Zusammenfassung:
Dürfen Polizeibeamte die Standardmaßnahme der Identitätsfeststellung durchführen, wenn sie bei einem Polizeieinsatz (Begleitung einer Versammlung) gefilmt werden und Nahaufnahmen von den Polizeibeamten erstellt werden? Ist es für die Rechtmäßigkeit der Identitätsfeststellung durch die Polizeibeamten von Bedeutung, ob die Polizeibeamten selbst ebenso Filmaufnahmen anfertigen?
Oberverwaltungsgericht Lüneburg
Az: 11 LA 1/13
Beschluss vom 19.06.2013
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
Der Kläger wendet sich gegen eine Identitätsüberprüfung durch die Polizei am 22. Januar 2011 gegen 15.36 Uhr im Kreuzungsbereich Bürgerstraße/Kurze Geismarstraße in Göttingen am Rande einer dort stattfindenden Versammlung. Die Einzelheiten des Zusammentreffens des Klägers mit Beamten der Bereitschaftspolizei Hannover werden von den Beteiligten unterschiedlich dargestellt. Unstreitig ist, dass der Kläger einem der Polizeibeamten auf dessen Anforderung hin seinen Personalausweis für einige Minuten ausgehändigt hat. Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Identitätsüberprüfung gerichtete Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen.
Die dagegen geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Die Begründung des Zulassungsantrags ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufzuzeigen.
Das Verwaltungsgericht hat die Frage, ob die Herausgabe des Personalausweises des Klägers an den Polizeibeamten bereits zu einer abgeschlossenen Identitätsfeststellung geführt hat, offen gelassen, weil die Voraussetzungen für eine Identitätsfeststellung vorgelegen hätten und die Maßnahme daher rechtmäßig gewesen sei. Dies ist nicht zu beanstanden.
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die Identität einer Person feststellen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist. Dabei können sie zur Feststellung der Identität die erforderlichen Maßnahmen treffen, insbesondere die betroffene Person anhalten, sie nach ihren Personalien befragen und verlangen, dass sie mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG).
Die Identitätsfeststellung zur Abwehr einer Gefahr ist in erster Linie als eine Maßnahme der Gefahrerforschung zu verstehen. Sie dient regelmäßig der weiteren Aufklärung einer Gefahrenlage, indem am Geschehen beteiligte Personen namhaft gemacht werden und ihr Gefährdungspotential festgestellt wird, und damit der Überprüfung, ob jemand Störer ist oder nicht. Insofern ist sie Voraussetzung dafür, dass polizeiliche Maßnahmen gegenüber der richtigen Person getroffen werden. Die Identitätsfeststellung ist dabei typischerweise nur Mittel zum Zweck, andere polizeiliche Maßnahmen zu ermöglichen (vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. E, Rn. 328; siehe auch: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6.6.2012 – OVG 1 N 28.11 -, juris, Rn. 5). Weiter handelt es sich bei der Identitätskontrolle um einen insgesamt nicht gravierenden Eingriff, zumal auch in typischen Situationen des täglichen Lebens die Notwendigkeit auftreten kann, die Identität zu belegen. Insofern kann die Einschreitschwelle niedrig angesetzt werden (Senatsbeschl. v. 4.3.2010 – 11 PA 191/09 -, NordÖR 2010, 211, juris, Rn. 6; siehe auch: Bay. VerfGH, Entscheidung v. 7.2.2006 – Vf. 69-VI-04 -, NVwZ 2006, 1284, juris, Rn. 41).
Danach war die streitige Identitätsfeststellung rechtmäßig. Die daran beteiligten Polizeibeamten konnten im maßgeblichen Zeitpunkt der von ihnen getroffenen Maßnahme von der Gefahr der Begehung von Straftaten nach §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 33 KunstUrhG durch den Kläger ausgehen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, erweckte das Verhalten des Klägers und seiner Begleiterin, die durch „Buttons“ an ihrer Kleidung als Angehörige der Interessengemeinschaft „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ zu erkennen waren, den Eindruck, Nahaufnahmen von den Polizeibeamten zu erstellen. Zwar hat der Kläger bestritten, selbst Aufnahmen gemacht zu haben. Das Verwaltungsgericht hat aber zu Recht entschieden, dass dem Kläger das Verhalten seiner Begleiterin, mit der er als “Beobachtungsteam“ aufgetreten sei und die auch nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zumindest den Anschein erweckt habe, Videoaufnahmen von den Polizeibeamten zu machen, zuzurechnen sei.
Das Filmen und Fotografieren polizeilicher Einsätze ist allerdings grundsätzlich zulässig. Nach §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 33 KunstUrhG ist lediglich ein Verbreiten und öffentliches Zurschaustellen, nicht aber das Herstellen von Bildnissen strafbar. Weiter kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Sinne von §§ 22, 23 KunstUrhG unzulässig erstellte Bildaufnahmen auch stets verbreitet werden. Eine Beschlagnahme zum Schutz einzelner Personen kann danach nur gerechtfertigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Lichtbilder entgegen den Vorschriften des Kunsturhebergesetzes unter Missachtung des Rechts von Polizeibeamten und/oder Dritter am eigenen Bild auch veröffentlicht werden (BVerwG, Urt. v. 14.7.1999 – BVerwG 6 C 7.98 -, NVwZ 2000, 63, juris, Rn. 27). Anhaltspunkte für ein künftiges rechtswidriges Verhalten können sich beispielsweise aus einem gleichgelagerten Vorverhalten ergeben. Die Polizei ist unter dem Gesichtspunkt des Gefahrenverdachts daher befugt, die Person, die derartige Aufnahmen erstellt, zu befragen und ihre Personalien zum Zwecke der Überprüfung festzustellen.
Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Sicherstellung von Foto- oder Filmmaterial bzw. ein Fotografier- oder Filmverbot, sondern um die einer solchen Maßnahme vorgelagerte Identitätsfeststellung. Gegenüber den Polizeibeamten haben der Kläger und seine Begleiterin angegeben, für die Interessengemeinschaft „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ tätig zu sein und die Aufnahmen dort verwenden zu wollen. Insofern lagen für die Polizeibeamten hinreichende Anhaltspunkte für die Gefahr vor, dass von ihnen gefertigte Nahaufnahmen öffentlich zur Schau gestellt, d.h. zumindest innerhalb der Gruppe oder sogar im Internet verbreitet werden könnten.
Soweit der Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrages geltend gemacht hat, den Beamten sei der Grund für die Anfertigung von Filmaufnahmen durch ein anderes Mitglied der Bürgerrechtsgruppe bekannt gewesen, da die Polizeibeamten selbst ohne Anlass nahezu durchgehend die friedliche Versammlung gefilmt hätten und mehrfach von Mitgliedern der Gruppe auf die Rechtswidrigkeit ihrer Filmaufnahmen hingewiesen worden seien, führt dies nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Insbesondere spricht das Vorbringen des Klägers nicht gegen die aus Sicht der Polizeibeamten bestehende Gefahr einer Verbreitung der von ihnen gefertigten Nahaufnahmen. Denn selbst wenn die Videoaufzeichnungen der Polizeibeamten rechtswidrig gewesen sein sollten, lag objektiv kein Grund vor, zu Beweissicherungszwecken, wie der Kläger vorträgt, von ihnen Nahaufnahmen anzufertigen. Derartige Aufnahmen wären für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Videoaufzeichnungen ginge, jedenfalls nicht notwendig. Dort wäre vielmehr maßgeblich, was die Polizeibeamten gefilmt haben. Für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Beamten, in denen derartige Aufnahmen möglicherweise als Beweismittel dienen könnten, ist erst Recht nichts ersichtlich und von dem Kläger auch nicht vorgetragen worden.
Dass der Kläger gegenüber den Polizeibeamten erklärt haben will, die Aufnahmen nicht zu veröffentlichen, ändert ebenfalls nichts an dem bestehenden Gefahrenverdacht. Die Beamten der Bereitschaftspolizei Hannover sahen sich mit ihnen unbekannten Personen konfrontiert, die einer ihnen ebenfalls unbekannten Interessengemeinschaft angehörten und den Eindruck erweckten, aus unmittelbarer Nähe Aufnahmen von ihnen zu fertigen. Dass sie vor diesem Hintergrund die Personalien des Klägers und seiner Begleiterin feststellen wollten, um weitere Maßnahmen zu ergreifen bzw. einen möglichen späteren Rechtsverstoß verfolgen zu können, ist daher nicht zu beanstanden und auch nicht, wie der Kläger meint, mit einer Vorverurteilung der Bürgerrechtsgruppe gleichzusetzen. Dabei ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass Streitgegenstand hier die Identitätsfeststellung ist. Insofern ist der vorliegende Sachverhalt auch nicht mit dem dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2012 (- BVerwG 6 C 12.11 -, BVerwGE, 143, 74; juris) zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichbar, in dem die gegen zwei Journalisten gerichtete Untersagung von Bildaufnahmen streitig gewesen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Urteil im Hinblick auf die gebotene Abwägung mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit ausgeführt, dass die mit einer Bildaufnahme verbundene Möglichkeit eines rechtsverletzenden Gebrauchs durch Veröffentlichung der Bilder nicht notwendig immer auf der ersten Stufe, d.h. durch ein Fotografierverbot, abgewehrt werden muss, sondern dass dies in vielen Fällen auch auf der zweiten Stufe des Gebrauchs der entstandenen Bilder geschehen kann. Abgesehen davon, dass der Kläger sich nicht auf die Pressefreiheit berufen kann, geht es im vorliegenden Fall auch (noch) nicht um eine Gefahrenabwehrmaßnahme auf der ersten Stufe wie z.B. ein Fotografier- bzw. Filmverbot, sondern – lediglich – um die einer möglichen weiteren polizeilichen Maßnahme vorgeschaltete Identitätsfeststellung. Der Auffassung des Klägers, dass das Verwaltungsgericht die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts falsch gewertet habe, kann daher nicht gefolgt werden.
2. Die Berufung kann auch nicht wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden. Denn es ist angesichts der vorstehenden Ausführungen zu 1. nicht ersichtlich, dass die Rechtssache entscheidungserhebliche Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft, die sich nur unter besonderen, d.h. überdurchschnittlichen Schwierigkeiten, beantworten lassen.
3. Die Grundsatzrüge des Klägers greift ebenfalls nicht durch.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (Schoch/Schneider/Bier, Kommentar zur VwGO, Stand: 24. Ergänzungslieferung 2012, § 124, Rn. 30 ff., m.w.N.).
Die von dem Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage, ob
„die Anordnung polizeilicher Maßnahmen gegenüber Personen, die Polizeibeamte im Einsatz fotografieren, und bei denen keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen der Gefahr hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Kunst- und Urheberrecht vorliegen“, rechtmäßig ist,
ist, sofern sie überhaupt einer einzelfallübergreifenden Klärung zugänglich ist, jedenfalls nicht entscheidungserheblich und würde sich in einem Berufungsverfahren daher nicht stellen. Denn, wie sich aus den Ausführungen zu 1. ergibt, konnten die Polizeibeamten im maßgeblichen Zeitpunkt der von ihnen angeordneten Identitätsfeststellung von der Gefahr der Begehung von Straftaten nach §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 33 KunstUrhG durch den Kläger ausgehen.