Bundesgerichtshof
Az: XII ZR 90/05
Urteil vom 26.09.2007
Leitsätze:
a) In der Berücksichtigung einer vom Unterhaltsschuldner getragenen Gesamtschuld bei der Bemessung des Kindesunterhalts kann regelmäßig keine anderweitige Bestimmung gesehen werden, die Ausgleichsansprüche zwischen den Ehegatten nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ausschließt.
b) Zur Anwendbarkeit deutschen Rechts auf einen Gesamtschuldnerausgleich zwischen ausländischen Staatsangehörigen, die im Inland gemeinsam ein Darlehen aufgenommen haben.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2007 für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Mai 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der Beklagten, von der er seit Mai 1999 geschieden ist, hälftige Erstattung erbrachter Rückzahlungen auf Darlehensverbindlichkeiten.
Die Parteien haben während der Ehe – am 12. Juni 1996 – ein Darlehen über 50.000 DM aufgenommen, das der Kläger seit Mai 1999 allein mit monatlichen Raten von 747,93 DM (382,41 EUR) zurückgezahlt hat. Bis März 2001 hat er hierauf insgesamt 17.202,39 DM (8.795,44 EUR) bezahlt. Am 13. März 2001 hat er den noch offenen Restbetrag umgeschuldet. Auf das ohne die Beklagte aufgenommene Darlehen leistet er monatliche Raten von 532,63 DM (272,33 EUR). Für die Zeit von April 2001 bis November 2003 hat er insofern insgesamt 17.044,16 DM (8.714,54 EUR) gezahlt.
Für die aus der Ehe hervorgegangenen Söhne Cenk, geboren am 2. April 1988, und Cem, geboren am 1. Juni 1992, hat der Kläger von 1997 bis Anfang 2000 Unterhaltsleistungen von zusammen 500 DM monatlich erbracht. Nach Einstellung der Zahlungen haben die Kinder, vertreten durch die Beklagte, im April 2000 Klage auf Kindesunterhalt für die Zeit ab März 2000 erhoben. In dem betreffenden Verfahren wurde der Kläger durch das Oberlandesgericht verurteilt, für Cenk monatlich 525 DM (286,43 EUR) und für Cem monatlich 444 DM (227,01 EUR) zu zahlen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei im Innenverhältnis zur hälftigen Erstattung der Darlehensraten verpflichtet. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage unter anderem mit der Begründung begehrt, bei der Verurteilung zur Zahlung von Kindesunterhalt seien die Kreditverpflichtungen einkommensmindernd berücksichtigt worden, weshalb ein Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis nicht bestehe.
Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 1.912,06 EUR (hälftige Kreditraten für die Zeit von Mai 1999 bis Februar 2000) zuzüglich Zinsen stattgegeben; im Übrigen hat es sie abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Das Berufungsgericht hat einen über den vom Landgericht zuerkannten Betrag hinausgehenden Ausgleichsanspruch verneint und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Eine Haftung der Beklagten im Innenverhältnis komme nicht in Betracht, weil die Kreditraten bei der Ermittlung des für die Unterhaltspflicht maßgebenden Nettoeinkommens des Klägers zu dessen Gunsten berücksichtigt worden seien. Wegen der Anrechnung der Tilgungsraten habe er bei der Bestimmung des Kindesunterhalts einen vermögenswerten Ausgleich erhalten. Einen nochmaligen Ausgleich seiner Zahlungen im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs könne er nicht verlangen. Es könne zwar sein, dass die Anrechnung der Kreditraten nicht in gleichem Umfang zu einer unterhaltsrechtlichen Entlastung führten. Dem Kläger sei es aber unbenommen gewesen, die Kreditraten nur zur Hälfte von seinem Einkommen abzuziehen und die andere Hälfte von der Beklagten zu verlangen. Mit der anderen Handhabung sei eine anderweitige Bestimmung im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB getroffen worden.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
2. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings deutsches Recht angewandt, selbst wenn die Parteien – was nicht festgestellt worden ist – noch türkische Staatsangehörige sein sollten.
Bei dem hier geltend gemachten Gesamtschuldnerausgleich unterliegt der Rückgriff des leistenden Schuldners nach Art. 33 Abs. 3 Satz 2 EGBGB dem Schuldstatut des Leistenden im Außenverhältnis zu dem Gläubiger (Palandt/Heldrich BGB 66. Aufl. Art. 33 EGBGB Rdn. 3). Der der Gesamtschuld zugrunde liegende Darlehensvertrag unterliegt mangels festgestellter abweichender Rechtswahl (Art. 27 EGBGB) dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Dabei wird vermutet, dass ein Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder, wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, ihre Hauptverwaltung hat. Ist der Vertrag in Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Partei geschlossen worden, so wird vermutet, dass er die engsten Verbindungen zu dem Staat aufweist, in dem sich die maßgebliche Niederlassung der Partei befindet (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 EGBGB).
Charakteristische Leistungen im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 EGBGB erbringt beim Darlehensvertrag der Darlehensgeber (Palandt/Heldrich aaO Art. 28 EGBGB Rdn. 13). Bei einem Bankdarlehen, wie es die Parteien von der D. Bank AG – Filiale S. – in Anspruch genommen haben, ist danach das Recht der (Haupt-) Niederlassung der Bank maßgebend (Palandt/Heldrich aaO Art. 28 EGBGB Rdn. 13) oder, falls es sich um einen Verbraucherkredit handelt, gemäß Art. 29 Abs. 2 EGBGB das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Beide Anknüpfungen führen hier zur Anwendbarkeit deutschen Rechts.
3. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass die Parteien für das von ihnen 1996 aufgenommene Darlehen als Gesamtschuldner hafteten. Nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Insofern kommt zunächst ein Ausgleichsanspruch des Klägers hinsichtlich des gemeinsam mit der Beklagten aufgenommenen Darlehens in Betracht, auf das er bis März 2001 monatliche Zahlungen geleistet hat, deren hälftige Erstattung er verlangt. Darüber hinaus kann sich ein Ausgleichsanspruch aber auch bezüglich des im Jahr 2001 aufgenommenen Darlehens ergeben, das zum Zweck der Umschuldung in Anspruch genommen worden ist und für das die Beklagte im Verhältnis zur Bank nicht gesamtschuldnerisch haftet. Durch die Umschuldung muss die mit dem Eingehen der ursprünglichen Darlehensverpflichtung grundsätzlich begründete hälftige Haftung der Beklagten im Innenverhältnis nicht berührt worden sein, etwa wenn die Maßnahme im beiderseitigen wirtschaftlichen Interesse der Parteien erfolgt ist (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1991 – IX ZR 38/90 – FamRZ 1991, 1162, 1163). Das kann mangels entgegenstehender Feststellungen für das Revisionsverfahren jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, weil auf das neue Darlehen monatlich wesentlich geringere Raten zu zahlen sind, so dass die monatliche Belastung des Klägers gesunken ist.
4. Entscheidend ist danach, ob nach dem Scheitern der ehelichen Lebensgemeinschaft der Parteien die in § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB für den Regelfall angeordnete hälftige Haftung eingreift oder ob nunmehr – anstatt der ehelichen Lebensgemeinschaft – andere Umstände vorliegen, aus denen sich eine anderweitige Bestimmung und damit ein vom Regelfall abweichender Verteilungsmaßstab ergibt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für eine anderweitige Bestimmung im Sinne der genannten Vorschrift nicht eine Vereinbarung der Parteien erforderlich, sie kann sich vielmehr aus dem Sinn und Zweck eines zwischen den Gesamtschuldnern bestehenden Rechtsverhältnisses oder „aus der Natur der Sache“ ergeben, mithin aus der besonderen Gestaltung des tatsächlichen Geschehens (Senatsurteile vom 30. November 1994 – XII ZR 59/93 – FamRZ 1995, 216, 217 m.w.N. und vom 11. Mai 2005 – XII ZR 289/02 – FamRZ 2005, 1236, 1237).
Die Auffassung des Berufungsgerichts, solche Umstände lägen hier vor und schlössen die geltend gemachten Ansprüche für die Zeit ab März 2000 aus, hält der revisionsrechtlichen Prüfung und den Angriffen der Revision indessen nicht stand.
a) Wie der Senat bereits entschieden hat, liegt eine anderweitige Bestimmung, die die grundsätzliche Haftung von Gesamtschuldnern zu gleichen Teilen im Innenverhältnis verdrängt, dann nahe, wenn die alleinige Schuldentilgung durch einen der getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten bei der Berechnung des dem anderen zustehenden Unterhalts bereits berücksichtigt wurde. Denn dies führt zu einer dem hälftigen Schuldenabtrag nahezu entsprechenden Reduzierung des Unterhalts und damit wirtschaftlich zu einer mittelbaren Beteiligung des Unterhaltsberechtigten am Schuldenabtrag. Ist es zu einer Unterhaltsberechnung unter Berücksichtigung der Kreditraten gekommen, sei es einverständlich, sei es aber auch durch Urteil, so kann darin eine anderweitige Bestimmung gesehen werden, die Ausgleichsansprüche nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ausschließt (Senatsurteil vom 11. Mai 2005 – XII ZR 289/02 – FamRZ 2005, 1236, 1237; OLG Köln NJW-RR 1995, 1281, 1282; OLG München FamRZ 1996, 291, 292; OLG Zweibrücken FamRZ 2005, 910 und FamRZ 2002, 1341; Wever Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts 4. Aufl. Rdn. 330 und FamRZ 1996, 905, 908; Kleinle FamRZ 1997, 8, 10 f.; Haußleiter/Schulz Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung 4. Aufl. Kap. 6 Rdn. 51; Schulz FPR 2006, 472, 474; Scholz/Stein/Uecker Praxishandbuch Familienrecht Teil C Rdn. 51; Bosch FamRZ 2002, 366, 369; Staudinger/Noack BGB 2005, § 426 Rdn. 224; Palandt/Grüneberg aaO § 426 Rdn. 9 b).
b) Damit nicht vergleichbar ist aber der Fall, dass eine vom Unterhaltsschuldner allein getragene Gesamtschuld bei der Bemessung des Kindesunterhalts berücksichtigt wird. Es handelt sich insoweit schon nicht um wechselseitige Ansprüche der Ehegatten. Abgesehen davon wird durch diese Vorgehensweise im Ergebnis keine nahezu hälftige Aufteilung der Schuldentilgung unter den Ehegatten herbeigeführt.
Denn eine gegebenenfalls erfolgende Eingruppierung des Unterhaltsschuldners in eine niedrigere Gruppe der Unterhaltstabellen führt nur in eingeschränktem Umfang zu einem reduzierten Kindesunterhalt und deshalb regelmäßig nicht zu einem angemessenen Äquivalent für die alleinige Belastung mit der Gesamtschuld. Im Übrigen entfällt bei dieser Fallgestaltung aber auch die mittelbare Beteiligung des anderen Ehegatten an der Schuldentilgung. Er braucht keine Kürzung seines Unterhalts hinzunehmen, hat aber auch den reduzierten Kindesunterhalt grundsätzlich nicht auszugleichen. Denn den bei ihm lebenden Kindern ist er nicht barunterhaltspflichtig, sondern erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt der Kinder beizutragen, in der Regel durch deren Pflege und Erziehung (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB). Im Hinblick darauf kann in der Berücksichtigung der vom Unterhaltsschuldner getragenen Gesamtschuld bei der Bemessung des Kindesunterhalts regelmäßig keine anderweitige Bestimmung gesehen werden, die Ausgleichsansprüche nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ausschließt (ebenso Wever Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts 4. Aufl. Rdn. 333; Schulz FPR 2006, 472, 474; Scholz/Stein/Uecker aaO Teil C Rdn. 51; anderer Ansicht: OLG Celle FamRZ 2001, 1071; Landgericht Oldenburg FamRZ 2003, 1191; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW-RR 2005, 1240 ff., das die Frage, ob die Berücksichtigung des Wohnvorteils eines im Miteigentum stehenden Hauses bei der Berechnung des Kindesunterhalts dem Verlangen des ausgezogenen Ehegatten auf Nutzungsvergütung entgegensteht, verneint).
5. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als richtig. Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, die Beklagte habe vorgetragen, die Parteien hätten sich im September 1996 darüber geeinigt, dass der Kläger für die beiden Kinder monatlichen Unterhalt von nur 500 DM zahlen und im Gegenzug die Kreditverbindlichkeit tilgen solle, ist das Vorbringen nicht geeignet, eine anderweitige Bestimmung im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zu begründen. Wie das Landgericht festgestellt hat, ist die behauptete Vereinbarung vom Kläger in Abrede gestellt worden. Seinem Vorbringen zufolge hat er die alleinige Kreditübernahme davon abhängig gemacht, dass die Beklagte ihren Miteigentumsanteil an dem Grundbesitz in Istanbul auf ihn überträgt. Dazu sei es aber nicht gekommen. Abgesehen davon wäre die Geschäftsgrundlage der behaupteten Abrede aber auch entfallen, als der Kläger die monatlichen Unterhaltszahlungen von 500 DM einstellte. Dies war Anlass für die Erhebung der Klage auf Zahlung von Kindesunterhalt für die Zeit ab März 2000. Von da an kann die behauptete Vereinbarung mithin keine Wirkung mehr entfalten. Für die Zeit bis Februar 2000 hat das Landgericht dem Klageanspruch aber bereits stattgegeben.
6. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.
Der Senat ist auch nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden, da es weiterer Feststellungen zur Höhe des Ausgleichsanspruchs bedarf. Das Berufungsgericht hat sich – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – nicht mit dem Einwand der Beklagten befasst, mit der im Jahr 2000 erfolgten Kreditaufnahme sei auch ein weiteres, nicht ehebedingtes Darlehen des Klägers über 6.400 DM umgeschuldet worden. Das wird nachzuholen sein.