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Kindergeldanspruch bei Nichtzahlung von Trennungsunterhalt

HESSISCHES FINANZGERICHT

Az.: 3 K 3174/05

Urteil vom 11.12.2007

(BFH, Az.: III R 8/08)


In dem Rechtsstreit wegen Kindergeld betreffend das Kind Z… für die Zeit ab Januar 2003 hat der 3. Senat des Hessischen Finanzgerichts mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 11. Dezember 2007 für Recht erkannt:

1. Der Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von Kindergeld vom 28.06.2005 sowie die Einspruchsentscheidung vom 22.09.2005 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Anspruch auf Kindergeld für ein verheiratetes Kind auch dann entfällt, wenn dieses von dem Ehegatten getrennt lebt und der Ehegatte keinen Trennungsunterhalt leistet. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seine Tochter Z… (geboren am ….1982). Diese befand sich in der Zeit vom 01.09.2000 bis zum 14.09.2003 in Ausbildung zur … . Im Hinblick auf diese Ausbildung gewährte die Beklagte (Familienkasse) dem Kläger Kindergeld.

Am … 2001 hatte die Tochter des Klägers die Ehe mit Herrn M… geschlossen.

Die Ehe wurde am ….2005 geschieden. Seit …08.2002 lebten die Ehegatten von einander getrennt.

Nach der Trennung machte die Tochter des Klägers gegenüber Herrn M… Ansprüche auf Zahlung von Getrenntlebendenunterhalt geltend. Weil Herr M… den Unterhaltsforderungen nicht nachkam, wurde er vom Amtsgericht … durch Urteil vom …06.2004 dazu verpflichtet, an die Tochter des Klägers u. a. in folgendem Umfang Getrenntlebendenunterhalt zu zahlen: rückständiger Unterhalt für die Zeit von September 2002 bis Juli 2003 in Höhe von 5.019 €, laufenden Unterhalt für den Monat August 2003 in Höhe von 429 € sowie für die Zeit von September 2003 bis Januar 2004 in Höhe von monatlich 545 €. Das Urteil des Amtsgerichts wurde rechtskräftig. Gleichwohl kam Herr M… seinen Unterhaltspflichten zunächst nicht nach. Deshalb beauftragte die Tochter des Klägers den Gerichtsvollzieher, ihre Ansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen.

Um die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung abzuwenden, erklärte sich Herr M… schließlich bereit, an die Tochter des Klägers „zur Erledigung sämtlicher Ansprüche, die der Zwangsvollstreckung zu Grunde liegen“, einmalig einen Betrag von 4.500,00 € zu zahlen. Die entsprechende Zahlung erfolgte zum Ende des Jahres 2005 (s. Schreiben der Rechtsanwältin … vom 21.12.2005 und vom 30.12.2005).

Im Oktober 2003 wurde der Familienkasse bekannt, dass die Tochter des Klägers in der Zwischenzeit geheiratet hatte. Daraufhin nahm sie Ermittlungen auf hinsichtlich der Frage, inwieweit die Tochter des Klägers während der Jahre 2001 bis 2003 von ihrem Ehemann Unterhaltsleistungen erhalten hat mit der Folge, dass diese als Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusetzen waren. In ihren abschließenden Berechnungen erfasste sie die Beträge, die der Tochter des Klägers in dem Urteil des Amtsgerichts als Trennungsunterhalt zugesprochen worden waren, für die dort genannten Zeiträume als Bezüge und rechnete sie den entsprechenden Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit hinzu. Dabei gelangte sie zu folgenden Ergebnissen:

Für die Jahre 2001 und 2002 sei der jeweilige Grenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) nicht überschritten. Für das Jahr 2003 sei der hier maßgebende Grenzbetrag (9/12 von 7.188 € = 5.391 €, § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG) hingegen überschritten.

Daraufhin erließ sie am 28.06.2005 einen Bescheid, in dem sie die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab dem Monat Januar 2003 aufhob und das für die Monate Januar bis Juli 2003 ausgezahlte Kindergeld zurückforderte.

Den gegen diesen Bescheid gerichteten Einspruch wies die Familienkasse als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie u. a. aus:

Zu den Bezügen, aufgrund derer ein Kindergeldanspruch ausgeschlossen sein könnte, gehörten auch Unterhaltsleistungen, die ein verheiratetes Kind von seinem Ehegatten beanspruchen könne. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Ehegatte zum vollständigen Unterhalt des Kindes aufgrund niedrigen Einkommens nicht in der Lage sei, das Kind selbst nicht über ausreichende Einkünfte und Bezüge verfüge und die Eltern deshalb für das Kind aufkommen müssten (sog. Mangelfall).

Ein derartiger Fall liege hier nicht vor. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass der damalige Ehemann seiner Tochter nicht leistungsfähig gewesen sei (Einspruchsentscheidung vom 22.09.2005).

Mit der Klage macht der Kläger im Wesentlichen Folgendes geltend:

Seine Tochter habe von Herrn M…, ihrem damaligen Ehemann, ab dem Zeitpunkt der Trennung keinerlei Unterhaltsleistungen mehr erhalten. Er habe sie deshalb in seinen Haushalt aufnehmen und versorgen müssen. Die Tatsache, dass das Amtsgericht … Herrn M… zur Unterhaltszahlung verurteilt habe, sei als solche in dem vorliegenden Zusammenhang nicht maßgebend. Denn Herr M… habe die in dem Urteil ausgesprochenen Verpflichtungen nicht erfüllt. Er habe lediglich im Jahr 2005 eine Einmalzahlung geleistet, „damit die bisherigen Forderungen erledigt wurden“.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von Kindergeld vom 28.06.2005 sowie die Einspruchsentscheidung vom 22.09.2005 aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie zunächst vorgetragen:

Die Unterhaltsansprüche, die die Tochter des Klägers für den hier streitigen Zeitraum gegenüber ihrem damaligen Ehemann gehabt habe, seien in vollem Umfang zu berücksichtigen. Dabei komme es nicht darauf an, ob diese Ansprüche verwirklicht worden seien.

Auf einen entsprechenden Hinweis durch den Berichterstatter des Senats trägt die Familienkasse nunmehr weiter vor:

Die bisher vertretene Rechtsauffassung ergebe sich aus DA 63.4.2.5 Abs. 6 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (DA-FamEStG). Danach sei sie, die Familienkasse, gehalten, bei verheirateten oder geschiedenen Kindern den zivilrechtlichen Anspruch auf Unterhalt gegenüber dem geschiedenen oder getrennt lebenden Partner des Kindes zu berücksichtigen und den Berechtigten auf dessen Realisierung zu verweisen. Aus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ergebe sich nichts anderes. Danach komme es nicht auf den tatsächlichen Zufluss von Einkommen an. Vielmehr sei eine „fiktive“ Berechnung des Einkommens zulässig.

So sei nach den Grundsätzen der Rechtsprechung davon auszugehen, dass dem nicht verdienenden Ehegatten ungefähr die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zufließe (Hinweis auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23.06.2006 11 K 174/05 Kg, EFG 2006, 1530; sowie auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 07.03.2002 VIII B 180/01, BFH/NV 2002, 1289).

Die den Streitfall betreffenden Akten der Familienkasse waren Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

1.

Der Kläger hat betreffend die Tochter Z… Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum Januar bis September 2003. Die Familienkasse hat in dem angefochtenen Bescheid die Kindergeldfestsetzung zu Unrecht mit der Begründung aufgehoben, die Tochter des Klägers habe in dem vorgenannten Zeitraum Einkünfte und Bezüge gehabt, die den gesetzlich festgelegten Grenzbetrag überschritten hätten.

Entgegen der Auffassung der Familienkasse sind die Unterhaltsansprüche, die der Tochter des Klägers für die Monate Januar bis September 2003 gegenüber ihrem früheren Ehemann zugestanden haben, nicht als Bezüge zu erfassen. Es fehlt an einem entsprechenden Zufluss. Zudem liegt kein Verzicht im Sinne des Kindergeldrechts vor.

Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG besteht Anspruch auf Kindergeld für ein volljähriges Kind nur dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG gegeben sind. Wird das Kind – wie hier unstreitig die Tochter des Klägers in der Zeit bis September 2003 – für einen Beruf ausgebildet, ergibt sich der Kindergeldanspruch aus § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. In diesem Fall hängt der Anspruch gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 2 bis 10 EStG jedoch von der weiteren Voraussetzung ab, dass das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, nur unterhalb eines bestimmten Grenzbetrages hat.

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Dieser Grenzbetrag bemisst sich nach Satz 2 der Vorschrift grundsätzlich nach dem Kalenderjahr. Für das Jahr 2003 beträgt er 7.188 €. Liegen – wie hier unstreitig im Streitfall – die Anspruchsvoraussetzungen nach Satz 1 Nr. 2 der Vorschrift nur für einen Teil des Kalenderjahres (hier die Monate Januar bis September 2003) vor, sind nach Satz 6 der Vorschrift die Einkünfte und Bezüge nur insoweit anzusetzen, als sie auf diesen Teil entfallen. Für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 2 der Vorschrift nicht vorliegen, ermäßigt sich der Grenzbetrag von 7.188 € um ein Zwölftel (Satz 7 der Vorschrift; hier: 9/12 von 7.188 € = 5.391 €). Ein Verzicht auf Teile der zustehenden Einkünfte und Bezüge bleibt nach Satz 9 der Vorschrift bei der Anwendung der vorstehenden Regeln unberücksichtigt.

In dem Fall, dass das (volljährige) Kind verheiratet ist, hat der BFH den Anspruch auf Kindergeld von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht, dass für die Eltern eine „typische Unterhaltssituation“ gegeben ist. In seinem grundlegenden Urteil vom 02.03.2000 VI R 13/99 (BStBl II 2000, 522) hat er hierzu ausgeführt: Ab dem Zeitpunkt der Eheschließung sei gemäß § 1608 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in erster Linie der Ehegatte dem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Es bestehe nur noch eine nachrangige Unterhaltspflicht der Eltern. Aufgrund der Statusänderung durch Heirat und der dadurch wechselnden Pflichtenstellung zum Kind bestehe nach dessen Heirat grundsätzlich kein Bedarf mehr für eine Entlastung der Eltern im Wege des Familienleistungsausgleichs.

Anders liege der Fall, wenn das Einkommen des Ehegatten so gering sei, dass dieser zum Unterhalt nicht in der Lage sei (z. B. Studentenehe) und die Eltern deshalb für das Kind aufkommen müssten (sog. Mangelfall).

Was unter einem Mangelfall in dem vorgenannten Sinne zu verstehen ist, hat der BFH in einer Entscheidung aus jüngerer Zeit näher erläutert. In dem Urteil vom 19.04.2007 III R 65/06 (BFH/NV 2007, 1753, auch zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) hat er dargelegt: Ein Mangelfall sei bei kinderlosen Ehen anzunehmen, wenn die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der „Unterhaltsleistungen“ des Ehepartners unterhalb des Jahresgrenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als des steuerlichen Existenzminimums lägen. Dabei seien die „Unterhaltsleistungen“ des Ehegatten zu schätzen, weil sie im Allgemeinen sowohl in Geld- als auch in Sachleistungen bestünden.

Nach der Rechtsprechung des BFH entspreche es der „Lebenserfahrung“, dass in einer kinderlosen Ehe, in der ein Ehegatte allein verdiene und ein durchschnittliches Nettoeinkommen erziele, dem nicht verdienenden Ehepartner ungefähr die Hälfte dieses Einkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zufließe (Hinweis auf das Urteil vom 07.03.1986 III R 177/80, BStBl II 1986, 554, betr. den Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs. 2 EStG). Verfüge das Kind auch über eigene Mittel, sei (regelmäßig) zu unterstellen, dass sich die Eheleute ihr verfügbares Einkommen teilten.

Noch nicht ausdrücklich geäußert hat sich der BFH zu der – im Streitfall relevanten – Frage, ob die vorstehend dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze auch dann gelten, wenn das (verheiratete) Kind von seinem Ehegatten getrennt lebt und von diesem keinen (Trennungs-) Unterhalt bekommt. Allerdings hat er in dem – eine Nichtzulassungsbeschwerde betreffenden – Beschluss in BFH/NV 2002, 1289 bereits gewisse Unterscheidungsmerkmale hinsichtlich des Familienunterhaltsanspruchs einerseits und des Trennungsunterhalts andererseits anklingen lassen. Er hat u. a. ausgeführt:

Die (in der Nichtzulassungsbeschwerde) aufgeworfene Rechtsfrage, ob bei der Kindergeldberechtigung der Eltern für ihre verheirateten Kinder hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtung des Ehegatten des Kindes auf den in einer „intakten Ehe“ bestehenden Familienunterhaltsanspruch gemäß §§ 1360, 1360a BGB oder auf den Ehegattenunterhalt bei Trennung abzustellen sei, habe der BFH durch das Urteil in BStBl II 1986, 554 bereits beantwortet. Dabei gehe er zwar nicht ausdrücklich, doch zumindest unausgesprochen vom „Familienunterhaltsanspruch gemäß §§ 1360 ff. BGB“ und nicht vom sog. „Trennungsunterhalt“ aus.

Die Finanzverwaltung wendet die vorstehenden Rechtsprechungsgrundsätze im Allgemeinen an. In DA 63.4.2.5 Abs. 1 bis 5 DA-FamEStG ist geregelt, dass ein verheiratetes Kind nur in einem sog. Mangelfall berücksichtigt werden kann und dass das Vorliegen eines Mangelfalls in bestimmter Weise festzustellen ist. In DA 63.4.2.5 Abs. 6 DA-FamEStG heißt es sodann u. a.:

Die vorstehenden Regeln seien grundsätzlich auch dann anzuwenden, wenn das Kind von seinem Partner getrennt lebe. Werde geltend gemacht, dass der getrennt lebende Partner dem Kind den ihm zivilrechtlich zustehenden Unterhalt nicht leiste, sei der entsprechende „Anspruch“ zu berücksichtigen und der Berechtigte auf dessen Realisierung zu verweisen.

a) Der Senat ist der Auffassung, dass die Verwaltungsanweisung in DA 63.4.2.5 Abs. 6 DA-FamEStG insofern keine zutreffende Gesetzesauslegung darstellt, als der Berechtigte in jedem Fall auf die „Realisierung“ des dem Kind zustehenden Unterhaltsanspruchs verwiesen werden soll. Er vertritt vielmehr die Auffassung, dass im Falle eines verheirateten, aber getrennt lebenden Kindes der Frage nachzugehen ist, ob die „Realisierung“ des Unterhaltsanspruchs dem Kind während des maßgebenden Zeitraums tatsächlich möglich gewesen wäre. Kann hiernach das Kind seinen Unterhaltsanspruch gegenüber dem getrennt lebenden Ehegatten trotz aller ihm zumutbaren Bemühungen nicht durchsetzen, ist von einem sog. Mangelfall im Sinne der bisherigen BFHRechtsprechung auszugehen. Für dieses Auslegungsergebnis sprechen zum einen der Gesetzeswortlaut und die Gesetzgebungsgeschichte sowie zum anderen die gesetzliche Systematik.

§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 vom 20.01.1995 (BGBl I 1995, 1249) stellte darauf ab, dass die gesetzlich näher umschriebenen Einkünfte und Bezüge dem Kind „zustehen“. Durch das Jahressteuer-Ergänzungsgesetz vom 18.12.1996 (BGBl I 1997, 786) wurde die Vorschrift jedoch dahingehend geändert, dass den Kindergeldanspruch nur solche Einkünfte und Bezüge ausschließen können, die das Kind (tatsächlich) „hat“ (vgl. Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rdnr. 252 f.). Diese Gesetzesfassung hat seither Gültigkeit, mithin auch für das Streitjahr 2003. Auf den Umstand, dass dem Kind Einkünfte und Bezüge „zustehen“, kommt es nur nach dem Wortlaut der Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG („Verzicht auf Teile der zustehenden Einkünfte und Bezüge“) an.

Aus der Gesetzesbegründung zu § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ergibt sich, dass insoweit das Zuflussprinzip gelten soll. Der Begriff der „Einkünfte“ im Sinne der Vorschrift entspricht der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG, nach der sich die Einkünfte, soweit sie nicht zu den sog. Gewinneinkünften gehören, nach dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten bestimmen. Dabei sind Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Betreffenden zugeflossen sind (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG); Ausgaben sind für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dementsprechend sind auch Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bezogen auf den Zeitpunkt ihres Zuflusses (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG) zu erfassen. Eine andere Rechtslage ergibt sich – nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes – lediglich bei den Einkünften und Bezügen, für die nach § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG zu bestimmen ist, auf welchen Monat (des betreffenden Kalenderjahres) sie „entfallen“ (vgl. BFH-Urteile vom 16.04.2002 VIII R 76/01, BStBl II 2002, 525, und vom 14.05.2002 VIII R 57/00, BStBl II 2002, 746; vgl. auch zur Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen des getrennt lebenden Ehegatten als „Bezüge“: Heuermann in Blümich, Einkommensteuergesetz / Körperschaftsteuergesetz / Gewerbesteuergesetz, § 32 EStG Rdnr. 117).

Aus der Geltung des Zuflussprinzips folgt wiederum, dass es nicht auf die materielle Rechtslage, sondern grundsätzlich auf die tatsächliche Verfügungsgewalt ankommt. Das Kind muss über das Geld oder die geldwerten Leistungen wirtschaftlich verfügen können. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Verfügungsmöglichkeit (mit anderen Worten: der Möglichkeit, den Leistungserfolg herbeizuführen) bzw. der Zeitpunkt der Leistungshandlung (vgl. Seewald/Felix, a. a. O., § 63 EStG Rdnr. 252a; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 26. Aufl., § 11 Rdnr. 12). Für den Fall des Trennungsunterhalts bedeutet das in aller Regel: Die betreffende Unterhaltszahlung muss tatsächlich geleistet worden sein. Dass der Unterhaltsberechtigte im Sinne der oben dargestellten Verfügungsmöglichkeit den ihm angebotenen Barunterhalt in anderer Form als durch Zahlung annimmt, dürfte eher selten sei. Ein Verzicht auf die Unterhaltsleistung wäre nach der insoweit eindeutigen Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG ohnehin unbeachtlich.

Im Streitfall ist nichts dafür ersichtlich, dass die Tochter des Klägers während der Monate Januar bis September 2003 von ihrem früheren Ehemann irgendwelche Unterhaltsleistungen erhalten hat. So hat der Kläger immer wieder vorgetragen, Herr M… habe zu keiner Zeit laufenden Trennungsunterhalt gezahlt. Seinen Vortrag hat er dadurch glaubhaft gemacht, dass er das Urteil des Amtsgerichts … vom 22.06.2004 sowie die beiden Schreiben seiner damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 21.12.2005 und vom 30.12.2005 dem Gericht vorgelegt hat. Irgendwelche Zweifel an der Richtigkeit des Klägervorbringens hat die Familienkasse nicht geäußert.

b) Die Tatsache, dass Herr M… zum Ende des Jahres 2005 „zur Erledigung sämtlicher Ansprüche, die der Zwangsvollstreckung zu Grunde liegen“ einen Betrag von 4.500 € an die Tochter des Klägers gezahlt hat, ändert nichts an dem vorstehend dargelegten Ergebnis. Denn diese Zahlung betrifft nicht den hier maßgebenden Zeitraum.

Wie bereits (unter Abschn. 1. a) dargelegt, ist der Zufluss von Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG auf das Kalenderjahr bezogen. Dies entspricht dem im Einkommensteuerrecht allgemein geltenden Jahresprinzip (§ 2 Abs. 7 EStG). Deshalb sind bei der Feststellung, ob der Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) bzw. der Grenzbetrag für den anspruchsrelevanten Teil des Kalenderjahres (§ 32 Abs. 4 Satz 7 EStG) überschritten ist, nur die Einkünfte und Bezüge anzusetzen, die dem Kind im Laufe des betreffenden Kalenderjahres zufließen. Zuflüsse, die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG auf ein anderes Kalenderjahr zu beziehen sind, bleiben dabei außer Betracht (vgl. BFH-Urteile in BStBl II 2002, 525, und in BStBl II 2002, 746).

Im vorliegenden Zusammenhang kommt es darauf an, ob der Tochter des Klägers während der Monate Januar bis September 2003 irgendwelche Bezüge in Form von Unterhaltsleistungen zugeflossen sind. Die Frage, inwieweit die Geldleistung in Höhe von 4.500 € bei den Bezügen des Jahres 2005 zu erfassen ist, wäre ggf. in einem anderen Verfahren zu klären.

c) In Bezug auf die Unterhaltsleistungen, die der Tochter des Klägers für die Monate Januar bis September 2003 zugestanden haben, liegt kein Verzicht im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG vor.

Die Vorschrift dient der Missbrauchsabwehr. Sie ist u. U. dann anzuwenden, wenn das Kind in der Absicht, sich den Kindergeldanspruch zu erhalten, Vereinbarungen trifft, die dazu führen, dass ein – an sich bestehender – Anspruch auf Einkünfte und Bezüge nicht geltend gemacht werden kann. Grundvoraussetzung ist aber, dass das Kind freiwillig handelt. So liegt ein Verzicht beispielsweise dann nicht vor, wenn das Kind Ansprüche auf Einkünfte und Bezüge aus einer Zwangslage heraus nicht geltend macht (vgl. BFH-Urteil vom 11.03.2003 VIII R 16/02, BStBl II 2003, 746; Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 31.01.2001 III 32/00, EFG 2001, 512).

Die Tochter des Klägers hat zunächst alles getan, um ihre Ansprüche auf Trennungsunterhalt zu „realisieren“. So hat sie vor dem zuständigen Amtsgericht ein Urteil erstritten, in dem ihr früherer Ehemann zur Unterhaltszahlung verpflichtet worden ist. Erst nachdem verschiedene Versuche, die gerichtlich festgestellten Ansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen, ohne Erfolg geblieben waren, hat sie sich dazu bereit gefunden, die einmalige Zahlung eines Betrags von 4.500 € „zur Erledigung sämtlicher Ansprüche, die der Zwangsvollstreckung zu Grunde liegen“ anzunehmen. Hätte sie anders gehandelt, wäre sie höchstwahrscheinlich „leer ausgegangen“.

d) Zu Unrecht macht die Familienkasse geltend, nach der Rechtsprechung sei es zulässig, bei den sog. Mangelfällen die Einkünfte und Bezüge des Kindes „fiktiv“ zu berechnen. Sie verkennt dabei, dass die insoweit maßgebenden Grundsätze auf den Streitfall nicht passen.

Der BFH hat sich in seiner bisherigen Rechtsprechung, wie dargelegt, nur auf solche „Mangelfälle“ bezogen, in denen das betreffende Kind in einer „intakten Ehe“ lebte. Dementsprechend ist er von dem sog. Familienunterhaltsanspruch nach §§ 1360 ff. BGB und nicht vom sog. Trennungsunterhalt ausgegangen. In diesem Zusammenhang hat er von (tatsächlichen) „Unterhaltsleistungen“ gesprochen, die anhand einer bestimmten „Lebenserfahrung“ zu schätzen sind.

Im Fall der Trennung gibt es keine „Lebenserfahrung“, dass die Ehegatten sich gegenseitig – in Form von Geld- und Sachleistungen – Unterhalt gewähren. Die „Lebenserfahrung“ wie auch der Streitfall belegen vielmehr das Gegenteil.

Wird – anders als im Streitfall – Trennungsunterhalt (als Geldleistung) erbracht, dann besteht auch kein Grund zu schätzen. Bleibt – wie hier im Streitfall – die Zahlung des Trennungsunterhalts jedoch aus, lebt die für den Kindergeldanspruch „typische Unterhaltssituation der Eltern“ wieder auf.

e) Die Einkünfte und Bezüge, die die Tochter des Klägers während der Monate Januar bis September 2003 erhalten hat, überschreiten nicht den Grenzbetrag von 5.391 €. Dies ergibt – bezogen auf die monatlichen Ausbildungsbezüge – folgende Berechnung:

Zeitraum Monatsbetrag Zahl der Monate Gesamtbetrag
Januar bis August 559,86 € x 8 = 4.478,88 €
September 254,48 € x 1 = 254,48 €

4.733,36 €

f) Zur Klarstellung weist der Senat auf Folgendes hin:

Die vorliegende Entscheidung bezieht sich nicht auf die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld für die Zeit ab dem Monat Oktober 2003 hat. Denn die Familienkasse hat in dem angefochtenen Bescheid nur für die Monate Januar bis September 2003 das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen geprüft (vgl. zum Monatsprinzip bei der Kindergeldfestsetzung: Schmidt/Weber-Grellet, a. a. O., § 70 Rdnr. 1). Nur der insoweit relevante Sachverhalt ist Gegenstand der gerichtlichen Aufhebungsentscheidung im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO; vgl. hierzu: Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 96 Anm. 18). Gleichwohl wird die Familienkasse zu beachten haben, dass die vorgenannte Aufhebungsentscheidung auch für die Zukunft wirkt, und zwar insofern, als die den Zeitraum vor dem Monat Januar 2003 betreffende Kindergeldfestsetzung ihre Dauerwirkung zurückerhält (vgl. zur Festsetzung von Kindergeld durch Dauerverwaltungsakt: Schmidt/Weber-Grellet, a. a. O., § 70 Rdnr. 1). Sollte sie im Rahmen einer weiteren Sachverhaltsprüfung zu dem Ergebnis gelangen, dass für die Zeit ab dem Monat Oktober 2003 die Kindergeldvoraussetzungen nicht vorliegen, wird sie wegen der insoweit geänderten Verhältnisse gemäß § 70 Abs. 2 EStG die Kindergeldfestsetzung aufheben müssen. Entsprechendes würde für den Fall gelten, dass sich die anspruchserheblichen Verhältnisse zu einem späteren Zeitpunkt geändert haben.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

3.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 und § 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordndung (ZPO).

4.

Die Entscheidung über die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, weil – wie dargelegt – der Senat von der Regelung in DA 63.4.2.5 Abs. 6 DA-FamEStG abweicht und die Rechtslage insoweit höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.

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