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Herausgabe eines Snapchat-Accounts im Eilverfahren

AG Koblenz – Az.: 412 C 1260/18 – Urteil vom 21.08.2018

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird unter Aufhebung des Beschlusses vom 11.7.2018 zurückgewiesen.

2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Vollstreckung des Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Der Streitwert wird auf 2.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Gestritten wird um die Rückgabe eines „Snapchat“-Accounts.

Die Verfügungsklägerin unterhielt Accounts bei verschiedenen sozialen Medien, darunter auch bei Snapchat unter dem Pseudonym „…“. Auf diesem Account sind Bilder, darunter Bikini-Fotos, gespeichert.

Die Parteien waren miteinander befreundet, bis die Verfügungsklägerin dem Verfügungsbeklagten mitteilte, keinen über die Freundschaft hinausgehenden Kontakt zu wünschen. Am Montag, den 2.7.2018 tauschten sich die Parteien über Whatsapp aus; der Verfügungsbeklagte erklärte, er wolle mit der Verfügungsklägerin telefonieren. Diese lehnte ab und teilte mit, sie habe Übernachtungsbesuch. Nachfragen des Verfügungsbeklagten blockte die Verfügungsklägerin zwischen 21:39 Uhr und 21:49 Uhr ab, was der Verfügungsbeklagte schließlich um 21:52 Uhr mit den Worten „Ok habe verstanden“ quittierte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Chatverlauf Bl. 21 ff d.A. verwiesen.

Um 21:49 Uhr erhielt die Verfügungsklägerin von Snapchat die Nachricht, jemand aus dem Bereich Koblenz habe sich mit einem iPhone 5S in ihren Account eingeloggt. Der Verfügungsbeklagte besitzt ein solches Gerät. Um 21:56 Uhr erhielt sie die Mitteilung, jemand habe ihr Passwort geändert, um 21:57 Uhr, jemand habe die bei Snapchat hinterlegte Email-Adresse geändert. Zwischen 22:28 Uhr und 22:58 Uhr teilte ihr die Firma Instagram mit, dass der Benutzername ihres Kontos mehrfach geändert und eine Passwortänderung beantragt worden sei. Um 22:57 Uhr erhielt sie von Facebook die Nachricht, jemand habe dort die dauerhafte Löschung ihres Kontos beantragt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Kopien der diversen Nachrichten verwiesen (Bl. 9 ff d.A.).

Um 23:13 Uhr meldete sich die Verfügungsklägerin über Whatsapp bei dem Verfügungsbeklagten und forderte ihn auf, ans Telefon zu gehen, was der Verfügungsbeklagte umgehend mit „Was ist? Habe Besuch über nächt“ beantwortete. Die Verfügungsklägerin schickte dem Beklagten daraufhin die Nachrichten „Istn witz“, „Du warst das!“. Der Verfügungsbeklagte antwortete daraufhin mit den Worten „Ne“ und „…, bevor du noch blockierst: ich bin auch für deine Kündigung verantwortlich“, „Es tut mir leid“, „Ich konnte nicht anders“ und „Lebe wohl ich habe dich immer mehr als Freundschaft geliebt“; die Verfügungsklägerin konterte mit „Alter willst du mich verarschen“.

Die Verfügungsklägerin war in einem Betrieb angestellt, der einem Verwandten den Verfügungsbeklagten gehört, dort aber kurz vor den hier streitgegenständlichen Vorfällen innerhalb der Probezeit gekündigt worden.

Der Verfügungsklägerin ist es bis heute nicht gelungen, die Kontrolle über das Snapchat-Konto zurückzuerlangen.

Die Verfügungsklägerin hatte bei Snapchat eine Funktion aktiviert, die es ausgewählten Kontakten ermöglicht, sich den Standort des Geräts anzeigen zu lassen, von dem aus das letzte Einloggen stattgefunden hat.

Die Verfügungsklägerin behauptet, sie habe Freundin gebeten, sich den Standort des letzten Zugriffs anzeigen zu lassen. Dabei sei die Wohnadresse des Verfügungsbeklagten in … gezeigt worden. Sie behauptet, der Verfügungsbeklagte sei für die Änderung der Zugangsdaten zu dem Account verantwortlich. Sie habe die Sorge, dass der Verfügungsbeklagte die dort vorhandenen Fotos Dritten zur Verfügung stelle.

Das Gericht hat am 11.7.2018 im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet, dass der Verfügungsbeklagte an die Verfügungsklägerin deren Account bei dem Instant-Messaging-Dienst Snapchat zu dem ursprünglichen durch die Antragstellerin eingerichteten Benutzernamen „…“ durch Überlassung funktionsfähiger Zugangsdaten wieder herauszugeben hat. Dagegen hat der Verfügungsbeklagte Widerspruch eingelegt.

Die Verfügungsklägerin beantragt, die einstweilige Verfügung vom 11.7.2018 zu bestätigen.

Der Verfügungsbeklagte beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Er bestreitet, für die Änderung der Zugangsdaten verantwortlich zu sein. Er ist der Auffassung, ein Anordnungsgrund bestehe nicht.

Die Verfügungsklägerin hat durch Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen (Bl. 34 ff, 65 ff und 69 d.A.) die Glaubhaftmachung angetreten.

Im Übrigen wird zur Darstellung des Sach- und Streitstandes im Einzelnen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung ist zwar zulässig, jedoch unbegründet; die einstweilige Verfügung vom 11.7.2018 ist aufzuheben.

1. Denn es besteht kein Verfügungsgrund.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auf eine endgültige Befriedigung gerichtet, es handelt sich um eine Leistungs- oder Befriedigungsverfügung. An den Verfügungsgrund sind in diesem Fall hohe Anforderungen zu stellen; er besteht unter drei Voraussetzungen (vgl. z.B. OLG Celle, NJW 2015, 711; OLG Köln, NJW-RR 2012, 862):

  • Der Antragsteller bedarf dringend der sofortigen Erfüllung seines Anspruchs;
  • die geschuldete Handlung muss, soll sie nicht ihren Sinn verlieren, so kurzfristig zu erbringen sein, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht mehr möglich erscheint;
  • die dem Antragsteller aus der Nichtleistung drohenden Nachteile wiegen schwer und stehen außer Verhältnis zu dem Schaden, den der Antragsgegner erleiden kann.

Gemessen an diesen Maßstäben kommt hier – bei allem Verständnis des Gerichts für die Empörung der Verfügungsklägerin über den „Konto-Klau“ – der Erlass einer Leistungsverfügung im Wege des Eilrechtsschutzes nicht in Betracht:

Herausgabe eines Snapchat-Accounts im Eilverfahren
(Symbolfoto: Von dennizn/Shutterstock.com)

a) Die Verfügungsklägerin bedarf nicht dringend der sofortigen Erfüllung ihres Anspruchs, also des Zugangs zu ihrem Snapchat-Account. Gravierende Nachteile durch die Nicht-Nutzbarkeit dieses Kommunikationsmediums bestehen nicht.

Sie bedarf auch nicht dringend des sofortigen Zugangs zu dem Account, um dort existierende persönliche Fotos zu sichern und schwerwiegende Eingriffe in ihr Persönlichkeitsrecht zu verhindern:

Denn zum Ersten ist schon unklar, in welchem Umfang sich auf diesem Account überhaupt welche Art privater Informationen befinden. Der Vortrag der Verfügungsklägerin dazu ist unkonkret: Es sollen sich dort „diverse Fotos persönlicher Natur, auch Bikini-Bilder“ befinden. Der Umstand, dass sich diese Bilder bei Snapchat (einem „sozialen Medium“) befinden, deutet darauf hin, dass diese Fotos bereits anderen Personen zugänglich gemacht worden waren, den privatesten Bereich also verlassen haben.

Zum Zweiten ist eine unmittelbare Gefahr dafür, dass diese Fotos missbraucht werden, nicht zu sehen. Der Zugang zu dem Snapchat-Account liegt seit nunmehr fast zwei Monaten bei einem Dritten, ohne dass es Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Missbrauch bisher stattgefunden hat oder ein solcher geplant ist.

Und zum Dritten ist festzustellen, dass das Rechtsschutzziel nur bedingt geeignet ist, die von der Verfügungsklägerin befürchtete Veröffentlichung der Fotos zu verhindern. Denn der Täter hat ohnehin schon hinreichend Möglichkeit gehabt, entsprechende Kopien zu fertigen – eine Herausgabe des Accounts könnte das gar nicht rückgängig machen. Sogar nach Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung wäre dies (bis zur Vollstreckung und anschließenden Änderung der Zugangsdaten durch die Verfügungsklägerin) noch möglich.

b) Das Ziel des Verfahrens könnte auch noch in einem Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden, eine spätere Zugangsverschaffung zum Snapchat-Account wäre nicht vollkommen sinnlos.

c) Die der Verfügungsklägerin drohenden Nachteile stehen auch nicht außer Verhältnis zu dem Schaden, den der Verfügungsbeklagte erleiden kann.

Der Verfügungsklägerin droht die Veröffentlichung von mehr oder minder privaten Fotos. Dass sie dadurch schwer kompromittiert werden könnte oder dies einen Eingriff in den intimsten Bereich darstellen könnte, ist nach dem Vorbringen der Verfügungsklägerin nicht zu erkennen.

Die von der Verfügungsklägerin begehrte Handlung des Verfügungsbeklagten – die Herausgabe der Anmeldedaten zu ihrem Snapchat-Account – ist eine unvertretbare Handlung, die nach § 888 ZPO, also durch Anordnung von Zwangsgeld und Zwangshaft vollstreckt werden. Bei unvertretbaren Handlungen scheidet wegen dieser schwerwiegenden Eingriffe bei der Vollstreckung der Erlass einer Leistungsverfügung grundsätzlich aus (Musielak/Voit, ZPO, § 940 Rn. 20). Die Verpflichtung im Wege der einstweiligen Verfügung zur Auskunftserteilung – um eine solche handelt es sich hier der Sache nach – ist grundsätzlich nur möglich, wenn der Gläubiger aus existenziellen Gründen auf die Auskunft angewiesen ist, effektiver Rechtsschutz durch die Auskunftsklage nicht gewährleistet ist und die Entscheidung für den Hauptsacheprozess nicht vorgreiflich ist (Musielak/Voit a.a.O., Rn. 18). Eine existentielle Bedrohung der Verfügungsklägerin kann das Gericht hier nicht erkennen.

d) Für den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung spricht im Übrigen auch nicht der Umstand, dass etwa im Presserecht der Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung gegen eine unerlaubte Handlung (z. B. die Verletzung der persönlichen Ehre) anerkannt ist und das Interesse der Verfügungsklägerin dem Sinn nach in erster Linie darauf gerichtet ist, ein Tun des Verfügungsbeklagten zu verhindern. Vorliegend wird aber nicht ein (von den Voraussetzungen her unproblematischerer) Unterlassungsanspruch, sondern eine nur im absoluten Ausnahmefall zulässige Leistungsverfügung samt Vorwegnahme der Hauptsache geltend gemacht, die nicht einmal sicher geeignet ist, das befürchtete Verhalten zu verhindern.

2. Da schon kein Verfügungsgrund besteht, bedarf die Frage, ob ein Verfügungsanspruch gegenüber dem Verfügungsbeklagten besteht, keiner Entscheidung (auch wenn sehr starke Indizien dafür sprechen, dass der Verfügungsbeklagte für den „Konto-Klau“ verantwortlich ist).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

 

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