OLG Hamm
Az.: 20 U 226/04
Urteil vom 11.03.2005
Vorinstanz: Landgericht Münster, Az.: 15 O 285/04
Das OLG Hamm hat auf die mündliche Verhandlung vom XX für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 7. Oktober 2004 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 24.150,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. April 2004 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages beibringt.
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer bei dieser genommenen Kaskoversicherung nach behaupteter Entwendung ihres Pkw der Marke B 6 in L (Tschechien) auf Erstattung des angeblichen Wiederbeschaffungswertes für den Wagen in Höhe von (24.300 € abzgl. 150 € Selbstbeteiligung =) 24.150 € in Anspruch.
Die Klägerin unterzeichnete am 3.1.2004 beim Autohaus F GmbH in Altenburg eine „Verbindliche Bestellung“ bzgl. eines gebrauchten, im Mai 2000 erstzugelassenen B 6 TDI; es wurde ein Kaufpreis von 24.300 € vereinbart. Sie schloss für den Wagen mit der Beklagten eine Haftpflicht- sowie eine Voll- und Teilkaskoversicherung.
Am 16.1.2004 holten die Klägerin und ihr Ehemann das Fahrzeug beim Händler ab.
Sie beabsichtigten, im unmittelbaren Anschluss daran mit dem Fahrzeug einen 2-tägigen Ausflug nach Tschechien zu machen; im dort gelegenen Hotel C1 hatten sie vorab gebucht. Bevor sie vom Händler aus losfuhren, legte der Ehemann der Klägerin den Fahrzeugbrief, den Fahrzeugschein sowie die ihm übergebenen 3 Ersatzschlüssel in den Kofferraum des B, und zwar auf das Reserverad unter die Bodenmatte; auf der Matte deponierte er Taschen und Jacken; dann fuhr das Ehepaar los.
Die Klägerin hat – nachdem eine an die Beklagte gerichtete Zahlungsaufforderung mit Fristsetzung zum 28.4.2004 erfolglos geblieben war- im Wege der Klage geltend gemacht: Nachdem sie nach Tschechien eingereist seien, habe sie eine Toilette aufsuchen müssen. Man habe aus diesem Grund – und weil ihr Ehemann noch Waschutensilien habe erwerben wollen – vor dem großen Kaufhaus „L1“ in L auf dem Parkplatz gegen 16 Uhr 30 angehalten. Nachdem sie und ihr Ehemann ihre Jacken aus dem Kofferraum entnommen hätten, sei das unstreitig mit einer Alarmanlage versehene Fahrzeug ordnungsgemäß verschlossen zurückgelassen worden.
Als sie beide gegen 17 Uhr zurückgekommen seien, sei das Fahrzeug verschwunden gewesen. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 24.150 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29.4.2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat den behaupteten Entwendungssachverhalt mit Nichtwissen bestritten und im Übrigen eine Leistungspflicht unter Berufung auf § 61 VVG mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe grob fahrlässig den Versicherungsfall herbeigeführt, weil sie Schlüssel und Papiere im Kofferraum des Wagens belassen habe und hierdurch die Entwendung als solche und die spätere Weiterveräußerung erleichtert habe.
Sie hat außerdem den behaupteten Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs mit Nichtwissen bestritten.
Das Landgericht hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen und die Klage mit seinem Urteil vom 7.10.04, auf das zur näheren Sachdarstellung und Begründung Bezug genommen wird (BI.37 f GA), abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlich gestellten Antrag weiterverfolgt. Sie macht ergänzend geltend:
Das Landgericht habe einen Sachverhalt unterstellt, der nicht feststehe. Es stehe nicht fest, dass der/die Täter das Auto aufgebrochen und durchsucht hätten, sie dabei die Fahrzeugunterlagen und die Schlüssel gefunden hätten und so zur Entwendung animiert worden seien. Es sei denkbar, dass das Fahrzeug abgeschleppt worden sei und die versteckten Unterlagen/Schlüssel bis heute nicht entdeckt worden seien. Den Nachweis des kausalen Fehlverhaltens habe die beweisbelastete Bekl. nicht geführt.
Die Beklagte verteidigt das Urteil.
Sie bestreitet ergänzend mit Nichtwissen, dass die Entwendung des Fahrzeugs ohne den Einsatz der Originalschlüssel erfolgt sei und behauptet hierzu, dass innerhalb von 30 Minuten aufgrund der elektronischen Wegfahrsperre das Fahrzeug nur mittels eines Originalschlüssels habe weggefahren werden können.
Der Senat hat im Termin vom 11.3.2005 die Klägerin persönlich angehört und Beweis durch Einvernahme ihres Ehemannes sowie durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. V erhoben.
Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 11.3.2005 verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung des behaupteten Wiederbeschaffungswertes für den entwendeten B aus §§ 1, 49 VVG, § 12 Ziffer 1 Abs I lit b, Abs II, § 13 Ziffer 1 AKB.
Es steht nach der Beweisaufnahme fest, dass das versicherte Fahrzeug am 16.1.2004 in Tschechien entwendet worden ist.
Auf Leistungsfreiheit kann die Beklagte sich nicht mit Erfolg berufen, weil sie nicht nachgewiesen hat, dass der Versicherungsfall von der Klägerin durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt wurde, § 61 VVG.
1.)
Das „äußere Bild“ eines Kraftfahrzeugdiebstahls, das gegeben ist, wenn das angeblich entwendete Fahrzeug abgestellt und später nicht mehr wieder aufgefunden wird (vgl. zu dieser Beweiserleichterung für den Versicherungsnehmer zB Senat in VersR 1991, 918 m.w.N.), ist vorliegend bewiesen.
Der Ehemann der Klägerin, von ihr als Zeuge für den Entwendungstatbestand benannt, hat bestätigt, dass der versicherte B wie behauptet am 16.1.2004 gegen 16 Uhr 30 vor dem Kaufhaus „L1“ abgestellt worden war und etwa 30 Minuten später nicht wieder aufgefunden werden konnte.
Anhaltspunkte, die geeignet wären, den Wahrheitsgehalt der Bekundungen des Zeugen in Zweifel zu ziehen, bestehen nicht; der Zeuge hat den Sachverhalt detailliert schildern können und ihn schlüssig und widerspruchsfrei dargestellt.
Allein der Umstand, dass der Zeuge zweifellos ein Interesse an einem für die Klägerin positiven Prozessausgang haben dürfte, ist vor diesem Hintergrund nicht ausreichend, um seine Aussage als unglaubhaft zu bewerten.
2.)
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Beklagte nicht gemäß § 61 VVG leistungsfrei.
Dabei kann offen bleiben, ob das für die Zeit des Einkaufens erfolgte Abstellen des B auf dem Parkplatz ohne Mitnahme der im Kofferraum versteckten Fahrzeugpapiere und der (Ersatz)Schlüssel als grob fahrlässig anzusehen ist. Jedenfalls hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (Prölss/Martin: VVG, 27. Auflage, Rn 109 zu § 12 AKB (Knappmann)) nicht nachweisen können, dass das Verhalten der Klägerin kausal für den Eintritt des Versicherungsfalles geworden ist.
a) Das Zurücklassen von Fahrzeugpapieren im Wagen ermöglicht oder veranlasst den Versicherungsfall jedenfalls dann nicht, wenn der Täter sie vor seinem Diebstahlsentschluss nicht im Wagen hat sehen können – dann fehlt es an der Kausalität (BGH, Urteil vom 17. Mai 1995 in: VersR 1995, 909; Urteil vom 6. März 1996 in: VersR 1996, 621). Dafür, dass die Diebe vorliegend die Fahrzeugunterlagen im Kofferraum gesehen haben, bevor sie sich für die Entwendung des B entschieden, ist nichts ersichtlich.
b) Das Zurücklassen von Fahrzeugschlüsseln im Auto ist für den Versicherungsfall dann kausal, wenn unstreitig oder vom Versicherer bewiesen ist, dass hierdurch die Entwendung erst ermöglicht oder zumindest gefördert worden ist -Voraussetzung ist regelmäßig die Verwendung der Schlüssel durch den Dieb (Prölss/Martin, a.a.O, Rn 115 zu § 12 AKB /Knappmann/m.w.N.).
Daran fehlt es hier.
Objektivierbare Anhaltspunkte dafür, dass der versicherte Wagen erst entwendet worden ist, nachdem die Diebe im Kofferraum die Originalschlüssel gefunden haben, bestehen nicht.
Soweit die Beklagte vorgetragen hat, der Wagen könne aufgrund der vorhandenen Wegfahrsperre nur mit den Originalschlüsseln weggefahren worden sein, ist das nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen V widerlegt.
Der Sachverständige hat im Senatstermin am 11.3.2005 nachvollziehbar geschildert, dass aus dem Baujahr 2000 stammende Fahrzeuge der Marke B binnen eines Zeitraumes von ca 20 Minuten auch ohne Verwendung eines Originalschlüssels unter Anwendung mechanischer Gewalt aufgebrochen und weggefahren werden können.
Da auch die vom Kläger aufgezeigte Möglichkeit eines Abschleppens des Fahrzeugs von der Beklagten nicht ausgeschlossen worden ist, steht ein die Ursächlichkeit des klägerischen Verhaltens begründender Sachverhalt nicht fest.
Das geht zu Lasten der Beklagten.
c) Soweit das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung das Verhalten der Klägerin als kausal angesehen hat, weil durch die zurückgelassenen Fahrzeugunterlagen bzw – Schlüssel eine problemlose Verwertung des Fahrzeugs ermöglicht worden sei, kann dem nicht gefolgt werden. Ausschlaggebend ist im Rahmen des § 61 VVG, ob der Versicherungsnehmer die Entwendung des Autos gefördert oder veranlasst hat. Das ist – wie ausgeführt – von der Beklagten nicht nachgewiesen.
3.)
Der Höhe nach hat die Beklagte gemäß § 13 Ziffer 1 AKB den Wiederbeschaffungswert des versicherten Fahrzeugs zu ersetzen.
Diesen hat die Klägerin zutreffend mit 24.300 € bemessen.
Das steht aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen V, der Zustand und Ausstattung des Fahrzeuges aufgrund seiner Nachforschungen beim Verkäufer des B detailliert hat bewerten können, fest.
4.)
Die Zinsforderung ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzugs, §§ 286, 288 BGB. Wie die Klägerin unangefochten ausgeführt hat (Bl. 4 GA), hat die Beklagte die Erstattung der Versicherungsleistung abgelehnt, so dass die unter Fristsetzung geltend gemachte Forderung fällig war.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, § 543 Abs. 2 ZPO.