Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Kletterhalle führt zu Schadensersatzforderungen
Am 20. November 2016 ereignete sich in einer von der beklagten GmbH betriebenen Kletterhalle ein schwerer Unfall, bei dem die Versicherte, Frau A. H., erhebliche Verletzungen erlitt. Der Unfall ereignete sich beim sogenannten Toprope-Klettern anlässlich eines von der Beklagten veranstalteten „Schnuppertages“. Die Klägerinnen fordern aufgrund des Unfalls Schadensersatz in Höhe von insgesamt 150.388,02 €.
Ursachen des Unfalls
Der Unfall wurde durch eine falsche Handhabung des Karabiners verursacht, der versehentlich in eine nicht tragfähige Schlaufe geklippt wurde. Die schwer verletzte Versicherte musste intensivmedizinisch behandelt werden und leidet an dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen.
Verantwortung der Beklagten
Die Klägerinnen werfen der Beklagten vor, für die erlittenen Verletzungen ihrer Versicherungsnehmerin vertraglich sowie unter dem Gesichtspunkt einer Verkehrssicherungspflichtverletzung verantwortlich zu sein. Die Beklagte weist die Vorwürfe zurück und betont, dass ungeübte Kletterer am „Schnuppertag“ die voreingerichteten Stationen nur in Begleitung eines von der Beklagten gestellten Kletterers/Ausbilders genutzt hätten.
Entscheidung des Gerichts
Mit dem am 11. Januar 2021 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und argumentiert, dass keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorliegt. Sie vertritt die Ansicht, dass selbst bei unterstellter Annahme einer Verkehrssicherungspflichtverletzung der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Versicherten und des Streithelfers weit überwiegt und die Haftung der Beklagten vollständig ausschließt
Die Berufung der Beklagten in einem Fall, in dem es um Schadensersatzansprüche nach einem Unfall in einer Kletterhalle ging, wurde abgewiesen. Das Landgericht hatte der Klägerin die Hälfte des Schadens zugesprochen und die Beklagte zur Erstattung weiterer Aufwendungen verpflichtet. Die rechtliche Grundlage für die Schadensersatzansprüche war sowohl § 823 Abs. 1 BGB als auch § 280 Abs. 1 BGB, da ein Vertrag zwischen der Versicherten und der Beklagten zustande gekommen war.
Verkehrssicherungspflichten und Haftung
Der Betreiber einer Kletterhalle ist verpflichtet, Dritte vor den besonderen Gefahren zu schützen, die von der konkreten Gestaltung der Einrichtungen ausgehen. Verkehrssicherungspflichten gelten sowohl für vertragliche als auch für deliktische Haftung. Im vorliegenden Fall wurde eine objektive Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten festgestellt, da durch die Gestaltung der Toprope-Station eine besondere Gefahr entstanden war.
Unfallursache und Folgen
Ein Sachverständiger führte aus, dass die Unfallursache in der Verbindung eines Restseilstücks mittels Klebebands am Hauptseil lag, wodurch ein „falsches Auge“ entstand. Diese Vorgehensweise steht im Widerspruch zu den Empfehlungen des Deutschen Alpenvereins. Die Klägerinnen haben den Nachweis eines Pflichtverstoßes geführt, und das Landgericht hat die Berufung der Beklagten abgewiesen.
Pflichtverletzung und Mitverschulden
Die Klägerinnen haben ein Verschulden der Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 BGB nachgewiesen. Die Beklagte hat ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht genügt, obwohl sie eine Hausordnung hatte, die das Einbinden von Kletterern regelte. Das Mitverschulden der Versicherten und des Streithelfers beträgt nicht mehr als 50 %, da sie einen unzureichenden Sicherheits-/Partnercheck durchgeführt haben.
Haftungs- und Verantwortungsanteil
Die Versäumnisse des Streithelfers und der Versicherten bei der Beurteilung des Mitverschuldens sind als Zurechnungseinheit zu betrachten. Der Senat meint, dass die Nachlässigkeit der Versicherten und des Streithelfers nicht schwerer gewichtet werden kann als der Fehler der Beklagten.
Gesamtschuldverhältnis
Die Grundsätze des gestörten Gesamtschuldverhältnisses stehen der Haftung der Beklagten nicht entgegen. In Fällen, in denen ein Gesamtschuldverhältnis besteht, können Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner endgültig entfiele.
Urteil im Volltext
Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 4 U 12/21 – Urteil vom 24.03.2023
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 11.01.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (8 O 135/19) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention.
3. Dieses Urteil und das am 11.01.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (8 O 135/19) sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die beklagte GmbH betreibt in … eine Kletterhalle.
Am 20.11.2016 stürzte die bei den Klägerinnen gesetzlich kranken- bzw. pflegeversicherte Ehefrau des Streithelfers, Frau A. H. (im Folgenden: die Versicherte), bei der Nutzung einer Innenkletterwand und erlitt schwere Verletzungen.
Der Sturz ereignete sich beim sog. Toprope-Klettern im Rahmen einer von der Beklagten als „Schnuppertag“ konzipierten Nutzungsmöglichkeit der Kletterhalle. Für interessierte Anfänger wurden mehrere erfahrene Kletterer/Ausbilder zur Instruktion und Sicherung bereitgestellt. Geübten Kletterern stand die Halle zur eigenverantwortlichen Nutzung zur Verfügung. Der Ehemann der Versicherten war ein versierter Kletterer. Inwieweit die Versicherte selbst klettererfahren war, ist streitig gewesen. Der Geschäftsführer der Beklagten hat in seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat eingeräumt, dies sei nicht der Fall gewesen.
Beim Toprope-Klettern ist das Seil oben am Routenende in einen sog. Umlenker eingehängt. Der Kletterer und der ihn sichernde Partner binden sich am Boden mit ihrem Klettergurt jeweils in eines der freien Seilenden ein. Der Kletterer fertigt hierzu üblicherweise einen speziellen, hierfür geeigneten Knoten, durch den er ein Seilende an seinem Klettergurt fixiert. Der ihn sichernde Partner verbindet das andere Seilende – zumeist mit einem Sicherungsgerät – mit dem eigenen Klettergurt. Der Kletterer steigt unter Benutzung von in die Wand gebohrten Tritten und Griffen nach oben. Dadurch verkürzt sich sein Abstand zum Umlenkpunkt. Das dadurch schlaff werdende Seil führt der Sichernde durch das Sicherungsgerät und hält es straff, damit ein etwaiger Sturz des Kletterers, falls er abrutscht oder sich nicht halten kann, sogleich abgefangen wird.
Am Unfalltag hatte der Geschäftsführer der Beklagten an mehreren Routen Toprope-Stationen voreingerichtet. Er hatte sog. doppelte Bulin-Knoten mit Karabinern in die jeweils für den Kletterer bestimmten Seilenden eingebunden. Dies sollte die Abläufe beim „Schnupperklettern“ unter Anleitung des Hallenpersonals vereinfachen, indem nicht bei jedem Klettervorgang ein neuer Knoten gefertigt und das Seil mit diesem am Gurt des Kletterers fixiert werden musste, sondern stattdessen der in das Knotenauge eingebrachte Karabiner unmittelbar in die Tragschlaufe des Gurts eingehängt werden konnte.
An der in dieser Weise präparierten Station, an der sich der Unfall ereignete, war bei der Fertigung des Knotens durch den Geschäftsführer der Beklagten ein längeres freies Seilende verblieben. Der Geschäftsführer hatte das Ende dieses überstehenden Restseilstücks mit Klebeband am tragenden Seil angeklebt. Infolgedessen war zwischen Klebeband und Knoten eine Schlaufe („Scheinauge“) entstanden. Die Station wurde vor dem Unfall von anderen Kletterern genutzt. Zu irgendeinem Zeitpunkt – durch wen, ist unklar – war der Karabiner aus dem tragenden Auge des doppelten Bulin-Knotens entfernt und sodann in das Scheinauge gehängt worden. Die Versicherte begann, nachdem der vorhandenen Karabiner mit ihrem Gurt verbunden worden war, zu klettern. In einer Höhe von ca. sechs Metern wollte sie eine Pause machen. Sie gab dem Streithelfer Anweisung, das Seil straff zu ziehen, löste sich von der Wand, um sich im Seil hängen zu lassen, und stürzte auf den harten Betonboden.
Ursächlich für den Absturz war, dass der Karabiner fälschlicherweise in die Schlaufe zwischen Knoten und Abklebestelle geklippt war, sodass die nicht tragfähige Verbindung versagte, als die Versicherte sich in Seil setzte.
Die schwer verletzte Versicherte musste zunächst intensivmedizinisch, danach weiter stationär und im Rahmen von Reha-Maßnahmen behandelt werden. Es verblieben dauerhafte Gesundheitsbeeinträchtigungen.
Die Klägerin zu 1) erbrachte auf Grund des streitgegenständlichen Unfalls Leistungen in Höhe von insgesamt 150.388,02 €. Von diesem Betrag fordert sie aus übergegangenem Recht einen 50-prozentigen Anteil in Höhe von 75.194,01 €. Beide Klägerinnen begehren die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihnen 50 % ihrer entstandenen und künftig entstehenden unfallbedingten Aufwendungen für die Versicherte zu ersetzen.
Die Klägerinnen haben die Ansicht vertreten, die Beklagte sei für die erlittenen Verletzungen ihrer Versicherungsnehmerin vertraglich sowie unter dem Gesichtspunkt einer Verkehrssicherungspflichtverletzung verantwortlich. Sie haben der Beklagten vorgeworfen, ihr Geschäftsführer habe durch die Ausgestaltung der unfallursächlichen Toprope-Station das Risiko begründet, dass der Karabiner im Rahmen der Nutzung durch Klettergemeinschaften aus dem Bulin-Knoten ausgehängt und danach in die zwischen dem Bulin-Knoten und dem mit Klebeband befestigtem Seilende entstandene, nicht tragfähige Schlaufe eingehängt würde.
Bei der Geltendmachung eines nur 50-prozentigen Schadensersatzanteils sehen sie ein etwaiges Mitverschulden der Versicherten selbst bzw. ein ihr gegebenenfalls zuzurechnendes Verschuldens des sie sichernden Streithelfers beim sogenannten vor dem Routeneinstieg durchzuführenden Partnercheck hinreichend berücksichtigt.
Der Streithelfer der Klägerinnen hat ergänzend vorgetragen, der Partnercheck diene nicht dazu, in kommerziellen Einrichtungen vorhandene Kletter- oder Sicherungsgeräte und voreingerichtete Toprope-Stationen auf ihre ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit hin zu überprüfen.
Die Klägerinnen haben beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 75.194,01 € nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) sämtliche weiteren, über die mit dem Klageantrag zu 1) erfassten Aufwendungen hinausgehenden Aufwendungen zu 50 % zu ersetzen, die die Klägerin zu 1) für ihre Versicherte, Frau A. H., geb. am 04.06. …, wegen der Folgen des Sturzes in der Kletterhalle der Beklagten am 20.11.2016 mit der Folge eines offenen Schädelhirntraumas mit frontaler Kalottenfraktur, traumatischer Subarachnoidalblutung, Subduralhämatom beidseits und Kontusionsblutungen rechts okzipital sowie Fraktur des Keilbein Orbita rechts zu erbringen hatte und gegenwärtig und zukünftig zu erbringen hat bzw. haben wird, und
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 2) sämtliche Aufwendungen zu 50 % zu ersetzen, die die Klägerin zu 2) für ihre Versicherte, Frau A. H., geb. am 04.06. …, wegen der Folgen des Sturzes in der Kletterhalle der Beklagten am 20.11.2016 mit der Folge eines offenen Schädelhirntraumas mit frontaler Kalottenfraktur, traumatischer Subarachnoidalblutung, Subduralhämatom beidseits und Kontusionsblutungen rechts okzipital sowie Fraktur des Keilbein Orbita rechts zu erbringen hatte und gegenwärtig und zukünftig zu erbringen hat bzw. haben wird.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Verkehrssicherungspflichten verletzt zu haben, hat sie von sich gewiesen. Sie hat darauf aufmerksam gemacht, dass ungeübte Kletterer am „Schnuppertag“ die voreingerichteten Stationen nur in Begleitung eines von der Beklagten gestellten Kletterers/Ausbilders genutzt hätten. Soweit die Versicherte und der Streithelfer sich dazu entschlossen hätten, eigenverantwortlich an einer solchen Station zu klettern, hätten sie im Rahmen des zwingend vor Beginn der jeweiligen Kletterroute durchzuführenden Partnerchecks das ordnungsgemäße Einhängen des Karabiners überprüfen und festgestellte Fehler korrigieren müssen. Da sie dies ersichtlich nicht getan hätten, überlagere jedenfalls ihr Verursachungs- und Verschuldensanteil eine auf einer Verkehrssicherungspflicht beruhende Schadensverursachung durch die Beklagte vollständig.
Überdies hat die Beklagte sich unter Hinweis auf eine gesamtschuldnerische Mithaftung des Streithelfers auf die Grundsätze zum gestörten Gesamtschuldnerausgleich berufen. Da gemäß § 116 Abs. 6 SGB X (a.F.) der Übergang eines Schadensersatzanspruchs der Versicherten gegen ihren Ehemann ausgeschlossen sei, sei der Regress des Sozialversicherungsträgers gegen den weiteren Schädiger auf das beschränkt, was dieser im Innenverhältnis zum Erstschädiger letztlich zu tragen habe.
Mit dem am 11.01.2021 verkündeten Urteil (Bl. 459 d. A.) hat das Landgericht – nach informatorischer Anhörung des Geschäftsführers der Beklagten J. K. (Bl. 266 d. A.), Beiziehung der Akten der Staatsanwaltschaft Saarbrücken 36 Js 807/17 (Auszüge Bl. 194 – 204 und 224 d. A.) und Beweiserhebung durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen D. S. vom 05.10.2020 (Bl. 316 d. A.) nebst mündlicher Erläuterung am 27.11.2020 (Bl. 418 d. A.) – die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Sie wendet sich gegen die erstinstanzliche Annahme, sie habe Verkehrssicherungspflichten verletzt. Den Betreiber einer Freizeit- oder Sportanlage treffe nur eine Pflicht, die Benutzer durch geeignete Maßnahmen vor Gefahren zu schützen, die für den zugelassenen Benutzerkreis und den zu erwartenden Gebrauch über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgingen, nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar seien. Davon sei im Streitfall nicht auszugehen. Sowohl die Versicherte als auch der Streithelfer hätten das Einhängen des Karabiners in eine nicht tragfähige Schlaufe ohne weiteres erkennen können.
Die Beklagte vertritt die Ansicht, selbst bei unterstellter Annahme einer Verkehrssicherungspflichtverletzung liege aufseiten der Versicherten und des Streithelfers ein weit überwiegender, die Haftung der Beklagten vollständig ausschließender Verursachungs- und Verschuldensbeitrag vor.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen und deren Streithelfer beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerinnen bleiben bei ihrer Einschätzung, die Beklagte habe sowohl gegen vertragliche als auch gegen Verkehrssicherungspflichten verstoßen und hafte daher zu (wenigstens) 50 %. Unter Bezugnahme auf die Feststellungen des Sachverständigen S. weisen sie darauf hin, dass die Beklagte unter Verstoß gegen Empfehlungen des Deutschen Alpenvereins durch die Einrichtung der Toprope-Stationen mit voreingehängten Karabinern und einer über dem doppelten Bulin-Knoten durch Ankleben des Restseils geschaffenen zweiten Schlaufe eine vermeidbare Gefahrenquelle geschaffen habe.
Soweit die Beklagte ein weit überwiegendes Mitverschulden der Klettergemeinschaft aus einem unzureichenden Partnercheck herleite, handele es sich dabei nur um ein vom Deutschen Alpenverein „vereinsintern“ entwickeltes und empfohlenes Sicherheitskonzept und nicht um eine allgemein anerkannte verkehrsübliche Verhaltensweise.
Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrages im Einzelnen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen D. S. vom 05.10.2020 (Bl. 316 d. A.), mündlich erläutert im Termin vor dem Landgericht am 27.11.2020 (Bl. 417 d. A.), die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 06.07.2020 (Bl. 266 d. A.), vom 27.11.2020 (Bl. 417 d. A.) und des Senats vom 03.03.2022 (Bl. 805 d. A.) sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 11.01.2021 (Bl. 459 d. A.).
B.
Die Berufung der Beklagten ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und mithin zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, der Beklagten günstigere Entscheidung (§ 513 ZPO).
Die Entscheidung, mit der das Landgericht der Klägerin zu 1) die Hälfte des – der Höhe nach unstreitigen – Schadens, also 75.194,01 €, zugesprochen und darüber hinaus festgestellt hat, dass die Beklagte verpflichtet ist, 50 % der über die geleisteten Zahlungen hinausgehenden Aufwendungen der Klägerin zu 1) und 50 % der Aufwendungen der Klägerin zu 2) zu ersetzen, ist richtig.
Das Landgericht hat die Zulässigkeit der Klage zutreffend bejaht. Die Berufung wendet sich hiergegen auch nicht. In der Sache hat das Landgericht die Klage, bei der die Klägerinnen gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangene Ansprüche geltend machen und sich dabei von vornherein einen hälftigen Mitverschuldensanteil der Versicherten anrechnen lassen, zu Recht als begründet angesehen.
Rechtliche Grundlage für die übergegangenen Schadensersatzansprüche ist nicht nur der vom Landgericht herangezogene § 823 Abs. 1 BGB, sondern auch § 280 Abs. 1 BGB, denn zwischen der Versicherten und der Beklagten war ein Vertrag über die Nutzung der Kletterhalle zu Stande gekommen.
Der Unfall ereignete sich im Rahmen eines von der Beklagten durchgeführten „Schnuppertags“ am 20.11.2016. Dabei sollten einerseits Anfänger unter Anleitung von Hallenpersonal an den Klettersport herangeführt werden, andererseits aber auch mit dem Klettern bereits vertraute Personen die Halle mit ihren Klettereinrichtungen nutzen dürfen. Bei dieser Sachlage ist – unbeschadet des Umstands, dass die Hallennutzung für alle Kletterer unentgeltlich war – vom Zustandekommen eines Schuldverhältnisses zwischen der Beklagten und den Kletterern (Kunden) auszugehen, aus dem sich – unabhängig davon, wie man die Hauptpflichten rechtlich einordnet (Leihe, Dienstvertrag, Auftrag o. ä.) jedenfalls gemäß § 241 Abs. 2 BGB die Nebenpflicht ergab, Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Kletterer zu nehmen. Im Rahmen eines die Verschaffung der Gelegenheit zur Sportausübung beinhaltenden Vertragsverhältnisses bestehen neben deliktischen Verkehrssicherungspflichten auch vertragliche Schutzpflichten, die darauf gerichtet sind, vermeidbare Gefahren von den Besuchern fernzuhalten (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 20.06.2007 – 13 W 165/07, NJW-RR 2007, 1619 – 1620, juris Rdn. 7; OLG Köln, Beschl. v. 09.03.2020 – 7 U 257/19, juris Rdn. 3 ff; OLG Frankfurt, Urt. v. 05.08.2021 – 16 U 162/20, juris Rdn. 14).
Der Umfang der Verkehrssicherungspflichten ist im Streitfall im Rahmen der vertraglichen und der deliktischen Haftung identisch.
Die sowohl im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB als auch gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB bezüglich der objektiven Pflichtverletzung darlegungs- und beweisbelasteten Klägerinnen haben den ihnen obliegenden Nachweis eines Pflichtverstoßes geführt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann, weil dies utopisch und im praktischen Leben nicht erreichbar wäre. Vielmehr wird eine Gefahr erst dann haftungsbegründend, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (vgl. BGH, Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 223/07, NJW 2008, 3775 – 3777, juris Rdn. 9 m. w. N.; OLG Stuttgart, Urt. v. 17.03.2020 – 6 U 194/18, juris Rdn. 224 m. w. N.).
Der Betreiber einer Sportanlage braucht demnach zwar nicht alle nur denkbaren Gefahren auszuschalten. Wohl aber muss er regelmäßig vor solchen Gefahren schützen, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, vom Benutzer nicht vorhersehbar und für ihn nicht ohne weiteres erkennbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 223/07, NJW 2008, 3775 – 3777, juris Rdn. 10 m. w. N.; OLG Köln, Urt. v. 20.07.2000 – / U 201/97, VersR 2002, 859 – 862, juris Rdn. 41 m. w. N.; Geigel-Haag, Der Haftpflichtprozess, 28. Auflage, 14. Kap., Rdn. 185 m. w. N.). Der Umfang der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen richtet sich insbesondere danach, welcher Grad an Sicherheit bei der Art des Sportgeräts bzw. der Sporteinrichtung und dem Kreis der dafür zugelassenen Benutzer typischerweise erwartet werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 223/07, NJW 2008, 3775 – 3777, juris Rdn. 10). Insbesondere sind die von Sportverbänden aufgestellten Sportstättenregeln zu berücksichtigen, wenngleich es sich dabei um außerrechtliche Normen handelt (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 20.06.2007 – 13 W 165/07, NJW-RR 2007, 1619 – 1620, juris Rdn. 12).
Demgemäß ist der Betreiber einer Kletterhalle verpflichtet, Dritte vor den besonderen Gefahren zu schützen, die von der von ihm beherrschten konkreten Gestaltung der Einrichtungen in der Kletterhalle ausgehen. Er hat geeignete Vorkehrungen zur Gefahrenabwehr zu treffen und gegebenenfalls gefahrträchtige Zustände und Praktiken im Rahmen seiner Möglichkeiten abzustellen. Erst recht darf er nicht seinerseits durch eine ungeeignete Ausgestaltung des Betriebs dazu beitragen, dass sich das Gefahrpotential für die Benutzer noch erhöht (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 17.03.2020 – 6 U 194/18, juris Rdn. 224 f, 233 f m. w. N.). Inhaltlich hat er die Nutzer der Kletterhalle, ungeachtet der sie treffenden Eigenverantwortung, prinzipiell auch vor selbstgefährdenden bzw. -schädigenden Handlungen zu bewahren.Zwar können die Anforderungen in Bezug auf besonders schutzbedürftige Personen (hier: die unerfahrenen Kletteranfänger) einerseits und in Bezug auf weniger schutzbedürftige Personen (hier: eine Kletternde in Begleitung eines sie sichernden erfahrenen Kletterers) andererseits differieren. Jedoch umfasst die Schutzpflicht des Betreibers auch gegenüber diesem Personenkreis insbesondere solche Gefahren, bei denen mit Aufmerksamkeitsdefiziten oder Fehleinschätzungen gerechnet werden kann. Verkehrssicherungspflichten sollen auch solche Verkehrsteilnehmer vor Schäden bewahren, die nicht stets ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Vorsicht walten lassen (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 17.03.2020 – 6 U 194/18, juris Rdn. 250).
Diese Maßstäbe gelten in gleicher Weise für vertragliche bzw. im Rahmen von schuldrechtlichen Sonderverbindungen bestehende Verkehrssicherungspflichten und sind daher auch im Rahmen einer Haftung gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB maßgeblich (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 09.30.2020 – 7 U 257/19, juris Rdn. 5 und 7; OLG Frankfurt, Urt. v. 05.088.2021 – 16 U 162/20, juris Rdn. 15 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 223/07, NJW 2008, 3775 – 3777, juris Rdn. 10).
Ausgehend hiervon hat das Landgericht im Streitfall eine objektive Verkehrssicherungspflichtverletzung seitens der Beklagten zutreffend festgestellt.
Nach dem unstreitigen Sachverhalt und dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme hat sich bei dem Unfall auf Grund der konkreten Gestaltung der voreingerichteten Toprope-Station eine besondere, von der Beklagten geschaffene Gefahr verwirklicht.
Der Geschäftsführer der Beklagten hat bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 06.07.2020 demonstriert, wie er am Schnuppertag die Toprope-Stationen eingerichtet hat. Er hat gezeigt, dass das oberhalb des Knotens überstehende Restseil mit Hilfe eines Klebebands am Hauptseil fixiert wurde. Weiter hat der Geschäftsführer erklärt, dass die so präparierten Seile nach Öffnung der Halle nicht mehr kontrolliert worden seien und dass der Karabiner im Sicherungsseil verblieb und somit von jedem Kletterer zum Einbinden genutzt werden konnte.
Ausgehend hiervon hat der Sachverständige Dipl.-Geo-Physiker D. S. in seinem schriftlichen Gutachten vom 05.10.2020 (Bl. 316 d. A.) und dessen mündlicher Erläuterung im Termin vor dem Landgericht am 27.11.2020 zur Unfallursache ausgeführt:
Der Geschäftsführer der Beklagten habe nur einen Teil des überstehenden Restseils an das Hauptseil festgeklebt. Hierdurch habe sich ein „falsches Auge“ gebildet. Die gefahrerhöhende Verbindung eines Restseilstücks mittels Klebebands am Hauptseil sei aus Sachverständigensicht, die im Einklang stehe mit den einschlägigen Empfehlungen des Deutschen Alpenvereins („zur Einrichtung von fixen Toprope-Stationen in Künstlichen Kletteranlagen“, Bl. 36 ff d. A.), abzulehnen. Ein Kletterer könne nach Beendigung eines Klettervorgangs den Karabiner wahlweise entweder aus seinem Gurt aushängen, wobei der Karabiner am Knoten verbleibe, oder aber den Karabiner zunächst am Gurt belassen und ihn erst danach wieder mit dem Seil verbinden. Letzteres berge die Gefahr hierbei unterlaufender Fehler. Sie vergrößere sich entscheidend, wenn das Seil im Bereich des Knotens ein „falsches“, nicht tragfähiges Auge aufweise, in das der Karabiner – wie hier geschehen, sei es durch die Seilschaft H., sei es zuvor durch eine andere Seilschaft – fälschlicherweise eingehängt werden könne. Diese Gefahr habe sich beim streitgegenständlichen Unfall verwirklicht.
Auf Grund dieser Feststellungen zur gefahrenträchtigen Präparation der von der Versicherten und dem Streithelfer genutzten Toprope-Station ist von einer vertraglichen Schutzpflicht- und Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten auszugehen. Denn der für sie handelnde Geschäftsführer durfte sich nicht darauf verlassen, dass die Kletterer ihrerseits die Ausgestaltung des Seils mit vorgefertigtem Knoten und voreingehängtem Karabiner stets mit voller Aufmerksamkeit überprüfen und etwaige Gefahrenquellen erkenne würden.
In Übereinstimmung mit der Beurteilung des Sachverständigen ergibt sich aus den Empfehlungen des Deutschen Alpenvereins (DAV) aus dem Jahr 2009 „zur Einrichtung von fixen Toprope-Stationen in Künstlichen Kletteranlagen“ (Bl. 36 ff d. A.), es sei bei der Einrichtung von Toprope-Stationen darauf zu achten, dass das Restseil „genau die richtige Länge“ aufweise, um ein Öffnen des Knotens zu verhindern. Das Restseil sei komplett mit einem Schrumpfschlauch zu fixieren. Jede andere Art der Fixierung berge die Gefahr, dass sich eine Seilschlaufe bilde, in die Kletterer ihren Anseilkarabiner einhängen könnten. Hierzu seien mehrere, zum Teil tödliche Unfälle bekannt. Daher stelle die Fixierung nur des Restseils mittels eines Klebebandes eine Gefahrenquelle dar.
Wie oben dargelegt, sind bei der Definition von Verkehrssicherungspflichten der Betreiber sportlicher Einrichtungen die von den zuständigen Sportverbänden (hier dem Deutschen Alpenverein) entwickelten Regeln zu berücksichtigen, weil sie die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung (mit) abbilden. Die hier einschlägigen Empfehlungen sind eindeutig und waren dem Geschäftsführer des Beklagten nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2022 auch bekannt. Er hätte sie bei der Einrichtung der Toprope-Stationen mit Blick auf die nach allgemeiner Lebenserfahrung nie auszuschließende Möglichkeit einer unzureichenden Eigensorgfalt der Kletterer berücksichtigen müssen. Durch das hierauf bezogene Versäumnis hat er das Risiko geschaffen, dass auch ein erfahrener Kletterer, wenn er und / oder die ihn sichernde Begleitperson auch nur einen Moment lang die Anforderungen eines wechselseitigen Sicherheitschecks (Partnerchecks) nicht in höchstmöglichem Maße beachten würde, ein fehlerhaftes Lokalisieren des Karabiners übersehen würde.
Soweit die Beklagte die Beurteilung des Sachverständigen und die Anwendbarkeit der DAV-Empfehlungen zur Einrichtung fixer Toprope-Stationen mit dem Hinweis in Zweifel gezogen hat, die hier betroffene Toprope-Station seien nur temporär zur Verfügung gestellt worden, hat der Sachverständige in seiner Anhörung vor dem Landgericht klargestellt, eine Station sei schon dann als vom Betreiber dauerhaft eingerichtet zu betrachten, wenn sie, wie hier am „Schnuppertag“, für eine wechselnde Anzahl von Nutzern vorgesehen gewesen sei (Bl. 418 d. A.).
Die Annahme einer (Verkehrssicherungs-)Pflichtverletzung der Beklagten scheitert – ungeachtet der Frage der genauen rechtlichen Einordnung und der sich hieraus ergebenden Folgen – nicht an der von ihr zur Akte gereichten Hausordnung. Dort heißt es: „Das Sichern und Einbinden ist auf Personen beschränkt, die folgende Fähigkeiten besitzen: […] Das direkte Einbinden des Kletterers in die dafür vorgesehene(n) Einbindeschlaufe(n) mit doppeltem Achterknoten oder doppeltem Bulinknoten“. Damit ist der Aspekt der prinzipiellen Fähigkeiten der Kletterer betroffen, nicht aber eine Benutzung vorhandener Knoten mit Karabinern untersagt. Ungeachtet dessen wäre Letzteres in der konkreten Konstellation des Streitfalls, in der die Beklagte selbst die Stationen zur vereinfachten Nutzung präpariert hatte, widersinnig.
Angesichts der den Empfehlungen des DAV widersprechenden und gefahrenträchtigen Einrichtung der Toprope-Station und der an die Beklagte als Kletterhallenbetreiberin zu stellenden Sorgfaltsanforderungen haben die Klägerinnen ein Verschulden der Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 BGB bewiesen und die Beklagte im Rahmen ihrer Vertragshaftung den ihr gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB obliegenden Entlastungsbeweis nicht geführt.
Der Senat teilt auch die Einschätzung des Landgerichts, wonach der aus der Versicherten und dem Streithelfer bestehenden Klettergemeinschaft kein 50 % übersteigender Mitverantwortungsanteil anzulasten ist.
Ein Mitverschulden der Versicherten und des Streithelfers ergibt sich daraus, dass diese, wie der geschehene Unfall zeigt, den zum Schutz des Kletterers gebotenen Sicherheits-/Partnercheck nicht auf hinreichende Weise vorgenommen haben.
Ein Mitverschulden des Verletzten i. S. d. § 254 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (vgl. BGH, Urt. v. 17.06.2014 – VI ZR 281/13, NJW 2014, 2493 – 2495, juris Rdn. 9 m. w. N.; OLG Stuttgart, Urt. v. 17.03.2020 – 6 U 194/18, juris Rdn. 271). Im Fall einer Schädigung infolge der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ist ein Mitverschulden dann anzunehmen, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig hätte erkennen können, dass Anhaltspunkte für eine Gefahr bestehen, und er die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen und dadurch den Schadenseintritt zu vermeiden (vgl. Geigel-Horst, aaO., 2. Kap., Rdn. 17 m. w. N.).
Ein solches Mitverschulden ist vorliegend zu bejahen. Es steht fest, dass vor dem Einstieg der Versicherten in die Kletterroute kein ordnungsgemäßer Sicherheits-/Partnercheck durchgeführt und der streitgegenständliche Unfall dadurch mitverursacht wurde.
Der Sachverständige S. hat erläutert, dass beim Seilklettern ein Sicherheits-/Partnercheck geboten sei, bei dem das jeweilige Seilschaftsmitglied nicht nur seine eigenen sicherheitstechnischen Belange überprüfen müsse, sondern zudem die sicherheitstechnischen Belange des Kletterpartners. Im Rahmen dieses Partnerchecks müsse der Sichernde in mehreren Stufen vorgehen, nämlich den Gurtschluss prüfen, das Vorhandenseins eines korrekten Knotens am Seilende und die korrekte Verbindung zwischen Seil und Gurt. Von Seiten des Kletterers sei ebenfalls zu prüfen, ob der Gurt des Sicherers geschlossen sei, außerdem das ordnungsgemäße Verschließen des Karabiners mit Sicherungsgerät und das korrekte Einlegen des Seils in das Sicherungsgerät. Der Sachverständige hat aus den feststehenden Umständen des Unfalls, bei dem zwischen dem Seil und dem Gurt der Versicherten keine belastbare Verbindung bestand, den Schluss gezogen, dass den vorgenannten Anforderungen nicht Rechnung getragen worden sein könne, da ansonsten das fehlerhafte Einhängen des Karabiners bemerkt worden wäre.
Für die Annahme und Bemessung des Mitverschuldens sind nicht nur die Versäumnisse der geschädigten Versicherten relevant, sondern auch der Verantwortungsanteil des Streithelfers zu berücksichtigen.
In Konstellationen, in denen jemand durch das Verhalten mehrerer Schädiger – hier der Beklagten und des beim Partnercheck unaufmerksamen Streithelfers – sowie durch eigene Unachtsamkeit zu Schaden kommt, können unter gewissen Voraussetzungen die Grundsätze der Haftungs- bzw. Tatbeitrags- oder Zurechnungseinheit zum Tragen kommen. Dabei können z.B. die Verursachungsbeiträge miteinander verbundener Haftender, die aus ein und demselben Haftungsgrund haften, der dann erst mit dem Ursachenverlauf zusammentrifft, für den der Geschädigte (mit) einzustehen hat, zu einer Einheit zusammengefasst werden. Entsprechendes gilt in den Fällen, in denen im Wesentlichen deckungsgleiche Tat- oder Verursachungsbeiträge eines Erstschädigers und des Geschädigten gegenüber einem Zweitschädiger durch Schaffung einer Gefahrenlage vorliegen (Jahnke/Burmann, Handbuch Personenschadensrecht, 2. Auflage 2022, Kapitel 2, Rdn. 1613; siehe auch BGH, Urt. v. 18.09.1973 – VI ZR 91/71, BGHZ 61, 213-220, juris Rdn. 25 f; Lemcke, r + s 2006, 52 (53 f)).
Eine solche Konstellation ist im Streitfall zu bejahen. Die Versäumnisse des Streithelfers und der Versicherten sind ein und demselben Lebenssachverhalt, nämlich dem – unzureichenden – Sicherheits-/Partnercheck zuzurechnen, und aus diesem Grund bei der Beurteilung des gegen die Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten abzuwägenden Mitverschuldenseinwands als (Zurechnungs-)Einheit zu betrachten.
Der anspruchsmindernde Anteil des Verursachungs- und Verantwortungsbeitrags der Versicherten und des Streithelfers ist nicht mit mehr als den von den Klägerinnen selbst bereits in Ansatz gebrachten 50 % zu bemessen.
Folge eines Mitverschuldens ist, dass der dem Geschädigten entstandene Schaden entweder quotenmäßig je nachdem zu kürzen ist, in welchem Maß der Schädiger und der Geschädigte jeweils zu dessen Entstehung beigetragen haben, oder aber der Schaden einer der beiden Seiten vollständig überzubürden ist. Hierbei sind die relevanten Umstände auf beiden Seiten umfassend zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2006, NJW-RR 2006, 672 – 674, juris Rdn. 9; OLG Hamm, Urt. v. 30.09.2020 – 11 U 81/19, juris Rdn. 29 m. w. N.; Geigel-Horst, aaO., 2. Kap., Rdn. 87 m. w. N.).
Bei der Bewertung des Verursachungsbeitrags der aus der Versicherten und dem Streithelfer bestehenden Klettergemeinschaft ist nicht zu verkennen, dass man sich offenbar mehr oder weniger „blind“ auf die vorinstallierte Toprope-Einrichtung verließ und den gebotenen Sicherheits-/Partnercheck, wie von den Klägerinnen selbst auf Seite 3 der Klageschrift eingeräumt, auf eine allenfalls kursorische Sichtprüfung beschränkt haben musste. Diese Nachlässigkeit beruhte allerdings darauf, dass der sonst übliche Ablauf – eigenes Einbindens des Kletterers in das Seil über einen selbst gefertigten und sodann mit dem Gurt verbundenen Knoten, der vom Kletterer selbst sowie von dem ihn „checkenden“ Partner zu überprüfen wäre – durch Maßnahmen der Beklagten im Vorfeld gestört worden war. Sie hatte die Seilschaft durch das Präparieren der Station vom eigenständigen Schaffen der Voraussetzungen für ein korrektes Einbinden der Versicherten ins Seil gleichsam abgehalten. Die Seilschaft wusste, dass für die Fertigung des bereits vorhandenen Knotens, der für das Einhängen eines Karabiners zur Verbindung mit dem Gurt des Kletterers gedacht war, nicht etwa irgendein die Route zuvor nutzender Dritter mit ungewissem Kenntnisstand verantwortlich zeichnete, sondern der Hallenbetreiber. Auf dessen Professionalität durfte prinzipiell vertraut werden.
Die vorwerfbare Sorgfaltswidrigkeit der Klettergemeinschaft bezog sich demnach im Wesentlichen darauf, die aktuell korrekte Positionierung des Karabiners nicht überprüft zu haben. Dass der Karabiner sich in einem nicht tragfähigen Scheinauge befand, beruhte indessen wiederum darauf, dass der Geschäftsführer der Beklagten mit der gewählten Konstruktion – Abkleben (nur) des Endstücks des überstehenden Restseils – gerade diese Gefahr geschaffen hatte, obgleich die einschlägigen Empfehlungen des Deutschen Alpenvereins unter Hinweis auf sogar tödliche verlaufene Unfälle von einer derartigen Installation dringend abraten.
Bei Abwägung all dessen meint der Senat, dass die Nachlässigkeit der Versicherten und des Streithelfers jedenfalls nicht schwerer gewichtet werden kann als der Fehler der Beklagten.
Zu Unrecht meint die Beklagte unter Hinweis auf die Mithaftung des mit der Versicherten verheirateten Streithelfers, die Grundsätze des sog. gestörten Gesamtschuldverhältnisses stünden ihrer Haftung entgegen.
Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 3 SGB X ist die Regelung des § 116 Abs. 6 SGB X auf Schadensereignisse nach dem 31.12.2020 anzuwenden; für frühere Schadensereignisse gilt das bis 31.12.2020 geltende Recht weiter. Gemäß § 116 Abs. 6 SGB a.F. war ein Anspruchsübergang auf Sozialleistungsträger Übergang nach Absatz 1 bei nicht vorsätzlichen Schädigungen durch Familienangehörige, die im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft leben, ausgeschlossen.
In den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern – hier der Beklagten und dem Streithelfer – ein Gesamtschuldverhältnis besteht, können Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (hier die Beklagte) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (hier den Streithelfer) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Sonderregelung – hier § 116 Abs. 6 SGB X a.F. – gestört wäre (vgl. BGH, Urt. v. 07.12.2021 – VI ZR 1189/20, VersR 2022, 332, juris Rdn. 17-21; BGH, Urt. v. 12.06.1973 – VI ZR 163/71, NJW 1973, 1648, juris Rdn. 14 f; BGH, Urt. v. 24.06.2003 – VI ZR 434/01, NJW 2003, 2984 – 2986, juris Rdn. 23 m. w. N.; Lemcke, r + s 2006, 52 m. w. N.)).
Eine dem Rechnung tragende Beschränkung ist im Streitfall, ohne dass es auf die Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines gestörten Gesamtschuld im Einzelnen ankäme, schon dadurch gewährleistet, dass die Klägerinnen von vornherein nicht mehr geltend gemacht haben als das, was die Beklagte auch im Innenverhältnis zum Streithelfer – bzw. der aus ihm und der Versicherten bestehenden Zurechnungseinheit – letztlich zu tragen hat. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.