ist in keiner Weise ersichtlich und auch von der Beklagten nicht geltend gemacht worden.

cc) Es spricht daher nichts dafür, dass die Kläger gewusst haben oder hätten wissen müssen,

– dass die ihnen erteilte Widerrufsbelehrung fehlerhaft war (s. dazu unten Ziff. 3 lit. b), was die Beklagte übrigens bis heute bestreitet (Bl. 12 f und 90 d.A.), und

– dass Rechtsfolge der Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung ist, dass die in der Belehrung angegebene Frist entgegen dem Wortlaut der Belehrung nicht zu laufen begonnen hat.

c) Unbehelflich sind desweiteren die mannigfachen Hinweise des Landgerichts darauf, dass die Kläger sich in der Folgezeit vertragstreu verhalten haben. Dies hat seine Ursache schlicht darin, dass die Kläger sich – nachvollziehbarerweise – an den Vertrag gebunden glaubten und deshalb die von ihnen vertraglich geschuldeten Leistungen erbracht haben.

d) Dass die Kläger aus dem Beteiligungsmodell Steuervorteile erlangt haben, liegt in der Natur der Sache, lässt aber keinerlei Schluss darauf zu, ob die Kläger die Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung und die hieraus erwachsenden Folgen für die Widerrufsfrist gekannt haben.

e) Fehl geht auch in inhaltlicher Hinsicht der Hinweis des Landgerichtes auf die Prolongationsvereinbarung vom November 2007. Richtig ist freilich, dass die Beklagte – vertragsgemäß zum Ende der ursprünglichen Zinsbindungsfrist – den Klägern durch Zusendung des Schreibens vom 13.11.2007 (Anlage B4) die Möglichkeit eröffnet hat, zwischen zwei verschiedenen Zinsmodellen zu wählen oder aber Verhandlungen mit der Beklagten über eine Neustrukturierung des Darlehens aufzunehmen. Richtig ist auch, dass die Kläger sich durch schlichtes Ankreuzen der zweiten der vorgedruckten Varianten für ein Modell entschieden haben. Woraus aber folgen soll, dass die Kläger zum damaligen Zeitpunkt wussten, dass ihnen – gewissermaßen als weitere Möglichkeit – ein Widerrufsrecht zusteht, ist unerfindlich.

2.

Klage und Berufung sind aber deshalb unbegründet, weil den Klägern ein Widerrufsrecht gemäß § 1 des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften in der vom 1.1.1997 bis 30.9.2000 gültigen Fassung (HWiG) nicht zusteht. Hierzu wäre nämlich erforderlich, dass die Kläger durch mündliche Verhandlungen im Bereich einer Privatwohnung zu einer Willenserklärung bestimmt wurden. Die Ursächlichkeit einer Haustürsituation für den Darlehensvertragsabschluss wie für den Fondsbeitritt ist aber nicht festzustellen. Die Beweislast hierfür trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Verbraucher (Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 312 Rn. 11). Der Beweis ist nicht geführt.

Als unzutreffend hat sich aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme, nämlich Vernehmung des glaubwürdigen Zeugen A, das zentrale Vorbringen der Klägerseite erwiesen, die Kontaktaufnahme der Beklagten habe am 04.12.1997 durch Besuch des Zeugen A in ihrer Privatwohnung begonnen. Vielmehr hat der Zeuge A angegeben, dass er schon „im Sommer“ dieses Jahres als Vertreter des „AWD“ eine Vermögensanalyse der Kläger durchgeführt hat. Im Verlaufe dessen ist es zu mehrfachen, nach Schätzung des Zeugen A vier bis fünf Treffen gekommen. Der Besuch am 04.12.1997 diente primär der Übergabe eines Berechnungsbeispiels (Anlage 2) für die Finanzierung des hier streitgegenständlichen Beteiligungserwerbs. Dem war indessen eine Vorfestlegung der Kläger vorangegangen, dass ernsthaft der streitgegenständliche Erwerb in Betracht komme. Hierauf bezogen hat der Zeuge A sodann von den Klägern die Selbstauskunft vom 08.12.1997 (Anlage B 2) eingeholt und gemeinsam mit seinem Vorgesetzten das Berechnungsbeispiel erläutert. Auch hierauf ist es indessen noch nicht zum Abschluss des verfahrensgegenständlichen Beteiligungserwerbs nebst Finanzierungsvertrag gekommen. Vielmehr hat der Zeuge A glaubwürdig dargestellt, dass noch vor der Zeichnung ein Termin in München stattgefunden hat, und zwar nicht in einer Privatwohnung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWiG, sondern in den Geschäftsräumen des AWD. Dies hat der Kläger persönlich zwar in Abrede gestellt und ausgeführt, zum damaligen Zeitpunkt seien die beiden Töchter der Kläger erst drei und fünf Jahre alt gewesen; zu solchen Terminen habe man sie nicht mitgenommen. Hiermit nimmt der Kläger Bezug auf die überzeugende Darstellung des Zeugen A, der glaubwürdig angegeben hat, er habe aufgrund einer vorherigen Anmeldung der Kläger gewusst, dass diese zu dem Termin in den Geschäftsräumen des AWD keine Betreuungsmöglichkeit für ihre damals kleinen Töchter gehabt hätten. Er, der Zeuge, sei selbst Vater von zwei damals kleinen Töchtern und habe deshalb schon im Vorfeld des Treffens Malblöcke und Buntstifte für die beiden Kinder besorgt, damit diese sich während des Beratungsgesprächs nicht langweilten. Desweiteren hat der Zeuge plausibel geschildert, wie sein Vorgesetzter bei diesem Termin in den Räumen des AWD für die Kläger an einer Flip-Chart Erläuterungen gegeben und Berechnungen durchgeführt hatte.

Zur Überzeugung des Senats steht hiernach fest, dass eine etwaige Haustürsituation jedenfalls durch den Aufenthalt in den Geschäftsräumen des AWD unterbrochen war, so dass eine Ursächlichkeit einer eventuell einmal gegebenen Haustürsituation zu diesem Zeitpunkt jedenfalls beendet war (Palandt a.a.O.  Rn. 13). Die Kläger sind also zu ihrer Zeichnung und zum nachfolgenden Abschluss des Finanzierungsvertrages nicht im Rahmen einer Haustürsituation im Sinne des Gesetzes „bestimmt worden“ (§ 1 Abs. 1 HWiG).

3.

a) Es kommt daher nicht darauf an, dass nach der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats feststeht, dass das Vorbringen der Beklagten unrichtig ist, es habe keine institutionelle Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und dem Fondsvertrieb gegeben. Das Gegenteil ist erwiesen aufgrund der Aussage des Zeugen A, wonach die Beklagte eine allgemeine Finanzierungszusage gegeben hatte, für die Anleger, hier also für die Kläger, eine Wahlmöglichkeit in diesem Sinne nicht eröffnet war, sondern von vornherein feststand, dass die Finanzierung durch die Beklagte erfolgen würde. Von einem Verbundgeschäft iSd § 9 Abs. 1 VerbrKrG wäre daher auszugehen.

b) Ebenso kommt es nicht darauf an, dass die Widerrufsbelehrung in der Tat gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 HWiG („Die Belehrung darf keine anderen Erklärungen enthalten“) fehlerhaft ist, weil sie hinsichtlich des Fristbeginns zusätzliche, von der eigentlichen Belehrung ablenkende (BGH, Urteile vom 04.07.2002 – I ZR 81/00, BGHReport 2002, 1016 unter II 2 und I ZR 55/00, NJW 2002, 3396, unter II 3) und nicht ausnahmsweise zulässige (BGH, Urteil vom 13.01.2009 – XI ZR 118/08, WM 2009, 350, Rn. 23 ff; Urteil vom 24.04.2007 – XI ZR 191/06, BHGZ 172, 157, Rn. 13 ff) Informationen beinhaltet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert errechnet sich aus der Summe des Nettobeteiligungsbetrages zuzüglich Agio.

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