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Hinausschieben Eintritt in Ruhestand – dienstliches Interesse

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg – Az.: 4 S 1042/20 – Beschluss vom 27.04.2020

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 6. April 2020 – 3 K 4884/19 – wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 33.065,40 EUR festgesetzt.

Gründe

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dessen Antrag abgelehnt, im Wege der einstweiligen Anordnung den Eintritt in den Ruhestand hinauszuschieben. Die in der Beschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben zu einer Änderung der Entscheidung keinen Anlass.

1. Das Verwaltungsgericht ist entgegen der Auffassung des Antragstellers von den zutreffenden Maßstäben ausgegangen.

Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBG kann der Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze auf Antrag der Beamtinnen und Beamten auf Lebenszeit jeweils bis zu einem Jahr, jedoch nicht länger als bis zu dem Ablauf des Monats, in dem die Beamtin oder der Beamte das 70. Lebensjahr vollendet, hinaus geschoben werden, wenn dies im dienstlichen Interesse liegt. Nicht einschlägig ist im Falle des Antragstellers die Modifikation der Regelung durch Art. 62 § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Dienstrechtsreformgesetz – DRG). Danach ist § 39 LBG mit der Maßgabe anzuwenden, dass einem Antrag vor dem 01.01.1953 geborener Beamtinnen oder Beamten auf Hinausschiebung des Eintritts in den Ruhestand bis zu dem Ablauf des Monats, in dem das 68. Lebensjahr vollendet wird, stattzugeben ist, soweit dienstliche Interessen nicht entgegenstehen. Während diese Gruppe einen Regelanspruch auf Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand hat (vgl. die Senatsbeschlüsse vom 28.06.2018 – 4 S 1359/18 – und vom 31.03.2015 – 4 S 630/15 -), ist ein solcher Anspruch nach § 39 LBG (in nicht modifizierter Fassung) die begründungsbedürftige Ausnahme (vgl. teils zu § 53 BBG, teils zu den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften Nds. OVG, Beschluss vom 17.09.2019 – 5 ME 155/19 -, Juris Rn. 24; OVG Schl.-Hol., Beschluss vom 24.01.2018 – 2 MB 35/17 -, Juris Rn. 5, 16; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 17.07.2017 – 2 B 11273/17 -, Juris Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 12.09.2013 – 6 B 1065/13 -, Juris Rn. 22; VG Arnsberg, Beschluss vom 10.11.2015 – 2 L 1294/15 -, Juris Rn. 23).

Ebenfalls zurecht und keineswegs widersprüchlich, wie der Antragsteller meint, ist das Verwaltungsgericht im Anschluss an die Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass zwar der unbestimmte Rechtsbegriff des dienstlichen Interesses grundsätzlich der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt; ein Beurteilungsspielraum steht dem Dienstherrn insoweit nicht zu. Ihm kommt jedoch hinsichtlich der für die dienstlichen Interessen maßgeblich (vor)prägenden verwaltungspolitischen Entscheidungen über die zur effektiven Aufgabenerfüllung erforderliche Personalstärke und den Einsatz des vorhandenen Personals eine Entscheidungsprärogative und eine organisatorische Gestaltungsfreiheit zu mit der Folge, dass diese Entscheidungen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sind (vgl. Senatsbeschluss vom 31.03.2015 – 4 S 630/15 -, Juris Rn. 4 f. sowie aus der neueren Rechtsprechung OVG NRW, Beschluss vom 09.10.2019 – 1 B 1058/19 -, Juris Rn. 8 f., Nds. OVG, Beschluss vom 17.09.2019 – 5 ME 155/19 -, Juris Rn. 4 und OVG B.-B., Beschluss vom 24.07.2019 – OVG 4 S 26.19 -, Juris Rn. 10 f., jeweils m.w.N.).

Der Begriff des dienstlichen Interesses bezeichnet „das Interesse des Dienstherrn an einer sachgemäßen und reibungslosen Aufgabenerfüllung. Dazu gehören etwa die Aufrechterhaltung der Kontinuität in der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben, Schwierigkeiten bei der Wiederbesetzung von frei werdenden Stellen, das Interesse an einer bestimmten Altersstruktur sowie andere personalplanerische Belange“, wie Nr. 20.2 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Durchführung beamtenrechtlicher Vorschriften (BeamtVwV) vom 19.04.2016 (Az.: 1-0310.3/57, GABl. S. 281) zutreffend formuliert (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 17.09.2019 – 5 ME 155/19 -, Juris Rn. 5 und OVG NRW, Beschluss vom 09.10.2019 – 1 B 1058/19 -, Juris Rn. 10 ff.). Danach kann – wie dies auch Nr. 20.2 BeamtVwV weiter ausführt und worauf der Antragsteller maßgeblich seine Beschwerde stützt – ein dienstliches Interesse u.a. aus den konkret vom Beamten wahrgenommenen Aufgaben und den von ihm bearbeiteten Projekten folgen. Zu Unrecht geht der Antragsteller jedoch davon aus, dass es allein darauf ankomme und das Interesse des Dienstherrn an einer bestimmten Personalstruktur keine Bedeutung habe. Vielmehr hat der Europäische Gerichtshof die gesetzlich angeordnete zwangsweise Versetzung von Beamten auf Lebenszeit in den Ruhestand mit der Möglichkeit, einige Jahre weiterzuarbeiten, wenn es im dienstlichen Interesse liegt, mit der Richtlinie 2000/78/EG unter anderem unter der Voraussetzung für vereinbar erklärt, dass das Gesetz zum Ziel hat, eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen und die Personalplanung zu optimieren (EuGH, Urteil vom 21.07.2011, Rs. C-159/10, C-160/10 – <Fuchs und Köhler>, Juris Rn. 75). Subjektive Interessen des Beamten bestimmen den Begriff des dienstlichen Interesses hingegen nicht (mit) (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 17.09.2019 – 5 ME 155/19 -, Juris Rn. 31 und OVG B.-B., Beschluss vom 24.07.2019 – OVG 4 S 26.19 -, Juris Rn. 14, 16, die daraus folgern, dass ein Beamter nur in seltenen Fällen ein dienstliches Interesse am Hinausschieben seines Ruhestandes wird darlegen können, wenn der Dienstherr ein dienstliches Interesse an der Weiterbeschäftigung in Abrede stellt).

Der Senat hat bislang nicht entschieden, ob § 39 LBG – in seiner nicht durch Art. 62 § 3 DRG modifizierten Grundform – dem Beamten ein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung einräumt (vgl. eingehend Hug, in: Brinktrine/Hug, BeckOK Beamtenrecht Baden-Württemberg, Stand: 01.03.2020, § 39 LBG Rn. 74 ff.). Andere Oberverwaltungsgerichte bejahen dies für entsprechende Vorschriften teils ausdrücklich, teils vorsichtig (vgl. OVG B.-B., Beschluss vom 24.07.2019 – OVG 4 S 26.19 -, Juris Rn. 14; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 17.07.2017 – 2 B 11273/17 -, Juris Rn. 10; OVG LSA, Beschluss vom 26.02.2015 – 1 M 42/15 -, Juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 28.03.2014 – 6 B 215/14 -, Juris Rn. 8). Auch nach Auffassung des Senats dürfte ein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu bejahen sein. Neben dem Antragsrecht selbst spricht dafür auch die Frist des § 39 Satz 3 LBG, wonach der Antrag spätestens sechs Monate vor dem Erreichen der Altersgrenze zu stellen ist. Die Frist, nach deren Ablauf eine wirksame Antragstellung nicht mehr möglich sein soll, soll gewährleisten, dass sich die Personalverwaltung und -planung daran verbindlich ausrichten können (LT-Drs. 14/6694, S. 419). Ein Bedürfnis für eine solche die Belange des Dienstherrn sichernde Frist ist jedoch nur schwerlich erkennbar, wenn die Norm dem Beamten noch nicht einmal ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung einräumte. Einer endgültigen Entscheidung bedarf die Frage jedoch nicht, weil Voraussetzung für eine Ermessensentscheidung ist, dass die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, dass insbesondere das Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand im dienstlichen Interesse liegt. Dies hat das Verwaltungsgericht verneint, ohne dass die Beschwerdebegründung dessen Würdigung durchgreifend in Zweifel zieht.

2. a) Unschädlich ist, dass der örtliche Personalrat nicht zugestimmt hat, weil die Dienststelle das Stufenverfahren eingeleitet und der Bezirkspersonalrat zugestimmt hat (§ 75 Abs. 3 Nr. 14 LPVG, § 77 LVPG).

b) Der Antragsteller schildert eingehend die Bedeutung des Verfahrens B., aber auch der weiteren Verfahren H. und R. und welche Ermittlungstätigkeiten noch vorgenommen werden müssen (etwa S. 12 ff. der Beschwerdebegründung). Dies erklärt jedoch nicht, warum die vom Verwaltungsgericht in eingehender Auseinandersetzung mit diesen Verfahren vorgenommene Einschätzung fehlerhaft sein soll, dass sich ein Interesse an einer Weiterbeschäftigung nicht positiv feststellen lasse. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass das – erst im Dezember 2019 eingeleitete – Verfahren H. Ende März an einen Kollegen übergeben worden sei (auf die Frage, ob der Antragsteller, wie er auf S. 19 f. der Beschwerdebegründung ausführt, mit den Ermittlungen betraut war oder nicht, kam es der Kammer nicht an) und der erstellte Zwischenbericht im Verfahren B. eine Fortsetzung der Ermittlungen durch einen anderen Fahnder eher erleichtern dürfte. Dem tritt der Antragsteller nicht überzeugend entgegen. Im Gegenteil legt seine Darlegung der nächsten Schritte – Erforderlichkeit von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen, die enorme Erkenntnisgewinne erwarten ließen, und bislang zurückgestellte Ermittlungen zu möglichen „Schwarzarbeitern“ (S. 13 ff. der Beschwerdebegründung) – nahe, dass entscheidende Schritte im Verfahren B. bevorstehen, die die (auch ohne Ruhestandseintritt grundsätzlich zulässige) Entscheidung des Antragsgegners, eine Zäsur in der Bearbeitung herbeizuführen, ohne Weiteres nachvollziehbar machen. Dass eine Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft über eine Erhebung einer Nachtragsanklage noch aussteht (S. 19 der Beschwerdebegründung), entkräftet nicht die Wertung, dass aufgrund des Zwischenberichts die Bearbeitung des Verfahrens B. auch von Kollegen fortgeführt werden kann. Wenn der Antragsteller im Übrigen darauf hinweist, dass die zuständige Staatsanwältin erst seit zehn Monaten für das Verfahren zuständig sei, zeigt dies, dass ein Wechsel in der Bearbeitung möglich ist und im Übrigen auch möglich sein muss. Dass Wissen verloren gehen wird – der Antragsteller macht insoweit geltend, der einzige Mitarbeiter im Bereich der Steuerfahndung zu sein, der bereits über Fallwissen verfüge (S. 17 f. der Beschwerdebegründung) -, hat das Verwaltungsgericht zu Recht als typische Folge eines Eintritts in den Ruhestand angesehen. Würde daraus stets ein dienstliches Interesse an einer Weiterbeschäftigung folgen (müssen), ließe sich das mit der Normstruktur des § 39 LBG bezweckte Ziel, die Weiterbeschäftigung als Ausnahme auszugestalten, nicht erreichen.

c) Wieviel MAK erforderlich ist – wie hoch also der Personalbedarf bzw. der Soll-Personalbestand ist -, muss der Dienstherr in Ausübung seines Organisationsermessens bestimmen. Die Verwaltungsgerichte können lediglich überprüfen, ob die Berechnung des Ist-Personalbestandes plausibel ist und ob eine Differenz zum Bedarf besteht, die für ein dienstliches Interesse an der Weiterbeschäftigung eines Beamten spräche. Dies hat das Verwaltungsgericht auch insoweit akribisch und überzeugend getan. Daher kommt es nicht darauf an, ob die vorhandene MAK für die vom Antragsteller genannten Fälle (S. 17 der Beschwerdebegründung) ausreichend ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 GKG und entspricht der des Verwaltungsgerichts.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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