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Arbeitsunfall – HWS-Distorsion

SG Stade

Az: S 7 U 64/11

Urteil vom 06.09.2011


Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung von Gesundheitsstörungen als Folgen eines Arbeitsunfalls.

Der am 14. Dezember 1965 geborene Kläger ist Containerbrückenfahrer. Am 17. Mai 2010 kam es zu einem so genannten Notstopp der Containerbrücke, wobei nach den Angaben des Klägers sein Kopf vor- und zurückgeschleudert wurde.

Am 25. Mai 2010 stellte sich der Kläger bei den Durchgangsärzten Dres. D. vor, die einen leichte Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) diagnostizierten. Von der HWS angefertigte Röntgenaufnahmen waren ohne Befund. Es ließen sich keine neurologischen Ausfälle diagnostizieren. Es bestand etwas Bewegungsschmerz der HWS und die Rotation nach links und rechts waren im HWS-Bereich endgradig eingeschränkt. Da der Kläger über anhaltende Beschwerden im Bereich der HWS klagte, fertigte der Radiologe Dr. E. am 07. Juni 2010 Magnetresonanztomographie (MRT)-Aufnahmen der HWS an. Er diagnostizierte eine Fehlhaltung der HWS mit Kyphosierung und leichter rechtskonvexer Skoliose. sowie einen älteren überbrückten Bandscheibenvorfall im Segment C4/C5 mit rechtsseitiger Einengung des Neuroforamens und eine deutliche Einengung des Spinalkanals im Segment C5/C6. Des Weiteren fand sich auf den Aufnahmen ein Bandscheibenvorfall im Segment C6/C7 mit Nervenwurzelkontakt C7. Dr. D. führte die deutliche Einengung des Spinalkanals nicht auf den Unfall zurück und führte aus, dass sich keine Hinweise für eine frische knöcherne oder sonstige posttraumatische Läsion ergäben. Am 09. Juli 2010 stellte sich der Kläger beim Neurochirurgen Dr. F. vor, der nur leichte allgemeine degenerative Veränderungen und keine Traumafolgen diagnostizierte.

Die von der Beklagten beratungsärztlich gehörte Frau Dr. G. ging von einer maximalen unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von 4 Wochen aufgrund einer minimalen Zerrung der HWS aus und begründetet die mit den im MRT gefundenen alten degenerativen Veränderungen, fehlenden frischen verletzungsspezifischen Befunden.

Mit Bescheid vom 10. November 2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen über den 14. Juni 2010 hinaus und die Gewährung einer Rente ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und fügte ein Attest seines behandelnden Arztes H. bei, der ihm bescheinigte, dass der Kläger vor dem Unfall nicht wegen Beschwerden im Bereich der HWS bei ihm in Behandlung gewesen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Am 16. Mai 2011 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 10. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2011 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihm bestehenden Parästhesien, Schmerzen und Taubheit des linken Armes, Schwindel bei Reklination des linken Armes, Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Mai 2010 sind und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gem. § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die Einholung eines orthopädisch-unfallchirurgischen Gutachtens von Dr. I … Bezüglich der Einzelheiten des Gutachtens des Dr. I. vom 08. Juli 2011 wird auf Blatt 29 ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 14. Juli 2011 davon in Kenntnis gesetzt, dass es in Aussicht nehme, nach Aktenlage durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

Durch Schriftsatz vom 15. August 2011 hat der Kläger mitgeteilt, dass er sich vorbehalte, einen Antrag gemäß § 109 SGG zu stellen. Er beantragte eine Fristverlängerung für eine entsprechende Antragstellung und die Benennung des Gutachters bis zum 05. September 2011. Mit richterlicher Verfügung vom 25. August 2011 wurde dem Kläger eine Fristverlängerung für die Einzahlung des Kostenvorschusses und für die Benennung des Sachverständigen bis zum 05. September 2011 gewährt. Am 05. September 2011 hat der Kläger um weitere Fristverlängerung bis zum 23. September 2011 für die Benennung des Gutachters und die Zahlung des Kostenvorschusses gebeten, ohne Gründe hierfür anzugeben. Der Kostenvorschuss wurde am 05. September 2011 eingezahlt.

Das Gericht hat die den Kläger betreffende Verwaltungsakte beigezogen.

Entscheidungsgründe

Nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht hier ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf; der Sachverhalt ist geklärt.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 10. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2011 ist rechtmäßig. Der Kläger kann die Anerkennung und Entschädigung der von ihm geltend gemachten Parästhesien, Schmerzen und Taubheit des linken Armes, Schwindel bei Reklination des linken Armes als Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Mai 2010 nicht verlangen. Der Kläger hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls über den 14. Juni 2010 nicht den Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere hat er keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente.

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 26 Abs 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung -, SGB VII) sind dann zu gewähren, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind Unfälle, die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII). Gemäß § 56 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB VII wird eine Verletztenrente gezahlt, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist.

Für die sog haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Das heißt, dass das Unfallereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der vorliegende Gesundheitsschaden entfiele. Dabei ist der Ursachenzusammenhang zwischen Arbeitsunfall und Gesundheitsschaden dann zu bejahen, wenn er hinreichend wahrscheinlich ist. Hinreichende Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls den für den Zusammenhang sprechenden Umstände ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 32, 203, 209).

Da im Sinne des Sozialrechts nur solche Ursachen als ursächlich und rechtserheblich angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (stRspr: BSGE 1, 72, 76; 1, 150, 156 f) ist in einem zweiten wertenden Schritt zu ermitteln, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Der gesetzlichen Unfallversicherung ist eine teilbare Kausalität fremd – insofern gilt das Alles- oder Nichts- Prinzip – und die Kausalität ist daher für den gesamten bestehenden Schaden einheitlich zu beurteilen (vgl hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S 78). Gab es neben der versicherten Ursache noch konkurrierende Ursachen, zB Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, solange die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war (Urteil des BSG vom 12.04.2005, Az: B 2 U 27/04 R).

Im Hinblick auf den Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung ist jeder Versicherte grundsätzlich in dem Gesundheitszustand geschützt, in dem er sich bei Eintritt des schädigenden Ereignisses befunden hat. Einbezogen sind alle im Schädigungszeitpunkt bestehenden Schadensanlagen und konstitutionellen Schwächen, die selbst noch keinen Krankheitswert aufweisen. Es kommt allein darauf an, ob der unfallbedingte Kausalanteil an der eingetretenen Gesundheitsstörung als wesentlich zu bewerten ist (Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO). Eine Krankheitsanlage war dann von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht ansprechbar ist, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlich äußerer Einwirkungen bedarf, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu etwa derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f). War die Krankheitsanlage von überragender Bedeutung, so ist die versicherte naturwissenschaftliche Ursache nicht als wesentlich anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts aus; sie ist dann bloß eine so genannte Gelegenheitsursache (Urteil des BSG vom 12.04.2005, Az: B 2 U 27/04 R).

Um diese wertende Gegenüberstellung vornehmen zu können, müssen die konkurrierenden Ursachen zunächst sicher feststehen. Ebenso wie die betriebsbedingte Ursache müssen auch die körpereigenen Ursachen erwiesen sein. Kann eine Ursache nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne in Betracht zu ziehen ist. (Urteil vom BSG vom 08.03.1990, HV-Info, 8/1990, S 638 ff).

Die Kammer folgt den überzeugenden Ausführungen des Dr. I. in seinem Gutachten vom 08. Juli 2011, der in Übereinstimmung mit der im Verwaltungsverfahren gehörten Frau Dr. G. zu dem Ergebnis gelangt ist, dass es bei dem Kläger durch den Arbeitsunfall vom 28. Juni 2010 allenfalls zu einer leichten Zerrung der HWS gekommen ist. Unter Zugrundelegung von allgemein anerkannten medizinischen Erfahrungssätzen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 464) ist eine derartige HWS-Zerrung Grad I nach Erdmann mit einer Arbeitsunfähigkeit von bis zu 4 Wochen verbunden, wie es von der Beklagten auch in den streitbefangenen Bescheiden anerkannt wurde. Die bei dem Kläger nach dem 14. Juni 2010 noch vorliegenden Erkrankungen sind nicht wesentlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen, sondern wesentlich degenerativ bedingt. Dr. I. hat, wie auch Frau Dr. G. und Dr. P., überzeugend ausgeführt, dass die bei dem Kläger diagnostizierten Bandscheibenvorfälle in den Segmenten C4/C5, C5/C6 und C6/C7 nicht wesentlich traumatisch, sondern degenerativ bedingt sind. Aus den angefertigten MRT- und Röntgenaufnahmen ergibt sich kein Hinweis auf traumatisch bedingte Begleitverletzungen in Form von strukturellen Schädigungen der Wirbelkörper oder Bandstrukturen. Nach allgemein anerkannten medizinischen Erfahrungssätzen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, im angegebenen Ort, Seite 436) ist ein Bandscheibenvorfall ohne entsprechende Begleitverletzungen im vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment wesentlich degenerativ und nicht traumatisch bedingt. Zudem wurden bei dem Kläger strukturelle degenerative Veränderungen diagnostiziert, für deren Entstehung es längerer Zeiträume bedarf. Die bei dem Kläger diagnostizierten retrospondylotischen und den Spinalkanal einengenden osteophytären Ausziehungen waren danach bereits zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls vom 17. Mai 2010 vorhanden. Dass der Kläger vor dem 17. Mai 2010 nicht in ärztlicher Behandlung wegen HWS-Beschwerden war, spricht nicht für eine wesentliche Verursachung der nunmehr bei ihm diagnostizierten HWS-Erkrankungen. Derartige Erkrankungen verlaufen häufig stumm. Danach vermag keine der im Klage- und Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten oder ärztlichen Stellungnahmen das Klagebegehren zu stützen.

Der Antrag des Klägers, einen Arzt gemäß § 109 Abs. 2 SGG gutachterlich zu hören, wird wegen Verzögerung des Rechtsstreits abgelehnt. Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Der Kläger hatte ausreichend Zeit, einen Arzt zu benennen und den angeforderten Kostenvorschuss einzuzahlen. Innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist hat der Kläger lediglich den Kostenvorschuss eingezahlt, jedoch keinen Arzt benannt, der gutachterlich gehört werden soll. Der Kläger hat lediglich unsubstantiiert um Verlängerung der Frist gebeten. Hier wäre erforderlich gewesen, dass der Kläger seinen zweiten Fristverlängerungsantrag zumindest begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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