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Befangenheitsantrag – Internetrecherche des Richters

Arbeitsgericht Siegen

Az.: 3 Ca 1722/05

Urteil vom 03.03.2006


Leitsätze:

Die Recherche des Richters einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle zur Unterrichtung über offenkundige Tatsachen stellt keinen Grund für die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit dar.

Als allgemein zugängliche und zuverlässige Quelle kommen auch Datenbanken im Internet in Betracht.

Eine Befangenheit des Richters, der eine bestimmte Tatsache als offenkundige in den Prozess einführt, scheidet aus, wenn er vertretbarerweise annimmt, dass die von ihm offen gelegte Quelle

tatsächlich die Kriterien erfüllt, die für eine Anwendung des § 291 ZPO notwendig sind.


Rechtskraft:

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 49 Abs. 3 ArbGG).

Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Vorsitzenden der 3. Kammer des Arbeitsgerichts Siegen, Richter am Arbeitsgericht D., wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 17. Oktober 2005. Ausweislich der Anhörung des Betriebsrates vom 14. Oktober 2005 war folgender Sachverhalt für die Beklagte dazu Anlass:

A. fehlt seit dem 07.10.2005 wegen Krankheit.

A. hatte Urlaub für die Herbstferien beantragt. Dieser Urlaub konnte ihm aus betrieblichen Gründen nicht gewährt werden. Zudem hatte A. auch nur noch 4,5 Tage Urlaub und ein negatives Zeitkonto von 24:31 Stunden. 4 Tage Urlaub waren aber noch für die Betriebsferien im Dezember zwischen Weihnachten und Neujahr benötigt. Zuerst hatte A. seinen Vorgesetzten E. um Urlaub gebeten. Als E. ihm dieses verwehrt hat, meldete er Urlaub bei der Personalleitung an.

In einem Gespräch mit der Personalleitung (F.) und bei Anwesenheit einer Mitarbeiterin des Personalbüros (G.) sagte A., dass er dringende Angelegenheiten in Polen zu erledigen hätte und im Zweifel dann krank werden könnte. Ähnliche Äußerungen tätigte er auch gegenüber E. Am Freitag den 14.10.2005 hat A. seinen Vorgesetzten angerufen und nach der Schichteinteilung für die nächste Woche gefragt. E. konnte die Rufnummer von der A. seinen Anruf getätigt hatte auf dem Display seines Telefons erkennen. Die Rufnummer lautete 0-0048-52xxx. Der Anruf wurde somit aus Polen (0048) getätigt.

Wir haben erhebliche Zweifel an der Erkrankung des A. Wir werden ihm daher wegen Vortäuschung einer Krankheit und eigenmächtigen Urlaubsantritt fristlos kündigen.

A. wurde bereits wegen eigenmächtigen Urlaubsantritt am 17.06.2005 abgemahnt. Er hat die Abmahnung in Gegenwart von H. (BR Vorsitzender) von F. erhalten, hat diese aber nicht gegenzeichnen wollen. Wir bitten um unverzügliche Stellungnahme.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2005 hierzu vorgetragen, von der Telefonnummer auf dem Display seines Vorgesetzten könne nicht auf seinen Standort geschlossen werden. Er verwende in seinem Handy eine polnische SIMKarte, weshalb die Vorwahl „0048“ (= Kennung für Polen) erscheine. Tatsächlich habe er sich Zuhause befunden. Die Beklagte hat hierzu mit Schriftsatz vom 27. Januar 2006 erwidert, der Kläger habe am 17. Oktober 2005, auf das Telefonat aus Polen angesprochen, der Personalleiterin erklärt, dass es sich dabei um sein Geheimnis handele. Im übrigen hat die Beklagte hinsichtlich des Kündigungssachverhaltes an ihrem bisherigen Vortrag festgehalten.

Durch Beschluss vom 2. Februar 2006 hat der Vorsitzende der 3. Kammer dem Kläger folgende Auflage erteilt:

Dem Kläger wird aufgegeben, auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 27.01.2006 binnen vier Wochen schriftsätzlich zu erwidern. Es wird darauf hingewiesen, dass nach einer Internetrecherche die Telefonvorwahl +4852 der Stadt I. in der polnischen Provinz J. zugeordnet ist. Es handelt sich also bei der von der Beklagten angegebenen Nummer um eine Festnetznummer.

Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2006 hat der Kläger den Vorsitzenden der 3. Kammer wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Richter habe durch eigene Recherche außerhalb der mündlichen Verhandlung auf eigene Faust Informationen eingesammelt und unter Verletzung des Beibringungsgrundsatzes in den Rechtsstreit eingeführt. Er erwecke dadurch den Eindruck, dass er zugunsten der Beklagten den Sachverhalt ermittle.

Der abgelehnte Richter hat hierzu wie folgt Stellung genommen:

Ich halte mich nicht für befangen.

Die vom Kläger beanstandete Maßnahme (Internetrecherche) beruht auf § 291 ZPO. Danach bedürfen Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, keines Beweises. Darunter fallen auch Informationen aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen (Zöller/Greger, ZPO, 24. Auflage 2004, § 291 Rn. 1), hier: Internet-Lexikon Wikipedia. Derartige Tatsachen darf das Gericht auch ohne entsprechende Parteibehauptung in den Prozess einführen (Zöller/Greger a. a. O., Rn. 2). Selbstverständlich wäre dies auch dann geschehen, wenn die Recherche den Sachvortrag des Klägers gestützt hätte, so dass der Vorwurf der einseitigen Ermittlung unberechtigt ist. Der Anspruch des Klägers auf Gewährung es rechtlichen Gehörs ist gewahrt.

Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er bezweifle, dass es offenkundig sei, dass in jedem Land die einem Festnetzanschluss zugehörige Telefonnummer eine Ortsnetzkennzahl beinhalte. Die Ortsnetzkennzahl „52“ sei zudem der Stadt K. zugewiesen. Offenkundige Tatsachen dürften aufgrund des Beibringungsgrundsatzes nicht berücksichtigt werden, wenn die Parteien sie nicht vorbringen. Die Beklagte stütze sich zudem in ihrem Vortrag zur Berechtigung der Kündigung nicht auf die Ortsnetzkennzahl, dies habe erst der abgelehnte Richter ermittelt. Ermittle der Richter den Sachverhalt auf eigene Faust, begründe dies die Besorgnis der Befangenheit. Im übrigen sei eine Verbesserung der Stellung des Klägers im Prozess bei dem aufgrund des Parteivorbringens zugrunde zulegenden Sachverhalts nicht denkbar.

Die Beklagte hält das Ablehnungsgesuch für unbegründet. Schon im Gütetermin sei der Vortrag des Klägers zur polnischen SIM-Karte als Schutzbehauptung zurückgewiesen worden, daran habe sie mit ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 2006 festgehalten. Im übrigen handele es sich bei der Zuordnung der Telefonnummer um eine offenkundige Tatsache, selbst wenn sie erst durch eine Recherche festgestellt und dann durch richterliche Mitteilung zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werde.

II.

Das Ablehnungsgesuch des Klägers ist unbegründet.

1.

Gem. §§ 49, 46 Abs. 2 ArbGG, § 42 Abs. 1, 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Bei Anlegung dieses objektiven Maßstabes kommt es entscheidend darauf an, ob die Prozesspartei, die das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von ihrem Standpunkt aus Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Es muss also die Befürchtung bestehen, dass der abgelehnte Richter in die Verhandlung und Entscheidung des gerade anstehenden Falles sachfremde, unsachliche Momente mit einfließen lassen könnte und den ihm unterbreiteten Fall nicht ohne Ansehen der Person nur aufgrund der sachlichen Gegebenheiten des Falles und allein nach Recht und Gesetz entscheidet. Damit ist unter Befangenheit ein Zustand zu verstehen, der eine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache beeinträchtigt (BAG, Beschluss vom 06. August 1997 – 4 AZR 789/95 [A] = AP Nr. 5 zu § 49 ArbGG 1979). Die bereits erfolgte Bildung einer bestimmten Meinung (zum Beispiel zur Rechtslage oder zur Beurteilung des Sachverhalts) genügt danach nicht, wenn nicht der Verdacht der Unsachlichkeit bei Bildung oder Beibehaltung der Meinung besteht. Das Ablehnungsverfahren nach § 42 Abs. 2 ZPO dient allein dazu, die Beteiligten vor der Unsachlichkeit des Richters aus einem in seiner Person liegende Grund zu bewahren. Eine den Beteiligten ungünstige und möglicherweise auch unrichtige Rechtsauffassung kommt als Ursache für die Parteilichkeit des Richters nicht in Betracht, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür (BAG, Beschluss vom 29. Oktober 1992 – 5 AZR 377/92 = AP Nr. 9 zu § 42 ZPO; Beschluss vom 6. August 1997, a. a. O.). Entscheidend ist nicht, ob der Richter wirklich befangen ist oder sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus gesehen genügend objektive, das heißt nicht nur in der Einbildung der Partei wurzelnde Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erzeugen. Daraus folgt zugleich, dass vom Gesetzgeber für unerheblich erklärte, geforderte oder gewünschte Eigenschaften eines Richters nicht als Ablehnungsgrund anerkannt werden können. Vielmehr muss stets etwas zusätzliches zu diesen Umständen hinzutreten (BAG, Beschluss vom 10. Juli 1996 – 4 AZR 759/94 [A] = AP Nr. 4 zu §

49 ArbGG 1979; Beschluss vom 6. August 1997, a. a. O.).

Aus der Verpflichtung des Richters zu unvoreingenommenen und neutralen Amtsführung folgt ein strenges Sachlichkeitsgebot. Ein sich vom „normalen“ abhebendes Verhalten des Richters im laufenden Verfahren, das Unsachlichkeit, Voreingenommenheit oder Willkür befürchten lässt, kann daher eine Ablehnung begründen (Schwab/Weth/Kliemt, ArbGG, § 49 Rn. 73). Hierzu zählt ein Verhalten des Richters, dass zu einer Beeinträchtigung des richterlichen Vertrauensverhältnisses führt (Schwab/Weth/Kliemt, a. a. O., Rn. 77; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 42 Rn. 25). Hierunter sind vor allem Verstöße gegen das Prinzip der Waffengleichheit und der Parteiöffentlichkeit und die „Vorentschiedenheit des Richters“, das heißt die vorzeitige Festlegung auf eine bestimmte Meinung zu verstehen (Schwab/Weth/Kliemt, a. a. O., Zöller/Vollkommer, a. a. O.). Ein die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigender Grund wäre danach anzunehmen, wenn ein Richter außerhalb eines förmliches Beweiserhebungsverfahrens mit unzulässigen Beweismitteln gezielt Sachverhaltserforschung unter Ausschaltung der Prozessbeteiligten betreibt (OVG Hamburg, Beschluss vom 22. Juni 1994 – Bs IV 70/94 = NJW 1994, S. 2779). Holt der Richter außerhalb der mündlichen Verhandlung Informationen ein, wodurch der Eindruck entsteht, er ermittle von sich aus den Sachverhalt, begründet dies die Besorgnis der Befangenheit (LG Göttingen, Beschluss vom 7. Dezember 1999 – 10 AR 45/99 = NJW-RR 2001, Seite 64). Ermittlungen auf eigene Faust und die gezielte Informationseinziehung zur Sache außerhalb der Verhandlung kann danach eine Befangenheit rechtfertigen (Schwab/Weth/Kliemt, a. a. O.; Zöller/Vollkommer, a. a. O.; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, § 42 Rn. 22; MünchKommZPO-Feiber, § 42 Rn. 37). Die Verwertung von privaten Wissens des Richters, also von möglicherweise entscheidungserheblichen Tatsachen, deren Kenntnis außerhalb des Verfahrens gewonnen wurde, ist grundsätzlich problematisch (MünchKomm-Feiber, a. a. O.). Zufällig erlangte Kenntnisse über Tatsachen, die möglicherweise für den Rechtsstreit von Bedeutung sein können, rechtfertigen aber dann nicht die Besorgnis der Befangenheit, wenn der Richter diese den Beteiligten des Prozesses mitteilt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gibt (OVG Hamburg, a. a. O.). Nach anderer Auffassung kann die Beeinflussung durch solch zufällig beobachtete oder dem Richter zugetragene Tatsachen, die Besorgnis der Parteilichkeit begründen, sofern es sich dabei nicht um offenkundiges oder gerichtskundiges, sondern um individuelles Wissen handelt (MünchKommZPO-Feiber, a. a. O.).

2.

Im vorliegenden Fall hat der vom Kläger abgelehnte Vorsitzende der 3. Kammer im Rahmen einer Internet-Recherche im Wikipedia-Lexikon festgestellt, dass es sich bei der hier strittigen Telefonnummer um eine Festnetznummer handelt. Diese Feststellung hat er den Parteien mitgeteilt, insbesondere den Kläger darauf hingewiesen und zur Stellungnahme aufgefordert. Dabei geht er ausweislich seiner dienstlichen Äußerung zu dem Ablehnungsgesuch davon aus, dass es sich hierbei um eine offenkundige Tatsache im Sinne des § 291 ZPO handelt. Dieses Verhalten stellt keine Beeinträchtigung des richterlichen Vertrauensverhältnisses dar, welches einer Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnte. Denn die für die Feststellung offenkundiger Tatsachen erforderlichen Recherchen in allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen sind keine Ermittlungen des Sachverhaltes auf eigene Faust außerhalb einer mündlichen Verhandlung unter Ausschluss der Prozessbeteiligten.

a. Zwar hat der Richter außerhalb der mündlichen Verhandlung die Telefonnummer überprüft und danach Informationen zu entscheidungserheblichen Tatsachen eingeholt. Dies rechtfertigt jedoch nicht den Vorwurf einer „Ermittlung auf eigene Faust“. Bei der Feststellung bei offenkundigen Tatsachen scheidet ein solcher Vorwurf aus. Das ergibt sich aus ihrer Natur. Offenkundig ist eine Tatsache, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde auch durch Information aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen wahrnehmbar ist, das heißt wenn sie generell oder in einem bestimmten Bereich einer beliebig großen Zahl von Personen bekannt oder zumindest wahrnehmbar ist. Es kommt nicht darauf an, dass die Tatsache jedermann gegenwärtig ist, es genügt, dass man sich aus einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle ohne besondere Fachkenntnis über die Tatsache sicher unterrichten kann (MünchKommZPO-Prütting, § 291 Rn. 5; Zöller/Greger, § 291 Rn. 1). Es schadet nichts, wenn der Richter die Tatsache erst durch eine Nachfrage oder durch ein Nachschlagen in einem allgemein zugänglichen zuverlässigen Buch feststellt (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 291 Rn. 4). Diese Recherchen sind aber nicht vergleichbar mit Ermittlungen und Informationserhebungen zu anderen, individuellen Sachverhaltsumständen, die ein Richter außerhalb des Prozesses vornimmt. Im letzten Fall geht es um spezifische und nicht jedermann zugängliche Tatsachen, die eine Wahrnehmung durch persönlichen Augenschein oder Befragung bestimmter Personen erfordern.

Um Feststellung bedarf einer persönlichen Überzeugungsbildung durch den Richter. Die Nutzung einer allgemein zugänglichen Informationsquelle bedarf es solcher Mittel nicht, die festzustellenden Tatsachen sind nicht in der Individualität des entscheidungserheblichen Sachverhalt begründet.

b. Typische Informationsquellen für allgemeinkundige Tatsachen sind insbesondere jedermann zugängliche wissenschaftliche Nachschlagewerke, Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk, Fernsehen, Fahrpläne, Kalender, usw. Beispiele für allgemeinkundige Tatsachen sind Ereignisse des Zeitgeschehens, Kalenderdaten, Ortsentfernungen, Börsenkurse, allgemeine Vorgänge des politischen und des Wirtschaftslebens, Unglücksfälle, geographische Lagen und örtliche Zustände, der in der Fachpresse veröffentlichte Lebenshaltungskostenindex oder Zahlenangaben in statistischen Jahrbüchern (vgl. MünchKommZPO-Prüttung, a. a. O., Rn. 6 f; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, a. a. O., Rn. 4; Zöller/Greger, a. a. O., Rn. 1). Als eine offenkundige Tatsache aus einer allgemein zugänglichen zuverlässigen Quelle ist die aus einem Telefonbuch ermittelbare Telefonnummer anzusehen. Dies gilt ebenfalls dann, wenn sie im Internet über entsprechende Datenbanken – sei es über den Namen, des es im Wege der Invers-Suche – ermittelt werden können. Aber auch andere allgemein zugängliche und zuverlässige Datenbanken des Internets können Grundlage für die Feststellung einer offenkundigen Tatsache sein.

Für die Prüfung, ob ein Richter befangen ist, ist allerdings zu beachten, dass es sich bei der Frage, ob eine bestimmte Tatsache offenkundig ist, auch um eine Rechtsfrage handelt. Dazu gehört, ob sie tatsächlich aus einer allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quelle gewonnen wurde. Wird vom Richter eine bestimmte Tatsache in einem Prozess als offenkundige Tatsache eingeführt, bleibt es einer Partei unbenommen, diese Offenkundigkeit unter Hinweis auf die Unzuverlässigkeit oder mangelnde Zugänglichkeit der verwendeten Quelle in Frage zu stellen. Die Entscheidung darüber, ob tatsächlich eine offenkundige Tatsache vorliegt, ist im Hauptsacheverfahren auszutragen. Im Rahmen der Frage, ob eine Befangenheit eines Richters vorliegt, der eine bestimmte Tatsache als offenkundige in den Prozess einführt, bedarf es keiner abschließenden Beurteilung, ob die vom Richter offengelegte Quelle tatsächlich die Kriterien erfüllt, die für eine Anwendung des § 291 ZPO notwendig sind. Es ist daher unerheblich, ob das Wikipedia-Lexikon, dessen allgemeine Zugänglichkeit aufgrund des kostenlosen Zugangs für alle Nutzer außer Streit steht, tatsächlich die Voraussetzungen erfüllt, um als allgemein anerkannte zuverlässige Informationsquelle angesehen zu werden. Eine solche Auffassung ist jedenfalls vertretbar. Folgt der Richter bei seinen Handlungen einer zumindest vertretbaren Rechtsansicht, lässt sich daraus im Regelfall keine Befangenheit ableiten (Schwab/Weth/Kliemt, a. a. O., Rn. 84).

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Entsprechendes gilt für die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob es offenkundig ist, dass jede internationale Telefonnummer nach der internationalen Vorwahl die Ortsnetzkennzahl enthält. Auch dies ist im Hauptsacheverfahren zu prüfen und im Übrigen für jedes Land aus den genannten Quellen recherchierbar. Zudem räumt der Kläger selbst ein, dass es sich um eine nationale Vorwahl, wenn auch für einen anderen Ort handelt.

Jedenfalls konnte der Richter vertretbarerweise davon ausgehen, dass eine solche Feststellung möglich ist.

c. Ebenso wenig rechtfertigt es die Annahme einer Befangenheit, dass es bis zu dem Hinweis des abgelehnten Richters nicht Gegenstand des Prozesses war, ob es sich bei der Ziffernfolge „52“ in der Telefonnummer um eine Ortsnetzkennzahl handeln kann. Dabei kann außerdem offen bleiben, ob das Vorbringen des Klägers die Verwendung einer polnischen SIM-Karte habe zu der Anzeige der Telefonnummer geführt, obwohl er sich an seinem Wohnort aufgehalten habe, ob es als zugestanden anzusehen war, weil sich die Beklagte dazu schriftsätzlich nicht erklärt hat. Jedenfalls hat sie ihren Vortrag, der Kläger habe sich in Polen aufgehalten, in ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 2006 ausdrücklich aufrecherhalten. Unabhängig davon räumt der Kläger selbst ein, dass es umstritten ist, ob offenkundige Tatsachen auch dann in den Prozess eingeführt werden können, wenn die Parteien sie nicht vortragen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 09. Dezember 1997 – 1 AZR 319/97 = AP Nr. 11 zu § 77 BetrVG, 1972 Tarifvorbehalt = NZA 1998, Seite 661) hat eine solche Berücksichtigung unabhängig von der Dispositionsmaxime zu erfolgen. Deshalb darf das Gericht im Parteiprozess auch ohne entsprechenden Parteivortrag Tatsachen, deren Gegenteil offenkundig ist, seinem Urteil nicht zugrunde legen. Wenn wie hier der abgelehnte Richter der aktuellen Rechtsprechung des höchsten Gerichts im Instanzenzug folgt, liegt seiner prozessleitenden Handlung in jedem Fall eine vertretbare – und nach Auffassung der Kammer auch allein richtige – Rechtsauffassung zugrunde. Dies kann eine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt rechtfertigen.

d. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der abgelehnte Richter den Sachverhalt nicht auf eigene Faust ermittelt und außerhalb der Verhandlung Informationen gezielt zur entscheidungserheblichen Tatschen gesucht hat, sondern eine offenkundige Tatsache in den Prozess hat einführen wollen und hierzu den Parteien, insbesondere dem Kläger, rechtliches Gehör gewährt hat. Dazu war er nach jedenfalls vertretbarer Rechtsauffassung auch ohne entsprechenden Vortrag der Parteien berechtigt. Die Recherche offenkundiger Tatsachen in von ihm für allgemein zugänglich und zuverlässig gehaltenen Quellen stellt keine Ermittlung eines Sachverhalts auf eigene Faust dar. Weder diese Art der Recherche noch die Art und Weise ihrer Einführung in den Prozess geben zu der Befürchtung Anlass, der Richter werde sich mit den Bedenken des Klägers hinsichtlich der Richtigkeit der Tatsache und ihrer Offenkundigkeit nicht sachlich auseinandersetzen, das ergibt sich schon aus dem Hinweis an sich. Eine gezielte Ermittlung des Sachverhalts zugunsten der Beklagten lässt sich dem Verhalten nicht entnehmen. Zwar muss sich der Kläger mit dem Umstand auseinandersetzen, dass seine Erklärung für die Telefonnummer im Display seines Vorgesetzten hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes erschüttert ist, das ändert jedoch nichts daran, dass die Beklagte weiterhin den Kündigungsgrund darzulegen und zu beweisen hat und im Falle der Nichterweislichkeit dieses zu ihren Lasten geht. Dass der Richter nicht nach diesen Verfahrensgrundsätzen zu entscheiden gedenkt, lässt sich den vom Kläger beanstandeten Verhalten nicht entnehmen.

III.

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