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Infektionsschutzgesetz – Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung

Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 1 B 85/20 – Beschluss vom 15.05.2020

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. Mai 2020 wird angeordnet.

Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass die Antragsteller nicht verpflichtet sind, sich gemäß § 1 der Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus des Landes Schleswig-Holstein vom 10. April 2020 in häusliche Quarantäne abzusondern.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000, — € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist teilweise gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend zu ergänzen, dass die Antragsteller neben der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 6. Mai 2020 auch die Feststellung begehren, dass sie nicht verpflichtet sind, sich gemäß § 1 der Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus des Landes Schleswig-Holstein vom 10. April 2020 in häusliche Quarantäne abzusondern und dass sie daneben lediglich hilfsweise die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners erstreben, eine Ausnahme von der durch die Verordnung geregelten Quarantänepflicht zu erteilen.

Infektionsschutzgesetz - Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
Symbolfoto: Von Shopping King Louie /Shutterstock.com

Nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO darf das Gericht über das Antragsbegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Eine Bindung besteht lediglich hinsichtlich des erkennbaren Antragsziels, so wie sich dieses im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aufgrund des gesamten Beteiligtenvorbringens darstellt. Nach dem verfassungsrechtlichen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes ist im Zweifel zugunsten des Antragstellers anzunehmen, dass er den in der Sache in Betracht kommenden Rechtsbehelf einlegen wollte. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn der Antragsteller anwaltlich vertreten ist (BVerwG, Beschluss vom 13.01.2012 – 9 B 56/11 –, juris Rn. 7 f.; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 1 B 122/18 –, Rn. 12, juris).

Das Rechtsschutzziel der Antragsteller ist darauf gerichtet, nicht mehr der Quarantänepflicht zu unterliegen. Dieses Ziel könnten sie allein mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Anordnung des Antragsgegners vom 6. Mai 2020 dann nicht erreichen, wenn sie noch der durch die Verordnung geregelten Quarantänepflicht, auf die sich der Antragsgegner in dem angefochtenen Bescheid beruft, unterlägen. Sie haben jedoch unter Hinweis auf eine Entscheidung des OVG Lüneburg die Unwirksamkeit dieser Verordnung geltend gemacht. Dem dargelegten Rechtsschutzziel der Antragsteller lässt sich damit der Antrag entnehmen, vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, sich gemäß § 1 der Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus des Landes Schleswig-Holstein vom 10. April 2020 in häusliche Quarantäne abzusondern.

Der Statthaftigkeit eines solchen Antrags steht nicht entgegen, dass die Gültigkeit von untergesetzlichen Landesrechtsnormen wie der SARS-CoV-2-BekämpfV grundsätzlich im Wege eines Antrags bei dem Oberverwaltungsgericht (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m § 67 LJG SH, § 47 Abs. 6 VwGO) zu überprüfen ist. Die Antragsteller begehren hier nicht abstrakt die Klärung der Gültigkeit einer Rechtsnorm oder einer abstrakten Rechtslage aufgrund eines ungewissen künftigen Sachverhalts. Mit ihrem Antrag machen sie vielmehr geltend, durch die in der Verordnung getroffenen Regelung unmittelbar in einer subjektiven Rechtsposition betroffen zu sein. Im Verfahren der Hauptsache wäre dazu die Feststellungsklage statthaft. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren einer der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (BVerwG, Urteil vom 26.01.1996 – 8 C 19.94 –, BVerwGE 100, 262). Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (BVerwG, Urteil vom 07.05.1987– 3 C 53.85 –, BVerwGE 77, 207). Ein solches feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt zwischen den Beteiligten vor. Zwischen den Antragstellern und dem Antragsgegner als zuständiger Gesundheitsbehörde ist streitig, ob die durch die Verordnung geregelte Quarantänepflicht auf die Antragsteller Anwendung finden kann. Die Antragsteller haben auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, da ein Verstoß gegen die in der Verordnung geregelte Quarantänepflicht nach § 5 der Verordnung eine Ordnungswidrigkeit darstellen würde. Einem Betroffenen ist es jedoch nicht zuzumuten, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren erleben zu müssen. Sind die Gerichte zur Sachprüfung verpflichtet, können sie sich auch einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren insoweit nicht entziehen (BVerfG, Beschluss vom 07.03.2003 – 1 BvR 2129/02 – NVwZ 2003, 856).

Für den Fall, dass die Verordnung noch wirksam sein sollte, besteht das erkennbare Rechtsschutzziel der Antragsteller darin, zumindest eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. Mai 2020 ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO zulässig und begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO i.V.m § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht in dem vorliegenden Fall des nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges die aufschiebende Wirkung des Widerspruches ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse der Antragsteller einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, weil an einer sofortigen Vollziehung einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung die angefochtene Verfügung als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist.

Der Bescheid vom 6. Mai 2020 ist offensichtlich rechtswidrig.

Der Bescheid kann seine Rechtsgrundlage nicht in den Regelungen des Infektionsschutzgesetzes finden. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG in der Fassung des Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587), insoweit am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft getreten, trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29-31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (Satz 1). Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstiger Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen (Satz 2). Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden (Satz 3). Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt (Satz 4).

Es handelt sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz IfSG n. F. um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet (sog. gebundene Entscheidung). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen, – „wie“ des Eingreifens – ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht in jeder Hinsicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz IfSG als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16/11 –, BVerwGE 142, 205-219, Rn. 24). Die Eingriffsbefugnisse werden für bestimmte notwendige Maßnahmen in § 28 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz und Satz 2 IfSG sowie in folgenden Vorschriften weiter konkretisiert. Nach der hier einschlägigen Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann bei sonstigen Kranken oder Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden.

Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Beschränkungen ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§ 1 Abs. 1, § 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Es erscheint sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, „flexiblen“ Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 – B 7 S 20.223 –, Rn. 44 – 45, juris). Sind Schutzmaßnahmen erforderlich, so können diese grundsätzlich nicht nur gegen die in Satz 1 genannten Personen, also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider getroffen werden, sondern – soweit erforderlich – auch gegenüber anderen Personen (Bales/Baumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl. § 28 Rn. 3). Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Infektion mit dem SARS-CoV-2, der zur Lungenkrankheit Covid-19 führen kann, um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, so dass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist (vgl. hierzu den Steckbrief des RKI zur Coronavirus-Krankheit:

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ nCoV_node.html). Mit den deutschlandweit und auch landesweit in anderen Teilen auftretenden Fällen einer Infektion sind an einer übertragbaren Krankheit (§ 2 Nr. 3, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. h IfSG) erkrankte Personen und damit Kranke im Sinne von § 2 Nr. 4 IfSG festgestellt worden (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 26. März 2020 – 5 V 553/20 –, Rn. 36, juris).

Der Antragsgegner stützt die in dem Bescheid vom 6. Mai 2020 angeordneten Maßnahmen insbesondere auf die Regelungen der Landesverordnung. Die Regelung in § 1 der Verordnung entspricht im Wesentlichen § 5 der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus, die das OVG Lüneburg in der den Beteiligten bekannten Entscheidung vom 11. Mai 2020 außer Vollzug gesetzt hat (13 MN 143/20 – zitiert nach Juris). Die Kammer teilt die rechtlichen Bedenken des OVG Lüneburg gegen die in den Verordnungen der Länder gegenwärtig noch geregelte generelle Quarantänepflicht für Ein- oder Rückreisende aus dem Ausland. Diese in der Landesverordnung geregelte Pflicht ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit durch die in der Entscheidung des OVG Lüneburg geschilderte Entwicklung des Infektionsgeschehens unwirksam geworden. Zur Begründung wird wegen der Eilbedürftigkeit auf die tragenden Gründe der den Beteiligten in ihrem vollständigen Wortlaut bekannten Entscheidung des OVG Lüneburg Bezug genommen (vgl. dazu auch, VG Hamburg, Beschluss vom 13. Mai 2020 – 15 E 1967/20 –). Selbst wenn man neben der Bestimmung des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG noch auf die Vorschrift des § 28 Abs. 1 IfSG abstellen würde, würde die pauschalierende Regelung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich wesentlich von dem dem Beschluss der Kammer vom 03. April 2020 – 1 B 43/20 –, Rn. 1, juris, und dem dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein vom 07. April 2020 – 3 MB 13/20 –, juris, zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem es um eine Allgemeinverfügung und ein konkretes Risikogebiet ging. Die durch die Verordnung geregelte Absonderungspflicht soll zwar nach einer Absprache zwischen dem Bund und den Bundesländern künftig für Einreisen aus der EU, den Schengen-assoziierten Staaten sowie aus Großbritannien entfallen, eine Änderung ist gegenwärtig in Schleswig-Holstein jedoch noch nicht erfolgt.

Die Anordnung des Antragsgegners stützt sich in der Begründung (Seite 9 ff.) tragend auf die in der unwirksam gewordenen Verordnung geregelten grundsätzlich für alle nach Deutschland Ein- und Rückreisenden geltenden Quarantäneanordnung. Diese vermag jedoch eine die Verordnung konkretisierende Regelung durch Verwaltungsakt allein nicht mehr zu tragen.

Die Unwirksamkeit der Regelung in der Landesverordnung schließt es allerdings nicht aus, dass der Antragsgegner Einzelanordnungen mit der Verpflichtung zur Absonderung nach §§ 28, 30 IfSG als Maßnahme gegen Ansteckungsverdächtige im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens ausspricht, etwa, weil risikoerhöhende Umstände im Einzelfall bei der Einreise aus einem bestimmten Gebiet vorliegen, wobei gegenwärtig für die Risikoeinschätzung nicht mehr auf die Einschätzung des fachlich insoweit besonders geeigneten Robert Koch-Instituts (§ 4 Abs. 1 IfSG) zurückgegriffen werden kann, weil dort keine besonderen Risikogebiete mehr ausgewiesen werden. Der Antragsgegner stützt seine Entscheidung nach der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht auf die besonderen Verhältnisse in Schweden, von wo aus die Antragsteller zurückgekehrt sind, sondern bezieht sich auf die pauschalierende Regelung der Verordnung. Der Antragsgegner bezieht sich jedoch nunmehr in seiner Antragserwiderung vom 14. Mai 2020 auch auf die konkreten Verhältnisse in Schweden und benennt konkret die nicht so strengen Infektionsschutzmaßnahmen dort sowie insbesondere die im Vergleich zu Deutschland höhere Zahl der Todesfälle pro 100.000 Einwohner (Schweden: 32, Deutschland: 9). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Antragsteller durch diese Umstände als Ansteckungsverdächtige anzusehen sind und der Antragsgegner damit im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Einzelanordnungen erlassen dürfte.

Wird die Änderung von Ermessenserwägungen erst in einem laufenden Verwaltungsprozess erklärt, so muss die Behörde unmissverständlich deutlich machen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst. Außerdem muss deutlich werden, welche der bisherigen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Andernfalls wäre dem Betroffenen keine sachgemäße Rechtsverteidigung möglich  (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 8 C 46/12 –, BVerwGE 147, 81-100, Rn. 35). Der Antragsgegner hat in dem angefochtenen Bescheid seine Entscheidung auf die pauschalierende Regelung der Verordnung gestützt und ausgeführt, es sei nicht zu prüfen, welche genauen Präventionsmaßnahmen in Schweden ergriffen worden seien, die Verbreitung des Virus zu stoppen. In der Antragserwiderung wird demgegenüber auf die konkreten Verhältnisse in Schweden eingegangen, ohne dass allerdings klargestellt wird, dass damit die Ermessenserwägungen zumindest hilfsweise ergänzt werden sollen. Die Vorschrift des § 114 Satz 2 VwGO über das Nachschieben von Ermessenserwägungen schafft die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass defizitäre Ermessenserwägungen ergänzt werden, nicht hingegen, dass das Ermessen erstmals ausgeübt oder die Gründe einer Ermessensausübung (vollständig oder doch in ihrem Wesensgehalt) ausgewechselt werden (BVerwG, Beschluss vom 14. Januar 1999 – 6 B 133/98 –, juris). Ob ein Nachschieben von Ermessenserwägungen zulässig ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht. § 114 Satz 2 VwGO regelt lediglich, unter welchen Voraussetzungen derart veränderte Ermessungserwägungen im Prozess zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 – 1 C 14.10 – BVerwGE 141, 253 <Rn. 11>). Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird. Die Auswechslung der tragenden Begründung einer Ermessensentscheidung von einer alle Länder betreffenden pauschalierende Regelung einer Verordnung zu einer nachträglichen Begründung, die konkret unter Hinweis auf zahlreiche Tatsachen über auf die Zustände eines konkreten Landes abstellt, ändert die Begründung der Ermessensentscheidung in ihrem Wesen und würde die Rechtsverteidigung erheblich erschweren.

Der Feststellungsantrag ist aus den vorgenannten Gründen begründet, es bedarf daher keine Entscheidung mehr über den Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der Streitwert wurde gemäß § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 iVm § 52 Abs. 2 GKG festgesetzt.

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