Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
Az.: 7 U 76/08
Urteil vom 02.04.2009
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11. September 2008 verkündete Urteil des Einzelrichters der 17. Zivilkammer des Landgerichts Kiel einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens – soweit die Klage abgewiesen worden ist – aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Kiel zurückverwiesen.
Der Feststellungsausspruch des Urteils wird dahingehend berichtigt, dass festgestellt wird, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr aus der Inanspruchnahme ihrer Vollkaskoversicherung bei der … AG aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 9. August 2007 entstanden sind und entstehen werden.
Gerichtliche Gebühren und Auslagen, die – im Umfange der Aufhebung und Zurückverweisung – durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, sowie die Gerichtsgebühren der Berufungsinstanz, werden nicht erhoben.
Im Übrigen hat das Landgericht über die weiteren Kosten – auch der Berufungsinstanz – zu entscheiden.
Gründe
Die Parteien streiten um die Folgen aus einem Verkehrsunfall vom 9. August 2007 in B. Bei diesem Unfall im Begegnungsverkehr wurde der Pkw der Klägerin durch eine an einem Traktor, dessen Halter der Beklagte zu 1) ist, dessen Fahrer der Beklagte zu 2) war und der bei dem Beklagten zu 3) gegen Haftpflichtschäden versichert war, angehängte Scheibenegge großflächig im linken Frontbereich sowie im gesamten linken Seitenbereich beschädigt. Nachdem die Parteien erstinstanzlich noch um den Grund der Haftung gestritten hatten, ist die volle Haftung der Beklagten insoweit mittlerweile unstreitig.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine schwerbehinderte Frau, die aufgrund einer spastischen Parese Rollstuhlfahrerin ist, ihr Auto war entsprechend für sie umgebaut. Nach einem von der Klägerin eingeholten Schadengutachten sollten sich die Reparaturkosten voraussichtlich auf rund 6.100 Euro belaufen. Da sich die Schadenregulierung schwierig gestaltete, nahm die auch vorgerichtlich schon anwaltlich vertretene Klägerin letztlich wegen der Reparaturkosten ihren Kaskoversicherer – die … AG – in Anspruch. Vom Unfalltage an bis zum 26.09.2007 (insgesamt 49 Tage) stand der Klägerin ihr Fahrzeug nicht zur Verfügung, an 12 Tagen davon wurde sie von ihrem Ehemann zur Arbeit gefahren und wieder abgeholt.
Die Klägerin hat in erster Instanz einen restlichen materiellen Schaden in Höhe von 3.205,59 Euro geltend gemacht, darunter Nutzungsausfall für 49 Tage, Anwaltskosten für die Schadenabwicklung mit ihrem Kaskoversicherer sowie die vorgerichtliche, nicht anrechenbare anwaltliche Geschäftsgebühr für die Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Beklagten zu 3).
Die Klägerin hat darüber hinaus behauptet und behauptet weiterhin, sie habe durch den Unfall ein HWS-Schleudertrauma erlitten und ist der Auffassung, ihr stehe ein Schmerzensgeld von mindestens 1.500 Euro zu, unter Berücksichtigung vorgerichtlich gezahlter 250 Euro Schmerzensgeld also zumindest noch 1.250 Euro. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schadenaufstellung Bl. 3 / 4 der Akte Bezug genommen. Letztlich hat die Klägerin Feststellung dahingehend begehrt, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr den Rückstufungsschaden durch Inanspruchnahme ihres Kaskoversicherers zu ersetzen.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht der Klage nur in geringem Umfange stattgegeben; insbesondere hat es die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin Nutzungsausfall und Anwaltskosten für die Schadenabwicklung über ihren Kaskoversicherer geltend gemacht hat. Ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 250 Euro hat das Landgericht der Klägerin im Hinblick auf „von einer HWS-Distorsion unabhängig erlittene Blessuren“ zugesprochen. Den Vortrag der Klägerin zum Vorliegen einer HWS-Distorsion hat das Landgericht als nicht hinreichend substantiiert angesehen. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Die Klägerin rügt mit der Berufung, die Ausführungen des Landgerichts – soweit es die Klage abgewiesen hat – seien rechts- und verfahrensfehlerhaft, während die Beklagten das angefochtene Urteil verteidigen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
1. an sie 2.055,10 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 28. August 2007 sowie eine Nebenforderung in Höhe von 1.150,49 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 28. August 2007 zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, sämtliche Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Inanspruchnahme ihrer Vollkaskoversicherung der … AG aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 09.08.2007 entstanden sind und entstehen werden; weiterhin beantragt die Klägerin hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zurückzuverweisen.
Die Beklagten hingegen tragen auf Zurückweisung der Berufung an.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat (vorläufigen) Erfolg.
Auf ihren Antrag hin ist das angefochtene Urteil nebst dem ihm zugrunde liegenden Verfahren gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO aufzuheben und an das Landgericht zurückzuverweisen, soweit die Klage abgewiesen worden ist, denn das Verfahren im ersten Rechtszug leidet – neben Rechtsfehlern – an einem wesentlichen Verfahrensmangel, der zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG darstellt. Zudem wird voraussichtlich eine erstmalige, aufwändige Beweisaufnahme erforderlich werden, sodass eine Sachentscheidung des Senats – auch im Hinblick auf den ansonsten eintretenden Verlust einer Tatsacheninstanz – nicht angezeigt ist.
Der wesentliche Verfahrensfehler des Landgerichts im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegt darin, dass es erheblichen, unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin übergangen hat, zudem gebotene Hinweise (§ 139 ZPO) nicht erteilt hat.
Die Klägerin hatte unter Beweisantritt (Zeugnis der behandelnden Ärzte) dargestellt, dass sie – neben diversen Prellungen – durch die Kollision eine HWS-Distorsion erlitten habe. Dazu hat die Klägerin einen Arztbericht des sie am Unfalltage behandelnden D-Arztes Dr. L vom 09.08.2007 (Bl. 33 der Akte) sowie einen Bericht ihres Hausarztes Dr. B vom 10.01.2008 (Bl. 34 der Akte) vorgelegt. In dem Arztbericht vom Unfalltage heißt es unter anderem: „… Patientin hat Kopfschmerzen, verspürt Übelkeit, UV war nicht bewusstlos. Leichte Schmerzen in der HWS … und unter Diagnose: „HWS-Distorsion“…“.
Dies als nicht hinreichend substantiiert abzutun unter Hinweis darauf, die ärztliche Diagnose beruhe weitestgehend auf subjektiven Patientenbekundungen, verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dieser gebietet es nämlich, erheblichen Vortrag und erhebliche Beweisantritte zu berücksichtigen. Um eben solchen Vortrag und solche Beweisantritte handelt es sich hier. Gerade der Arztbericht Dr. L vom Unfalltage beruht ganz offensichtlich nicht „weitestgehend“ auf den Bekundungen der Klägerin, sondern enthält hinreichende objektive Anhaltspunkte, die ohne weiteres den Substantiierungsanforderungen für die Darlegung einer unfallbedingten HWS-Distorsion genügen. Die Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens der Klägerin, die durch keine Norm des materiellen oder formellen Rechts begründet war, stellt eine Verletzung ihres verfahrensrechtlichen Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar. Zugleich hat das Landgericht auch gegen seine sich aus § 139 ZPO ergebende Hinweis- und Fragepflicht verstoßen, wenn es einerseits den Vortrag der Klägerin als nicht hinreichend substantiiert ansieht, andererseits ihre Angaben im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht als „zu vage“. Auf die vermeintlich fehlende Substantiierung hätte das Landgericht hinweisen können und müssen; bei vermeintlich zu vagen Angaben hätte es nahegelegen, näher nachzufragen. Im Übrigen erschöpften sich die Angaben der Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung ausweislich des Protokolls vom 31. Juli 2008 nicht lediglich darin, dass es „ordentlich gerummst“ habe; vielmehr hat die Klägerin auch angegeben, ihr Hals habe danach auch wirklich wehgetan.
Von einer Zurückverweisung kann nicht abgesehen werden, eine eigene Entscheidung erscheint dem Senat nicht sachdienlich, bedarf es doch bis zur Entscheidungsreife des Rechtsstreits voraussichtlich einer erstmaligen, umfangreichen und aufwendigen Beweisaufnahme. Voraussichtlich sind nicht nur die benannten Zeugen zu vernehmen, vielmehr liegt es nahe, dass ein medizinisches, ggf. auch ein verkehrstechnisch-medizinisches Kombinationsgutachten eingeholt werden muss.
Dabei weist der Senat für das weitere Verfahren darauf hin, dass die Auffassung des Landgerichts, da es sich hier weitgehend um eine Streifenkollision gehandelt habe, sei eine HWS-Verletzung der Klägerin ohnehin eher unwahrscheinlich, von Rechtsirrtum beeinflusst scheint. Der erkennende Senat hat bereits in der Entscheidung 7 U 94/05 vom 29. Juni 2006 (SchlAnz 2007, S. 377 f.), in der es ebenfalls um die Frage einer HWS-Verletzung infolge einer Streifenkollision ging, festgestellt, dass dies einer derartigen Verletzung nicht entgegensteht. Umso mehr gilt dies, wenn – wie hier – die Betroffene unter einer spastischen Parese leidet, sich die spezifische Belastungssituation also ganz anders darstellen kann als bei einem gesunden Unfallbeteiligten.
Auch die Ausführungen des Landgerichts, soweit es den geltend gemachten Nutzungsausfallschaden und die Anwaltskosten angeht, sind nicht frei von Rechtsfehlern.
Die Tatsache, dass die Klägerin sich an 12 von 49 geltend gemachten Ausfalltagen des Fahrzeuges damit beholfen hat, dass sie von ihrem Ehemann zur Arbeit hingefahren und auch wieder abgeholt worden ist, der Aufwand insoweit auch vom Landgericht ausgeurteilt worden ist, steht allenfalls der Geltendmachung von Nutzungsausfallentschädigung für eben diese Tage entgegen. Insoweit ist die Situation mit derjenigen vergleichbar, in der ein Unfallgeschädigter für einen Teil des Reparaturzeitraumes einen Mietwagen nimmt, für einen weiteren Teil aber darauf verzichtet. Es bedarf keiner näheren Erörterung, dass er dann sowohl Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten als auch – für den übrigen Zeitraum – auf Nutzungsausfallentschädigung hat. Einem Teilurteil des Senats in diesem Punkt steht lediglich entgegen, dass die Klägerin in der Nutzungsmöglichkeit ihres Fahrzeuges durch eine HWS-Distorsion eingeschränkt gewesen sein könnte.
Soweit das Landgericht die Anwaltskosten der Klägerin aufgrund der Geltendmachung des Fahrzeugschadens gegenüber ihrem Kaskoversicherer grundsätzlich als nicht ersatzfähig ansieht, hat es offensichtlich die Entscheidungen BGH NJW 2005, S. 1112 f. und BGH NJW 2006, S. 1065 f. übersehen. Danach sind nämlich auch die Kosten der Geltendmachung von Schäden beim eigenen Versicherer ein vom Schädiger zu ersetzender Schaden, da zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten grundsätzlich auch die durch das Schadenereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten zählen, wobei allerdings zu ersetzen sind nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Soweit es aus Sicht des Geschädigten erforderlich ist, anwaltliche Hilfe auch für die Geltendmachung von Schäden gegenüber dem eigenen Versicherer in Anspruch zu nehmen, gilt dies auch für diese Kosten. Dabei sind (BGH aaO) an die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruches keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Das Landgericht wird – mit den gebotenen Hinweisen – aufzuklären haben, ob aus Sicht der Klägerin anwaltliche Hilfe bei der Geltendmachung des Schadens gegenüber ihrem Kaskoversicherer erforderlich war.
Im Ansatz zutreffend führt das Landgericht aus, dass die zur Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Schädigers erforderlichen Rechtsanwaltskosten Teil des Schadensersatzanspruches des Geschädigten sind; ob diese aber Nebenforderung sind – so wie von der Klägerin geltend gemacht – oder Hauptforderung, hängt nicht davon ab, ob sie grundsätzlich eine ersatzfähige Schadenposition darstellen, sondern (vgl. BGH VI ZB 60/07, Beschluss vom 17. Februar 2009) davon, ob die Hauptforderung noch Prozessgegenstand ist – dann ist die nicht festsetzungsfähige vorgerichtliche Anwaltsgebühr Nebenforderung – oder ob die ursprüngliche Hauptforderung nicht (mehr) Prozessgegenstand ist; im letzteren Fall wären die Anwaltskosten Hauptforderung.
Auch insoweit hängt die Höhe der Gebühr allerdings entscheidend von den weiteren Forderungen der Klägerin ab; allerdings vermag der Senat nicht zu erkennen, dass ein Gebührenansatz oberhalb der Mittelgebühr von 1,3 angemessen wäre.
Soweit die Klägerin letztlich die Tenorierung des Feststellungsausspruches durch das Landgericht („Vermögensvorteil“) rügt, handelt es sich um einen offensichtlichen Tenorierungsfehler, den der Senat ohne weiteres gemäß § 319 Abs. 1 ZPO berichtigen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 1 GKG. Der Verfahrensverstoß des Landgerichts stellt eine unrichtige Sachbehandlung dar. Über die weiteren Kosten – auch des Berufungsrechtszuges – hat gleichfalls das Landgericht zu entscheiden.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.