OLG Rostock – Az.: 10 UF 121/21 – Beschluss vom 10.12.2021
Im Wege der einstweiligen Anordnung wird dem Antragsteller (Kindesvater) die Entscheidung über die Zustimmung
1. zur Testung in der Schule mit einem Selbsttest für H., geboren am XX.XX.2005, gegenüber dem Gymnasium pp. und für M., geboren am XX.XX.2007, gegenüber dem Gymnasium pp. mit dem AMP Rapid Test SARS-CoV-2 im Rahmen der 4. Schul-Corona-Verordnung sowie den darauffolgenden zukünftigen Verordnungen und
2. zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 für die minderjährigen Kinder H., geboren am XX.XX.2005, und M., geboren am XX.XX.2007, mit dem zugelassenen mRNA-Impfstoff Comirnaty entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission bei dem Robert Koch-Institut für die erste und zweite Impfung
vorläufig übertragen.
Der weitergehende Antrag des Antragstellers wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten in beiden Instanzen tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller (Kindesvater) und die Antragsgegnerin (Kindesmutter) sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe sind die beiden minderjährigen Kinder H. (geboren am XX.XX.2005) und M. (geboren am XX.XX.2007) hervorgegangen. Die beiden Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt beim Kindesvater. Das Sorgerecht für die beiden Kinder üben die Eltern weiterhin gemeinsam aus.
Die Kindeseltern streiten über die Entscheidungsbefugnis für die – vom Kindesvater befürwortete – Zustimmung zur Durchführung von Selbsttests für beide Kinder an den von ihnen besuchten Schulen mit dem AMP Rapid Test SARS-CoV-2 und für die Zustimmung zu einer Schutzimpfung der beiden Kinder gegen das Corona Virus SARS-CoV-2. Die Kindesmutter hat ihre Zustimmung zur Durchführung der Selbsttests auf sogenannte Spucktests beschränkt, die von den Schulen der Kinder nicht zur Verfügung gestellt werden. Daher hat die für die Teilnahme der Kinder am Präsenzunterricht bisher nach § 1a Abs. 1 Satz 1 der 3. SchulCoronaVO M-V und seit dem 01.12.2021 nach § 1a Abs. 1 Satz 1 der 4. SchulCoronaVO M-V erforderliche Testung der beiden Kinder nicht nach § 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der 3. bzw. 4. SchulCoronaVO M-V in der Schule mit von den Schulen kostenfrei zur Verfügung gestellten Tests stattfinden können; die Testungen sind bisher nach § 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 der 3. bzw. 4. SchulCoronaVO M-V in der Häuslichkeit des Kindesvaters auf dessen Kosten durchgeführt worden. Die Kindesmutter ist bisher auch nicht bereit gewesen, einer Impfung ihrer beiden Kinder zuzustimmen.
Mit Schriftsatz vom 20.10.2021 hat der Kindesvater beantragt, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidung (1.) für die Zustimmung zur Testung in der Schule mit einem Selbsttest für H. gegenüber dem Gymnasium pp. und für M. gegenüber dem Gymnasium pp. mit dem AMP Rapid Test SARS-CoV-2 im Rahmen der 3. Schul-Corona-Verordnung sowie den darauffolgenden zukünftigen Verordnungen und (2.) für die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 für H. und M. vorläufig zu übertragen. Die Kindesmutter hat beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.
Mit Beschluss vom 02.11.2021 hat das Amtsgericht – nach Anhörung der beteiligten Kinder, ihrer Eltern und des Jugendamtes, aber ohne den Kindern einen Verfahrensbeistand zu bestellen – im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidung über die Zustimmung (1.) zur Testung in der Schule und (2.) „zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2“ für die minderjährigen Kinder H. und M. „mit einem der beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffe (Comirnaty oder Spikevax) entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut“ vorläufig auf den Antragsteller übertragen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass angesichts des Anstiegs der Neuinfektionen in der „vierten Infektionswelle“ ein Bedürfnis für eine einstweilige Regelung bestehe. Da ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung das Risiko einer Infektion der beiden Kinder mit dem Virus SARS-CoV-2 und einer möglicherweise schweren Erkrankung berge und die Gefahr bestehe, dass die Freiheitsrechte der ungeimpften Kinder bei Fortschreiten der vierten Infektionswelle wieder eingeschränkt würden, könne eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz auch dann getroffen werden, wenn diese die Hauptsache faktisch vorwegnehme. Eine Entscheidung nach § 1628 Satz 1 BGB sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil jedenfalls H. mit der Vollendung des 16. Lebensjahres für den medizinischen Eingriff nach § 630d BGB einwilligungsfähig sein dürfte, weil es auch dann bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff – wie der noch nicht als Standard-Impfung geltenden Impfung gegen das „Corona-Virus“ – zur Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten auch der Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern im Wege eines sogenannten Co-Konsens bedürfe. Die Entscheidungsbefugnis für die Einwilligung in die Impfung sei dem Kindesvater zu übertragen, weil dieser die Impfung entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (nachfolgend: STIKO) beim Robert Koch-Institut (nachfolgend: RKI) befürworte und auf den von den Kindern geäußerten Wunsch, sich impfen lassen zu wollen, Rücksicht nehme. Aber auch bei der Zustimmung zur Testung nach § 1a Abs. 1 Nr. 1 der 3. SchulCoronaVO MV verfolge er das für das Kindeswohl bessere Konzept. Dem Sorgerechtsinhaber sei nämlich zuzubilligen, von mehreren zulässigen und geeigneten Maßnahmen die für die Familie günstigste zu wählen. Im Übrigen sei auch hierbei der Kindeswille zu beachten; beide Kinder empfänden es als eigenartig, als einzige in ihrem Klassenverband nicht in der Schule getestet zu werden.
Mit ihrer hiergegen eingelegten Beschwerde wendet die Kindesmutter ein, dass die Entscheidung über die Entscheidungsbefugnis für die Testungen und die Impfungen bei einer objektiven Nutzen-Schaden-Abwägung nicht im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens hätte getroffen werden dürfen. Die hierfür erforderliche Dringlichkeit liege nicht vor. Im Mittelpunkt des Verfahrens stehe das Kindeswohl. Die Teilnahme der Kinder am Präsenzunterricht werde wegen der im elterlichen Haushalt möglichen Tests nicht eingeschränkt. Das Kindeswohl werde aber auch nicht gefährdet, wenn die Kinder nicht geimpft würden. Die Infektionsrate und die Krankheitslast bei den Kindern und Jugendlichen sei so gering, dass selbst die STIKO es als schwierig angesehen habe, für die zwölf- bis 17-jährigen Kinder eine Entscheidung für oder gegen die Impfung zu treffen. Da ein schwerer oder gar tödlicher Verlauf einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 bei Kindern und Jugendlichen äußerst selten sei, könnten solche Folgen die angefochtene Entscheidung nicht rechtfertigen. Als Grund für eine Impfung könne aber auch nicht angeführt werden, dass die Freiheitsrechte bei einem Fortschreiten der vierten Infektionswelle wieder eingeschränkt werden könnten. Bei der Corona-Schutzimpfung handele es sich nach wie vor um eine freiwillige Impfung; eine Impfpflicht bestehe nicht. Soweit das Amtsgericht weiter ausführe, dass die Impfempfehlungen der beim RKI angesiedelten STIKO als medizinischer Standard anerkannt seien und bei einer Impfempfehlung der Nutzen der jeweiligen Impfung das Impfrisiko nach der dortigen sachverständigen Einschätzung überwiege, mag dies für die regulären Impfstoffe gelten; für die Corona-Schutzimpfung treffe dies aber nicht zu. Im Bulletin 43/2021 vom 18.10.2021 laute die Empfehlung der STIKO für Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren: „Die STIKO empfiehlt für alle 12 – 17-jährigen die COVID-19-Impfung mit zwei Dosen eines mRNA Impfstoffes (Comirnaty oder Spikevax) im Abstand von 3 – 6 bzw. 4 – 6 Wochen. Die Impfung erfordert eine ärztliche Aufklärung unter Berücksichtigung des Nutzens und des Risikos, die auch für die betroffenen Kinder und Jugendlichen verständlich sein muss.“ Weiterhin werde dort unter den Hinweisen zur praktischen Umsetzung ausgeführt: „Eine COVID-19-Impfung setzt eine sorgfältige Aufklärung der zu impfenden Person bzw. des Vorsorgebevollmächtigten und Sorgeberechtigten voraus. Bei Minderjährigen unter 14 Jahren ist regelmäßig die Einwilligung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten einzuholen. Jugendliche können selbst einwilligen, wenn sie die erforderliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit besitzen.“ Bei der Impfung seien – so die STIKO – die Anwendungshinweise in den Fachinformationen zum jeweiligen Impfstoff sowie die veröffentlichten „Rote-Hand-Briefe“ zu beachten. Die Aufklärung sei wichtiger Teil der ärztlichen Impfleistung. Vor Durchführung einer Schutzimpfung sei es ärztliche Pflicht, die zu impfende Person oder den anwesenden Elternteil bzw. Sorgeberechtigten über die zu verhütende Krankheit und die Impfung aufzuklären, damit eine wirksame Einwilligungserklärung abgegeben werden könne. Das sei bei der vom Amtsgericht getroffenen Entscheidung nicht gewährleistet. Es seien zwei Beratungsgespräche mit einem Impfarzt im Impfzentrum ohne die Kinder und eines mit der Hausärztin mit den Kindern durchgeführt worden. Beide Ärzte hätten ausdrücklich mitgeteilt, dass die Impfung für die Kinder keinen Nutzen habe, ein hohes Risiko für eine Erkrankung an COVID-19 nicht bestehe, dafür aber das Risiko sehr hoch sei, an den Nebenwirkungen einer Impfung zu erkranken. Die Hausärztin habe erklärt, dass sie selbst keine umfassende Impfaufklärung geben könne, weil die Studien noch liefen, es sich nur um eine befristete Zulassung handele und es auch keine Studien zu den mittel- und langfristigen Folgen und über die Dauer des Schutzes und der Wirksamkeit der Impfungen gebe. Sie habe auch keine Kenntnis von den „Rote-Hand-Briefen“. Dass das Amtsgericht diese Arztgespräche nicht berücksichtigt habe, obwohl sie Voraussetzung für die Entscheidung zur Impfung seien, sei nicht nachvollziehbar. Im Übrigen hätten auch die Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Institus zu ihrer Entscheidung beigetragen, der Impfung nicht zuzustimmen. Die befristete Zulassung zur Impfung von Kindern zwischen zwölf und 17 Jahren sei am 31.05.2021 für Comirnaty und 31.07.2021 für Spikevax erfolgt. Nach dem Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts seien seitdem 1809 Verdachtsfälle einer Nebenwirkung gemeldet worden. 22,4 % davon, also 405 Kinder, seien schwerwiegende, unerwünschte Reaktionen. Im Hinblick auf die Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit der Kinder könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese sich der Risiken der Nebenwirkungen und Langzeitfolgen bewusst seien. Dies könnten sie auch deshalb nicht, weil es hierzu noch keine Langzeitstudien gebe. M. habe sich selbst nicht informiert. Er habe nur den Gesprächen zwischen seinem Vater und seinem Bruder zugehört und wolle im Grunde genommen nur ein „angenehmes Leben mit mehr Freiheiten“ als Geimpfter führen. Er habe sich diesem Thema ihr – der Kindesmutter – gegenüber grundsätzlich entzogen und habe davon nichts hören wollen. Auch bei dem Gespräch mit der Hausärztin sei der Eindruck entstanden, dass er dem Gespräch nicht gefolgt sei bzw. kein Interesse bestanden habe. Die Ärztin habe nach dem Gespräch mitgeteilt, dass M. nicht die nötige Reife und das Wissen bezüglich der Erkrankung besitze. Angst vor einer Erkrankung selbst habe er nicht. Auch bei H. könne man nicht voraussetzen, dass er über die Nebenwirkungen genaue Kenntnis habe. Da im Internet widersprüchliche Aussagen über das Impfen zu finden seien und seitens der Medien und des Umfeldes (z.B. Lehrer) permanent Druck auf die Kinder und Jugendlichen ausgeübt werde, könne man nicht von einer freien individuellen Entscheidungsfindung ohne Druck von außen ausgehen. Gerade im Hinblick auf die schwerwiegenden Nebenwirkungen bzw. unerwünschten Reaktionen müsse davon ausgegangen werden, dass diese – und die daraus resultierenden Folgen, z.B. dauerhafte Schäden bzw. Behinderungen bis hin zum Tod – den Kindern nicht bekannt seien. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass Kinder dies verständen. Daher könne auch nicht von ihrer Einwilligungsfähigkeit ausgegangen werden, wenn selbst Erwachsene von diesen Erkrankungen keine Ahnung hätten und ihre Folgen auch nicht abschätzen könnten. Ob eine Impfung für ein Kind aus individuellen gesundheitlichen Gründen sinnvoll sei, könne allein der behandelnde Impf- bzw. Kinderarzt im Einzelfall nach eingehender Risikoabwägung beurteilen. Die Entscheidung träfen letztlich aber die Eltern. Der zur Begründung herangezogene Umstand, dass die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil zugesprochen werden solle, der der Impfung positiv gegenüberstehe, entspreche weder der Sach- noch der Rechtslage. Dementsprechend könne hier das Hauptsacheverfahren abgewartet werden, so dass die getroffene Entscheidung abzuändern sei.
Die Kindesmutter beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.
Der Kindesvater beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Gegen die Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Testung der Kinder in der Schule habe die Kindesmutter keine Beschwerdegründe vorgetragen. Hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis für die Impfung der Kinder sei die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Insoweit weist er auf die Beschlüsse des OLG Frankfurt vom 17.08.2021 (6 UF 120/21, juris) und des OLG München vom 18.10.2021 (26 UF 928/21, juris) sowie darauf hin, dass es eine eindeutige Empfehlung der STIKO für die Impfung minderjähriger Kinder zwischen zwölf und 17 Jahren gebe. Die Impfempfehlungen der beim RKI angesiedelten STIKO seien in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt. Angesichts der bestehenden Infektionswelle bestehe auch ein dringendes Bedürfnis für die Klärung der Entscheidungskompetenz für die Schutzimpfung. Ein Abwarten auf eine Hauptsachentscheidung berge für die Kinder nicht nur das Risiko, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren und möglicherweise schwer zu erkranken. Es bestehe auch die Gefahr, dass die Freiheitsrechte der ungeimpften Kinder wieder eingeschränkt würden. Daher sei eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch dann zu treffen, wenn sie faktisch zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führe. Der Einwand der Kindesmutter, die Infektionszahlen seien nicht besorgniserregend, sei unzutreffend. Die 7-Tagesinzidenz in Mecklenburg-Vorpommern habe am 30.11.2021 einen Wert von 402 erreicht und steige weiter an. Hinsichtlich der von der Kindesmutter dargestellten Nebenwirkungen einer Impfung sei eine Abwägung bereits im Rahmen der Sachverständigenempfehlung der STIKO vorgenommen worden; deren sachverständige Impfempfehlung für Kinder zwischen zwölf und 17 Jahren sei in Kenntnis dieser Risiken erfolgt. Im Übrigen weist der Kindesvater darauf hin, dass die Kinder die erste Impfung bereits ohne Probleme erhalten und keine erheblichen Nebenwirkungen erlitten hätten. Eine Entscheidung des Gerichts sei jedoch trotz Impfung der Kinder notwendig. Da eine Entscheidung über die Verabreichung von Impfungen sinnvollerweise nur einheitlich zu treffen sei, umfasse der angefochtene Beschluss nicht nur die derzeit von der STIKO empfohlenen Erst- und Zweitimpfungen gegen Covid-19 für alle zwölf- bis 17-jährigen Kinder, sondern auch etwaige in der Zukunft von der STIKO empfohlene Auffrischungs- bzw. Folgeimpfungen gegen Covid-19.
Der Verfahrensbeistand hat mit Schriftsatz vom 07.12.2021 über seine am 03.12.2021 mit den Kindern und ihren Eltern geführten Gespräche berichtet. Nachdem die Kindesmutter von ihm erfahren habe, dass die erste Impfung bereits durchgeführt worden sei, sei sie in Tränen ausgebrochen und über die Vorgehensweise des Kindesvaters entsetzt gewesen. Sie mache sich insbesondere um ihren älteren Sohn H. Sorgen; wörtlich habe sie mitgeteilt, dass er die Impfung nicht überleben werde; er hätte bereits als Kind Impfreaktionen gezeigt; es hätten Gegenmittel gespritzt werden müssen und es sei in der Kindheit zu Krankenhausaufenthalten gekommen. Nachdem ihr mitgeteilt worden sei, dass beide Kinder nach der ersten Impfung gesund und bei H. keine Impfreaktionen aufgetreten seien, habe sie sich zwar erleichtert gezeigt, aber erklärt, dass erfahrungsgemäß die zweite Impfung die gefährlichere sei und in vielen Fällen auch tödlich enden könnte. M. habe ihm – dem Verfahrensbeistand – erklärt, dass er keine Lust mehr auf die Gespräche mit seiner Mutter habe. Sie würde nur von Corona sprechen und wolle, dass er sich informiere. Auf Nachfrage habe M. erklärt, dass er sich nicht „wirklich“ informieren würde; er würde immer nur den Erwachsenen zuhören; wenn er Fragen habe, könne er sich auch an H. wenden. M. habe ihm mitgeteilt, dass er seine Ruhe haben möchte. Er sei jetzt geimpft. Die zweite Impfung hätte Papa erst einmal abgesagt, um die Entscheidung der „Senatoren in Rostock“ abzuwarten. Nach seinen Wünschen befragt, habe M. geantwortet, dass er sich eine Impfung wünsche. Mit der Impfung würde dann endlich Ruhe kommen. Wenn seine Mama sehe, dass nichts passiere, würde auch sie wieder richtig mit ihm sprechen. Als weiteren Wunsch habe M. geäußert, dass seine Mama nicht immer Angst haben solle; sie sei immer sehr ängstlich. H. habe ihm – dem Verfahrensbeistand – erklärt, dass er das gesamte Verfahren nicht verstehe. Seiner Meinung nach sei er alt genug, um selber entscheiden zu können. Nach seinem Kenntnisstand müsse er seine Eltern nicht mehr fragen, wenn er geimpft werden wolle. Er sei bereits einmal geimpft worden. Nebenwirkungen hätte es nicht gegeben. Er habe lediglich für einen kurzen Zeitraum einen dickeren Arm gehabt. Ob er als Kind Impfreaktionen gehabt habe, erinnere er nicht. Dass sich seine Mutter bezüglich der Impfungen Sorgen mache, sei typisch für sie; sie habe schon einmal einen Notarzt geholt, nur weil er Nasenbluten gehabt habe. Sie würde in solchen Angelegenheiten immer stark übertreiben. Weiter habe H. erklärt, dass er auch zur zweiten Impfung gehen werde. Wenn er sich die aktuellen Zahlen ansehe, möchte er lieber eine Impfung erhalten, als mögliche Erkrankungen ohne Impfung erleben. Seine Mutter mache sich keine Sorgen wegen Corona. Corona sei für sie eine Grippe. Sie mache sich Sorgen, was Corona aus der Gesellschaft mache. Der Kindesvater habe ihm – dem Verfahrensbeistand – berichtet, dass er das gerichtliche Verfahren nicht aus Boshaftigkeit eingeleitet habe, sondern weil er Angst um seine Kinder gehabt habe. Zwar könne er auch die Ängste und Zweifel der Kindesmutter verstehen und habe auch er Ängste und Zweifel. Die Entwicklung der Pandemie habe bei ihm aber zu dem Ergebnis geführt, dass es zu den Impfungen keine Alternative gebe. H. – so der Kindesvater weiter – habe bei seinen Impfungen als Kind eine Reaktion gezeigt; die Impfstelle sei heiß gewesen und der geimpfte Arm sei angeschwollen. Die erste Impfung sei am 11.11.2021 mit Biontech/Pfizer erfolgt. Die zweite Impfung habe er aus Rücksicht auf die Kindesmutter zurückgestellt. Dies sei so auch mit den Ärzten kommuniziert worden. Es würde noch ein Zeitkorridor für die zweite Impfung bestehen.
Das Jugendamt des Landkreises Ludwigslust-Parchim hat mit Schriftsatz vom 06.12.2021 Stellung genommen. Die Kindesmutter habe sich nach einem Aufklärungsgespräch im Impfzentrum und einem gemeinsam mit den Kindern bei der behandelnden Kinderärztin wahrgenommenen Termin gegen eine Impfung ausgesprochen. Sie habe sich dabei auf die Haltung der Ärztin und eine nicht ausreichende Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit der beiden Kinder berufen und zudem vorherige Impfreaktionen bei M. (gemeint H.) vorgetragen. Für das Jugendamt stelle diese Vorgehensweise der Kindesmutter zunächst einmal einen nachvollziehbaren Sachgrund dar. Die Frage, welcher Stellenwert einer diagnostizierten Vorerkrankung zukomme, ob etwaige vorherige Impfreaktionen und möglicherweise ein erhöhtes Potential an Impffolgen bestehe, habe durchaus seine Berechtigung und bedürfe der individuellen Überprüfung für jedes Kind. Allerdings könne eine Bewertung der Entscheidung der Kindesmutter letztlich nicht durch das Jugendamt erfolgen. Ebenso wie Eltern und Juristen könne auch das Jugendamt nicht mit einer medizinischen Ausbildung aufwarten. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die behandelnde Ärztin, die die Anamnese der Kinder kenne, eine entsprechende Risiko-Nutzen-Analyse in ihrem Ermessen vorgenommen habe. Demnach wäre sie möglicherweise zu befragen. Unstreitig sei aber auch, dass Kinder in ihrem Leben Freiheit und Entwicklungsmöglichkeiten benötigen und dass die COVID-Impfung nach den Empfehlungen der STIKO ein gutes Instrument sein könne, um Kindern diese Entwicklungsmöglichkeiten wiederzugeben. Zu beachten sei auch, dass Kinder und Jugendliche neben der direkten Belastung durch die Krankheit auch an den indirekten sozialen und psychischen Folgen der Pandemie litten. In diesem Kontext sei nachvollziehbar, dass junge Menschen wieder ungehinderten Zugang zu ihrer Lebenswelt haben möchten. Was für die Kinder das ausschlaggebende Argument für ihren Impfwunsch sei, sollte im Rahmen der Kindesanhörung erneut erhoben werden. Obgleich es die Impfempfehlung der STIKO gebe, bedürfe es einer ärztlichen Beratung, die in jedem Fall eine Einzelprüfung (Risiko-Nutzen-Analyse) vornehme. Die medizinisch relevanten Risikofaktoren würden bei jedem Kind variieren und sollten aus fachärztlicher Sicht in Kenntnis der Anamnese und medizinischen Vorgeschichte beurteilt werden. Diese medizinische Einschätzung könne das Jugendamt nicht vornehmen.
Der Senat hat den beteiligten Kindern mit Beschluss vom 24.11.2021 einen Verfahrensbeistand bestellt und sie und die weiteren Beteiligten am 09.12.2021 persönlich angehört.
II.
Die nach §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
1.Das für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Kindesmutter ist durch die inzwischen durchgeführten Impfungen nicht entfallen. Denn dadurch hat sich die Hauptsache schon deshalb nicht erledigt, weil nach der angefochtenen Entscheidung bisher nur die erste Impfung mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer (Comirnaty) durchgeführt worden ist, bei diesem Impfstoff für eine vollständige Grundimmunisierung zwei Impfstoffdosen erforderlich sind (vgl. STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung, Aktualisierung vom 18.11.2021, Epidemiologisches Bulletin des RKI 46/2021, Seite 11) und die beiden ersten Impfungen in sorgerechtlicher Hinsicht nur einheitlich betrachtet werden können (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.08.2021, 6 UF 120/21, juris). Davon abgesehen hätte sich die Hauptsache selbst dann nicht erledigt, wenn – wie vom Kindervater zunächst für die 48. Kalenderwoche, nunmehr aber erst für den 16.12.2021 vorgesehen – zwischenzeitlich auch die für die Grundimmunisierung mit diesem Impfstoff erforderliche zweite Impfung durchgeführt worden wäre. Denn der Kindesvater versteht den angefochtenen Beschluss dahin, dass ihm mit diesem nicht nur die elterliche Entscheidungsbefugnis für die Grundimmunisierung, sondern auch für etwaige in der Zukunft von der STIKO empfohlene Auffrischungs- und Folgeimpfungen gegen COVID-19 vorläufig übertragen worden ist (vgl. auch OLG München, Beschluss vom 18.10.2021, 26 UF 928/21, juris).
2.Soweit sich die Kindesmutter gegen die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis für die Zustimmung zur Impfung der beiden Kinder wendet, ist ihre Beschwerde teilweise begründet. Denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt nicht nur voraus, dass diese nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist. Erforderlich für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch, dass ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht (vgl. § 49 Abs. 1 FamFG). Letzteres besteht nur in Bezug auf die Erst- und Zweitimpfung der beiden Kinder gegen COVID-19 (Grundimmunisierung). Für etwaige Auffrischungs- und Folgeimpfungen besteht ein dringendes Bedürfnis für eine sofortige gerichtliche Entscheidung – derzeit – nicht.
a)Dass das Amtsgericht die elterliche Entscheidungsbefugnis für die Zustimmung zur Grundimmunisierung der beiden Kinder auf den Kindesvater übertragen hat, ist nach der hierfür maßgebenden Vorschrift des § 1628 Satz 1 BGB gerechtfertigt. Insoweit ist im Beschlusstenor lediglich klarzustellen gewesen, dass die STIKO mit der Aktualisierung ihrer Empfehlung zur COVID-19-Impfung vom 18.11.2021 empfiehlt, bei unter 30-Jährigen für die Grundimmunisierung nur noch den mRNA-Impfstoff Comirnaty von BioNTech/Pfizer einzusetzen (vgl. STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung, Aktualisierung vom 18.11.2021, Epidemiologisches Bulletin des RKI 46/2021, Seite 10).
aa)Wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, kann das Familiengericht nach § 1628 Satz 1 BGB auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Das Familiengericht hat in diesem Fall den im Rahmen der Sorgerechtsausübung aufgetretenen Konflikt der Eltern zu lösen. Entweder ist die gegenseitige Blockierung der Eltern durch die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil zu beseitigen oder durch Zurückweisung des Antrages die Angelegenheit beim gegenwärtigen Zustand zu belassen. Ein Eingriff in die – gemeinsame – elterliche Sorge nach § 1628 BGB ist nur insoweit zulässig, als das Gericht einem Elternteil die Entscheidungskompetenz überträgt, nicht hingegen darf das Gericht die Entscheidung anstelle der Eltern selbst treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017, XII ZB 157/16, juris).
bb)Die Entscheidung über die Schutzimpfung der beiden Kinder ist – darüber streiten die beteiligten Kindeseltern nicht – eine Entscheidung von erheblicher Bedeutung (vgl. für Schutzimpfungen allgemein BGH, Beschluss vom 03.05.2017, XII ZB 157/16, juris, und für die Schutzimpfung gegen COVID-19 auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.08.2021, 6 UF 120/21, juris; OLG München, Beschluss vom 08.09.2021, 26 UF 928/21, juris).
cc)Die nach § 1628 BGB zu treffende Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Wenn eine Bewahrung des gegenwärtigen Zustandes als die bessere Konfliktlösung erscheint, genügt es, den Antrag zurückzuweisen. Ob und inwiefern das Kindeswohl berührt ist, ist nach der Eigenart der zu regelnden Angelegenheit zu beurteilen, aus der sich auch die konkreten Anforderungen an die für die Entscheidung nach § 1628 BGB zu treffende Prüfung ergeben. Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017, XII ZB 157/16, juris).
(1.) Bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer Schutzimpfung kann die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO beim RKI befürwortet, jedenfalls dann übertragen werden, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektions- und Impfrisiken ist hierfür nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017, XII ZB 157/16, juris). Diese Grundsätze gelten auch für die Durchführung einer Schutzimpfung gegen COVID-19 (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.08.2021, 6 UF 120/21, juris; OLG München, Beschluss vom 18.10.2021, 26 UF 928/21, juris), so dass die elterliche Entscheidungsbefugnis für die Durchführung der Schutzimpfung (Grundimmunisierung) dem – diese befürwortenden – Kindesvater zu übertragen gewesen ist.
(2.) Soweit die Kindesmutter dagegen einwendet, dass die Impfung für die Kinder nach Aussagen eines Impfarztes und ihrer Hausärztin keinen Nutzen habe, das Risiko, an den Nebenwirkungen einer Impfung zu erkranken, aber sehr hoch sei, kann sie damit auch im Beschwerdeverfahren nicht durchdringen. Gleiches gilt für ihre Ausführungen bei der persönlichen Anhörung durch den Senat, mit denen sie eine aus ihrer Sicht unzureichende Erforschung der Wirkungen der Impfstoffe insbesondere auf Kinder und Jugendliche dargelegt hat. Denn die Impfempfehlungen der STIKO sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt worden. Daran nimmt auch die den Empfehlungen zugrundeliegende Einschätzung teil, dass der Nutzen der jeweils empfohlenen Impfung das Impfrisiko überwiegt (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017, XII ZB 157/16, juris). Der Senat sieht keinen Anlass, von diesem Grundsatz für die hier zu treffende Entscheidung abzuweichen. Er übersieht dabei nicht, dass es sich bei der COVID-19-Impfung bisher um keine langjährig bewährte Standardimpfung, sondern um eine Impfung mit einem neuen Impfstofftyp handelt. Die Expertenkommission der STIKO hat aber auch bei der Impfung gegen COVID-19 eine sorgfältige Abwägung von deren Nutzen und Risiken für die Gruppe der zwölf bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen vorgenommen (vgl. auch OLG München, Beschluss vom 18.10.2021, 26 UF 928/21, juris). Sie hat mit der Aktualisierung ihrer Empfehlung zur COVID-19-Impfung vom 18.08.2021 – nach wissenschaftlich begründeter Abwägung von Nutzen und Risiken (auch des von der Kindesmutter angesprochen Risikos einer Peri-/Myokarditis) – für alle Kinder und Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren eine Impfempfehlung mit zwei Dosen eines mRNA-Impfstoffes (Comirnaty oder Spikevax) ausgesprochen (vgl. STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung, Aktualisierung vom 19.08.2021, Epidemiologisches Bulletin des RKI 33/2021, Seite 4, 10 ff.). An ihrer grundsätzlichen Empfehlung für eine Grundimmunisierung aller Kinder und Jugendlichen in diesem Alter hat die STIKO auch in der Aktualisierung vom 18.11.2021 festgehalten und lediglich empfohlen, für diese nur noch den mRNA-Impfstoff Comirnaty von BioNTech/Pfizer einzusetzen (vgl. STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung, Aktualisierung vom 18.11.2021, Epidemiologisches Bulletin des RKI 46/2021, Seite 10).
(3.) Der Senat übersieht auch nicht, dass sich die Empfehlungen der STIKO zur Durchführung von Schutzimpfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 nach § 20 Abs. 2a IfSG in seiner seit dem 31.03.2021 geltenden Fassung nicht nur an der Reduktion schwerer oder tödlicher Krankheitsverläufe, sondern auch an der Unterbindung einer Transmission dieses Coronavirus auszurichten haben. Auch dies bietet aber keinen Anlass, von dem vom Bundesgerichtshof mit seinem Beschluss vom 03.05.2017 (XII ZB 157/16, juris) aufgestellten Grundsatz abzuweichen, weil dieser Gedanke vom Bundesgerichtshof – wenn auch noch nicht in Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 – schon in dem vorgenannten Beschluss berücksichtigt worden ist. Der Bundesgerichtshof hat schon seinerzeit darauf hingewiesen, dass Impfungen dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung dem Gemeinwohl dienen. Auch mit dem letztgenannten Aspekt haben sie aber einen Bezug zum Schutz des individuellen Kindeswohls, weil das Kind – wenn es etwa noch nicht im impffähigen Alter ist – auch von der Impfung anderer Menschen, insbesondere anderer Kinder, und der damit gesenkten Infektionsgefahr profitiert (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017, XII ZB 157/16, juris). Gleiches gilt auch für die Impfung von Kindern und Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Denn auch die für sie ausgesprochene allgemeine Impfempfehlung zielt in erster Linie auf deren direkten Schutz vor COVID-19 und assoziierten Komplikationen ab. Deren Impfung trägt aber auch relevant zur Infektions- und Krankheitsprävention in der geimpften Altersgruppe der Jugendlichen und zur Vermeidung der Transmission von SARS-CoV-2 in der Gesamtbevölkerung bei. Hiermit kann ein zusätzlicher Impfschutz auch für Kinder unter 12 Jahren erreicht werden (vgl. hierzu die wissenschaftliche Begründung der STIKO für die Empfehlung zur Impfung gegen COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen von zwölf bis 17 Jahren, Epidemiologisches Bulletin des RKI 33/2021, Seite 41).
(4.) Soweit die Kindesmutter im erstinstanzlichen Verfahren eingewendet hat, dass ihr Sohn H. bei allen klassischen Impfungen allergisch reagiert habe (40 Grad Fieber, handtellergroße Rötung und Schwellung um die Impfstelle) und sogar ein Allergie-Gegenmittel habe gespritzt werden müssen, hat sie dies in zeitlicher Hinsicht nicht näher dargelegt und auch nicht belegt. Eine ärztliche Stellungnahme zur Bedeutung (angeblich) vergangener Impfreaktionen für die COVID-19-Impfungen hat sie nicht vorgelegt. Sie hat hierzu auch mit der Beschwerdeschrift nicht weiter vorgetragen. Der Kindesvater hat als Impfreaktionen in H.s Kindheit nur eine heiße Impfstelle und einen angeschwollenen Arm bestätigt. H. selbst kann sich an Impfreaktionen nicht mehr erinnern. In Bezug auf die bei ihm bereits durchgeführte erste COVID-19-Impfung hat er gegenüber dem Verfahrensbeistand angegeben, dass es keine Nebenwirkungen gegeben und er lediglich für einen kurzen Zeitraum einen dicken Arm gehabt habe.
Soweit das Jugendamt annimmt, die von der Kindesmutter Ende September 2021 aufgesuchte Ärztin (Dr. E.) habe in Kenntnis der Anamnese der beiden Kinder eine entsprechende Risiko-Nutzen-Analyse vorgenommen, bietet das Vorbringen der Kindesmutter für eine solche Annahme keine ausreichende Grundlage. Die Kindesmutter hat als Gründe für eine von Dr. E. abgelehnte Impfung von Kindern mit den neuartigen Impfstoffen angegeben, dass sie – Dr. E. – keine vollständige und umfassende Impfaufklärung geben könne, weil es sich um eine befristete Zulassung der Impfstoffe handele, die Studien noch liefen und es noch keine Studien zu den mittel- und langfristigen Folgen und zu der Dauer der Wirksamkeit einer Impfung gebe.
(5.) Soweit die Kindesmutter mit ihrer Beschwerde umfangreich dazu ausführt, dass die von der STIKO in ihren Anwendungshinweisen geforderte sorgfältige Aufklärung der zu impfenden Person und ihrer Eltern durch die angefochtene Entscheidung nicht gewährleistet sei, ist dem nicht zu folgen. Die – für die wirksame Einwilligung – erforderliche Aufklärung der beiden Kinder wird durch die angefochtene Entscheidung nicht berührt. Dass der Kindesvater nicht in der Lage ist, einem ärztlichen Aufklärungsgespräch zu folgen und seine Zustimmung zu der Impfung der Aufklärung entsprechend zu erteilen oder zu verweigern, trägt die Kindesmutter nicht vor. Davon abgesehen liegt es in der Verantwortung des Arztes, der die Impfung letztlich durchführt, konkrete Impfrisiken zu berücksichtigen und dementsprechend zu entscheiden, ob er die Impfung durchführt oder nicht (vgl. OLG München, Beschluss vom 08.09.2021, 26 UF 928/21, juris). Im Übrigen – das scheint auch das Jugendamt in seiner Stellungnahme zu übersehen – hat auch der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob die beiden Kinder geimpft werden oder nicht. Der Senat hat lediglich darüber zu entscheiden, ob die Entscheidungsbefugnis für die elterliche Zustimmung zu einer Impfung (oder deren Versagung) dem Kindesvater allein übertragen wird oder nicht.
(6.) Die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis auf den Kindesvater wird schließlich dem Willen der beiden Kinder gerecht. Beide haben bereits gegenüber dem Amtsgericht geäußert, sich impfen lassen zu wollen. Diesen Wunsch haben sie auch gegenüber ihrem Verfahrensbeistand zum Ausdruck gebracht. Mag dieser Wunsch bei M. – wie vom Verfahrensbeistand vermutet – auch durch seine Hoffnung motiviert sein, den familiären Streit mit einer Impfung beenden zu können, mit der er seinem Vater gefalle und seiner Mutter zeigen könne, dass Impfungen nicht so schlimm seien und sie sich keine Sorgen mehr machen müsse, kann dieser Wunsch angesichts seines Alters von über vierzehn Jahren doch nicht unberücksichtigt bleiben. Erst Recht gilt dies für seinen älteren Bruder H., der nach den Ausführungen des Verfahrensbeistandes für sich bereits eine Entscheidung getroffen habe; er sei davon überzeugt, dass er selbst entscheiden könne, ob er geimpft werden möchte oder nicht. Hierzu hat auch der Verfahrensbeistand eingeschätzt, dass H.s Ausführungen zu diesem Thema fundiert und das Ergebnis seines eigenen Denkvorganges seien; er wäge ab und entscheide für sich über die Risiken und Chancen. Diesen Eindruck hat auch der Senat bei der Anhörung der beiden Kinder am 09.12.2021 gewonnen. Beide Kinder haben dort noch einmal bekräftigt, dass sie geimpft werden möchten. Dabei haben sie dem Senat ihre Gründe für ihren Impfwunsch nachvollziehbar erklärt.
dd) Der Senat kann offenlassen, ob die beiden Kinder – wie von der Kindesmutter bestritten, vom Kindervater aber angenommen und für den 14-jährigen M. jedenfalls nicht fern- und für den 16-jährigen H. sogar naheliegend – für eine Impfung bereits einwilligungsfähig sind. Der Senat braucht auch nicht generell zu entscheiden, ob es bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff – wie der noch nicht als Standardimpfung geltenden Impfung gegen das Corona-Virus – neben der nach § 630d Abs. 1 BGB erforderlichen Einwilligung eines einwilligungsfähigen Minderjährigen als der zu impfenden Person auch der Einwilligung seiner sorgeberechtigten Eltern im Wege eines sogenannten Co-Konsensens bedarf (so OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.08.2021, 6 UF 120/21, juris). Denn die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis für die Zustimmung zur Impfung wäre unter den hier gegebenen Umständen selbst dann erforderlich, wenn man mit einer verbreiteten Ansicht allein auf die Einwilligung des einwilligungsfähigen Kindes abstellen wollte (vgl. dazu allgemein Rehborn/Gescher in Erman, BGB, 16. Auflage (2020), § 630d BGB Rn. 7; K. Schmidt in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Auflage, (2020), § 630d BGB Rn. 19,20). Die STIKO weist in ihren Hinweisen zur praktischen Umsetzung ihrer Impfempfehlung nämlich darauf hin, dass die COVID-19 Impfung eine sorgfältige Aufklärung der zu impfenden Person bzw. ihres Sorgeberechtigten voraussetzt und dass bei Minderjährigen, die aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung die erforderliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit besitzen, auch ihr Wille zu berücksichtigen ist, so dass ein Konsens zwischen den Minderjährigen sowie den zur Einwilligung Berechtigten vorliegen sollte (vgl. dazu die STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung, Aktualisierung vom 18.11.2021, Epidemiologisches Bulletin des RKI 46/2021, Seite 15, dort unter Hinweis auf den vorgenannten Beschluss des OLG Frankfurt vom 17.08.2021, 6 UF 120/21). Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass ein für die Impfung der beiden Kinder ausgewählter Arzt deren Impfung – unter Beachtung dieser Hinweise – nicht nur von deren Einwilligung, sondern auch von der Einwilligung ihres Sorgeberechtigten abhängig macht, so dass für die vom Kindesvater begehrte Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis ein Bedürfnis besteht.
b) Das für eine einstweilige Anordnung erforderliche dringende Bedürfnis besteht insoweit aber nur für die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis für die Grundimmunisierung. Nur insoweit liegt es – angesichts des auch in Mecklenburg-Vorpommern sehr dynamischen und stark ausgeprägten Infektionsgeschehens – namentlich der sogenannten „vierten Welle“ – auf der Hand (vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.08.2021, 6 UF 120/21, juris). Soweit der Kindesvater mit seinem Antrag begehrt, ihm auch die Entscheidungsbefugnis für „gegebenenfalls in der Zukunft von der STIKO empfohlene Auffrischungs- bzw. Folgeimpfungen gegen COVID-19“ zu übertragen, hat er das für eine einstweilige Anordnung erforderliche dringende Bedürfnis indes nicht schlüssig dargelegt und ist ein solches – derzeit – auch nicht ersichtlich. Nach der Aktualisierung der STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung vom 29.11.2021 soll eine COVID-19-Auffrischimpfung bei Personen ab 18 Jahren „in der Regel im Abstand von 6 Monaten zur letzten Impfstoffdosis der Grundimmunisierung“ durchgeführt werden (vgl. dazu die STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung, Aktualisierung vom 29.11.2021, Epidemiologisches Bulletin des RKI 48/2021, Seite 3). Für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren gibt es derzeit noch nicht einmal eine solche Impfempfehlung. Soweit der Kindesvater etwas Anderes aus dem Beschluss des OLG München vom 18.10.2021 (26 UF 928/21, juris) herzuleiten versucht, übersieht er, dass diese Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren ergangen ist.
3. Soweit sich die Kindesmutter gegen die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis für die Zustimmung zur Durchführung des Selbsttest der beiden Kinder in den von ihnen besuchten Schulen wendet, ist ihre Beschwerde nicht begründet, weil der Erlass der einstweiligen Anordnung nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und insoweit ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht (vgl. § 49 Abs. 1 FamFG).
a) Die Entscheidungsbefugnis für die Zustimmung zu den Selbsttests ist nach § 1628 Abs. 1 BGB vorläufig dem Kindesvater zu übertragen, weil sein Lösungsvorschlag dem Kinderwohl (§ 1697a BGB) besser gerecht wird, als der der Kindesmutter (vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 26.07.2021, 7 UF 84/21, juris). Die Teilnahme der Kinder an den in den Schulen durchgeführten Tests wird von diesen nicht nur aus nachvollziehbaren Gründen gewünscht. Nachvollziehbare Gründe, diesem – berechtigten – Wunsch der beiden Kinder nicht zu folgen, hat die Kindesmutter schon im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorzutragen vermocht.
b) Insoweit besteht auch ein dringendes Bedürfnis für die einstweilige Anordnung. Soweit die Kindesmutter hiergegen mit der Beschwerde lediglich einwendet, die Entscheidung hätte bei objektiver Nutzen-Schaden-Abwägung nicht im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens ergehen dürfen, weil die Teilnahme der Kinder am Präsenzunterricht wegen der im elterlichen Haushalt möglichen Tests nicht eingeschränkt werde, überzeugt dies nicht. Gefahren, die ihren Kindern bei der Durchführung der Selbsttests in der Schule drohen könnten, hat die Kindesmutter nicht aufzuzeigen vermocht und sind auch nicht ersichtlich. Daher erschließt sich nicht, warum eine Nutzen-Schadenabwägung gegen die angefochtene einstweilige Anordnung sprechen könnte. Der Senat übersieht schließlich nicht, dass die für die Teilnahme der beiden Kinder am Präsenzunterricht erforderliche Testung nach näherer Maßgabe des § 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 der 3. bzw. 4. SchulCoronaVO M-V auch in der Häuslichkeit erfolgen kann. Diese Möglichkeit ist aber derzeit nicht mehr gesichert. Denn der benachbarte Landkreis Mecklenburgische Seenplatte hat angesichts des stark ausgeprägten Infektionsgeschehens bereits festgelegt, dass die für die Teilnahme der Schüler am Präsenzunterricht erforderlichen Tests in der Schule erfolgen und nicht mehr zu Hause vorgenommen werden können (vgl. dazu die Pressemitteilung des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte vom 02.12.2021 „Zwei Tests pro Woche für alle Schüler“, www.lk-mecklenburgische-seenplatte.de/Aktuelles/Presse/Pressemitteilungen). Angesichts des sehr dynamischen und stark ausgeprägten Infektionsgeschehens liegt daher auch für die von den Kindern im Landkreis Ludwigslust-Parchim bzw. in der kreisfreien Stadt Schwerin besuchten Schulen nicht mehr fern, dass auch diese die Teilnahme am Präsenzunterricht von einer Durchführung der Selbsttests in der Schule abhängig machen werden, so dass ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, die Entscheidungsbefugnis auch insoweit vorläufig auf dem Kindesvater zu übertragen.
4. Die Kostenentscheidung folgt für beide Instanzen aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Es entspricht billigem Ermessen, dass der Kindesvater und die Kindesmutter die Gerichtskosten in beiden Instanzen jeweils zu Hälfte tragen und ihre außergerichtlichen Kosten nicht erstattet werden. Den beiden minderjährigen Kindern sind nach § 81 Abs. 3 FamFG keine Kosten aufzuerlegen gewesen.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.