LG Coburg
Az: 21 O 705/03
Urteil vom: 29.11.2003
In dem Rechtsstreit wegen Forderung hat der Einzelrichter der 2. Zivilkammer des Landgerichts Coburg, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2003 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.200 Euro abwenden, wenn die Beklagte vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Kfz.-Kasko-Versicherung in Anspruch.
Der Kläger ist mit seinem Fahrzeug Pkw xxx bei der Beklagten kaskoversichert. Er erlitt am 28.1.2003/0.15 Uhr in der xxx in xxx mit seinem Pkw einen Unfall, als sich beim Wiederbeschleunigen seines Fahrzeugs, das er wegen eines kreuzenden Radfahrers kurz vorher abgebremst hatte, eine Doppelkassettenhülle aus der Ablage löste und zu Boden fiel und der Kläger sich nach der im Fußraum liegenden Kassette bückte, um sie aufzuheben. Er schaute dabei kurz zu Boden. Er lenkte seinen Pkw zunächst gegen ein Verkehrsschild und dann gegen zwei am Fahrbahnrand parkende Fahrzeuge. Abzüglich seiner Selbstbeteiligung betrug sein Eigenschaden unstreitig 5.397,42 Euro, den er von der Beklagten als Kaskoschaden erstattet verlangt.
Zur Begründung führt der Kläger im wesentlichen aus, dass er sich reflexartig nach der in den Fußraum hinabfallenden Kassette gebückt habe, weil er befürchtet habe, sie könne dort das Bremspedal blockieren. Eine derartige Reaktion zur Abwendung einer Gefahrensituation könne ihm nicht als grobe Fahrlässigkeit ausgelegt werden, so dass die Beklagte aus der Kaskoversicherung für den Schaden einzutreten habe.
Der Kläger beantragt daher, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.397,42 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 17.03.2003 zu zahlen, hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für den Unfall vom 28.01.2003 auf der xxx in xxx Fahrtrichtung Innenstadt, Kaskoversicherungsschutz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, es liege eine grobe Fahrlässigkeit gemäß § 61 VVG vor, so dass Leistungsfreiheit eingetreten sei. Wer sich in einer Verkehrssituation von der Fahrbahn ablenken lasse, um sich nach einem heruntergefallenen Gegenstand zu bücken, verstoße gegen allgemein gültige Sorgfaltspflichten. Ein solches Verhalten sei grob nachlässig und werde durch die Kaskoversicherung nicht gedeckt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie die in der Sitzungsniederschrift vom 19.11.2003 enthaltenen Feststellungen Bezug genommen. Das Gericht hat ferner die Akten des Regierungspräsidiums Kassel, Az: xxx zu Beweiszwecken beigezogen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet, weil dem Beklagten ein grob fahrlässiges Verhalten i.S.d. § 61 VVG vorzuwerfen ist und sich die Beklagte daher zu Recht auf Leistungsfreiheit berufen kann.
Grobe Fahrlässigkeit i.S.d. § 61 VVG bedeutet objektiv einen über das Normalmaß hinausgehenden Verstoß gegen Sorgfalts- und Verkehrspflichten und subjektiv eine in besonderer Weise hervortretende Pflichtwidrigkeit, also ein beträchtliches und auch erhebliches schuldhaftes Versagen gegenüber den Anforderungen an die Achtsamkeit und Sorgfalt. Die wohl überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung sieht diese Voraussetzungen in der Regel als erfüllt an, wenn ein Fahrer – wie hier der Kläger – seinen Blick von der Fahrbahn abwendet und sich nach einem Gegenstand bückt, den er im inneren des Fahrzeugraumes liegen sieht (vgl. Stiefel/Hofmann AKB-Kommentar RdNr. 27 zu § 61 VVG m.w.N.). Die besondere Unfallgefahr besteht in einem solchen Fall darin, dass der Fahrer nicht mehr seine Aufmerksamkeit dem Straßenverkehr widmet, wenn er auch nur ganz kurz am Fahrzeugboden nach einem heruntergefallenen Gegenstand (Kassette) sucht. Kommt noch hinzu, dass er sich – wie es der Kläger getan hat – auch nach der Kassette im Fußraum bückt, um diese aufzuheben, dann besteht die naheliegende Gefahr, dass er durch die Körperbewegung die Steuerung seines Fahrzeugs verreißt und die Herrschaft über den Pkw verliert. Dieses naheliegende Unfallrisiko hat sich auch beim Kläger verwirklicht. Er ist von der Fahrbahn nach rechts geraten und hat dort parkende Fahrzeuge gerammt. Der Pflichtverstoß des Klägers stellt in objektiver wie auch in subjektiver Hinsicht ein grobes Fehlverhalten i.S.d. § 61 VVG dar, das durch die Besonderheiten des hier vorliegenden Verkehrsgeschehens nicht aufgewogen oder so weit abgemildert werden kann, dass es nicht mehr in den Haftungsausschluss des § 61 VVG fällt.
Die vom Kläger angeführte Entscheidung des OLG Dresden (DAR 2001, 498 f) spricht zwar davon, dass der Fahrer nicht grob Verhaltenspflichten verletzt, wenn er in einer reflexartigen Bewegung eine heruntergefallene Zigarette aufheben will. Die hierbei angestellten Erwägungen können jedoch nicht auf den vorliegenden Fall ohne weiteres übertragen werden. Das Aufheben einer Kassette aus dem Fußraum des Fahrzeugs ist nicht vergleichbar mit dem Griff nach einer herunterfallenden glühenden, möglicherweise die Kleidung oder die Innenausstattung versengenden Zigarette, die erfahrungsgemäß geradezu panische Reflexbewegungen hervorrufen kann. Die Überlegung des Klägers, dass die Musikkassette das Bremspedal einklemmen und deswegen gefährlich sein könnte, wird für den normalen Durchschnittsfahrer in der vom Kläger geschilderten Verkehrssituation keine dem vergleichbare Spontanhandlungen auslösen. Das Fahrzeug des Klägers steckte am 28.1.2003 um 0.15 Uhr in keinem dichten Verkehr. Ein Abbremsen oder Abstoppen des Fahrzeugs war weder sofort noch im nächsten Augenblick zu erwarten, oder sogar notwendig. Der Kläger konnte vielmehr, ohne sich selbst in eine Risikosituation bringen zu müssen, das Bremspedal bedienen und testen, ob seine Befürchtung zutraf. Er konnte dann ohne Behinderung den Pkw an den Straßenrand lenken und dort anhalten, um die heruntergefallene Kassette aufzuheben. Wer entgegen diesen naheliegenden Möglichkeiten sich selbst und sein Fahrzeug in höchste Unfallgefahr bringt, weil er den Fußboden des fahrenden Pkw`s absucht und durch das Herabbücken das Lenkrad verzieht, handelt nach Ansicht des Gerichts indessen grob fahrlässig i.S.d. § 61 VVG und kann sich nicht auf einen Versicherungsschutz berufen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.