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Kennzeichenmissbrauch – Fahrzeugbeleuchtung ausschalten

Oberlandesgericht Stuttgart

Az: 2 Ss 344/11

Beschluss vom 06.07.2011


1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Göppingen vom 22. Februar 2011 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen a u f g e h o b e n.

2. Die weitergehende Revision wird v e r w o r f e n .

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgericht Göppingen z u r ü c k v e r w i e s e n .

Gründe

I.

… wurde durch Urteil des Amtsgerichts Göppingen, Jugendrichter, vom 22. Februar 2011 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, tateinheitlich begangen mit Kennzeichenmissbrauch, zu der Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro, insgesamt somit 750 Euro, verurteilt. Zudem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Fahrerlaubnissperre von acht Monaten angeordnet.

Der Angeklagte hat gegen das amtsgerichtliche Urteil das Rechtsmittel der Sprungrevision eingelegt. Mit der Sachrüge beanstandet er, dass die Feststellungen im Urteil eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nicht trügen, sondern lediglich eine solche wegen fahrlässiger Begehung, sowie, dass ein Vergehen des Kennzeichenmissbrauchs nicht vorläge.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegründet.

II.

Auf die Revision des Angeklagten ist das Urteil des Amtsgerichts Göppingen vom 22. Februar 2011 im Rechtsfolgenausspruch mitsamt den zugehörigen Feststellungen aufzuheben. Im übrigen ist die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

1. Die Nachprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lassen. Der Senat nimmt insoweit auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart in der Zuschrift vom 19. Mai 2011 Bezug. Die Ausführungen des Verteidigers in seiner Gegenerklärung vom 27. Mai 2011 führen zu keiner anderen Bewertung.

Hinsichtlich der tateinheitlichen Verurteilung wegen Kennzeichenmissbrauchs nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG ist ergänzend zu bemerken:

Nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG macht sich strafbar, wer in rechtswidriger Absicht das an einem Kraftfahrzeug oder einem Kraftfahrzeuganhänger angebrachte amtliche Kennzeichen verändert, beseitigt, verdeckt oder sonst in seiner Erkennbarkeit beeinträchtigt. Der Senat hält an der Auffassung fest, dass der Tatbestand des § 22 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 4 StGB erfüllt ist, wenn ein Fahrer an seinem Kraftfahrzeug die (Kennzeichen-)Beleuchtung ausschaltet, um anschließend mit seinem Kraftfahrzeug unerkannt davonfahren und eine Kontrolle durch ein ihn verfolgendes Polizeifahrzeug vereiteln zu können (vgl. OLG Stuttgart, VRS Band 34, S. 69f.; so auch BayObLG, Urteil vom 08.08.1980, 1 St 252/80 – zitiert nach Rüth, Die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Verkehrsstrafsachen und Bußgeldsachen, DAR 1981, S. 237ff., 242; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, 2009, StVG, § 22 Rdnr. 5; ablehnend: AG Bielefeld, NZV 2002, S. 242; Janker in Burmann/Hess/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, StVG, 21. Auflage, 2010, § 22 Rdnr. 5; Zopfs, Kennzeichenmissbrauch durch Nichtbeleuchten des Kennzeichens?, NZV 2008, S. 387ff.).

a) Das in § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG unter Strafe gestellte Verhalten und der dort verwandte Begriff des amtlichen Kennzeichens knüpfen an die einschlägigen Normen der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) an. Nach § 10 Abs. 2 FZV müssen Kennzeichenschilder reflektierend sein und dürfen nicht spiegeln, verdeckt oder verschmutzt oder zusätzlich mit Glas, Folien oder ähnlichen Abbildungen versehen sein. § 10 Abs. 6 FZV trifft speziell für die hinteren Kennzeichen Regeln zu deren Anbringung und Sichtbarkeit. § 10 Abs. 6 Satz 2 FZV normiert hierbei, dass hintere Kennzeichen eine Beleuchtungseinrichtung haben müssen, welche das ganze Kennzeichen auf 20 m lesbar macht.

Die Kennzeichenbeleuchtung ist Bestandteil des hinteren Kennzeichens. Sie hat ausschließlich – anders als die übrigen Beleuchtungseinrichtungen eines Kraftfahrzeugs – den Zweck, dessen Ablesbarkeit bei Dunkelheit zu gewährleisten. Hierbei verpflichtet § 17 Abs. 1 StVO den Fahrer, bei Dämmerung, Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen die vorgeschriebenen Beleuchtungseinrichtungen, somit auch die Kennzeichenbeleuchtung, einzuschalten.

§ 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG nimmt diese Anforderungen aus der Fahrzeug-Zulassungsverordnung auf und stellt bestimmte Verhaltensweisen, die die Erkennbarkeit des amtlichen Kennzeichens betreffen und § 10 Abs. 2, Abs. 6 FZV zuwiderlaufen, unter einen höheren – strafrechtlichen – Schutz. Die Möglichkeit, am Straßenverkehr teilnehmende Kraftfahrzeuge am amtlichen Kennzeichen zu identifizieren, hielt der Gesetzgeber für so wesentlich, dass er zusätzlich diese gesonderte Strafnorm geschaffen hat.

§ 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG stellt Handlungen unter Strafe,

– die in die Substanz des Kennzeichens eingreifen (verändern),

– die die Verbindung des Kennzeichens mit dem Kraftfahrzeug betreffen (beseitigen),

– die auf die Beeinträchtigung der Sichtbarkeit des Kennzeichens bezogen sind (verdecken) und

– als Auffangtatbestand – das Kennzeichen sonst in seiner Erkennbarkeit beeinträchtigen.

Der Inhalt des Auffangtatbestandes in § 22 Abs. 3 4. Alt. StGB kann über den § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG zugrunde liegenden § 10 Abs. 2, Abs. 6 FZV, der generell die Anforderungen an die Erkennbarkeit und Sichtbarkeit von Kennzeichen regelt, sowie aus der Vergleichbarkeit mit den übrigen tatbestandlich benannten Handlungsalternativen in § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG ermittelt und bestimmt werden:

§ 10 Abs. 6 Satz 2 FZV trifft eine spezielle Regelung für die Lesbarkeit und Erkennbarkeit des hinteren Kennzeichens bei Dunkelheit. Da alle übrigen tatbestandlichen Handlungen des – im Hinblick auf den Schutzzweck an § 10 Abs. 2, Abs. 6 FZV anknüpfenden – § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG (verändern, beseitigen, verdecken) ebenfalls auf die Lesbarkeit und Erkennbarkeit des Kennzeichens bezogen sind, ist das Verhalten desjenigen, der bei Dunkelheit die Fahrzeugbeleuchtung und damit auch die Kennzeichenbeleuchtung ausschaltet, um (auch) die Ablesbarkeit und Erkennbarkeit des hinteren Kennzeichens zu vereiteln, unter den Auffangtatbestand des § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG („sonst in seiner Erkennbarkeit beeinträchtigt“) zu subsumieren. Genau wie bei den übrigen Handlungsalternativen knüpft das unter Strafe gestellt Verhalten an die in § 10 Abs. 2, Abs. 6 FZV getroffenen Reglungen an. Genau wie bei den übrigen Tatbestandsalternativen des § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG ist die strafbare Handlung auf das Vereiteln der Ablesbarkeit und Erkennbarkeit des Kennzeichens bezogen.

Die vom Amtsgericht Bielefeld (a.a.O) hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB geäußerten Bedenken greifen nicht durch. Das Amtsgericht Bielefeld hat einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot unter anderem darin gesehen, dass unklar sei, ob im Rahmen des § 22 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 4 StVG auch ein Unterlassen strafbar sei und eine Verpflichtung zum Einschalten des Lichtes bei Dunkelheit oder Dämmerung bestehe. Diese Frage wird jedoch durch § 17 Abs. 1 StVO, der den Fahrer bei Dämmerung, Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen zum Einschalten der vorgeschriebenen Beleuchtungseinrichtungen, somit auch der Kennzeichenbeleuchtung, verpflichtet, hinreichend beantwortet. Unterlässt der Fahrer das Einschalten der Beleuchtung in der vom Tatbestand geforderten rechtswidrigen Absicht, macht er sich nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 4 StVG strafbar.

b) Eine Beschränkung auf nur „unmittelbar“ am Kennzeichen erfolgende Manipulationen, wie sie in Literatur und Rechtsprechung teilweise vertreten wird (AG Bielefeld, a.a.O.; Zopfs, a.a.O.), erfordert der Auffangtatbestand nicht. Zwar wird im Unterschied zu den tatbestandlich umschriebenen Verhaltensweisen (verändern, beseitigen, verdecken) durch das Ausschalten der Kennzeichenbeleuchtung die Ablesbarkeit und Erkennbarkeit nur zeitweise – bei Dunkelheit – vereitelt. Damit ist jedoch keine Beschränkung des Auffangtatbestands auf Handlungen, die ihre Wirkung in gleicher Weise bei Dunkelheit und bei Tageslicht entfalten, verbunden. Das Ausschalten der Kennzeichenbeleuchtung bei Dunkelheit entspricht dem Verdecken des Kennzeichens bei Tageslicht. Auch in anderen Fallgestaltungen wird eine nur unter bestimmten Umständen und zu einem bestimmten Zeitpunkt wirksam werdende Kennzeichenmanipulation von § 22 Abs.1 Nr. 3 StVG erfasst. So ist das Besprühen des Kennzeichens mit einer farblosen, reflektierenden Substanz, um bei Blitzlichtaufnahmen vom Fahrzeug die Ablesbarkeit und Erkennbarkeit des Kennzeichens zu vereiteln, nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG strafbar (BayObLG, Beschluss vom 25.11.1998, 2St RR 133/98, zitiert nach juris). Es ist kein Grund ersichtlich, die Regelung in § 10 Abs. 6 Satz 2 FZV aus dem Schutzbereich des – an § 10 Abs. 2, Abs. 6 FZV anknüpfenden – § 22 Abs. 1 Ziff. 3 StVG auszugrenzen. § 22 Abs. 1 StVG wird bereits durch das Merkmal der rechtswidrigen Absicht, durch welches nicht strafwürdige Verhaltensweisen im notwendigen Umfang ausgeschieden werden, ausreichend eingegrenzt.

c) Der Angeklagte handelte in rechtswidriger Absicht, da er nach den fehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen die Fahrzeugbeleuchtung, einschließlich der Kennzeichenbeleuchtung, ausschaltete, um seine Kontrolle und die Identifizierung seines Kraftfahrzeugs zu verhindern.

2. Allerdings hält der Rechtsfolgenausspruch der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Grundsätzlich obliegt dem Revisionsgericht keine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle der Strafzumessung. Der Wertungsakt, der der Strafzumessung zugrunde liegt, ist Aufgabe des Tatrichters. Es ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen, welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst. Das Revisionsgericht ist auf die Nachprüfung beschränkt, ob dem Tatrichter bei seiner Strafzumessungsentscheidung Rechtsfehler unterlaufen sind (Fischer, StGB, 58. Auflage, 2011, § 46 Rn. 146 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Es hat aber dann einzugreifen, wenn nach den Gegebenheiten des Falles wesentliche Umstände unberücksichtigt geblieben sind und die Strafzumessung deshalb insgesamt lückenhaft ist. Bei einer Trunkenheitsfahrt gehören zu diesen Umständen ebenso wie beim Fahren ohne Fahrerlaubnis die Feststellungen zum Mindestumfang der Fahrt. Sie sind unerlässlich, um Unrechts- und Schuldgehalt der Tat zutreffend beurteilen zu können. Vorliegend ist aus den Urteilsfeststellungen jedoch nicht ersichtlich, während welcher Fahrtstrecke oder während welcher Fahrtdauer der Angeklagte unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilgenommen hat.

Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach den Feststellungen des Urteils hat der Angeklagte erst ab dem Zeitpunkt, als er den ihm folgenden Polizeiwagen bemerkte, vorsätzlich gehandelt. Erst ab diesem Zeitpunkt war ihm bewusst, dass er erheblich alkoholisiert und möglicherweise fahruntüchtig ist. Bei der Rechtsfolgenentscheidung ist deshalb zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bis dahin lediglich fahrlässig gehandelt hat.

Weiter weist der Senat darauf hin, dass ein gegen den Angeklagten geführtes früheres, jedoch eingestelltes Verfahren bei der Strafzumessung nur unter bestimmten Umständen strafschärfend gewertet werden kann. Deshalb ist erforderlich, dass das frühere Verfahren im Urteil ausreichend beschrieben und der Grund, warum das frühere Verfahren eingestellt worden ist, benannt werden.

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