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Internationaler Straßengüterverkehr: Schadenersatzanspruch bei Warenverlust

LG Saarbrücken, Az.: 17HK O 9/16, Urteil vom 27.06.2018

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten der Nebenintervenientin zu 1) und der Nebenintervenientin zu 2).

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz für einen Warenverlust.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine in Italien ansässige Unternehmung, die landwirtschaftliche Maschinen und Zubehör herstellt und mit diesen handelt. Bei der Beklagten handelt es sich um ein großes deutsches Logistikunternehmen, das unter anderem internationale Frachten durchführt.

Am 10.04.2015 erhielt die Klägerin einen Auftrag zur Lieferung einer größeren Partie von Lithium-Batterien im Wert von 49.000,00 €, scheinbar von einer Firma I. SAS, … , C. (Frankreich). Der Auftrag erfolgte per E-Mail, Absender war ein gewisser J.-P. B.. Herr B. hatte sich als Mitarbeiter der Einkaufsabteilung der Firma I. ausgegeben. Die routinemäßig durchgeführten Recherchen der Klägerin ergaben, dass die Firma I. am angegebenen Ort tatsächlich existierte und auch offensichtlich gut beleumundet war. Mit Rücksicht auf diesen Befund wurden die bestellten Waren beschafft.

Internationaler Straßengüterverkehr: Schadenersatzanspruch bei Warenverlust
Symbolfoto: MikeMareen/Bigstock

Mit dem Transport der Waren war die Beklagte von einer Firma M. SA beauftragt worden, hier durch einen Herrn P.. In einer an die Beklagte gerichteten E-Mail des Herrn P. änderte dieser vor dem Transport die Lieferadresse. Die Lieferung sollte nunmehr erfolgen an die Adresse: U. Way, … , L. England. Die Beklagte beauftragte ihrerseits die Firma A. die Nebenintervenientin zu 1), mit der Durchführung des Transportes. Diese wiederum beauftragte die Nebenintervenientin zu 2) mit der Durchführung des Transports.

Die Klägerin stellte die Ware am 23.06.2016 in P., Italien (Auslieferungslager) zur Verfügung. Bei der Abholung der Ware durch die Nebenintervenientin zu 2) wurde der Frachtbrief … (Anlage K1) vorgelegt. Mit diesen Warenbegleitpapieren wurde der Transport sodann durchgeführt. Das Rohgewicht der transportierten Lithium-Batterien belief sich ausweislich des Frachtbriefes auf 17.717 kg. Die Ware wurde sodann am Lieferort in D. übergeben.

Die Klägerin stellte der I. SAS die Ware vereinbarungsgemäß mit 58.740,00 € in Rechnung. Als sich die Klägerin bei der Firma I. SAS danach erkundigte, ob die gelieferte Ware angekommen und zur Zufriedenheit des Kunden ausgefallen sei, erhielt die Klägerin die Auskunft, dass die Vertreter der Firma I. SAS keinerlei Kenntnis von dem Auftrag hatten. Die Recherchen der Klägerin ergaben, dass kein berechtigter Vertreter der Firma I. einen solchen Auftrag erteilt hatte.

Mit Schreiben vom 28.09.2015 forderte die Klägerin die Beklagte auf, auf der Grundlage des Art. 17 CMR Schadenersatz in Höhe des Kaufpreises von 58.740,00 € zu leisten. Mit Schreiben vom 07.10.2015 wies die Beklagte die Forderung der Klägerin zurück.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte ihr nach Art. 17 CMR. Sie sei Absenderin des Gutes und damit aktiv legitimiert. Die Beklagte hafte für den Warenverlust, weil die Ware durch Übergabe an einen Nichtberechtigten vor Ablieferung verloren gegangen sei. Eine Ablieferung habe nur an die berechtigte Person, also den Empfänger oder von ihm bevollmächtigte Personen erfolgen dürfen. Hier sei die Ablieferung aber weder an die Firma I. erfolgt, die in D. überhaupt keine Niederlassung habe, noch an eine bevollmächtigte Person der Firma I..

Die Klägerin meint, angesichts der Umstände der Ablieferung, nämlich an einem Samstagmorgen in einem heruntergekommenen Industrieareal, habe der Fahrer misstrauisch werden müssen und vor Ablieferung der Ware Weisungen der Klägerin gemäß Art. 15 Abs. 1 CMR einholen müssen. Der Frachtführer müsse sicherstellen, dass die Ware nur einem berechtigten Vertreter des bezeichneten Empfängers ausgehändigt werde.

Die Klägerin trägt hinsichtlich der von ihr behaupteten Aktivlegitimation nach Art. 17 CMR vor, es bestehe zwar kein direktes Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten. Die Klägerin sei aber als dritte Partei in den Schutzkreis des Transportvertrages erkennbar einbezogen worden. Es liege ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vor und daher könne die Klägerin aus eigenem Recht vertragliche Ansprüche geltend machen. Auch der „vertragslose“ Absender könne im Rahmen des Art. 17 CMR aktiv legitimiert sein. Dabei bedürfe der Drittschutz keines Rückgriffs auf das nationale Recht. Angesichts der offenen Formulierung des Art. 17 CMR könne man zum Ergebnis eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auch über die gebotene autonome Auslegung kommen.

Selbst wenn man aber im vorliegenden Fall die Aktivlegitimation der Klägerin aus Art. 17 CMR verneinen wollte, so ergäbe sich dennoch eine Aktivlegitimation aufgrund anderer Rechtsgrundlagen, nämlich vertraglich aus den drittschützenden Normen des britischen Rechts bzw. aus den drittschützenden deliktischen Normen des italienischen Rechts: Für Transportverträge verweise Art. 5 der ROM I Verordnung in Ermangelung einer Rechtswahl der Parteien auf das am Ablieferungsort gültige Recht. Dieses sei hier britisches Recht. Das britische Recht beziehe den Absender in den Schutzkreis des Transportvertrages ausdrücklich mit ein, auch wenn er kein Vertragspartner sei.

Angesichts der vertragslosen Position der Klägerin könne des Weiteren hilfsweise auch auf eine deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage aus dem einschlägigen italienischen Recht, nämlich auf Art. 2043 codice civile abgestellt werden. Maßgebliches Deliktsstatut sei nach der Grundregel des Art. 4 I Abs. 1 der ROM II VO das Recht des Staates, in dem der Schaden eintrete. Da die Klägerin einen Vermögensschaden erlitten habe, liege der Ort des Schadens am Ort der Belegenheit des klägerischen Vermögens, demnach in Italien.

Nach dem einschlägigen italienischen Recht sei der durch einen Transportvorgang geschädigte und außerhalb eines Transportvertragsverhältnisses stehende Dritte, insbesondere der Absender, für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auch ohne Abtretung der Ansprüche aus dem Transportvertrag, d. h. aus eigenem Recht aktiv legitimiert.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 49.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.09.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Nebenintervenienten zu 1) und 2) haben ebenfalls beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin. Es handele sich vorliegend um einen grenzüberschreitenden internationalen Transportauftrag. Schadensersatzansprüche aus CMR stünden der Klägerin bereits deshalb nicht zu, weil sie im Verhältnis zur Beklagten nicht die Absenderin der Ware sei. Absender sei immer der Vertragspartner des Frachtführers. Der hier streitgegenständliche Auftrag zum Transport der Ladung Batterien von Italien nach Großbritannien sei der Beklagten aber nicht von der Klägerin, sondern von einer Firma M. SA erteilt worden, hier durch einen Herrn D. P..

Darüber hinaus liege auch keine Pflichtverletzung bei Durchführung des streitgegenständlichen Transports vor. Laut Auftrag habe die Ware an die Adresse in D., England, geliefert werden sollen. Ein Hinweis darauf, dass es sich bei der angegebenen Adresse in England um eine Niederlassung der Firma I. SAS handeln solle, sei nicht erteilt worden. Die Ware sei vereinbarungsgemäß abgeholt und vereinbarungsgemäß am vereinbarten Ablieferungsort abgeliefert worden.

Darüber hinaus hätten für die Beklagte auch keinerlei Umstände Vorgelegen, anhand derer sich ihr habe aufdrängen müssen, dass eine Ablieferung am genannten Bestimmungsort zum Warenverlust führen könnte. Die Lieferadresse habe sich in einem Industriegebiet in D. befunden. Es handele sich entgegen der Darstellung der Klägerin nicht um ein Areal verfallener Industrieanlagen und havarierter Fahrzeuge. Vielmehr liege die Lieferadresse in einem Gebiet, welches ein für diese Art von Gewerbegebieten typisches Bild aufweise.

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Entgegen der Auffassung der Klägerin habe die Beklagte vor Ablieferung auch keine Weisung der Klägerin einholen müssen, denn da die Klägerin nicht Auftraggeberin der Beklagten gewesen sei, sei sie ihr gegenüber auch zu keinem Zeitpunkt weisungsberechtigt gewesen. Dass die Klägerin einem betrügerischen Vertragspartner zum Opfer gefallen sei, falle nicht in den Risikobereich der Beklagten, sondern der Klägerin.

Die Nebenintervenientin zu 1) rügt ebenfalls die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin, da sie nicht Vertragspartner der Beklagten sei. Darüber hinaus sei jeglicher Schadensersatzanspruch aus Art. 17 Abs. 1 CMR bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte die streitgegenständliche Sendung an den bestimmungsgemäßen Empfänger wirksam abgeliefert habe. Es stelle keinen Güterverlust im Sinne des Art. 17 Abs. 1 CMR dar, wenn der frachtbriefmäßige Empfänger ein Betrüger sei, der sich die Ware durch eine Täuschung verschafft habe. Die Identität des Empfängers sei allein der Risikosphäre des Verkäufers, hier der Klägerin, zuzurechnen, weil sie als Verkäuferin der Ware in unmittelbarem Vertragsverhältnis zum Empfänger stehe. Der Frachtführer habe weder die Möglichkeit noch die Pflicht, weitere Aufklärung zu betreiben. Seine Pflicht beschränke sich darauf, die Sendung ordnungsgemäß am bestimmungsgemäßen Empfangsort an die dem äußeren Anschein nach zum Empfang berechtigte Personen abzuliefern. Dies habe die Beklagte vorliegend getan.

Die Nebenintervenientin zu 2) bestreitet ebenfalls eine Haftung der Beklagten oder der Unterfrachtführer nach Art. 17 CMR. Die streitgegenständliche Sendung sei an die vom Betrüger genannte Adresse zum Versand gebracht und dort an den Betrüger ausgeliefert worden. Damit sei die streitgegenständliche Sendung an genau die Person ausgeliefert worden, die die streitgegenständliche Sendung ursprünglich von der Klägerin käuflich erworben habe. Eine Pflichtverletzung der Beklagten oder der Nebenintervenienten sei daher nicht gegeben.

Darüber hinaus bestreitet die Nebenintervenientin zu 2), dass der Klägerin ein ersatzfähiger Schaden entstanden sei. Die Klägerin habe sich nicht zu den Bedingungen des von ihr abgeschlossenen Kaufvertrages erklärt. Unstreitig sei aber, dass die Klägerin die streitgegenständliche Sendung „ex works“ an die Firma I. SAS veräußert habe. Sie habe dann die Sendung vereinbarungsgemäß am 23.06.2016 zur Abholung zur Verfügung gestellt. Damit habe die Klägerin ihre Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag mit der Firma I. vollständig erfüllt, sodass sie Zahlung des vereinbarten Kaufpreises von der Firma I. verlangen könne. Entsprechend habe die Klägerin deshalb auch noch am Tag der Übernahme den Kaufpreis mit der als Anlage K8 vorgelegten Rechnung gegenüber der Firma abgerechnet. Daraus ergebe sich, dass die Klägerin keinen Vermögensschaden durch den von ihr behaupteten Verlust der streitgegenständlichen Sendung erlitten habe. Zur Ermittlung des Vermögensschadens sei der jetzige Zustand der Klägerin mit dem Zustand zu vergleichen, der bestünde, wenn der von der Klägerin behauptete Verlust nicht eingetreten wäre. In diesem Falle hätte die Klägerin einen Kaufpreisanspruch in Höhe von 58.740,00 € gegen die Firma I. SA. Dieser Anspruch bestehe aber auch weiterhin bei Verlust der Sendung. Damit stehe die Klägerin trotz des behaupteten Verlustes der Sendung genau so, wie sie ohne diesen Verlust stünde.

Es treffe auch nicht zu, dass der Fahrer sich nicht nach der Identität der die streitgegenständliche Sendung in Empfang nehmenden Person erkundigt bzw. diesbezügliche Weisungen eingeholt habe. Der Fahrer habe Weisungen eingeholt. Bezüglich des Vortrages der Nebenintervenientin zu 2) hierzu im Einzelnen wird auf ihren Schriftsatz vom 16. November 2016, dort S. 5 ff. (Bl. 109 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Nebenintervenientin zu 2) vertritt weiter die Auffassung, dass dann, wenn der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch begründet sein sollte, dieser um ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin zu kürzen wäre. Dieses Mitverschulden bestehe zum einen darin, dass die Klägerin in Form des Abschlusses des Kaufvertrages mit einem Betrüger bereits die erste Ursache für den späteren Verlust der streitgegenständlichen Sendung gesetzt habe. Jedenfalls hätte die Klägerin im Rahmen der Begründung eines Vertragsverhältnisses mit einem Neukunden zunächst dessen Identität verifizieren müssen. Darüber hinaus wäre es bei Begründung eines Vertragsverhältnisses mit einem Neukunden für die Klägerin angezeigt gewesen, sich ihren Kaufpreisanspruch entweder durch Vorauskasse oder durch Einschaltung eines Akkreditivs abzusichern. Beides habe die Klägerin unterlassen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 19.05.2017 (Bl. 209 ff. d. A.) und 30.05.2018 (Bl. 271 ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche aus der CMR ergibt sich aus Art. 31 Abs. 1a CMR, da die Beklagte im S.-Land eine Hauptniederlassung oder Zweigniederlassung oder Geschäftsstelle hat, durch deren Vermittlung der Beförderungsvertrag geschlossen worden ist.

Der Klägerin steht – auch unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 18.06.2018 – unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung der Klageforderung nebst Zinsen gegen die Beklagte zu.

1.

Bei dem streitgegenständlichen Transport handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Transport, sodass auf den Beförderungsvertrag die Vorschriften der CMR anwendbar sind, Art. 1 Abs. 1 CMR.

a) Die Haftung des Frachtführers für den Verlust der Ware ist in Art. 17 CMR geregelt. Danach haftet der Frachtführer für gänzlichen oder teilweisen Verlust und für Beschädigung des Gutes, sofern der Verlust oder die Beschädigung zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintritt.

b) Wem der Frachtführer haftet, ist in Art. 17 CMR nicht ausdrücklich erwähnt. Es ergibt sich jedoch aus dem Wesen der CMR, welches die wesentlichen frachtrechtlichen Fragen eines grenzüberschreitenden Beförderungsvertrages regelt. Daraus folgt, dass die CMR die Rechte und Pflichten zwischen den Vertragspartnern regelt und sich die Haftung des Frachtführers daher auf die Haftung gegenüber seinem Vertragspartner, bezieht (vgl. Koller, Transportrecht, 9. Aufl., vor Art. 1, Rn. 5 ff. und Art. 13 CMR, Rn. 8). Weiter räumt die CMR in Art. 13 auch dem Empfänger unter bestimmten Umständen Rechte ein. Dem außerhalb des Beförderungsvertrages stehenden Absender stehen indes nach den Regelungen der CMR, die ausdrücklich die vertraglichen Ansprüche der am Transport Beteiligten regelt, kein Anspruch nach CMR zu, eine ergänzungsbedürftige Lücke hinsichtlich eines außerhalb des Beförderungsvertrages stehenden Dritten besteht nicht.

c) Dies gilt entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht für den außerhalb des Beförderungsvertrags Verhältnisses stehenden „Absender“ eine Lieferung ab Werk („ex works“). Der BGH hat in seinem Urteil vom 27.4.2006 diesbezüglich ausgeführt, dass ein solcher, von der Klägerin als „vertragsloser Absender“ bezeichneter Absender die Verfügungsgewalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit der Übergabe der Waren an die Spedition im Rahmen des „ab Werk- Verkaufs“ willentlich auf den Käufer überträgt:

„Zwar sieht Art. 12 Abs. 1 CMR ein Verfügungsrecht des Absenders vor, dessen Ausübung in Art. 12 Abs. 5 lit. a CMR näher ausgestaltet ist, und in dem Frachtbrief war die Beklagte als Absenderin der Ware bezeichnet. Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Beweiswirkung des Frachtbriefs nach Art. 9 Abs. 1 CMR, die nur bis zum Beweis des Gegenteils gilt, im Streitfall nicht eingreift. Das Berufungsgericht hat nämlich unangegriffen festgestellt, dass die Beklagte nicht Partei des Frachtvertrags mit der Spedition V. war. Damit war sie auch nicht Absenderin i.S. von Art. 12 Abs. 1 und Abs. 5 lit. a CMR (vgl. Helm, Frachtrecht II, 2. Aufl., Art. 12 CMR Rdn. 23; Herber/Piper, CMR, Art. 12 Rdn. 12; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Art. 6 CMR Rdn. 3; MünchKomm.HGB/Basedow, Art. 12 CMR Rdn. 5) und deshalb auch nicht mehr verfügungsbefugt. Die transportrechtliche Verfügungsbefugnis und damit auch die Verfügungsgewalt über die Waren standen vielmehr mit deren Übernahme in P. durch die Spedition V. ausschließlich der Käuferin als Vertragspartnerin des Frachtvertrags und damit als Absenderin i.S. von Art. 12 Abs. 1 CMR zu (vgl. hierzu MünchKomm.HGB/Basedow, Art. 12 CMR Rdn. 5).

Entgegen der Ansicht der Revision folgt eine Verfügungsbefugnis der Beklagten auch nicht aus Art. 12 Abs. 5 lit. a CMR aufgrund des Umstandes, dass diese als Absenderin im Frachtbrief eingetragen war. Denn der Frachtbrief ist nur Beweisurkunde und hat keine konstitutive Funktion (vgl. BGH, Urt. v. 27.1.1982 – I ZR 33/80, TranspR 1982, 105 = VersR 1982, 669). Auf die unzutreffende Bezeichnung als Absenderin im Frachtbrief kann sich die Beklagte zur Begründung eines frachtrechtlichen Verfügungsrechts deshalb nicht berufen“ (BGH, Urteil vom 27. April 2006 – I ZR 162/03 -, Rn. 17, juris).

Die Klägerin, die unstreitig den streitgegenständlichen Transport nicht beauftragt hat, und daher kein Absender – noch Empfänger – ist, kann sich daher nicht auf Art. 17 CMR berufen.

c) Auch die von der Klägerin in Bezug genommene Entscheidung des Landgerichts Krefeld vom 22.1.2008 (Az. 12 O 114/06) stützt die von ihr vertretene Auffassung nicht: in dem dort zu Grunde liegenden Fall waren die Parteien gerade durch einen Beförderungsvertrag miteinander verbunden; infrage gestellt war die Aktivlegitimation der Klägerin lediglich wegen der durch die Versicherung bereits geleisteten Zahlungen. Diesbezüglich hat das Landgericht Krefeld ausgeführt, dass auf Grund einer autonomen Auslegung des CMR die Grundsätze der Drittschadensliquidation auch im CMR-Haftpflichtprozess gelten (LG Krefeld, Urteil vom 22. Januar 2008 -12 0 114/06 -, Rn. 24, juris). Ebenso hatte bereits das OLG Köln in seinem Urteil vom 27.9.2005 ausgeführt, dass die autonome Auslegung des Art. 13 Abs. 1 CMR ergibt, dass der Empfänger Schadensersatzansprüche aus dem Beförderungsvertrag gegen den Frachtführer im Wege der Drittschadensliquidation geltend machen kann, auch wenn das ergänzend anzuwendende nationale (hier: französische) Recht das Institut der Drittschadensliquidation nicht kennt (OLG Köln, Urteil vom 27. September 2005 – 3 U 143/02 -, juris).

d) Schließlich wären Ansprüche nach Art. 17 CMR auch deshalb nicht begründet, weil Pflichtverletzungen seitens der Beklagten als Frachtführerin nicht erkennbar sind: die Beklagte hat bereits keine Obhut über die streitgegenständlichen Waren gehabt. Auch durch die mit dem Transport befassten Unterfrachtführer ist indes eine Pflichtverletzung nicht erkennbar: die Ware ist durch die Unterfrachtführer bestimmungsgemäß am vereinbarten Ablieferungsort an den nach der Weisung vorgesehenen Empfänger – eine Ablieferung an eine Niederlassung der I. SAS war ausweislich des Frachtbriefs nicht vereinbart – ausgeliefert worden, so dass auch im Übrigen keine Pflichtverletzungen erkennbar sind. Dass der Transport von einem mutmaßlichen Betrüger in Auftrag gegeben wurde, und dieser aufgrund des ordnungsgemäß ausgeführten Transports die betrügerisch erschlichene Ware auch erhalten hat, fällt nicht in den Risikobereich des Frachtführers, sondern in den des Verkäufers, hier der Klägerin.

2.

Eine Aktivlegitimation ergibt sich auch nicht aus drittschützenden Normen des britischen Rechts, wie die Klägerin meint.

a) Auf der Grundlage des Art. 5 der ROM I – Verordnung ist eine Anwendbarkeit britischen Rechts entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegeben: die ROM I VO enthält Regelungen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. Da die Klägerin gerade kein vertragliches Schuldverhältnis mit der Beklagten verbindet, ist Art. 5 der ROM I VO schon nicht anwendbar. Auf den zwischen der Beklagten und der Firma M. SA geschlossenen Transportvertrag kann sich die Klägerin nicht berufen, da sie nicht Partei dieses Transportvertrages ist.

b) Das nationale britische Recht ist auf die streitgegenständliche Beförderung im Hinblick auf den zwischen der Beklagten und der Firma M. SA geschlossenen Transportvertrag auch deshalb nicht anwendbar, weil die Regelungen der CMR im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Transport vorrangige Anwendung finden.

Schließlich folgt die Kammer auch nicht der Auffassung der Klägerin, es sei hilfsweise auf eine deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage aus dem italienischen Recht, namentlich auf Art. 2043 codice civile, abzustellen a) Die Klägerin beruft sich für die Anwendbarkeit des italienischen Rechts auf Art. 4 Abs. 1 der ROM II-Verordnung: Nach Art. 4 Abs. 1 der ROM II-Verordnung ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung, soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Nach Auffassung der Klägerin ist der Schaden am Ort der Gelegenheit des klägerischen Vermögens in Italien eingetreten.

b) Zwar ist der Klägerin noch so weit zu folgen, dass auch der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter als Anspruch aus unerlaubter Handlung im Sinne der Vorschrift anzusehen ist. Der Begriff der unerlaubten Handlung umfasst jegliche Schadenshaftung, die nicht aus einem Vertrag folgt. Die fehlende Sonderverbindung zwischen dem in Anspruch Genommenen und dem Opfer grenzt die unerlaubte Handlung gegenüber dem Vertrag ab. Mangels rechtsgeschäftlichen Kontakts zwischen Schuldner und Drittem erfolgt die Übernahme von Schutzpflichten beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegenüber dem Dritten unfreiwillig (MüKoBGB/Junker Rom ll-VO Art. 4 Rn. 14, 15 und ROM II-Verordnung, Art. 1 Rn. 15, 16, beck-online; Lund in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, Art. 1 Rom ll-VO, Rn. 41), sodass es sich nicht um eine freiwillig eingegangene Verpflichtung auf der Grundlage eines Vertrages handelt und somit um eine außervertragliche Sonderverbindung im Sinne der Vorschrift.

c) Voraussetzung der Anwendbarkeit ist jedoch, dass durch die unerlaubte Handlung ein Schaden eingetreten ist. Hieran fehlt es vorliegend: Die einzige unerlaubte Handlung im Sinne der Vorschrift, auf die sich die Klägerin berufen kann, ist der Abschluss bzw. die Durchführung des streitgegenständlichen Transportvertrages. Ungeachtet der Zweifel, ob die ordnungs- und vereinbarungsgemäße Ausführung der vertraglichen Pflichten aus einem Beförderungsvertrag eine unerlaubte Handlung im Sinne der Vorschrift darstellen kann, hat jedenfalls weder der Abschluss des Transportvertrages noch dessen Durchführung einen (weiteren) Schaden bei der Klägerin hervorgerufen oder vertieft:

aa) Soweit für den Schaden auf die Wertlosigkeit des Kaufpreisanspruchs der Klägerin abgestellt wird, ist ihr genau dieser Schaden bereits durch den Abschluss des Kaufvertrages mit einem Betrüger entstanden. Der Kaufpreisanspruch war bereits vor Abschluss des Beförderungsvertrages nicht einbringlich.

bb) Im Rahmen der Begründung ihres Schadens hat die Klägerin des Weiteren vorgetragen, sie habe die Ware unter Eigentumsvorbehalt verkauft. In diesem Falle hat sie aber das Eigentum an der Ware durch die Übergabe nicht verloren. Sie ist weiterhin Eigentümerin der Waren.

cc) Allenfalls könnte man zugunsten der Klägerin unterstellen, dass ihr Sicherungsmittel, nämlich das vorbehaltene Eigentum, durch die Übergabe an einen Betrüger entwertet worden sei. Auch diese Entwertung, wenn sie als Schaden angesehen wird, ist jedoch nicht durch den Abschluss oder die Durchführung des Transportvertrages entstanden. Der Verlust des Sicherungsmittels ist vielmehr bereits durch die Klägerin selbst hervorgerufen worden, indem sie die Ware selbst an ihrem Auslieferungslager an den Betrüger bzw. den von ihm beauftragten Spediteur übergeben hat und somit die Ware aus ihrem Sachherrschaftsbereich in den Herrschaftsbereich des Betrügers hat übergehen lassen. Dies verdeutlicht auch eine Kontrollüberlegung: Wäre der Betrüger selbst am Auslieferungslager der Klägerin erschienen und hätte die streitgegenständliche Ware in Empfang genommen, befände sich die Klägerin in derselben vermögensrechtlichen Situation, in der sie sich jetzt befindet. Der Umstand, dass der Betrüger ein Transportunternehmen zwischengeschaltet hat, das im Auftrag des Betrügers die Ware bei der Klägerin abgeholt hat, ändert an der vermögensrechtlichen Situation der Klägerin nichts. In beiden Fällen hat die Klägerin selbst die maßgebliche Ursache für die Entwertung ihres Sicherungsmittels gesetzt, indem sie die Ware aus der Hand gegeben hat. In diesem Zusammenhang ist wiederum auf die Entscheidung des BGH vom 27.4.2006 (Az. I ZR 162/03) zu verweisen, in welcher dieser ausgeführt hat, dass bei einer Übergabe an die Spedition „ex works“ die Verfügungsgewalt in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht willentlich auf den Käufer übertragen wird.

d) Da mithin eine Schadensverursachung durch eine unerlaubte Handlung nicht vorliegt, kommt auch eine Anwendung italienischen Rechts auf der Grundlage des Art. 4 Abs. 1 der ROM II-Verordnung nicht in Betracht.

Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ist daher nach obigen Ausführungen nicht veranlasst.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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