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Kirchenaustritt: Kein höherer Anspruch auf Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld

SOZIALGERICHT DORTMUND

Az.: S 5 AL 264/01

Urteil vom 12.07.2002


In dem Rechtsstreit hat die 5. Kammer des Sozialgerichts Dortmund auf die mündliche Verhandlung vom 12.07.2002 für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe von Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld. Die Klägerin begehrt höhere Leistungen, weil sie keiner Kirche angehört.

Vom 01.01.2000 bis zum 21.06.2000 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines wöchentlichen Bemessungsentgeltes von 1.040,00 DM und anschließend vom 22.06.2000 bis zum 16.08.2000 auf der Grundlage eines wöchentlichen Bemessungsentgeltes von 1.140,00 DM.

Danach bezog sie vom 17.08.2000 bis zum 16.05.2001 Krankengeld.

Am 17.05.2001 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Wegen einer Weiterbildungsmaßnahme, die am 21.05.2001 begann, beantragte sie gleichzeitig Unterhaltsgeld.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 15.06.2001 Arbeitslosengeld, das für die Zeit vom 17.05.2001 bis 20.05.2001 gezahlt wurde. Mit Bescheid vom 25.06.2001 bewilligte sie Unterhaltsgeld für die Zeit vom 21.05.2001 bis 29.04.2002, dem Ende der Bildungsmaßnahme. Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld betrugen jeweils 407,68 DM wöchentlich, berechnet auf der Grundlage eines wöchentlichen Bemessungsentgeltes von 1.150,00 DM, der Leistungsgruppe A und dem allgemeinen Leistungssatz von 60 %.

Mit Schreiben vom 17.07.2001 – Eingang beim Arbeitsamt Dortmund am 20.07.2001 – legte die Klägerin gegen beide Bescheide Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, sie gehöre keiner Religionsgemeinschaft an, die Leistungstabellen würden jedoch Kirchensteuerabzüge enthalten. Ob dies rechtens sei, sei nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zweifelhaft.

Mit einem Widerspruchsbescheid vom 09.08.2001 wies die Beklagte beide Widersprüche zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch bei konfessionslosen Arbeitslosen ein Kirchensteuerhebesatz in Abzug gebracht werden könne, solange die Mehrheit der Arbeitnehmer noch einer Kirche angehöre. Letzteres sei zur Zeit noch der Fall.

Dagegen hat die Klägerin am 12.09.2001 Klage erhoben.

Zur Begründung verweist sie auf ihren Widerspruch vom 17.07.2001.

Die Klägerin beantragt, die Bescheide vom 15.06.2001 und 25.06.2001 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld ohne die Berücksichtigung von Kirchensteuer als gewöhnlichen Abzug zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, Az.: …. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide vom 15.06.2001 und 25.06.2001 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2001 nicht in ihren Rechten verletzt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn diese Bescheide sind rechtmäßig. Es besteht weder ein Anspruch der Klägerin auf höheres Arbeitslosengeld noch auf höheres Unterhaltsgeld.

Insbesondere hat die Beklagte zu Recht entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen einen so genannten Kirchensteuerhebesatz bei der Ermittlung des Leistungsentgeltes berücksichtigt. Leistungsentgelt ist gem. § 136 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) das um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderte Entgelt. Entgeltabzüge in diesem Sinne sind nach § 136 Abs. 2 SGB III unter anderem Steuern. Nach § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III ist auch die Kirchensteuer zu berücksichtigen, und zwar nach dem im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz.

Diese gesetzlichen Vorschriften sind nicht verfassungswidrig. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1994 ausgesprochen, die im Interesse der Praktikabilität mit den genannten Vorschriften erfolgte verfassungsrechtlich zulässige Typisierung und Pauschalierung finde ihre Grenze am rechtstaatlichen Gebot der Rechtsklarheit, wenn nicht mehr davon auszugehen sei, dass die „überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer“ Kirchensteuer zu zahlen hat und „deren Abzug nicht sehr stark ins Gewicht fällt“ (BVerfGE 90, 226, 236 ff.). Nach Feststellungen des Bundessozialgerichts entrichteten jedoch 1995 etwa 60 % und 1999 noch etwa 57 % der Arbeitnehmer Kirchensteuer (vgl. BSG vom 08.11.2001, B 11 AL 43/01 R und BSG vom 21.03.2002, B 7 AL 18/01 R). Jedenfalls für die Zeit bis 1999 ist das BSG vor diesem Hintergrund nicht zu der Überzeugung gelangt, „dass die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer keiner zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche mehr angehört“ (vgl. BSG aaO). Hieraus folgerte es, die Bemessung des Arbeitslosengeldes sei noch verfassungsgemäß.

Für die hier streitigen Jahre 2001 und 2002 liegen konkrete Zahlen zwar nicht vor. Doch selbst wenn der Trend aus der Kirche auszutreten nach 1999 unvermindert angehalten hätte, d.h., dass weitere etwa 3 % der Arbeitnehmer aus den Kirchen ausgetreten wären, müsste immer noch von einer Mehrheit der Kirchensteuer zahlenden Arbeitnehmer ausgegangen werden (57% – 3% = 54%). Daraus folgt im Anschluss an die oben genannten Rechtsprechung des BSG, dass die Bemessung des Arbeitslosengeldes auch in den Jahren 2001 und 2002 noch immer verfassungsgemäß ist.

Weil auf die Berechnung des Unterhaltsgeldes gem. § 157 Abs. 1 Nr. 2 SGB III die Vorschriften über das Arbeitslosengeld hinsichtlich der Höhe anzuwenden sind, ist vorliegend auch die Berechnung des Unterhaltsgeldes zutreffend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat die Berufung zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG beimisst. Denn das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 21.03.2002, B 7 AL 18/01 R, ausgeführt, es könnte sich für die Zeit nach 1999 für den Gesetzgeber die Notwendigkeit zum Handeln ergeben, weil sich das Verhältnis der Kirchenlohnsteuer entrichteten Arbeitnehmer zu denjenigen, die keine Kirchenlohnsteuer entrichten, auf einen Grenzwert zu bewege, der das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gebot der Normenklarheit beeinträchtigen könnte. Das BVerfG ist in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1994 im Übrigen eine „überwiegenden Mehrheit“ der Arbeitnehmer gefordert, die Kirchensteuer zahlt.

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