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Infektionsschutzrechtliche Anordnung einer Maskenpflicht im Freien zulässig?

OVG Lüneburg – Az.: 13 ME 234/21 – Beschluss vom 03.05.2021

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 6. Kammer – vom 22. April 2021 geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (VG Lüneburg, 6 A 155/21) gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 (ABl. LK LG S. 78) wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens und – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 6. Kammer – vom 22. April 2021 – der Streitwert des erstinstanzlichen Verfahrens vorläufigen Rechtsschutzes werden auf jeweils 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 6. Kammer – vom 22. April 2021 hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht abgelehnt. Die erstinstanzliche Entscheidung ist daher zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (VG Lüneburg, 6 A 155/21) gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 anzuordnen.

Die gerichtliche Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten der Antragstellerin aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren bei summarischer Prüfung zu erkennen ist, dass ihr Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2004 – 2 BvR 821/04 -, NJW 2004, 2297, 2298 – juris Rn. 20; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 970 ff. m.w.N.). Dagegen überwiegt das Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs in aller Regel, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich begründet erweist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.10.1995 – BVerwG 1 VR 1.95 -, juris Rn. 3). Bleibt der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bei der in dem Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 11.9.1998 – BVerwG 11 VR 6.98 -, juris Rn. 4) jedoch offen, kommt es auf eine reine Abwägung der widerstreitenden Interessen an (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.6.2019 – BVerwG 1 VR 1.19 -, NVwZ-RR 2019, 971 – juris Rn. 6; Senatsbeschl. v. 10.3.2020 – 13 ME 30/20 -, juris Rn. 7).

Unter Anwendung dieses Maßstabs ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten, denn die belastenden Regelungen in den Nrn. 1 und 5 Halbsatz 1 (1.) sowie den Nrn. 2 und 5 Halbsatz 2 (2.) der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 erweisen sich schon bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.

1. Die Regelungen in den Nrn. 1 und 5 Halbsatz 1 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021, die lauten:

„1. In dem aus der Anlage zu dieser Allgemeinverfügung ersichtlichen Bereich hat jede Person, die sich unter freiem Himmel bewegt oder aufhält, eine medizinische Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Die Anlage ist Bestandteil dieser Allgemeinverfügung.

5. Die Pflicht nach Nr. 1 besteht montags bis samstags von 8 Uhr bis 19 Uhr, …“,

finden weder in § 3 Abs. 2 der (8.) Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 (Nds. GVBl. S. 368), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. April 2021 (Nds. GVBl. S. 221), (a.) noch in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG (b.) eine tragfähige Rechtsgrundlage.

Infektionsschutzrechtliche Anordnung einer Maskenpflicht im Freien zulässig?
(Symbolfoto: Von Zigres/Shutterstock.com)

a. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung hat jede Person eine Mund-Nasen-Bedeckung – unbeschadet des § 2 Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung („Kann eine Person das Abstandsgebot in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel nach Satz 1 nicht nur vorübergehend nicht einhalten, so hat sie eine Mund-Nasen-Bedeckung nach § 3 zu tragen; im Übrigen bleibt § 3 unberührt.“) – auch an Örtlichkeiten in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel zu tragen, an denen sich Menschen entweder auf engem Raum oder nicht nur vorübergehend aufhalten. Die Landkreise und kreisfreien Städte legen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung durch öffentlich bekannt zu gebende Allgemeinverfügung die betreffenden Örtlichkeiten im Sinne des Satzes 1 einschließlich der Dauer oder des Zeitraums der Pflicht nach Satz 1 fest.

Nach dieser Regelungssystematik wird die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an bestimmten Örtlichkeiten in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel unmittelbar durch § 3 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnet. Nur die Bestimmung der Örtlichkeiten und der Zeiträume, an bzw. in denen diese Pflicht bestehen soll, wird den Landkreisen und kreisfreien Städten durch § 3 Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung übertragen. Durch deren Bestimmung in Form einer öffentlich bekanntzugebenden Allgemeinverfügung wird der räumliche und zeitliche Geltungsbereich der sich bereits aus der Niedersächsischen Corona-Verordnung ergebenden Pflicht konkretisiert und diese Pflicht „angeschaltet“ (vgl. zu dieser Regelungssystematik auch die Begründung zur Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung v. 27.11.2020, Nds. GVBl. S. 416).

(1) Durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des § 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung bestehen für den Senat nicht. Die Regelungen der Niedersächsischen Corona-Verordnung betreffend Pflichten zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung finden ihrerseits in § 32 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG eine tragfähige Rechtsgrundlage (vgl. zu Inhalt und Grenzen der Verordnungsermächtigung des § 32 IfSG: Senatsbeschl. v. 24.3.2021 – 13 MN 145/21 -, juris Rn. 33), sind formell rechtmäßig und in materieller Hinsicht mit Blick auf den Adressatenkreis, die Art der Schutzmaßnahme und grundsätzlich auch den konkreten Umfang der Schutzmaßnahme nicht zu beanstanden (vgl. bspw. Senatsbeschl. v. 23.4.2021 – 13 MN 212/21 -, juris Rn. 25 ff. (Maskenpflicht in Schulen und auf dem Schulgelände); v. 24.3.2021 – 13 MN 145/21 -, juris Rn. 28 ff. (Maskenpflicht in religiösen Veranstaltungen); v. 25.11.2020 – 13 MN 487/20 -, juris Rn. 33 ff. (Maskenpflicht bei Nichteinhaltung des Abstandsgebots)). Dies gilt auch für die hier zu beurteilende Regelung in § 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung (vgl. hierzu den Senatsbeschl. v. 23.12.2020 – 13 MN 506/20 -, juris Rn. 25 ff.). Ihr liegt die zutreffende Erwägung des Verordnungsgebers (vgl. Begründung zur Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung v. 27.11.2020, Nds. GVBl. S. 415) zugrunde, dass an Örtlichkeiten in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel, an denen sich Menschen entweder auf engem Raum oder nicht nur vorübergehend aufhalten, eine Nichteinhaltung des allgemeinen Abstandsgebots wahrscheinlich, wegen dieser besonderen Umstände die Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 auch im Freien deutlich erhöht und deshalb die Pflicht zum Tragen einer geeigneten Mund-Nasen-Bedeckung eine notwendige Schutzmaßnahme ist (vgl. zu Infektionsrisiken im Freien: Senatsbeschl. v. 16.4.2021- 13 MN 157/21 -, juris Rn. 22). Eine Rechtswidrigkeit ergibt sich – entgegen der Auffassung der Antragstellerin (Beschwerdebegründungsschriftsatz v. 26.4.2021, S. 5) – auch nicht daraus, dass der Verordnungsgeber in § 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung keine konkrete 7-Tage-Inzidenz (Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen) bestimmt hat, ab der die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an den genannten Örtlichkeiten entsteht. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Verordnungsgeber vielmehr gehalten, die Erforderlichkeit der verordneten Schutzmaßnahmen nicht nur anhand der 7-Tage-Inzidenz zu beurteilen, wie es etwa bei den angeordneten Beherbergungsverboten (vgl. Senatsbeschl. v. 15.10.2020 – 13 MN 371/20 -, juris Rn. 59) und Sperrzeiten im Gastronomiebereich (vgl. Senatsbeschl. v. 29.10.2020 – 13 MN 393/20 -, juris Rn. 57) geschehen war. Vielmehr hat er, wie in dem von der Niedersächsischen Landesregierung erstellten „Handlungskonzept zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens in der COVID 19 Pandemie“ (veröffentlicht unter: www.stk.niedersachsen.de/startseite/presseinformationen/vorsorgliches-handlungskonzept-zur-bekampfung-eines-gegebenenfalls-weiter-ansteigenden-infektionsgeschehens-in-der-covid-19-pandemie-193263.html, Stand: 5.10.2020) und in dem von der Niedersächsischen Landesregierung entworfenen „Stufenplan 2.0“ (veröffentlicht unter: www.niedersachsen.de/Coronavirus/stufenplan-fur-niedersachsen-196849.html, Stand: 18.2.2021) vorgesehen, auch alle anderen für das Infektionsgeschehen relevanten Umstände in seine Bewertung einzubeziehen (vgl. Senatsbeschl. v. 14.4.2021 – 13 MN 161/21 -, juris Rn. 37 m.w.N.). Die danach vom Verordnungsgeber getroffene Bewertung rechtfertigt es auch unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens (vgl. hierzu die Angaben im täglichen Situationsbericht des Robert Koch-Instituts unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html und des Niedersächsischen Landesgesundheitsamts unter www.niedersachsen.de/Coronavirus/aktuelle_lage_in_niedersachsen/) weiterhin, die in § 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete infektionsschützende Maßnahme grundsätzlich landesweit einheitlich zu ergreifen.

(2) Die Regelungen in den Nrn. 1 und 5 Halbsatz 1 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 erfüllen aber bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung nicht.

(a) Die Nrn. 1 und 5 Halbsatz 1 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 beschränken sich schon nicht auf eine bloße Bestimmung der Örtlichkeiten und der Zeiträume, an bzw. in denen die bereits in § 3 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bestehen soll. Ausweislich des klaren Wortlauts des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 (ABl. LK LG, S. 78, Nr. 1: „…hat jede Person … eine medizinische Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen“; Nr. 2: „Die Pflicht nach Nr. 1 …“; Nr. 7: „… Anordnung nach den Ziffern 1 bis 4 dieser Allgemeinverfügung…“) und auch der hierfür gegebenen Begründung (ABl. LK LG, S. 79 f., „Abweichend von § 3 Abs. 3 Satz 1 Nds. Corona-VO wird das Tragen medizinischer Mund-Nasen-Bedeckungen angeordnet. … Insbesondere vor dem Hintergrund der vermehrt auftretenden … SARS-CoV-2-Varianten ist eine dauerhafte Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und damit die Abkehr von einem Inzidenz-Grenzwert angezeigt. …Dies hat vor dem Hintergrund des Verzichts einer Koppelung der Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, mit einem Inzidenzwert eine besondere Bedeutung. Die bisher genutzte dynamische Verweisung auf einen Inzidenzwert passte die Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, automatisch der jeweiligen Lage an. Das ist nun nicht mehr vorgesehen. …“) ist vielmehr die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung selbst und zudem in der qualifizierten Form der Pflicht zum Tragen einer medizinischen Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet worden. Hierzu berechtigt § 3 Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung ersichtlich nicht (siehe hierzu oben I.1.a.). Auf dieser Grundlage dürfen vielmehr nur Örtlichkeiten und Zeiträume bestimmt werden; die Pflicht zum Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung ergibt sich bereits aus § 3 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung.

(b) Unabhängig davon hat der Antragsgegner in den Nrn. 1 und 5 Halbsatz 1 seiner Allgemeinverfügung vom 30. März 2021 ersichtlich nicht nur „Örtlichkeiten in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel, an denen sich Menschen entweder auf engem Raum oder nicht nur vorübergehend aufhalten“, bestimmt.

Der Verordnungsgeber zielt mit der auch im Freien geltenden Maskenpflicht darauf ab, „dass die Gefahr einer Infektion durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in Situationen vermindert wird, in denen es – auch ungewollt – zu Begegnungen mit Personen kommt, die über ein Aneinandervorbeigehen hinausgehen“ (Begründung zur Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung v. 27.11.2020, Nds. GVBl. S. 415). Anders als nach der Grundregel des § 2 Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Corona, wonach jedem Einzelnen die Feststellung obliegt, ob er bei seinem Aufenthalt in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel das Abstandsgebot nicht nur vorübergehend nicht einhalten kann und deshalb eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen hat, sieht die besondere Regelung in § 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vor, dass ausnahmsweise die zuständigen Behörden Örtlichkeiten bestimmen, an denen eine vergleichbare Gefahrenlage nahezu zwangsläufig gegeben und deshalb unabhängig von der Entscheidung eines jeden Einzelnen stets eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen ist. Entsprechend dem Charakter als Ausnahmeregelung sieht der Verordnungsgeber dies nur für solche Örtlichkeiten als gegeben an, „an denen sich Menschen entweder auf engem Raum, wie zum Beispiel in sehr engen Bereichen von Fußgängerzonen, oder nicht nur vorübergehend aufhalten“ (so ausdrücklich die Begründung zur Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung v. 27.11.2020, Nds. GVBl. S. 416; Hervorhebung durch den Senat).

Diese Voraussetzungen erfüllt die in Nrn. 1 und 5 Halbsatz 1 in Verbindung mit der Anlage der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 vorgenommene Bestimmung der Örtlichkeiten nicht. Der Antragsgegner hat sich ausweislich der Begründung seiner Allgemeinverfügung weitgehend von den Vorgaben des § 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung gelöst und nicht nur ausgewählte, enge Bereiche der Fußgängerzone Lüneburgs, sondern allein aufgrund einer erhöhten Attraktivität, eines vorgeblich bestehenden hohen Besuchsaufkommens und zahlreicher die Innenstadt querender Passanten nahezu den gesamten Innenstadtbereich als Örtlichkeit bestimmt. Abgesehen davon, dass der Senat aus eigener Anschauung keinen Anhalt dafür hat, dass „die Innenstadt … annähernd in gleicher Weise frequentiert (ist) wie in Zeiten vor der Corona-Pandemie“, fehlt es an einer im Einzelnen nachvollziehbaren Begründung dafür, dass sich an den bestimmten Örtlichkeiten in Gänze „Menschen entweder auf engem Raum oder nicht nur vorübergehend aufhalten“. Für einzelne bestimmte Straßenzüge sind diese Voraussetzungen vielmehr offensichtlich nicht gegeben. So ist etwa für die Bereiche Sülztorstraße, Salzstraße, Neue Sülze, Lindenstraße, Schießgrabenstraße, Am Schifferwall, Reichenbachstraße nicht zu erkennen, dass sich in diesen in Gänze regelmäßig Menschen derart auf engem Raum begegnen, dass die Einhaltung des Abstandsgebots nicht gewährleistet wäre. Auch ein regelmäßig nicht nur vorübergehender Aufenthalt, sondern ein längeres Verweilen ist für Teile dieser Bereiche eher fernliegend.

(c) Obwohl nicht mehr entscheidungserheblich, weist der Senat klarstellend darauf hin, dass die Regelungen in den Nrn. 1 und 5 Halbsatz 1 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – nicht deshalb rechtswidrig sind, weil es ihnen an einer Befristung fehlt. Zwar sind Rechtsverordnungen nach § 32 IfSG gemäß § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG zeitlich zu befristen, wie dies in § 20 Abs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung geschehen ist. Ob gleiches für Infektionsschutzmaßnahmen zu gelten hat, die auf der Grundlage der §§ 28 ff. IfSG durch Verwaltungsakt getroffen werden, kann hier dahinstehen. Denn eine aufgrund § 3 Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung erlassene Allgemeinverfügung hat die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht anzuordnen. Nach der Regelungssystematik der Niedersächsischen Corona-Verordnung (siehe hierzu oben I.1.a.) ist diese Anordnung vielmehr durch den Verordnungsgeber selbst in § 3 Abs. 2 Satz 1 getroffen worden. Endet diese Anordnung aufgrund Ablaufs der Gültigkeitsdauer der Niedersächsischen Corona-Verordnung oder aufgrund deren Aufhebung durch den Verordnungsgeber, wird die ergänzende Bekanntmachung von Örtlichkeiten durch die Landkreise und kreisfreien Städte aufgrund § 3 Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung ohne Weiteres gegenstands- und damit wirkungslos.

b. Die Regelungen in den Nrn. 1 und 5 Halbsatz 1 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 finden auch unmittelbar in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG keine tragfähige Rechtsgrundlage.

(1) Die Verschärfung der in der Niedersächsischen Corona-Verordnung bestimmten Pflicht zum Tragen einer (einfachen) Mund-Nasen-Bedeckung durch die Landkreise und kreisfreien Städte dahin, dass eine medizinische Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen ist, ist nach den Kollisionsregeln in § 18 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung nur in Hochinzidenzkommunen (7-Tage-Inzidenz in einem Dreitageabschnitt von mehr als 100) gestattet (vgl. zur Systematik des § 18 der Niedersächsischen Corona-Verordnung: Senatsbeschl. v. 16.4.2021 – 13 MN 158/21 -, juris Rn. 15; v. 6.4.2021 – 13 ME 166/21 -, juris Rn. 8; v. 25.11.2020 – 13 MN 487/20 -, juris Rn. 20) und dem Antragsgegner daher von vorneherein verwehrt.

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Die Anordnung einer über § 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung (örtlich und zeitlich) hinausgehenden Maskenpflicht dürfte dem Antragsgegner hingegen nach § 18 Abs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung grundsätzlich offenstehen.

(2) Für die in Nrn. 1 und 5 Halbsatz 1 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 getroffenen Regelungen sind aber weder die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG erfüllt noch hat der Antragsgegner sein Ermessen fehlerfrei betätigt.

Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse zu Infektionsgefahren bei Aufenthalten im Freien (vgl. hierzu etwa den Senatsbeschl. v. 16.4.2021 – 13 MN 157/21 -, juris Rn. 22 m.w.N.) besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass eine nahezu den gesamten Innenstadtbereich umfassende Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung unter Berücksichtigung des tatsächlichen aktuellen Infektionsgeschehens in der Hansestadt B-Stadt überhaupt eine objektiv notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sein könnte.

Jedenfalls ist ihre Anordnung durch den Antragsgegner auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ermessensfehlerhaft. Die in der Begründung der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung zutage tretende Auffassung des Antragsgegners, „eine dauerhafte Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und damit die Abkehr von einem Inzidenz-Grenzwert“ (Begründung der Allgemeinverfügung v. 30.3.2021, ABl. LK LG, S. 79, Abschnitt „Inzidenzwert“) sei unter Berücksichtigung des Pandemiegeschehens gerechtfertigt, bewegt sich offensichtlich außerhalb der durch §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG gezogenen Grenzen für ein hoheitliches Einschreiten. Auch die bewusst dauerhafte Anordnung (Begründung der Allgemeinverfügung v. 30.3.2021, ABl. LK LG, S. 80, Abschnitt „Geltungsdauer“) und mangelnde Reaktionen des Antragsgegners auf signifikante Änderungen tatsächlicher Umstände während der Geltungsdauer der Allgemeinverfügung (Bsp.: Aufgabe des Konzepts „Gassenzauber“ der Hansestadt B-Stadt, Aufgabe oder Hinausschieben des Modellprojekts nach § 18b der Niedersächsischen Corona-Verordnung) stellen infrage, dass die infektionsschutz- und verfassungsrechtlich gebotene fortlaufende Aktualisierung und Überprüfung der Notwendigkeit tatsächlich erfolgt.

2. Den darüberhinausgehenden Regelungen in Nrn. 2 und 5 Halbsatz 2 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021, die lauten:

„2. Die Pflicht nach Nr. 1 gilt auch für alle Testzentren und deren vorgelagerte Bereiche einschließlich der zugeordneten Parkplätze im Gebiet des Landkreises B-Stadt, die in Abstimmung mit den kreisangehörigen Kommunen eingerichtet und betrieben werden.

5. Die Pflicht nach Nr. 1 besteht … im Falle von Nr. 2 in den Betriebszeiten der Testzentren.“,

fehlt es schon an der nach § 1 Abs. 1 NVwVfG in Verbindung mit § 37 Abs. 1 VwVfG erforderlichen Bestimmtheit (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: BVerwG, Urt. v. 19.6.2019 – BVerwG 6 C 9.18 -, BVerwGE 166, 45 – juris Rn. 10 m.w.N.). Für die Adressaten dieser bei Nichtbeachtung bußgeldbewehrten Regelungen ist aus der Allgemeinverfügung und der für diese gegebenen Begründung nicht hinreichend klar nachzuvollziehen,

– ob es sich bei einem Testzentrum, das bei verständiger Würdigung nur ein solches sein dürfte, das Tests auf das Vorliegen einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 anbietet, auch um ein solches handelt, das „in Abstimmung mit den kreisangehörigen Kommunen eingerichtet und betrieben“ wird,

– wie weit im Konkreten „vorgelagerte Bereiche einschließlich der zugeordneten Parkplätze“ eines solchen Testzentrums reichen sollen (vgl. zur restriktiveren Bestimmung in § 3 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung: Senatsbeschl. v. 23.12.2020 – 13 MN 506/20 -, juris Rn. 78) und

– wie die „Betriebszeiten“ dieses Testzentrums nach außen zu erkennen sein sollen.

Der Senat kann daher dahinstehen lassen, ob die Regelungen in Nrn. 2 und 5 Halbsatz 2 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. März 2021 in materieller Hinsicht auf § 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung oder §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG gestützt werden können.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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