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Hundehalterhaftung bei Verletzung eines Paketboten

Die Beklagte wird zur Zahlung von insgesamt 4.098,12 € verurteilt, da sie nach § 833 Satz 1 BGB haftet, weil der Hund ihre Verletzung des Paketboten verursacht hat. Die spezifische Tiergefahr des Hundes führte zur Flucht des Paketboten, die zu Arbeitsunfähigkeit und Heilbehandlungskosten führte. Das vorliegende Warnschild am Gartentor schließt die Haftung der Beklagten nicht aus.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 35 O 129/23

✔ Kurz und knapp


  • Der Hundehalterin haftet nach § 833 BGB für die Verletzung des Paketboten durch ihren Hund.
  • Das Betreten des Grundstücks war für die Paketzustellung erforderlich und durch einen Ablagevertrag gedeckt.
  • Das aggressive Verhalten des frei laufenden Hundes löste eine berechtigte Fluchtreaktion beim Boten aus.
  • Bei der Flucht über das Gartentor verletzte sich der Bote am Fuß (Bänderriss).
  • Die Hundehalterin hat ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie den Hund nicht ausreichend kontrollierte.
  • Die gesetzliche Unfallversicherung kann Ersatz der Behandlungskosten und Entgeltfortzahlung von der Hundehalterin verlangen.
  • Haftungsprivilegien für Halter eines Tieres auf eingefriedetem Grundstück greifen hier nicht.
  • Die Aktivlegitimation der Unfallkasse wurde zutreffend bejaht.

Hundehalterhaftung: Wenn der Hund zum Risiko wird

Hundebiss Haftung
(Symbolfoto: Nigmatulina Aleksandra /Shutterstock.com)

Hundehaltung ist in Deutschland ein weit verbreitetes Phänomen. Mit Hunden als treuen vierbeinigen Begleitern erfreuen sich viele Menschen. Allerdings bringt die Verantwortung für einen Hund auch rechtliche Verpflichtungen mit sich. Hundehalter tragen eine besondere Fürsorgepflicht, um Gefahren von ihrem Umfeld fernzuhalten. Kommt es dennoch zu einem Vorfall, bei dem ein Dritter durch einen Hund verletzt wird, kann der Halter hierfür haftbar gemacht werden.

Ein solcher Fall tritt häufig bei Postauslieferungen auf Privatgrundstücken ein. Zusteller sind im Rahmen ihrer Tätigkeit gezwungen, Grundstücke zu betreten, um Pakete zuzustellen. Wenn sich hier unerwarteterweise ein aggressiver Hund zeigt, kann dies zu gefährlichen Situationen führen. Die rechtlichen Konsequenzen einer solchen Hundehalterhaftung werden im Folgenden anhand eines konkreten Gerichtsurteils näher beleuchtet.

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✔ Der Fall vor dem Landgericht Kempten


Hundehalterhaftung bei Verletzung eines Paketboten

Am 19. Januar 2021 kam es auf dem Anwesen der Beklagten in Kempten zu einem Unfall, bei dem ein Paketbote, der Zeuge …, verletzt wurde. Die Klägerin, die gesetzliche Unfallversicherung des Paketboten, machte im Wege der Prozessstandschaft Ansprüche wegen unfallbedingter Aufwendungen geltend. Der Zeuge … war als Verbundzusteller tätig und versichert. Am Unfalltag betrat er das Grundstück der Beklagten, um zwei Pakete zuzustellen. Das Betreten des Grundstücks war aufgrund eines bestehenden Ablagevertrages notwendig. Der Hund der Beklagten stürmte aus der offenen Haustür auf den Zeugen zu, was bei diesem eine Fluchtreaktion auslöste. Der Paketbote sprang über das Gartentor und verletzte sich dabei am Fuß. Aufgrund dieser Verletzungen war er vom 20. Januar bis 28. Februar 2021 arbeitsunfähig. Die Klägerin verlangte Ersatz der entstandenen Entgeltfortzahlungsleistungen in Höhe von 2.882,49 € und Heilbehandlungskosten in Höhe von 1.215,63 €.

Urteil des Landgerichts Kempten

Das Landgericht Kempten verurteilte die Beklagte zur Zahlung der geforderten Beträge. Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte nach § 833 Satz 1 BGB haftet, da die Verletzung des Zeugen durch den Hund der Beklagten verursacht wurde. Das Bellen und das aggressive Verhalten des Hundes stellten eine typische Tiergefahr dar, die eine Schreckreaktion des Zeugen auslösten. Das Gericht berücksichtigte die Aussagen des Zeugen und weiterer Zeugen, die den Unfallhergang bestätigten. Die Beklagte konnte zum Vorfall selbst keine Angaben machen. Ein Warnschild am Gartentor, das auf freilaufende Hunde hinwies, wurde als vorhanden anerkannt, spielte jedoch keine entscheidende Rolle für die Haftung der Beklagten. Das Gericht verwarf das Argument der Beklagten, der Zeuge hätte das Grundstück nicht betreten müssen, da der Ablagevertrag und die Zustellpflicht des Paketboten ein Betreten notwendig machten.

Abwägung der Haftungsfragen

Das Gericht entschied, dass die spezifische Tiergefahr des Hundes der Beklagten sich verwirklicht hatte und somit eine Gefährdungshaftung nach § 833 Satz 1 BGB vorliegt. Die Tatsache, dass der Hund frei herumlief und aggressiv bellte, führte zur Flucht des Paketboten. Das Gericht erkannte, dass der Zeuge … berechtigt war, das Grundstück zu betreten, um die Pakete zuzustellen, und dass keine Alternativen zur Zustellung vorlagen, die ein Betreten des Grundstücks hätten verhindern können. Auch das Vorhandensein eines Warnschildes konnte die Haftung der Beklagten nicht ausschließen, da das Gericht davon ausging, dass der Zeuge dieses Schild möglicherweise nicht wahrgenommen hatte.

Konsequenzen der Gerichtsentscheidung

Die Beklagte wurde zur Zahlung der geltend gemachten Beträge an die Klägerin verurteilt. Diese umfassen die Entgeltfortzahlungsleistungen in Höhe von 2.882,49 € sowie Heilbehandlungskosten in Höhe von 1.215,63 €, jeweils zuzüglich Zinsen. Die Beklagte trägt zudem 89 % der Kosten des Rechtsstreits, während die Klägerin 11 % der Kosten übernimmt. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Entscheidung unterstreicht die Verantwortung von Hundehaltern für die Gefahren, die von ihren Tieren ausgehen, und stellt klar, dass typische Tiergefahren eine Haftung auslösen können, selbst wenn Warnschilder vorhanden sind.

✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall


Die Entscheidung des Landgerichts Kempten unterstreicht die Verantwortung von Hundehaltern für die von ihren Tieren ausgehenden Gefahren. Selbst wenn Warnschilder vorhanden sind, können typische Tiergefahren wie aggressives Bellen eine Haftung nach § 833 Satz 1 BGB auslösen, wenn sich die Gefahr verwirklicht und zu Schäden führt. Berechtigte Personen wie Paketboten müssen Grundstücke betreten können, ohne durch freilaufende Hunde gefährdet zu werden.

✔ FAQ – Häufige Fragen: Hundehalterhaftung


Welche Haftungsgrundlage gilt für Hundehalter bei Verletzungen durch ihr Tier?

Die Haftungsgrundlage für Hundehalter bei Verletzungen durch ihr Tier ist in § 833 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Diese Vorschrift basiert auf dem Prinzip der Gefährdungshaftung, was bedeutet, dass der Halter eines Hundes grundsätzlich für alle Schäden haftet, die durch das Tier verursacht werden, unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden trifft oder nicht.

§ 833 BGB besagt, dass der Tierhalter verpflichtet ist, den entstandenen Schaden zu ersetzen, wenn durch ein Tier ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Diese Haftung gilt unabhängig davon, ob der Halter das Tier ordnungsgemäß beaufsichtigt hat oder nicht. Es reicht aus, dass der Schaden durch das Tier verursacht wurde.

Es gibt jedoch Ausnahmen von dieser Haftung. Die Ersatzpflicht entfällt, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wurde, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters dient, und der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre.

Ein weiteres Beispiel für eine Ausnahme ist, wenn ein Mitverschulden des Geschädigten vorliegt. Ein für die Verletzung mitursächliches Fehlverhalten des Geschädigten kann als Mitverschulden berücksichtigt werden und die Ansprüche mindern.

Praktische Anwendung: Wenn ein Paketbote von einem Hund gebissen wird, haftet der Hundehalter grundsätzlich für die Verletzungen des Paketboten. Diese Haftung besteht unabhängig davon, ob der Hundehalter den Hund ordnungsgemäß beaufsichtigt hat oder nicht. Der Hundehalter kann sich nur dann von der Haftung befreien, wenn er nachweisen kann, dass der Hund dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Halters dient und er die erforderliche Sorgfalt bei der Beaufsichtigung des Hundes beachtet hat.


Welche Rolle spielt das Recht des Paketboten, ein Grundstück zu betreten, für die Haftungsfrage?

Das Betretungsrecht eines Paketboten spielt eine entscheidende Rolle bei der Haftungsfrage des Hundehalters. Dieses Recht ergibt sich aus der beruflichen Tätigkeit des Paketboten und den damit verbundenen Zustellpflichten. Ein Paketbote muss oft das Grundstück betreten, um Pakete ordnungsgemäß zuzustellen, insbesondere wenn der Briefkasten oder die Ablagestelle sich in der Nähe des Hauses befindet und nicht von außen zugänglich ist.

Ein Paketbote hat das Recht, ein Grundstück zu betreten, um seiner Zustellpflicht nachzukommen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Empfänger des Pakets keine andere Möglichkeit zur Annahme des Pakets bietet und der Paketbote gezwungen ist, das Grundstück zu betreten, um das Paket abzuliefern. Dieses Betretungsrecht ist durch die vertraglichen Verpflichtungen des Paketdienstes gegenüber dem Empfänger und den allgemeinen Zustellpflichten geregelt.

Die Haftung des Hundehalters nach § 833 BGB bleibt grundsätzlich bestehen, auch wenn der Paketbote das Grundstück im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit betritt. Der Hundehalter haftet verschuldensunabhängig für Schäden, die durch seinen Hund verursacht werden. Dies bedeutet, dass der Hundehalter auch dann haftet, wenn der Paketbote das Grundstück betreten hat, um ein Paket zuzustellen und dabei von dem Hund gebissen wird.

Ein Mitverschulden des Paketboten könnte nur dann in Betracht kommen, wenn der Paketbote sich ohne ausreichenden Grund in die Nähe eines gefährlichen Tieres begibt oder ein deutlich sichtbares Warnschild ignoriert, das vor einem bissigen Hund warnt. Allerdings reicht ein allgemeines Warnschild, das lediglich auf die Anwesenheit eines Hundes hinweist, nicht aus, um die Haftung des Hundehalters vollständig auszuschließen.

Wenn ein Paketbote von einem Hund gebissen wird, während er das Grundstück betritt, um ein Paket zuzustellen, haftet der Hundehalter für die Verletzungen des Paketboten. Der Paketbote hat das Recht, das Grundstück zu betreten, und dieses Recht beeinflusst die Haftungsfrage dahingehend, dass der Hundehalter seine verschuldensunabhängige Haftung nicht durch den Hinweis auf ein Betretungsverbot oder ein allgemeines Warnschild abwenden kann. Der Hundehalter kann sich nur dann entlasten, wenn er nachweisen kann, dass der Paketbote ein spezifisches Warnschild vor einem gefährlichen Hund ignoriert hat oder sich ohne ausreichenden Grund in die Nähe des Hundes begeben hat.


Kann ein Warnschild vor freilaufenden Hunden die Haftung des Hundehalters ausschließen?

Ein Warnschild vor freilaufenden Hunden kann die Haftung des Hundehalters nicht vollständig ausschließen, aber es kann unter bestimmten Umständen die Haftung beeinflussen. Die rechtliche Grundlage für die Haftung von Hundehaltern ist in § 833 BGB geregelt, der eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung vorsieht. Das bedeutet, dass der Hundehalter grundsätzlich für Schäden haftet, die durch sein Tier verursacht werden, unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden trifft.

Warnschilder und ihre Wirkung: Ein allgemeines Warnschild wie „Hier wache ich! Betreten auf eigene Gefahr“ führt nicht zu einem Haftungsausschluss des Hundehalters. Solche Schilder weisen lediglich auf die Anwesenheit eines Hundes hin, nicht aber auf eine besondere Gefährlichkeit des Tieres. Daher müssen Besucher, wie etwa Paketboten, damit rechnen, dass sie das Grundstück betreten müssen, um ihre Zustellpflichten zu erfüllen, insbesondere wenn die Klingel erst an der Haustür angebracht ist.

Ein spezifischeres Warnschild wie „Vorsicht, bissiger Hund“ kann jedoch die Haftung des Hundehalters mindern, wenn der Geschädigte dieses Schild ignoriert und sich ohne ausreichenden Grund in die Nähe des gefährlichen Tieres begibt. In solchen Fällen kann ein Mitverschulden des Geschädigten angenommen werden, was die Haftung des Hundehalters reduzieren kann.

Rechtsprechung: Die Rechtsprechung bestätigt, dass ein allgemeines Warnschild nicht ausreicht, um die Haftung des Hundehalters auszuschließen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden, dass ein Mitverschulden des Geschädigten nur dann vorliegt, wenn dieser ein spezifisches Warnschild wie „Vorsicht, bissiger Hund“ ignoriert hat. Ein allgemeines Schild wie „Hier wache ich! Betreten auf eigene Gefahr“ reicht nicht aus, um den Geschädigten von der Haftung des Hundehalters auszunehmen, da es lediglich auf die Anwesenheit eines Hundes hinweist und nicht auf eine besondere Gefährlichkeit.

Praktische Anwendung: Wenn ein Paketbote von einem Hund gebissen wird, während er das Grundstück betritt, um ein Paket zuzustellen, haftet der Hundehalter grundsätzlich für die Verletzungen des Paketboten. Ein allgemeines Warnschild wird die Haftung des Hundehalters nicht ausschließen. Ein spezifisches Warnschild kann jedoch die Haftung mindern, wenn der Paketbote dieses Schild ignoriert und sich in die Nähe des Hundes begibt, obwohl er gewarnt wurde.

Wichtig ist, dass der Hundehalter stets dafür sorgen muss, dass sein Hund so gesichert ist, dass keine Verletzungen oder Schädigungen Dritter entstehen. Die im Einzelfall notwendigen Vorkehrungen richten sich danach, welche Anforderungen in der konkreten Situation im Rahmen des Zumutbaren an einen umsichtigen und vorsichtigen Hundehalter zu stellen sind.


Welche typischen Tiergefahren können eine Haftung des Hundehalters begründen?

Typische Tiergefahren, die eine Haftung des Hundehalters nach § 833 BGB begründen können, umfassen eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die auf der natürlichen Instinktivität und Unberechenbarkeit von Hunden basieren. Diese Verhaltensweisen können unter bestimmten Umständen zu Schäden führen, für die der Halter verschuldensunabhängig haften muss.

  • Beispiele typischer Tiergefahren bei Hunden:
  • Bissverhalten: Hunde können aus verschiedenen Gründen beißen, beispielsweise aus Angst, Schmerz oder als Reaktion auf eine Bedrohung. Ein Biss kann erhebliche Verletzungen verursachen und stellt eine der häufigsten Ursachen für Schadensersatzansprüche gegen Hundehalter dar.
  • Springen und Umstoßen: Hunde, besonders größere oder sehr lebhafte Rassen, können Menschen umstoßen, was besonders bei Kindern oder älteren Personen zu ernsthaften Verletzungen führen kann.
  • Jagdverhalten: Viele Hunde besitzen einen ausgeprägten Jagdtrieb, der dazu führen kann, dass sie plötzlich auf die Straße laufen und Verkehrsunfälle verursachen oder andere Tiere jagen und verletzen.
  • Lärm durch Bellen: Anhaltendes oder sehr lautes Bellen kann zu Ruhestörungen führen und hat in der Vergangenheit zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt, insbesondere in dicht besiedelten Wohngebieten.

Rechtliche Bewertung und Bedeutung der Umstände:

Die Haftung des Hundehalters ist grundsätzlich eine Gefährdungshaftung, die unabhängig von einem Verschulden des Halters besteht. Die konkreten Umstände des Einzelfalls spielen jedoch eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Haftung. Beispielsweise kann das Vorhandensein von Warnschildern oder die spezifischen Umstände, unter denen der Hund gehalten wird, relevant sein.

Ein Gericht wird in der Regel prüfen, ob die Verletzung oder der Schaden durch eine typische Tiergefahr verursacht wurde, die sich in dem spezifischen Verhalten des Hundes manifestiert hat. Dabei wird auch berücksichtigt, ob der Halter alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um solche Vorfälle zu verhindern, wie beispielsweise durch angemessene Sicherungsmaßnahmen oder das Anbringen von Warnschildern.

Die Haftung des Hundehalters basiert auf der potenziellen Gefahr, die von dem natürlichen Verhalten des Hundes ausgeht. Jeder Hundehalter sollte sich dieser Verantwortung bewusst sein und präventive Maßnahmen ergreifen, um das Risiko von Schäden zu minimieren und rechtlichen Konsequenzen vorzubeugen. Die spezifischen Umstände jedes Einzelfalls sind entscheidend für die rechtliche Beurteilung im Falle eines Schadens.


Welche Schadensersatzansprüche können bei einer Hundebissverletzung geltend gemacht werden?

Bei einer Hundebissverletzung können verschiedene Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, die sich aus dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ergeben. Diese Ansprüche umfassen Schmerzensgeld, Heilbehandlungskosten und Verdienstausfall. Zudem ist die Rolle der Haftpflichtversicherung für Hundehalter von Bedeutung.

Schmerzensgeld wird nach § 253 BGB gewährt, wenn durch den Hundebiss körperliche oder seelische Schäden entstanden sind. Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von der Schwere der Verletzung, den daraus resultierenden Schmerzen und den langfristigen Folgen ab. Schmerzensgeld dient dazu, die immateriellen Schäden auszugleichen, die nicht direkt in Geld messbar sind.

Heilbehandlungskosten umfassen alle medizinischen Ausgaben, die zur Behandlung der durch den Hundebiss verursachten Verletzungen notwendig sind. Diese Kosten können direkt vom Hundehalter oder über dessen Haftpflichtversicherung erstattet werden.

Verdienstausfall tritt ein, wenn das Opfer aufgrund der Verletzungen vorübergehend oder dauerhaft nicht in der Lage ist zu arbeiten. Der Hundehalter kann zur Zahlung des entgangenen Lohns verpflichtet sein, falls das Opfer aufgrund der Verletzungen arbeitsunfähig ist.

Die Haftpflichtversicherung für Hundehalter spielt eine wichtige Rolle, da sie die finanziellen Risiken abdeckt, die durch Schäden entstehen, die der Hund verursacht. Es ist ratsam, dass jeder Hundehalter eine solche Versicherung abschließt, um sich gegen potenzielle Schadensersatzforderungen zu schützen.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils


  • § 833 Satz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Dieser Paragraph regelt die Haftung des Tierhalters. Wenn ein Tier den Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt, ist der Halter verpflichtet, den entstandenen Schaden zu ersetzen. Im vorliegenden Fall wird die Beklagte haftbar gemacht, da ihr Hund den Paketboten verletzt hat.
  • § 116 SGB X (Sozialgesetzbuch Zehntes Buch): Dieser Paragraph behandelt den Anspruchsübergang bei Schadensersatzansprüchen. Die gesetzliche Unfallversicherung, hier die Klägerin, kann die Schadensersatzansprüche des Verletzten auf sich überleiten. Dies betrifft die Entgeltfortzahlungsleistungen und Heilbehandlungskosten, die die Klägerin für den verletzten Paketboten übernommen hat.
  • § 6 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz): Regelt den Übergang von Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber. Im Fall des verletzten Paketboten bedeutet dies, dass die Klägerin als gesetzliche Unfallversicherung die Ansprüche auf Entgeltfortzahlung geltend machen kann.
  • § 254 BGB (Mitverschulden): Dieser Paragraph behandelt die Minderung des Schadensersatzanspruchs bei eigenem Verschulden des Geschädigten. Die Beklagte argumentiert, dass der Paketbote ein Mitverschulden trägt, da er das Grundstück trotz eines Warnschildes betreten hat. Das Gericht verneint dies jedoch und stellt fest, dass kein Mitverschulden vorliegt.
  • § 288 BGB (Verzugszinsen): Regelt die Höhe der Verzugszinsen bei Geldforderungen. Die Beklagte wird zur Zahlung von Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verurteilt, da sie die Forderungen der Klägerin nicht beglichen hat.
  • § 696 ZPO (Zivilprozessordnung): Behandelt das Mahnverfahren und die Abgabe an das Streitgericht. Die Klägerin hat ein Mahnverfahren eingeleitet, und nach Widerspruch der Beklagten wurde das Verfahren an das zuständige Gericht abgegeben.
  • § 709 ZPO (Zivilprozessordnung): Bestimmt die vorläufige Vollstreckbarkeit eines Urteils gegen Sicherheitsleistung. Das Urteil gegen die Beklagte ist vorläufig vollstreckbar, sofern eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags hinterlegt wird.


⬇ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Kempten

LG Kempten – Az.: 35 O 129/23 – Urteil vom 28.07.2023

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.882,49 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.01.2023 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird über Ziffer 1 hinaus verurteilt, an die Klägerin 1.215,63 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.01.2023 zu bezahlen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 11 % und die Beklagte 89 % zu tragen.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Klägerin macht im Wege der Prozessstandschaft sowie als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung gem. § 116 SGB X übergegangene Ansprüche wegen unfallbedingter Aufwendungen geltend, welche ihr aufgrund eines zwischen den Parteien streitigen Unfalls des Zeugen … vom 19.01.2021 entstanden sind.

Der gegenständliche Unfall, dessen Hergang zwischen den Parteien strittig ist, ereignete sich im Rahmen einer Zustellung des Zeugen … bei der Beklagten in … Das Grundstück der Beklagten ist eingefriedet und zum Betreten ist es notwendig, durch ein Gartentor Zutritt zu nehmen. Die Briefkästen des Anwesens sind von außen zugänglich, um die Klingel bzw. den im Ablagevertrag (vgl. K 4) benannten Ablageort „Müllstation/Garage“ zu erreichen, ist ein Betreten des Grundstücks durch das Gartentor und ein Durchlaufen des Gartens, um auf die der Straße gegenüberliegenden Seite des Hauses zu gelangen, notwendig.

Die Klägerin meldete ihre Forderungen (Entgeltfortzahlungsleistungen nach § 3 EFZG i.H.v. 2.882,49 € und Heilbehandlungskosten i.H.v. 1.215,63 €) mit Schreiben vom 15.03.2021 (vgl. K 13) bei der Beklagten an, worauf sich mit Schreiben vom 23.03.2021 (vgl. K 14) deren Haftpflichtversicherung, die VKB meldete. Es erfolgte eine weitere Korrespondenz zwischen der Klägerin und der VKB, wobei letztere die Ansprüche mit Schreiben von 27.04.2021 bzw. 11.06.2021 zurückwies (vgl. K 15 – K 17). Auch nach der weiter folgenden wechselseitigen Korrespondenz wurde seitens der Beklagten nicht reguliert.

Die Klägerin behauptet, dass der Zeuge … bei der … als Verbundzusteller beschäftigt und in diesem Zusammenhang bei der Klägerin gesetzlich unfallversichert gewesen sei. Am 19.01.2021 habe dieser zwei Pakte auf dem Anwesen der Beklagten zuzustellen gehabt und hierzu sei es erforderlich gewesen – auch aufgrund des bestehenden Ablagevertrages – das Grundstück zu betreten. Aus der offenen Haustür sei sodann der Hund der Beklagte gesprungen und auf den Zeugen … losgestürmt. Dies habe bei diesem eine Fluchtreaktion ausgelöst, er habe kehrt gemacht und sei über das Gartentor gesprungen, um nicht von dem Hund angefallen zu werden. Beim Aufkommen auf dem Boden sei der Zeuge … mit dem linken Fuß umgeknickt und habe sich hierbei eine LFTA-Ruptur und eine Innenbandzerrung zugezogen.

Ein Warnschild sei nicht vorhanden gewesen bzw. der Zeuge … habe ein solches jedenfalls nicht wahrgenommen. Insgesamt sei der Zeuge … vom 20.01.2021 bis zum 28.02.2021 unfallbedingt arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Aufgrund dieser Arbeitsunfähigkeit habe die Klägerin 2.882,49 € Entgeltfortzahlungsleistungen erbracht und auf Grund der Verletzungen Heilbehandlungskosten in Höhe von 1.215,63 € getragen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr diese unfallbedingten Kosten zu ersetzen. Aufgrund der örtlichen Begebenheiten habe damit gerechnet werden müssen, dass das Grundstück betreten werde und aufgrund eines Verstoßes gegen die im Verkehr gebotene Sorgfalt, habe sie den Hund nicht unter Kontrolle gehabt, so dass vorhersehbar und vermeidbar die Verletzung des Zeugen … eingetreten sei. Basierend hierauf stünden ihr die gegenüber dem Zeugen … erbrachte Entgeltfortzahlung in der geltend gemachten Höhe zu. Insbesondere anteiliges Urlaubsgeld und anteiliger Urlaubslohn sowie Sozialabgaben seinen ebenfalls zu begleichen, da diese nach § 6 EFZG übergegangen seien.

Die Klage wurde ursprünglich beim Amtsgericht Kaufbeuren eingereicht bzw. nach Widerspruch im Mahnverfahren dorthin abgegeben. Aufgrund einer dort vorgenommenen Klageerhöhung wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Kaufbeuren vom 24.01.2023 (Bl. 41 d.A) das Verfahren an das Landgericht Kempten (Allgäu) abgegeben.

Die Klägerin beantragte zunächst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 2.882,49 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird über Ziffer 1 hinaus verurteilt, an die Klägerin € 1.215,63 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über Ziffer 1 und II hinaus sämtliche weitere von der Klägerin getragene nach § 116 SGB X übergangsfähige Aufwendungen zu ersetzen, die auf das Unfallereignis vom 19.01.2021 auf dem Anwesen … zurückzuführen sind und bei dem der bei der Klägerin Versicherte … geb. am 05.04.1990, verletzt wurde.

Nach der mündlichen Verhandlung vom 04.07.2023 hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19.07.2023 (Bl. 86 d.A.) den Feststellungsantrag unter Ziffer III zurückgenommen. Mit Schriftsatz vom 26.07.2023 (Bl. 92 d.A.) stimmte die Beklagte der Teilklagerücknahme zu.

Die Klägerin beantragte zuletzt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 2.882,49 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird über Ziffer 1 hinaus verurteilt, an die Klägerin € 1.215,63 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Die Beklagte bestreitet den Unfallhergang mit Nichtwissen. Im Übrigen sei der Ablagevertrag mit … abgeschlossen worden und nicht mit der … und begründe auch keine Verpflichtung das Grundstück zu betreten. Auch sei ein Betreten für die Zustellung nicht erforderlich gewesen, es hätte eine Benachrichtigungskarte in den Briefkasten eingeworfen werden können oder der Zusteller hätte gegebenenfalls durch Klopfen auf sich aufmerksam machen können. Der Hund habe nur gebellt und es habe sich ein typisches Risiko für Zusteller verwirklicht. Der behauptete Sprung aufgrund des Hundes sei eine freiwillige Entscheidung des Zeugen … gewesen und der Sturz sei ein typisches Risiko eines solchen. Auch sei ein Schild vorhanden „Betreten auf eigene Gefahr“, welches beim Öffnen des Tores wahrgenommen habe werden müssen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Zeuge … das eingefriedete Grundstück der Beklagten trotz klaren Hinweises betreten und damit bewusst das Risiko hinsichtlich des sich auf dem Grundstück befindlichen Hundes in Kauf genommen habe. Im Übrigen sei ein haftungsausschließendes Mitverschulden des Zeugen … gegeben. Auch bestehe bei einem eingefriedeten Grundstück keine Verpflichtung den Hund an einem freien Herumlaufen zu hindern.

Im Übrigen sei die geltend gemachte Entgeltfortzahlung nicht substantiiert darlegt, wobei insbesondere, anteilige Zuwendungen und anteiliger Urlaubslohn, Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, wie auch die einbehaltene Lohnsteuer nicht gegenüber Dritte geltend gemacht werden könne.

Im vorausgegangenen Mahnverfahren wurde die Klagepartei mit Datum vom 04.10.2022 über den Gesamtwiderspruch unterrichtet, am 04.01.2023 erfolgte die Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Kaufbeuren aufgrund Zahlung der fälligen Kosten. Das Verfahren ging am 10.01.2023 beim Amtsgericht Kaufbeuren ein. Die Anspruchsbegründung vom 24.11.2022 (Bl. 9/20 d.A.) wurde der Beklagten ausweislich der bei der Akte befindlichen Postzustellungsurkunde am 17.01.2023 zugestellt.

Das Gericht hat die Beklagte (Bl. 79 d. A.) persönlich angehört.

Weiterhin hat das Gericht die Zeugen … und … jeweils uneidlich einvernommen.

Für den Inhalt der Zeugenaussagen wird Bezug genommen auf das Terminsprotokoll vom 04.07.2023 (Bl. 78/85 d. A.).

Im Übrigen wird für das Vorbringen der Parteien Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Ausführungen in dem durchgeführten Verhandlungstermin und den sonstigen Akteninhalt.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und wie zuletzt beantragt auch begründet.

A.

I.

Die Klage ist zulässig.

1.

Das Landgericht Kempten ist das gem. §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG sachlich und gem. §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständige Gericht.

2.

Auch ist durch die Klägerin eine zulässige Teilklagerücknahme bezogen auf den Klageantrag Ziffer IIII. gemäß § 269 Abs. 1 ZPO erfolgt. Die Beklagte hat dieser Teilrücknahme nach der mündlichen Verhandlung zugestimmt.

II.

Die Klage ist begründet.

Der Klägerin stehen übergeleiteten Schadensersatzanspruch wegen unfallbedingter Arbeitgeberleistungen sowie andererseits als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung gem. § 116 SGB X übergegangene Ansprüche wegen unfallbedingter Aufwendungen aufgrund des Unfalls, der sich am 19.01.2021 ereignete und bei dem sich der Zeuge M. … verletzt hat, gegen die Beklagten zu.

Die Haftung der Beklagten begründet sich nach § 833 Satz 1 BGB.

Wird durch ein Tier der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt, so ist gemäß § 833 Satz 1 BGB derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

Danach haftet die Beklagte gegenüber der Klägerin für die Folgen des Unfalls vom 19.01.2021.

1. Aktivlegitimation

Die Klägerin ist aktiv legitimiert, die Erstattung der von der … fortgezahlten und auf diese gemäß § 6 EFZG übergegangenen Arbeitsentgelte geltend zu machen. Dies erfolgt im Rahmen des zwischen der Klägerin und der … geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrages (vgl. K 19). Im Übrigen sind auch übergangsfähige Aufwendungen gem. § 116 SGB X gegeben.

Die Aktivlegitimation der Klägerin dem Grunde nach wurde beklagtenseits auch nicht bestritten.

2. Haftung nach § 833 Satz 1 BGB

a)

Vorliegend erfolgte die Schadensverursachung durch ein Tier, nämlich dem Hund F., der Beklagten.

Das Gericht ist nach der Anhörung der Beklagten, sowie der Beweisaufnahme durch die Vernehmung des Zeugen … und der Zeugin … zu der Überzeugung gelangt, dass das Verhalten des von der Beklagten gehaltenen Hundes F. für den Unfall des Zeugen … im Sinne einer conditio sine qua non ursächlich geworden ist.

Eine Haftung nach § 833 Satz 1 BGB ist als Gefährdungshaftung ausgestaltet und ist begründet, sofern sich eine typische Tiergefahr verwirklicht hat (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB-Kommentar, 82 Auflage 2023, § 833 Rn. 1) Dabei soll nach Sinn und Zweck die Vorschrift den Schutz vor „der Unberechenbarkeit des Verhaltens eines Tieres und der dadurch hervorgerufenen Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter“ gewähren (Staudinger/Eberl-Borges (2018) BGB § 833, Rn. 37). Nach diesen Maßstäben hat sich hier die spezifische Tiergefahr des Hundes realisiert.

Die Beklagte hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung angegeben, dass ihr Hund F. von der Zeugin … beaufsichtigt worden sei. Diese habe zu dieser Zeit im Erdgeschoss gewohnt und der Hund sei damals öfters, wie auch heute noch ab und zu bei dieser. Von dem Geschehen habe die deswegen nichts mitbekommen. Aktuell werden die Pakete am Briefkasten außerhalb des Grundstücks abgelegt, dort sei auch eine Klingel vorhanden, mittels welcher man sich melden könne. Zum damaligen Zeitpunkt sei das aber anders gewesen, es habe auch wegen Corona eine Absprache gegeben, dass die Pakete an der Garage bzw. beim Durchgang bei den Mülltonnen abgelegt werden. Dies sei entsprechend auch so erfolgt. Hierzu müsse man durch das Gartentor gehen und über das Grundstück laufen. Es sei für sie aber auch in Ordnung gewesen, wenn ein Zusteller die Pakete nur über den Zaun gelegt habe.

Der Zeuge … gibt bei seiner Einvernahme an, dass er bei der … als Verbundzusteller angestellt gewesen sei, d.h. er sei für Briefe und Pakete zuständig gewesen. Er habe an diesem Tag Pakete zugestellt und habe, um zur Klingel, wie auch dem Ablageort laut Ablagevertrag zu gelangen, auf das Grundstück gemusst. An der Haustüre habe er bemerkt, dass diese offen sei und habe dann auch schon einen Hund gehört und gemerkt, dass dieser frei herumlaufe. Das Bellen habe sich für ihn aggressiv angehört, so als wolle dieser sein Revier verteidige und er habe den Hund auch kommen sehen, wie dieser in Richtung Hof gerannt sei. Er sei dann schnell raus, habe die Flucht ergriffen, und hierbei sei er im Affekt über das Tor, das er vorher verschlossen habe, gesprungen. Beim Aufkommen sei er umgeknickt. Er habe den Tag fertig arbeiten können und auch am nächsten Tag habe er mit seinen Arbeitsstiefeln gearbeitet, außerhalb dieser habe er große Schmerzen beim Auftreten gehabt. Da das Ganze angeschwollen und blau geworden sei, sei er dann zum Durchgangsarzt gegangen, welcher das dann geröntgt und die Diagnose gestellt habe. Die … und … seien ein Verbund, der Ablagevertrag sei allgemein gültig und auf seinem Handscanner könne er jeweils sehen, wo was abgestellt werden dürfe. Wenn ein Ablagevertrag bestehe, solle man dort ablegen, außer es stünde ein Grund, wie Witterung, möglicher Zugriff Dritter oder auch frei herumlaufende Hunde, entgegen. An ein Warnschild könne er sich nicht bewusst erinnern, auch bei dem Einlernen in diesen Bezirk sei ein Hund nie Thema gewesen. Bei anderen Grundstücken sei er dahingehend von Kollegen aufmerksam gemacht worden. Er habe hier schon öfters im Vorfeld zugestellt ohne dahingehende Probleme.

Die weiter vernommene Zeugin … hat angegeben, dass am damaligen Tag der Briefträger mit einem Paket gekommen sei und dieses in der Garage abgestellt habe. Der Hund sei oben in der Wohnung gewesen und er könne sich im gemeinsamen Treppenhaus und den beiden Wohnungen frei bewegen. Die Haustüre sei offen gewesen. Sie habe gehört, wie der Hund „Wuff“ gemacht habe und dann auch schon den Briefträger gesehen, wie er am Fenster vorbei gesaust sei und dann habe es auch schon gekracht. Er habe ihr gegenüber angegeben, dass der Hund frei laufend sei. Sie sei dann runter um nachzusehen, wo der Hund ist, dieser sei aber zu diesem Zeitpunkt von oben runter gekommen. Zum damaligen Zeitpunkt sei am Gartentor ein Hinweisschild vorhanden gewesen.

Die Beklagte konnte zum Vorfall selbst keine Angaben machen.

Der Zeuge … hat in sich schlüssig und widerspruchsfrei den Vorfall beschrieben. Er hat hierbei klar und deutlich Angaben zum Verhalten des Hundes gemacht und dass er allein aufgrund des Bellens, welches sich für ihn aggressiv angehört hat und dem Rennen des Hundes aus der offenen Haustüre Richtung Hof die Flucht ergriffen hat. Ins Bild passt dahingehend auch der beschrieben Sprung über den Gartenzaun, da er schnellstmöglich eine Barriere zwischen sich und den Hund schaffen wollte. Der Zeuge behauptet kein Beißen oder ähnliches, aber dass das von ihm wahrgenommene und empfundene Verhalten des Hundes ihn zu dieser Flucht veranlasst hat. Dies steht auch im Einklang mit den Unfallschilderungen, die der Zeuge im Nachgang zu dem Vorfall fertigte (vgl. K 1 – K 3). Auch die durch das Umknicken erlittenen Verletzungen konnte der Zeuge im Einklang mit dem vorgelegten Durchgangsarztbericht (vgl. K 5) und den beiden Verlaufsberichten (vgl. K 6 und K 7) glaubhaft beschreiben. Die hierdurch bedingte Arbeitsunfähigkeit ergibt sich aus den Arbeitsunfähigkeitbescheinigungen (vgl. K 8).

Die Zeugin … hat den Vorgang nach ihren eigenen Angaben nur partiell wahrgenommen. Sie hat bestätigt, dass die Haustüre geöffnet war, wie auch dass sich der Hund frei bewegt hat. Nach ihren Angaben hat sie gehört wie der Hund zumindest „Wuff“ gemacht hat und hat dann den Zeugen … am Fenster vorbei sausen sehen. Dass sie den Hund, als sie mit dem Zeugen … gesprochen hat nicht gesehen hat und dieser nach dem Gespräch von oben heruntergekommen ist, ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht tauglich, den glaubhaften, nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Vortrag des Zeugen … zu entkräften. Die Zeugin hat die beschrieben Flucht erkennen können, visuell hat sie die übrige Situation an der Haustüre nicht wahrgenommen. Zeitlich ist auch nicht auszuschließen, dass der Hund gegebenenfalls schon wieder zurück und nach oben gegangen ist und die Zeugin entsprechende Wahrnehmungen machen konnte. Ob es tatsächlich nur ein „Wufff“ gewesen ist und ob sich dieses tatsächlich in der durch den Zeugen … wahrgenommenen Gesamtsituation so arglos angehört haben soll, wie von der Zeugin beschrieben, kann den geführten Beweis durch die Klagepartei schlussendlich nicht entkräften. Denn auch bei einem einzigen Bellen bestimmt sich dies durch die Gesamtsituation für den Zeugen, nämlich aus dessen Sicht aggressives Bellen eines frei herumlaufenden Hundes bei offener Haustür, der hierbei in Richtung Hof und somit dem Zeugen gerannt ist.

Das Gericht ist weiter zu der Überzeugung gelangt, dass das Warnschild „Freilaufende Hündin Betreten auf eigene Gefahr“ zum damaligen Zeitpunkt entsprechend den Lichtbilder (vgl. B1 und B 2) vorhanden gewesen ist. Es ist für das Gericht hierbei – worauf es im Ergebnis aber auch nicht wesentlich ankommt – nicht ausgeschlossen, dass der Zeuge …, welcher auf diesem Grundstück öfters Zustellung vornimmt, dieses aufgrund der Routine möglicherweise nicht wahrgenommen hat. Diese Angabe stellt die Glaubwürdigkeit des Zeugen, und auch die Glaubhaftigkeit seiner Aussage jedenfalls nicht in Frage.

b)

Basierend auf der Überzeugungsbildung des Gerichts hat der Hund … die Verletzungen des Zeugen … verursacht.

Es besteht ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem tierischen Verhalten und dem entstandenen Schaden. Das Bellen und Zurennen durch den Hund stellt eine typische Tiergefahr dar und hat beim Zeugen … einen Fluchtreflex ausgelöst.

Es genügt, wenn das tierische Verhalten lediglich psychische Wirkungen, wie auch Schreckreaktionen auslöst (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB-Kommentar, 82 Auflage 2023, § 833 Rn. 6). In seiner Gesamtheit ist die Flucht des Zeugen, wie auch das Überspringen des Zaunes, nachvollziehbar, um eine schnelle Barriere zwischen ihm und dem aggressiv wirkenden Hund zu begründen.

Auch wenn sich der Geschädigte bewusst und freiwillig der normalen Tiergefahr aussetzt hätte, was bei Wahrnehmung des Schildes „Freilaufende Hündin, Betreten auf eigene Gefahr“ angenommen werden kann, schließt dies die Haftung nach § 833 nicht aus (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB-Kommentar, 82 Auflage 2023, § 833 Rn. 8) Dies wäre nur anders, wenn der Verletzte bewusst ungewöhnliche Risiken übernimmt, d.h. solche die über die gewöhnliche mit einem Tier dieser Art und seiner üblichen Nutzung verbundenen Gefahr hinausgehen (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB-Kommentar, 82 Auflage 2023, § 833 Rn. 8). Solche, wie beispielsweise die Übernahme eines besonders erregten Pferdes zum Beweis der eigenen Reitkunst oder Aufenthalt in Hundemeute auf einem Hundespielplatz oder ähnliches ist hier in keinerlei Hinsicht ersichtlich.

Aus Sicht des Gerichts kann dies auch nicht mit der Argumentation begründet werden, dass der Geschädigte das Grundstück nicht hätte betreten müssen. Der Zeuge … ist Verbundzusteller der … und mit der Zustellung von Briefen und Paketen beauftragt. In diesem Zusammenhang hat er nach § 3 PUDLV – Qualitätsmerkmale der Paketbeförderung – Pakete zustellen, sofern der Empfänger nicht erklärt hat, dass er die Sendungen abholen will. Die Zustellung hat an der in der Anschrift genannten Wohn- oder Geschäftsadresse durch persönliche Aushändigung an den Empfänger oder einen Ersatzempfänger zu erfolgen, soweit keine gegenteilige Weisung des Absenders oder Empfängers vorliegt. Hier ist ein Ablagevertrag gegeben, der zur Überzeugung des Gerichts auch für die … galt. So hat der Zeuge glaubhaft beschrieben, dass es sich bei … um ein Verbundunternehmen handelt und er entsprechend dem Ablagevertrag auf seinem Scanner jeweils den Ort der Abstellberechtigung erkennen kann. Diese Abmachung hat auch die Beklagte selbst bestätigt. Anhaltspunkt, dass er das Grundstück wegen des Hundes nicht betreten kann haben zu diesem Zeitpunkt für den Zeugen nicht bestanden. Es gab zuvor dahingehend nie Probleme und der frei herumlaufende Hund war für ihn bei Betreten auch nicht sichtbar. Der Zeuge … kann deswegen auch nicht auf andere Kontaktmöglichkeiten, Einwurf einer Benachrichtigungskarte oder Klopfen an der Fensterscheibe verwiesen werden. Aufgrund der bestehenden Zustellverpflichtung und fehlender erkennbaren Gefahrsituation entbehrt dies jeglicher Grundlage und würden diesen gegebenenfalls sogar dienstrechtlichen Konsequenzen aussetzen.

c) kein Mitverschulden

Auch liegt ein zur Anspruchskürzung führendes Mitverschulden des Geschädigten bei der Schadensentstehung (§ 254 Abs. 1 BGB) liegt nicht vor.

Den Geschädigten trifft ein Mitverschulden, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die jedem ordentlichen und verständigen Menschen obliegt, um sich vor Schaden zu bewahren (vgl. Palandt/Heinrichs, 69. Aufl., § 254 BGB, Rn. 8). Dies ist hier nicht anzunehmen.

Ein (Mit-)Verschulden ist nicht bereits darin zu sehen, dass der Geschädigte das Grundstück trotz des Hinweisschildes überhaupt betreten hat. Zwar wird ein Mitverschulden i. d. R. dann angenommen, wenn sich der Geschädigte ohne ausreichenden Grund in die Nähe eines gefährlichen Tieres begibt oder wenn er ein Warnschild vor einem bissigen Hund nicht beachtet (vgl. Staudinger/Eberl-Borges (2008), § 833 BGB, Rn. 200).

Hier ist bereits nicht ausgeschlossen, dass der Zeuge das nicht bedrohlich wirkende Hinweisschild bei seiner alltäglichen routinemäßigen Zustellung nicht wahrgenommen hat, aber auch wenn er es wahrgenommen haben sollte musste ihn dieses Schild, als ein verständiger Mensch, nicht vom Betreten des Grundstücks abhalten.

Ein solches Hinweisschild ist an vielen Grundstücken angebracht sein, auf denen Hunde gehalten werden. Seinem Inhalt nach weist es lediglich auf die Anwesenheit eine Hündin, nicht aber auf eine besondere Aggressivität des Tieres hin, wie dies bei dem Hinweis „Vorsicht, bissiger Hund“ der Fall sein mag. Entscheidend ist indessen, dass der Warncharakter des Schildes angesichts der besonderen Umstände zurücktritt. (vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 24.6.2010 – 1 U 38/10, BeckRS 2011, 4235, beck-online)

Das – ohnehin nicht sonderlich hohe – Gartentor, welches der Zeuge … überspringen konnte, war zwar ge-, aber nicht verschlossen. Zudem ist der Entscheidung zugrunde zu legen, dass an dem Gartentor oder an den Briefkästen zu diesem Zeitpunkt gerade keine Klingel angebracht war, sich die Klingeln vielmehr erst an der Haustür befanden. Alle Besucher des Anwesens – seien es eingeladene Gäste, der Paketdienst oder sonstige Personen, die Kontakt zu den Bewohnern des Hauses aufnehmen wollen – waren daher darauf angewiesen, das Grundstück zu betreten, um zu den Klingeln zu gelangen. In einer solchen – von den Bewohnern des Grundstücks bewusst so geschaffenen und nunmehr auch geänderten – Situation und bei unverschlossenem Gartentor darf auch ein vorsichtiger Mensch davon ausgehen, dass ihm jedenfalls tagsüber, d.h. zu einer Zeit, zu der Besuche üblich sind, durch den auf dem Gelände gehaltenen Hund kein Schaden droht – sei es, weil der Hund gut erzogen oder aber weggesperrt ist. (vgl. auch OLG Stuttgart Beschl. v. 24.6.2010 – 1 U 38/10, BeckRS 2011, 4235, beck-online)

Hinzukommt vorliegend auch die konkrete Zustellsituation, dass der Zeuge bereits zahlreich Zustellung auf diesem Grundstück ohne jegliche Probleme dahingehend vorgenommen hat.

3. Verhältnis zu § 834 BGB

Der Umstand, dass die Zeugin … am Unfalltag auf den Hund … aufgepasst hat, lässt die Haftung der Beklagten nach § 833 BGB nicht entfallen. Auf ein Verschulden, ggf. Auswahlverschulden der Beklagten, kommt es bei der hier bestehenden Gefährdungshaftung nicht an. Dies wäre nur im Rahmen eines – hier nicht bestehenden – Mitverschuldens und einer hierdurch bedingten Quotenbildung relevant. Die Haftung nach § 833 BGB besteht neben einer etwaigen Haftung nach § 834 BGB.

4. Schaden

Basierend auf der Haftung nach § 833 BGB ist die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die geltend gemachten unfallbedingten Kosten zu ersetzen

a) unfallbedingte Heilbehandlungskosten in Höhe von 1.215,63 €

Die Klägerin hat die Heilbehandlungskosten durch eine Regresskostenaufstellung (vgl. K 11) und Rechnungsbelege (vgl. K 12) nachvollziehbar dargestellt und nachgewiesen. Diese sind mit dem vom Zeugen gemachten Verletzungsschilderungen, wie auch vorgelegten Arztberichten (vgl. K 5 – K 7) in Einklang zu bringen. Auch hat der Zeuge im Rahen seiner Einvernahme bestätigt, dass er zum Physiotherapeuten gegangen ist.

b) Entgeltfortzahlung in Höhe von 2.882,49 €.

Der Zeuge … war ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (vgl. K 8) vom 20.01.2021- 28.02.2021, insgesamt also 39 Tage – so auch die Bestätigung über den Berechnungszeitraum (vgl. K 9) arbeitsunfähig und hat dahingehend Entgeltersatzleistungen erhalten.

Das Berechnungsblatt (vgl. K 9) stimmt auch mit den Entgeltabrechnungen 01/21 und 02/21 (vgl. K 10) hinsichtlich des zugrunde liegenden Grundgehalts von 1.459,62 € überein

Nach § 6 EFZG kann der Arbeitnehmer auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, so geht dieser Anspruch insoweit auf den Arbeitgeber über, als dieser dem Arbeitnehmer nach diesem Gesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt und darauf entfallende vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit, Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Pflegeversicherung sowie zu Einrichtungen der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung abgeführt hat. Diesen Anspruch kann die Klägerin nach § 3 des Geschäftsbesorgungsvertrages (vgl. K 19) gegenüber der Beklagten geltend machen.

Der Anspruchsübergang ist begrenzt auf das nach dem EFZG fortgezahlte Arbeitsentgelt und die Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen und Einrichtungen der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Hierbei umfasst der Begriff des Arbeitsentgelts in § 6 Abs. 1 umfasst zunächst das Entgelt iSv § 4 Abs. 1. Dabei schränkt das Gesetz anders als § 4a die Ersatzpflicht nicht auf das laufende Arbeitsentgelt ein, so dass auch Sondervergütungen (wie Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation) übergehen können.

Darüber hinaus geht nach § 6 Abs. 1 der Anteil an der tatsächlich erbrachten Jahresvergütung auf den Arbeitgeber über, soweit dieser dem Geschädigten für die Zeit seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bezahlten Urlaub gewährt hat. (vgl. MüKoBGB/Müller-Glöge, 9. Aufl. 2023, EFZG § 6 Rn. 7)

Gleichfalls als Folge des normativen Schadensbegriffs kann der Arbeitnehmer vom Schädiger auch Ersatz der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung beanspruchen. Dieser Anspruchsteil geht ebenfalls auf den Arbeitgeber über. Hierzu gehören die an die Bundesagentur für Arbeit, an die Krankenversicherung, die Rentenversicherung und die Pflegeversicherung sowie zu Einrichtungen der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung (= betriebliche Altersversorgung) geleisteten Beiträge. (vgl. MüKoBGB/Müller-Glöge, 9. Aufl. 2023, EFZG § 6 Rn. 10)

Daneben ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass Urlaubsgeld und Urlaubsentgelt Entgelte für die geleistete Arbeit darstellen, die zum Verdienst des Arbeitnehmers gehören und die der Arbeitgeber deshalb im Wege des Schadensersatzes – sobald die Forderung auf ihn übergegangen ist bzw. ihm übertragen wurde – gegen den Schädiger geltend machen kann. Dasselbe gilt für die Weihnachts- bzw. Jahreszuwendung. Zwar kann deren Zweck unterschiedlich sein, also entweder als Entgelt im engeren Sinne ausschließlich darauf gerichtet sein, die im vorausgegangen Jahr geleistete Arbeit zusätzlich zu vergüten, allein als Belohnung für die in der Vergangenheit bewiesene Betriebstreue oder Anreiz für künftige Betriebstreue gemeint sein oder beide Elemente miteinander verbinden. Bei der Abwicklung von Schadensersatzansprüchen kommt es, so der Bundesgerichtshof (vgl. BGH Urt. v. 22.11.2016 – VI ZR 40/16, BeckRS 2016, 112172 Rn. 17, beck-online), auf die – grundsätzlich durch Auslegung der zugrundeliegenden Vereinbarung vorzunehmende – Einordnung der Jahreszuwendung in eine dieser Kategorien aber nicht an. Dies rechtfertigt sich insbesondere daraus, dass eine Jahreszuwendung mit Treuecharakter die Betriebstreue in aller Regel nicht um ihrer selbst willen, sondern im Hinblick auf die im Betrieb für den Arbeitgeber geleistete Arbeit honorieren wird (vgl. hierzu auch OLG München 27.05.2015, 3 U 545/15)

Auch die abgeführte Lohnsteuer geht gem. § 6 EFZG auf den Arbeitgeber über. (MHdB ArbR, § 83 Regress und Ausgleich Rn. 36, beck-online)

Vorliegend können demnach anteiliges Urlaubsgeld und Urlaubsentgelte, Beiträge zur Sozialversicherung und die einbehaltene Lohnsteuer als erstattungsfähige Positionen entgegen der Einwendungen der Beklagten geltend gemacht werden.

Die hier benannten Zuwendungen einschließlich Urlaubsgeld ergibt sich im Ergebnis eindeutig aus der Anlage K 9. Hier ist erkennbar, dass keine weiteren Zuwendungen, sondern nur das benannte Urlaubsgeld berechnet wurden. Denn von dem Grundgehalt in Höhe von 1.459,62 € wurde das Urlaubsgeld in Höhe von 198,54 € berechnet und aus diesem Gesamtbetrag in Höhe von 1.658,16 € bezogen auf die 39 Tage die anteiligen Zuwendungen (hier Urlaubsgeld) berechnet. Anteilige Zuwendungen im Übrigen wurden hier damit – trotz der missverständlichen Formulierung – eindeutig nicht bezahlt.

III.

Der zuerkannte Anspruch auf Zahlung von Zinsen ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Hierbei kann bezüglich der Rechtshängigkeit hinsichtlich des Klageantrages Ziffer 1. nicht nach § 696 Abs. 3 ZPO auf die Zustellung des Mahnbescheides abgestellt werden, da die Streitsache nicht alsbald nach der Erhebung des Widerspruchs abgegeben wurde. Die Streitsache gilt als mit Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden, wenn sie alsbald nach der Erhebung des Widerspruchs abgegeben wird. Eine alsbaldige Abgabe ist vorliegend nicht gegeben, denn die Klagepartei wurde mit Datum vom 04.10.2022 über den Gesamtwiderspruch unterrichtet, allerdings erfolgte erst am 04.01.2023 die Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Kaufbeuren aufgrund Zahlung der fälligen Kosten. Deswegen ist für die Rechtshängigkeit auf den Eingangszeitpunkt der Akten beim Prozessgericht – hier dem Amtsgericht Kaufbeuren – am 10.01.2023 abzustellen (vgl. BeckOK ZPO/Dörndorfer, 48. Ed. 1.3.2023, ZPO § 696 Rn. 6). Die Klageerweiterung wurde am 17.01.2023 zugestellt.

B.

I.

Bei teilweiser Klagerücknahme sind die Kosten im Endurteil gemäß § 92 Abs. 1 ZPO quotenmäßig zu verteilen (Zöller/Greger, a. a. O., § 269, Rz. 19 a). Es findet die so genannte Mehrkostentheorie Anwendung, wonach der Kläger diejenigen Kosten allein zu tragen hat, die nur dadurch entstanden sind, dass er zunächst eine Klage mit einem höheren Streitwert anhängig gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 15.1.2007 – 10 UF 169/06 -, veröffentlicht bei juris, Rz. 13 ff.). Gegenüberzustellen sind daher vorliegend die Kosten nach einem Streitwert von 5.298,53 € und diejenigen nach einem (fiktiven) Streitwert von 4.098,53 €.

aa)

Die Prozesskosten (eigene und fremde Anwaltskosten, sowie Gerichtskosten) belaufen sich auf insgesamt 2.914,10 €.

bb)

Auf der Grundlage eines (fiktiven) Streitwerts von 4.098,53 €, also unterstellt, die Klägerin hätte den Feststellungsantrag bereits zu Beginn nicht gestellt, ergeben sich Prozesskosten in Höhe von 2.517,90.

cc)

Aufgrund der ursprünglichen Zuvielforderung der Klägerin ergeben sich zusätzliche Kosten von 396,20 €. Entsprechend hat die Klägerin rund 14 % (= 396,20 € : 2.914,10 €) der Kosten zu tragen. Für die Beklagten verbleibt ein Anteil von 86 %.

dd)

Nach alledem hat die Beklagte den Anteil der Kosten nach einem fiktiven Streitwert von 4.098,53 € allein zu tragen. Die Kosten nach dem tatsächlichen Streitwert von 5.298,53 € verteilen sich im Verhältnis von 86 % zu 14 %. Damit entfallen auf die Beklagte 4.556,74 € (= 5.298,53 € x 86 %) des Streitwerts und auf die Klägerin 741,79 € (= 5.298,53 € x 14 %). Danach hat die Klägerin, bezogen auf den fiktiven Gesamtstreitwert von 6.498,53 (= 1.200,00 € + 5.298,53 €) einen Anteil von 741,79 €, das sind rund 11 % (= 741,79 € : 6.498,53 €) zu tragen. Auf die Beklagte entfällt entsprechend ein Anteil von rund 89 % [= (4.556,74 € + 1.200 €) : 6.498,53 €].

Im Ergebnis hat somit die Beklagte 89 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen, die Klägerin 11 %.

II.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.

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