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Kassendifferenzen – Kündigung Kassiererin

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Az: 6 Sa 399/09

Urteil vom 24.02.2010


1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 09.09.2009 – 3 Ca 711 d/09 – teilweise abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündigung vom 30.04.2009 nicht aufgelöst worden ist.

3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge) trägt die Klägerin ¼ und die Beklagte ¾.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die am … 1972 geborene Klägerin ist verheiratet und hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Sie trat am 25. März 2002 in die Dienste der Beklagten. Gemäß Arbeitsvertrag vom 7. August 2002 wird die Klägerin als Verkäuferin, die auch kassiert, beschäftigt.

Nach Aufnahme ihrer Tätigkeit erhielt die Klägerin am 1. August 2002 eine Kassenschulung. Der Kassiervorgang läuft wie folgt ab: Im ersten Schritt wird die Ware gescannt, wobei der Preis hinterlegt ist. Die Summe des gesamten Einkaufs wird automatisch ermittelt. Sodann gibt die Kassiererin die ihr ausgehändigte Geldsumme ein. Die Kasse weist das Rückgeld aus. Auf der Schulung wurde der Klägerin der Kassiervorgang erklärt.

Die Kassenkräfte müssen die Kasse grundsätzlich selbst abrechnen. Anschließend werden sog. Bedienerberichte erstellt (vgl. Anlage B 8).

Mit Schreiben vom 5. November 2007 (Anlage B 1 = Bl. 20 d. A.), vom 10. Dezember 2007 (Anlage B 2 = Bl. 21 d. A.) sowie vom 12. März 2008 (Anlage B 3 = Bl. 22 d. A.) mahnte die Beklagte die Klägerin wegen Kassendifferenzen ab. In jeder Abmahnung sind zwei bzw. drei Differenzen an der Kasse der Klägerin aufgeführt. Die gerügten Differenzen belaufen sich auf 5,00 € bis 89,58 €. Die Abmahnung vom 12. März 2008 ist mit „letzte Abmahnung“ überschrieben.

Am 9. November 2007 wurde ein Testkauf durchgeführt, bei dem die Klägerin eine im Wagen des Kunden liegende Ware übersah und nicht kassierte (Anlage B 4 = Bl. 23 d. A.).

Am 16. Mai 2008 nahm die Klägerin an einer ihr angebotenen Kassenschulung teil.

Mit Schreiben vom 20. April 2009 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten fristgerechten Kündigung der Klägerin an und kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. April 2009 fristgemäß zum 30. Juni 2009.

Die Kündigung hat die Beklagte mit weiteren durch die Klägerin verursachten Kassendifferenzen begründet.

Die Klägerin hat gemeint, die Kündigung sei sozialwidrig. Sie hat die ihr mit den Abmahnungen vorgeworfenen Kassendifferenzen bestritten. Bestritten hat sie auch die ihr von der Beklagten zur Begründung der Kündigung vorgeworfene Minusdifferenz von 99,99 € am 19. März 2009 und die Plusdifferenz von 39,69 € vom 22. Januar 2009. Die Minusdifferenz von 20,00 € am 27. März 2009 hat die Klägerin damit erklärt, dass sie zu wenig Wechselgeld erhalten habe. Zur Minusdifferenz von 99,99 € hat die Klägerin behauptet, ihr sei bei einem Transport die Kasse abgestürzt und sie sei daran gehindert gewesen, sämtliches Kleingeld einzusammeln. Sie, die Klägerin, werde nur zu 29,58 % ihrer Nettoarbeitszeit mit Kassiertätigkeiten betraut und im Übrigen in erheblichem Umfang als Packkraft eingesetzt, wobei sie Ware auszupacken und in die Regale zu sortieren habe. Während dieser auch körperlich anstrengenden Tätigkeit würde sie in unterschiedlichen Intervallen je nach Bedarf zur Kasse gerufen, um dort Kassiertätigkeiten zu verrichten. Dabei werde stets unter Zeitdruck gearbeitet, da Bedarf an der Kasse nur bestehe, wenn das Kundenaufkommen entsprechend hoch sei. Der gesamte Tagesablauf bestehe aus Springen von einer zur anderen Tätigkeit, so dass keine vertiefte Konzentration auf die Kassiertätigkeit möglich sei. Wenn die Beklagte dafür sorge, dass die Klägerin ihrer Tätigkeit als Kassiererin in Ruhe nachkommen könne, werde sie sehen, dass die Klägerin der Aufgabe gewachsen sei und die Schulungen erfolgreich gewesen seien. Im Übrigen hätte die Beklagte die Klägerin vor Ausspruch der Kündigung als milderes Mittel anderweitig einsetzen und ihr eine andere Tätigkeit zuweisen können. Weil sie dies nicht getan habe, habe sie gegen das Ultima ratio-Prinzip verstoßen.

Die Klägerin hat – soweit hier von Interesse – beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündigung vom 30.04.2009 nicht wirksam beendet wurde,
2. die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin im Falle erstinstanzlichen Obsiegens zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, aus den Abmahnungen, dem Ergebnis des Testkaufs und den danach abermals aufgetretenen Kassendifferenzen ergebe sich, dass die Klägerin trotz einschlägiger Abmahnungen ihre Leistung nicht verbessert habe. Die Klägerin habe die streitgegenständlichen Abrechnungen selbst durchgeführt. Ein erhöhter Leistungsdruck habe an keinem der fraglichen Tage, an denen bei der Klägerin Kassendifferenzen aufgetreten seien, bestanden. Eine anderweitige Einsatzmöglichkeit für die Klägerin habe sie, die Beklagte, geprüft; jedoch gebe es eine solche nicht. Die Beklagte hat bestätigt, dass auch andere Mitarbeiterinnen wegen Kassendifferenzen abgemahnt worden sind. Bei diesen Mitarbeiterinnen seien aber nach den Abmahnungen nur noch geringfügige Differenzen aufgetreten.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen J.. Wegen des Beweisbeschlusses und der Aussage des Zeugen wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 09.09.2009.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis beendet, denn es lägen verhaltensbedingte Gründe im Sinne von § 1 KSchG vor. Die Klägerin sei wiederholt wegen Kassendifferenzen abgemahnt und jeweils auf die Folgen weiterer Verstöße gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten hingewiesen worden. Nach diesen Abmahnungen habe es wiederum, nämlich am 22. Januar 2009, am 19. März 2009 und am 27. März 2009, Differenzen beim Kassenergebnis der Klägerin gegeben. Daraus habe die Beklagte den Schluss ziehen dürfen, die Abmahnungen hätten das gewünschte Ergebnis, nämlich dass die Klägerin ihre Kassiertätigkeiten sorgfältiger verrichtet und ihre arbeitsvertraglichen Pflichten insoweit nicht verletzt, verfehlt.

Gegen das ihr am 6. Oktober 2009 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin am 7. Oktober 2009 Berufung eingelegt und diese am 3. Dezember 2009 begründet.

Sie ist der Ansicht, die Beklagte habe nicht dargelegt, dass die vermeintlichen Kassendifferenzen vorsätzlich oder fahrlässig von der Klägerin verursacht worden seien. Deshalb könne die Kündigung nicht auf verhaltensbedingte Gründe gestützt werden. Auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung müsse der Arbeitgeber darlegen, dass keine Weiterbeschäftigung in Betracht komme. Dabei sei zu beachten, dass die Klägerin als Verkäuferin eingestellt worden sei. Auf einem entsprechenden Arbeitsplatz könne sie weiterbeschäftigt werden. Sie hätte mit Frau S. tauschen und in der Obst- und Gemüseabteilung arbeiten können. Die Kündigung sei auch wegen Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes unwirksam, weil anderen Mitarbeiterinnen trotz abgemahnter Kassendifferenzen nicht gekündigt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündigung vom 30.04.2009 nicht wirksam beendet wurde,
2. die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen als Verkäuferin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin habe trotz mehrfacher Abmahnungen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten mangelhaft erfüllt, indem sie immer wieder Kassendifferenzen verursacht habe. Unrichtig sei, dass nur vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten eine Kündigung recht-fertigen könne. Sie, die Beklagte, müsse damit rechnen, von der Klägerin auch künftig nur eine schlechte Arbeitsleistung zu erhalten. Die Beklagte verfüge über keine freien Arbeitsplätze auf denen Hilfstätigkeiten zu verrichten seien, ohne dass Kassiervorgänge anfielen.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 lit. c ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B. Die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts ist teilweise begründet. Der Kündigungsschutzantrag hat in der Sache Erfolg. Dagegen kann die Klägerin keine Weiterbeschäftigung verlangen.

I. Die Klägerin hat sich rechtzeitig innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gegen die Kündigung vom 30.04.2009 gewandt. Weil kein verhaltensbedingter Grund für eine ordentliche Kündigung gegeben ist, ist diese Kündigung sozial ungerechtfertigt i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG und damit unwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die Kündigung ist auch dann sozialwidrig, wenn der Vortrag der Beklagten zu den von der Klägerin verursachten Kassendifferenzen, die den Abmahnungen und der Kündigung zugrunde lagen, als richtig unterstellt wird.

1. Der Beklagten ist im Ausgangspunkt zuzustimmen, dass die geltend gemachten Kündigungsgründe nicht in den Bereich der personenbedingten, sondern den der verhaltensbedingten Kündigung fallen.

a) Als personenbedingte Gründe sind solche Umstände anzuerkennen, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden Störquelle beruhen. In einem solchen Fall kann eine schwere und dauerhafte Störung des Austauschverhältnisses bestehen, ohne dass dem Arbeitnehmer eine Vertragsverletzung vorzuwerfen wäre. Der Arbeitnehmer, der trotz angemessener Bemühung nicht die Normalleistung erbringt, verstößt nicht gegen den Vertrag, sondern unterschreitet die nicht zur Vertragsbedingung erhobene berechtigte Erwartung des Arbeitgebers eines ausgewogenen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung (BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – BAGE 109, 87; BAG 03.06.2004 – 2 AZR 386/03 – AP KSchG 1969 § 23 Nr. 33). Dagegen ist regelmäßig ein Grund im Verhalten anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer seine mangelnde Leistung steuern kann (vgl. BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – a. a. O.). Ist ihm eine Verhaltensänderung möglich, setzt eine wirksame verhaltensbedingte Kündigung regelmäßig eine vorherige erfolglose Abmahnung voraus.

b) Im vorliegenden Fall hat die Beklagte mit ihren Abmahnungen zum Ausdruck gebracht, dass sie das Verhalten der Klägerin für steuerbar hielt. Allerdings kommt es für die Einordnung des Kündigungsgrundes nicht auf die subjektiven Kenntnisse und Schlussfolgerungen des Arbeitgebers an. Für den Prüfungsmaßstab sind die objektiven Verhältnisse bei Zugang der Kündigung entscheidend. Die mit den Abmahnungen ausgedrückte Einschätzung der Beklagten, das Verhalten der Klägerin sei steuerbar, trifft in objektiver Hinsicht jedoch zu. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin zu ordnungsgemäßen Kassiervorgängen außerstande ist. Für die grundsätzliche Eignung der Klägerin und damit die Steuerbarkeit ihres Tuns sprechen zahlreiche Anhaltspunkte. Die Klägerin arbeitet bereits seit dem Jahre 2002 bei der Beklagten und verrichtet seither – allerdings im unterschiedlichen Umfang – Kassiertätigkeiten. Erst nachdem das Arbeitsverhältnis mehr als fünf Jahre bestanden hatte, hat die Beklagte ihr gegenüber erstmals eine Abmahnung ausgesprochen. Das spricht dafür, dass davor bei der Klägerin keine bemerkenswerten Kassendifferenzen aufgetreten sind. In der Berufungsverhandlung vermochten die Vertreter der Beklagten solche Differenzen vor dem ersten abgemahnten Fall (26. September 2007) nicht zu benennen. Der Kassendifferenzspiegel (Anlage Bg I = Bl. 122 d. A.) weist zudem aus, dass bei der Klägerin, nicht anders als bei anderen Kassenkräften, oft nur geringe Differenzen in der Größenordnung von unter 1,00 € aufgetreten sind. Damit hat die Klägerin selbst gezeigt, dass sie in der Lage ist, die Kassiertätigkeiten so auszuführen, dass nur Kassendifferenzen im Cent-Bereich auftreten. Aus diesem Grund ist von einer Steuerbarkeit ihres Tuns auszugehen und die Prüfung an den Maßstäben der verhaltensbedingten Kündigung auszurichten.

2. Mit dem 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts ist die Berufungskammer der Auffassung, dass auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen grundsätzlich geeignet sind, eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen (BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – a. a. O.; 03.06.2004 – 2 AZR 386/03 – a. a. O.; 17.01.2008 – 2 AZR 536/06 – BAGE 125, 257).

a) Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie hier, der Menge und der Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat es ausdrücklich abgelehnt, einen objektiven Maßstab anzulegen (zuletzt BAG 17.01.2008 – 2 AZR 536/06 – a. a. O.). Das ist allerdings nicht so zu verstehen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht selbst willkürlich bestimmen kann. Der Arbeitnehmer darf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht einseitig nach seinem Belieben festlegen. Er muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten.

b) Ob der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft, ist für den Arbeitgeber anhand objektivierbarer Kriterien nicht immer erkennbar. Denn der Umstand, dass der Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Leistungen erbringt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass er seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft. Auf der anderen Seite ist das deutliche und längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren Arbeitnehmern erreichten Mittelwerts oft der einzige für den Arbeitgeber erkennbare Hinweis darauf, dass der schwache Ergebnisse erzielende Arbeit-nehmer Reserven nicht ausschöpft, die mit zumutbaren Anstrengungen nutzbar wären. Es gilt daher eine abgestufte Darlegungslast.

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Zunächst ist es Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln das vorzutragen, was er wissen kann. Kennt er lediglich die objektiv messbaren Arbeitsergebnisse, so genügt er seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen ersichtlich ist, dass die Leistungen des betreffenden Arbeitnehmers deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben, also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreiten.

Hat der Arbeitgeber vorgetragen, dass die Leistungen des Arbeitnehmers über einen längeren Zeitraum im vorgenannten Sinn unterdurchschnittlich waren, ist es im zweiten Schritt Sache des Arbeitnehmers, hierauf zu entgegnen. Er hat Umstände vorzu-tragen, aus denen sich ergibt, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung trotzdem seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft.

Legt der Arbeitnehmer derartige Umstände plausibel dar, muss sie der Arbeitgeber sie in einem dritten Schritt widerlegen. Trägt der Arbeitnehmer auf der zweiten Stufe derartige Umstände nicht vor, so gilt das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft.

c) Im vorliegenden Fall wirft die Beklagte der Klägerin vor, einen Teil ihrer Tätigkeit, nämlich das Kassieren, unsorgfältig und damit in qualitativer Hinsicht schlecht zu leisten. Zum Beleg beruft sie sich auf die durch die fehlerhafte Arbeit verursachten Kassendifferenzen. Die Differenzen zeigten, dass die Klägerin trotz der Abmahnungen immer wieder beim Kassieren die gebotene Konzentration und Sorgfalt vermissen lassen würde.

In seinem Urteil vom 17.01.2008 (2 AZR 536/06 – a. a. O.) hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts für den Fall der qualitativen Minderleistung ausgeführt, dass auf die bloße Fehlerhäufigkeit abstellende Grenzen für sich nicht geeignet sind, die Kündigungsrelevanz der dem Arbeitnehmer konkret vorgeworfenen Pflichtverletzungen hinreichend sicher einzugrenzen. Absolute Bezugsgrößen lassen danach außer Acht, dass je nach Art der Tätigkeit und der dabei möglicherweise auftretenden Fehler diesen ein sehr unterschiedliches kündigungsrelevantes Gewicht beizumessen ist. Das bedeutet, dass über die bloße Betrachtung der Fehlerhäufigkeit hinaus eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsanforderungen und der konkreten Gegebenheiten des Arbeitsplatzes geboten ist. Die Prüfung hat sich auch hier an dem Maßstab zu orientieren, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung beeinträchtigt ist.

Bei einer Kündigung wegen qualitativer Minderleistung des Arbeitnehmers ist es danach zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den aufgetretenen Leistungsmängeln das vorzutragen, was er über die Fehlerzahl, die Art und Schwere sowie Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wissen kann. Kann der Arbeitgeber darlegen, dass der Arbeitnehmer längerfristig die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller mit vergleichbaren Arbeiten beschäftigten Arbeitnehmer erheblich überschreitet, so kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt. Da jedoch der Vergleich durchschnittlicher Fehlerquoten für sich noch keinen hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob durch die fehlerhafte Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers das Verhältnis von Leistung und Gegen-leistung stark beeinträchtigt ist, muss der Arbeitgeber hier weitere Umstände darlegen. Anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des betreffenden Arbeitnehmers ist näher darzulegen, dass die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquote nach den Gesamtumständen darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine ver-traglichen Pflichten verletzt. Legt der Arbeitgeber dies im Prozess dar, muss der Arbeitnehmer erläutern, warum er trotz erheblich unterdurchschnittlicher Leistungen seine Leistungsfähigkeit ausschöpft. Hierbei ist insbesondere darzulegen, welche betrieblichen Beeinträchtigungen durch die konkret darzulegenden Fehler verursacht werden und dass es sich insoweit nicht lediglich um Fehler handelt, die trotz einer gewissen Häufigkeit angesichts der konkreten Umstände der Arbeitsleistung vom Arbeitgeber hinzunehmen sind.

3. Der Vortrag der Beklagten genügt den dargestellten Anforderungen bereits auf der ersten Stufe nicht.

Die Beklagte hat zu den am 22. Januar 2009, am 19. März 2009 und am 27. März 2009 aufgetretenen Kassendifferenzen vorgetragen. Sowohl die für diese Differenzen ursächlichen Verstöße gegen die Verpflichtung, den Kassiervorgang sorgfältig zu erledigen, als auch die gleichgelagerten abgemahnten Sachverhalte betreffen unmittelbar die qualitative Komponente der Arbeitspflicht der Klägerin. Das gilt im Übrigen auch für die (unterbliebene) Registrierung von Waren bei dem Kassiervorgang, der Gegenstand des Testkaufs am 09.11.2007 war.

Selbst wenn der Vortrag der Beklagten zu diesen Vorgängen zu ihren Gunsten als richtig unterstellt wird, hat sie die auf der ersten Stufe bestehenden Anforderungen an ihre Behauptungslast nicht erfüllt. Die Beklagte durfte nicht dabei stehen bleiben, die einzelnen Fehlverhaltensweisen der Klägerin und deren Folgen vorzutragen. Vielmehr hätte die Beklagte die Zahl der bei der Klägerin aufgetretenen Beanstandungen wegen Kassendifferenzen ins Verhältnis zur durchschnittlichen Beanstandungsquote setzen müssen. Dabei wird nicht übersehen, dass es sich hier nicht um eine Unterschreitung der Normalleistung in einem Akkord- oder Prämiensystem handelt, sondern um Unachtsamkeiten oder Nachlässigkeiten während des Kassiervorgangs. Unsorgfältiges Arbeiten an der Kasse schlägt sich gerade darin nieder, dass Waren übersehen und nicht registriert werden oder bei der Geldrückgabe Fehler unterlaufen, die zu Kassendifferenzen führen. Qualitative Minderleistungen dieser Art sind dadurch gekennzeichnet, dass sie bei der Kassenabrechnung oder bei Testkäufen „sichtbar“ werden. Deshalb ist hier ein Vergleich der Klägerin mit anderen Kassierern und Kassiererinnen möglich und für die Darlegung nötig, dass das Leistungsvermögen nicht ausgeschöpft wird. So kann die Zahl der bei der Klägerin durchgeführten Testkäufe nicht nur mit der Zahl der bei ihr aufgetretenen Beanstandungen ins Verhältnis gesetzt werden. Auch kann das Verhältnis ihrer Schlechtleistungen gegenüber den Schlechtleistungen anderer Kassierer und Kassiererinnen bestimmt werden, indem verglichen wird, wie oft bei ihr Testkäufe zu Beanstandungen führten und wie oft das bei anderen Mitarbeitern, die in gleicher Weise kontrolliert worden sind, der Fall war. Entsprechendes gilt für den zentralen Kündigungsvorwurf, die Klägerin kassiere nicht sorgfältig genug, so dass es immer wieder zu erheblichen Kassendifferenzen komme. Wie sich aus den zur Akte gereichten Kassenjournalen ergibt (vgl. Bl. 24 – 26 d. A.), kommt es praktisch nicht vor, dass gar keine Kassendifferenzen auftreten. Das hat die Beklagte in der Berufungsverhandlung auch bestätigt. Als bemerkenswert sieht sie Kassendifferenzen von 5,00 € und mehr an. Den der Klägerin erteilten Abmahnungen und der Kündigung lagen von der Beklagten behauptete Kassendifferenzen von mehr als 5,00 € zugrunde, und zwar sowohl im Plus- als auch im Minusbereich. Unstreitig sind aber nicht nur bei der Klägerin Kassendifferenzen in dieser Höhe aufgetreten, sondern auch bei anderen Kassenkräften, auch solchen im Markt der Klägerin. Dem Vortrag der Beklagten lässt sich allerdings nicht entnehmen, wie oft bei mit der Klägerin vergleichbaren Mitarbeitern Kassendifferenzen in der als relevant bezeichneten Höhe von 5,00 € und mehr vorkommen. Von daher fehlt die Grundlage für einen Leistungsvergleich. Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Leistungen der Klägerin deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben. Es ist nicht feststellbar, dass ihre Leistung die Durchschnittsleistung beim Kassieren erheblich unterschreitet. Nach den Erklärungen der Personalreferentin der Beklagten in der Berufungsverhandlung wird kein Material gesammelt, anhand dessen sich vergleichen lässt, wie häufig der einzelne Mitarbeiter Kassendifferenzen verursacht. Über die Kassendifferenzen wird keine Statistik geführt. Zudem fehlt eine verbindliche Grenze, bei deren Überschreiten die Marktleiter eine Kassendifferenz zu melden haben. Deshalb bleibt im Dunkeln, ob bei der Klägerin, verglichen mit anderen Verkäufern oder Verkäuferinnen, die auch kassieren, überdurchschnittlich häufig Kassendifferenzen aufgetreten sind. Die Beklagte hat somit nicht darlegen können, dass die Klägerin längerfristig die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller mit vergleichbaren Arbeiten beschäftigten Arbeitnehmer erheblich überschritten hat. Dazu war sie schon deshalb außerstande, weil sie, wie ihre Personalreferentin im Berufungstermin eingeräumt hat, keine Unterlagen darüber führt, wie oft ein einzelner Mitarbeiter oder eine einzelne Mitarbeiterin mit Kassendifferenzen in einer bestimmten Höhe aufgefallen ist.

Aus diesem Grund muss nicht weiter problematisiert werden, ob es der Beklagten anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung gelungen ist, näher darzulegen, dass die Klägerin vorwerfbar ihre vertraglichen Pflichten verletzt hat. Denn zunächst hätte es der Darlegung einer längerfristigen deutlichen Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquote bedurft. Erst recht kommt es für die Entscheidung nicht darauf an, ob die Klägerin aufgrund der von ihr behaupteten Arbeitsumstände (Arbeit unter Zeitdruck, „Springen“, hohes Kundenaufkommen) nicht zu einer besseren Arbeitsleistung in der Lage war.

II. Auch wenn der Kündigungsschutzantrag in der Sache Erfolg hat, kann die Klägerin keine Weiterbeschäftigung verlangen. Nach dem Beschluss des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 (- GS 1/84 – BAGE 48,122) bedarf es jeweils einer Wertung, ob der Arbeitgeber ein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers hat oder ob das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung höher zu bewerten ist. Bis zu einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden erstinstanzlichen Urteil begründet grundsätzlich die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers. Nach einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil ändert sich die Interessenlage. Allein die verbleibende Ungewissheit des Prozessausgangs kann nunmehr für sich betrachtet ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers in der Nichtbeschäftigung nicht mehr begründen. Etwas anderes gilt aber, wenn der Arbeitgeber, den ein Instanzgericht zur Weiterbeschäftigung verurteilt hat, eine weitere Kündigung ausge-sprochen hat. Diese weitere Kündigung steht dem Weiterbeschäftigungsanspruch entgegen, wenn sie auf einen neuen Lebenssachverhalt gestützt ist, der es möglich erscheinen lässt, dass die erneute Kündigung eine andere rechtliche Beurteilung erfährt. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte am 12.06.2009 eine (weitere) Kündigung zum 30.09.2009 ausgesprochen. Dieser Kündigung liegt ein anderer Sachverhalt zugrunde (vgl. Schiftsatz der Beklagten vom 26.08.2009 = Bl. 52 ff. d. A.). Die neue Kündigung ist auch nicht offensichtlich unwirksam. Über ihre Wirksamkeit hat zunächst das Arbeitsgericht in dem gegenwärtig ausgesetzten Verfahren zu entscheiden.

C. Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, sodass die Revision nicht zuzulassen war. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, sondern ist einzelfallbezogen. In den fallübergreifenden Fragen zur Kündigung wegen qualitativer Minderleistung steht die Entscheidung im Einklang mit den vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 17.01.2008 (2 AZR 536/06) entwickelten Rechtsgrundsätzen.

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