BGH
Az: IX ZR 53/05
Urteil vom 18.05.2006
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2006 für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 24. Februar 2005 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der beklagte Steuerberater war ständig mit der steuerlichen Beratung und Betreuung der Kläger sowie der H. GmbH (fortan: GmbH), an welcher der Kläger zu 2 beteiligt ist, beauftragt. Die Parteien hatten schon in den Jahren 1999 und 2000 über die Frage der Ausschüttung des im Jahr 1998 in der GmbH entstandenen Gewinns gesprochen. Entsprechend dem Rat des Beklagten war zunächst von einer Ausschüttung abgesehen worden. Im Hinblick auf die am 1. Januar 2002 in Kraft tretende Umstellung des Körperschaftsteuer- und des Einkommensteuerrechts vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren empfahl der Beklagte mit Schreiben vom 29. Oktober 2001, den besagten Gewinn, der mit 45 v. H. Körperschaftsteuer belastet war (fortan auch: EK 45), zum 31. Dezember 2001 auszuschütten. Dadurch könne ein steuerlicher Nachteil in Höhe von 171.321,00 DM vermieden werden. Auf die dabei anfallende Kirchensteuer wies der Beklagte nicht hin; er hatte vergessen, sie in die Vergleichsrechnung einzustellen. Die Kläger folgten der Empfehlung des Beklagten. Aufgrund der Gewinnausschüttung hatten sie zusätzliche Kirchensteuer in Höhe von 153.644,58 DM zu zahlen; nachdem sie diesen Betrag im folgenden Jahr als Sonderausgabe geltend gemacht hatten, verblieb eine Mehrbelastung von 40.195,77 Euro. Mit Wirkung vom 30. Dezember 2003 sind die Kläger aus der Kirche ausgetreten.
Die Kläger verlangen den Betrag von 40.195,77 Euro ersetzt. Sie haben die Ansicht vertreten, der Beklagte habe sie im zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000, spätestens aber im Schreiben vom 29. Oktober 2001 auf die bei Gewinnausschüttungen im Jahre 2001 zu erwartende Kirchensteuerbelastung hinweisen müssen. Sie haben behauptet, sie hätten in diesem Fall unverzüglich den Kirchenaustritt erklärt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt (DStR 2005, 621 = VersR 2006, 557): Allgemeine Belehrungen über die Möglichkeit des Kirchenaustritts und die daraus folgende Steuerersparnis schulde ein Steuerberater nicht. Ohne einen besonderen Auftrag sei der Beklagte Ende 2000/Anfang 2001 auch nicht verpflichtet gewesen, die Kläger konkret auf mögliche Folgen einer beabsichtigten Gewinnausschüttung hinzuweisen. Eine derartige Verpflichtung folge insbesondere nicht aus Gesprächen in früheren Jahren über die Frage einer Gewinnausschüttung. Allerdings habe der Beklagte Pflichten aus dem Mandat verletzt, indem er im Oktober 2001 auf die konkrete Anfrage hin nicht vollständig und richtig über die steuerlichen Folgen einer Gewinnausschüttung belehrt habe. Bei einer Vergleichsrechnung hätte die Kirchensteuer berücksichtigt werden müssen. Dieser Fehler habe sich jedoch nicht ausgewirkt. Die Kläger hätten die gemäß § 287 ZPO erforderlichen Anhaltspunkte dafür, dass sie bei pflichtgemäßer Aufklärung über die anfallende Kirchensteuer bereits im Jahre 2001 aus der Kirche ausgetreten wären, nicht dargetan. Der Beweis des ersten Anscheins gelte insoweit nicht.
II.
Diese Ausführungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung stand.
1. Durch das Schreiben vom 29. Oktober 2001, das die Folgen einer Gewinnausschüttung nur unvollständig darstellte, hat der Beklagte seine Mandatspflichten verletzt. Diese Pflichtverletzung war jedoch nicht ursächlich für den jetzt erstattet verlangten Schaden.
a) Entgegen der in den Vorinstanzen geäußerten Ansicht des Beklagten entfiel eine Pflicht zur Belehrung über Entstehen und Umfang der mit der Ausschüttung verbundenen Kirchensteuerbelastung und die Möglichkeit ihrer Vermeidung nicht deshalb, weil die Entscheidung, Kirchenmitglied zu bleiben oder aber den Kirchenaustritt zu erklären, höchstpersönlicher Natur ist. Ein Steuerberater ist grundsätzlich zwar nicht verpflichtet, einem Mandanten den Kirchenaustritt zu empfehlen. Hat er jedoch aufgrund des ihm erteilten Auftrags die steuerlichen Vor- und Nachteile verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten darzustellen, so muss er in der Regel auf die anfallende Kirchensteuer hinweisen. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese das übliche Maß übersteigt, also nicht lediglich 8 oder 9 v.H. der zu zahlenden Lohn- oder Einkommensteuer beträgt (vgl. auch Zugehör DStR 2003, 1124, 1126; Petersen ZevKR 51 (2006) 103, 104). In einem solchen Fall kann die Höhe der Kirchensteuer von erheblicher Bedeutung für die zu treffende Entscheidung sein. Oft wird der Mandant überdies nicht nur vor der Frage stehen, ob er aus der Kirche austritt oder nicht. Die erhaltenen Informationen können ihn vielmehr auch veranlassen, eine andere Gestaltung zu wählen, die geringere Belastungen mit sich bringt. Die Steuerberatung soll die dem Auftraggeber fehlende Sach- und Rechtskunde auf diesem Gebiet ersetzen, so dass er seine eigenen Angelegenheiten sachgerecht entscheiden kann (BGH, Urt. v. 20. Oktober 2005 – IX ZR 127/04, WM 2005, 2345, 2346).
Die Belehrung war nicht wegen fehlender Belehrungsbedürftigkeit der Kläger entbehrlich. Jeder Steuerzahler weiß zwar, dass er nur bei Zugehörigkeit zu einer Kirche Kirchensteuer zahlen muss und dass er die Kirchensteuerpflicht durch den Austritt aus der Kirche beenden kann. Er geht jedoch regelmäßig davon aus, lediglich einen Zuschlag zur Lohn- oder Einkommensteuer in Höhe von 8 oder 9 v.H. entrichten zu müssen. Im vorliegenden Fall hatten die Kläger für das Jahr 2001 jedoch nicht nur einen Bruchteil der Einkommensteuer an Kirchensteuer zu zahlen, sondern fast deren dreifachen Betrag. Das lag an dem bis zum Steuersenkungsgesetz vom 26. Oktober 2000 geltenden Anrechnungsverfahren. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. war auf die Einkommensteuer die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaft oder Personenvereinigung anzurechnen. Die Kirchensteuer wurde demgegenüber auf der Grundlage der nicht durch Anrechnungen verminderten Einkommensteuerschuld berechnet (§ 51a Abs. 2 EStG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen, fortan: KiStG NW). Die Anrechnungsmethode nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. und deren Nichtanwendbarkeit für Kirchensteuern waren einem steuerrechtlich nicht vorgebildeten Steuerzahler in der Regel nicht bekannt. Davon hatte auch der Beklagte auszugehen.
b) Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Beratung verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Mandant nach § 287 ZPO zu beweisen hat (BGHZ 129, 386, 399; BGH, Urt. v. 21. Juli 2005 – IX ZR 49/02, WM 2005, 2110). Um beurteilen zu können, wie ein Mandant sich nach pflichtgemäßer anwaltlicher oder steuerlicher Beratung verhalten hätte, müssen die Handlungsalternativen geprüft werden, die sich ihm stellten; deren Rechtsfolgen müssen ermittelt sowie miteinander und mit den Handlungszielen des Mandanten verglichen werden (BGH, Urt. v. 13. Januar 2005 – IX ZR 455/00, WM 2005, 1615, 1616; Urt. v. 21. Juli 2005, aaO S. 2111).
aa) Auf einen Beweis des ersten Anscheins können sich die Kläger nicht berufen.
(1) Im Rahmen von Verträgen mit rechtlichen Beratern gilt die Vermutung, dass der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte, nur, wenn im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend informierten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre. Voraussetzung sind danach tatsächliche Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Berater aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahe gelegt hätten. Die Beweiserleichterung zugunsten des Mandanten gilt also nicht generell. Sie setzt einen Tatbestand voraus, bei dem der Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beraters und einem bestimmten Verhalten seines Mandanten typischerweise gegeben ist, beruht also auf Umständen, die nach der Lebenserfahrung eine bestimmte tatsächliche Vermutung rechtfertigen (BGHZ 123, 311, 314 f).
(2) Im November 2001 ließen schon die wirtschaftlichen Gegebenheiten mehr als nur eine mögliche vernünftige Entscheidung der Kläger zu.
(a) Die Kirchensteuerbelastung infolge einer Gewinnausschüttung im Monat Dezember 2001 konnte zu diesem Zeitpunkt nur noch zu einem geringen Teil vermieden werden. Nach § 3 Abs. 2 KiStG NW in der vom 1. Januar 2001 an geltenden Fassung endet die Kirchensteuerpflicht bei einem nach Maßgabe der staatlichen Vorschriften erklärten Kirchenaustritt zwar mit Ablauf des Kalendermonats, in dem die Erklärung des Kirchenaustritts wirksam geworden ist. Wirksam wird der Kirchenaustritt mit dem Ablauf des Tages, an dem die Niederschrift der Austrittserklärung unterzeichnet oder die schriftliche Erklärung beim Amtsgericht eingegangen ist (§ 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung des Austritts aus Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften des öffentlichen Rechts des Landes Nordrhein-Westfalen). Wären die Kläger sofort im November 2001 aus der Kirche ausgetreten, wären sie vom 1. Dezember 2001 an nicht mehr kirchensteuerpflichtig gewesen. Bei der Berechnung der Kirchensteuer für das Jahr 2001 wäre eine Gewinnausschüttung im Dezember 2001 jedoch gleichwohl berücksichtigt worden. Besteht die Kirchensteuerpflicht nicht während des ganzen Kalenderjahres, wird für jeden Kalendermonat, in dem die Kirchensteuerpflicht noch bestand, ein Zwölftel des Betrages erhoben, der sich bei ganzjähriger Kirchensteuerpflicht als Jahressteuerschuld ergeben hätte (§ 5 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW in der vom 1. Januar 2001 an geltenden Fassung). Diese sog. Zwölftelungsregelung ist, soweit sie auf gesetzlicher Grundlage beruht, verfassungsgemäß (BVerwGE 79, 62, 63 ff; BFHE 184, 167, 168 ff; FG Köln EFG 2005, 898, 899). Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hätten die Kläger im Ergebnis nur noch Kirchensteuer in Höhe von 3.350 Euro gespart, wenn sie im November 2001 den Kirchenaustritt erklärt hätten.
(b) Bei einer vollständigen Unterrichtung über die steuerlichen Gegebenheiten standen die Kläger nicht einfach vor der Entscheidung, zur Meidung eines wirtschaftlichen Nachteils von rund 3.350 Euro aus der Kirche auszutreten. Es ging vielmehr darum, ob eine Vollausschüttung des mit 45 v.H. Körperschaftsteuer belasteten verwendbaren Eigenkapitals (EK 45) in Höhe von 2.651.630 DM erfolgen sollte. Der vom Beklagten ohne Berücksichtigung der Kirchensteuer errechnete Vorteil von 171.341 DM setzte sich aus einem gegenüber dem neuen Recht höheren Körperschaftsteuer-Minderungsbetrag von 222.479 DM und einer Einkommensteuer-Mehrbelastung von 51.138 DM zusammen. Zusätzlich wäre die durch eine Ausschüttung verursachte Kirchensteuer-Mehrbelastung von 153.544,58 DM zu berücksichtigen gewesen (vgl. das Schreiben des Beklagten vom 14. Oktober 2003). Auch wenn die Kirchensteuer im Folgejahr als Sonderausgabe (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG) hätte geltend gemacht werden können, wäre auch eine Entscheidung der Kläger vertretbar gewesen, von der Ausschüttung abzusehen. Mit dieser Möglichkeit haben sich die Kläger in den Vorinstanzen nicht auseinandergesetzt.
(3) Auf die Frage, ob es im November 2001 aus der Sicht der Kläger nur eine einzige wirtschaftlich vertretbare Entscheidung gab, kommt es im Übrigen nicht einmal an. Entgegen der Ansicht des OLG Düsseldorf (NJW-RR 2003, 1071, 1073) gilt die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens nicht unabhängig von religiösen, ideellen oder sonstigen Motiven des Mandanten. Der Anscheinsbeweis ist nicht nur dann unanwendbar, wenn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verschiedene Verhaltensweisen ernsthaft in Betracht kommen (so aber OLG Düsseldorf, aaO). Die für die Beraterhaftung entwickelte und auf diesem Gebiet mittlerweile allgemein anerkannte Vermutung beratungsgerechten Verhaltens stellt vielmehr eine Ausnahme zu dem allgemeinen Grundsatz dar, dass es keinen Anscheinsbeweis für individuelle Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Lebenslagen gibt (BGHZ 123, 311, 316 f mit weiteren Nachweisen). Entscheidungen, die auch von nicht wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt werden, können nicht auf ihre wirtschaftliche Vernünftigkeit reduziert werden. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass die Entscheidung über eine Kirchenmitgliedschaft oder andere Entscheidungen höchstpersönlicher Natur wie etwa diejenige, eine Ehe einzugehen (vgl. BGH, Beschl. v. 12. Juli 2001 – IX ZR 26/99, n.v.), oder diejenige, sich auf Dauer von seinem Ehegatten zu trennen (vgl. OLG Koblenz NJW-RR 2003, 351, 352), in der ganz überwiegenden Mehrheit aller Fälle ausschließlich aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen getroffen wird. Nur unter dieser Voraussetzung wäre der Schluss von wirtschaftlichen Gegebenheiten auf die hypothetische Entscheidung jedoch gerechtfertigt. Ob und in welchem Maße wirtschaftliche Überlegungen insoweit eine Rolle spielen, hängt vielmehr von der persönlichen Einstellung des Einzelnen ab, der häufig auch dann Mitglied einer Kirche werden oder bleiben will, wenn die Mitgliedschaft finanzielle Nachteile mit sich bringt (Zugehör DStR 2003, 1171, 1172).
bb) Den ihnen danach obliegenden Beweis (§ 287 ZPO) dafür, dass sie bei vollständiger Aufklärung über die kirchensteuerrechtlichen Folgen einer Ausschüttung im Dezember 2001 noch im November 2001 den Austritt aus der Kirche erklärt hätten, haben die Kläger in den Vorinstanzen nicht geführt.
(1) Die Kläger hatten zunächst behauptet, sie wären dann, wenn der Kläger sie im Schreiben vom 29. Oktober 2001 auch auf die anfallenden Kirchensteuern hingewiesen hätte, unverzüglich aus der Kirche ausgetreten, um die zusätzliche Steuerbelastung von zunächst 78.557,23 Euro, endgültig 40.195,77 Euro, zu vermeiden. Im November 2001 hätten sie die Kirchensteuermehrbelastung jedoch nur noch zu einem geringen Teil, nämlich in Höhe von etwa 3.350 Euro, vermeiden können.
(2) Nachdem das Landgericht sie auf die Zwölftelungsregelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW hingewiesen hatte, haben die Kläger behauptet, sie hätten bei ordnungsgemäßer Belehrung im Wege der „Schadensbegrenzung“ durch einen sofortigen Kirchenaustritt versucht, zumindest nicht die gesamte Kirchensteuer für das Jahr 2001 zahlen zu müssen. Das Landgericht hat jedoch nicht die Überzeugung einer überwiegenden, auf gesicherter Grundlage beruhenden Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 287 ZPO für eine derartige Entscheidung der Kläger gewinnen können. Die Rüge der Revision, die nach § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO von Amts wegen mögliche Parteivernehmung sei unterblieben, ist nicht berechtigt. Geht es darum, welche hypothetische Entscheidung der Mandant bei vertragsgerechtem Verhalten des Beraters getroffen hätte, liegt es zwar nahe, ihn gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu vernehmen, weil es um eine innere, in seiner Person liegende Tatsache geht (BGH, Urt. v. 16. Oktober 2003 – IX ZR 167/02, WM 2004, 472, 474; v. 21. Juli 2005, aaO S. 2111). § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO erlaubt eine Parteivernehmung unabhängig von den Voraussetzungen des § 448 ZPO (HK-ZPO/Saenger, § 287 Rn. 20; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 287 Rn. 6). Zwingend vorgeschrieben ist eine (förmliche) Parteivernehmung jedoch nicht. Das Landgericht hat die Kläger gemäß § 141 ZPO angehört und ihre Aussagen in den Urteilsgründen verwertet.
(3) Entgegen der Ansicht der Revision haben die Vorinstanzen den – unbestritten gebliebenen – Vortrag der Kläger dazu, sie und ihre Kinder seien im Anschluss an die Festsetzung der für das Jahr 2001 zu zahlenden Kirchensteuern aus der Kirche ausgetreten, nicht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG übergangen. Die Gerichte sind nach Art. 103 Abs. 1 GG nur verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hingegen ist es nicht erforderlich, alle Einzelpunkte des Parteivortrags in den Gründen des Urteils auch ausdrücklich zu bescheiden. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf eine Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (BVerfGE 96, 205, 216 f). Das Urteil des Landgerichts setzt sich vor allem mit der Frage auseinander, wie die Kläger auf eine zu erwartende steuerliche Mehrbelastung von 3.350 Euro reagiert hätten. Bei vollständiger Belehrung im November 2001 wären diese nicht nur auf die Mehrbelastung, sondern auch auf die zu 11/12 nicht mehr zu vermeidende hohe Gesamtbelastung durch zusätzliche Kirchensteuer hingewiesen worden. Darauf hätten sie – wie schließlich nach Erhalt des Steuerbescheides für das Jahr 2001 – durch Kirchenaustritt reagieren können. Dass es im Rahmen des § 287 ZPO auf die Gesamtbelastung ankommen könnte, hat das Berufungsgericht jedoch gesehen.
2. Im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes im Herbst 2000 war der Beklagte nicht verpflichtet, die Kläger auf die Kirchensteuerbelastung hinzuweisen, die durch Gewinnausschüttungen im Jahr 2001 entstehen könnte, und bereits vorsorglich Wege zu deren Vermeidung aufzuzeigen; denn die Notwendigkeit eines alsbaldigen Handelns war seinerzeit noch nicht absehbar.
a) Nach den unangegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen hatten die Parteien bereits in den Jahren vor 2001 anlässlich vorangegangener Änderungen des Körperschaftsteuergesetzes über die Frage der Gewinnausschüttungen gesprochen. Einen konkreten Beratungsauftrag hinsichtlich der Folgen des Steuerentlastungsgesetzes haben die Kläger jedoch – anders, als die Revision meint – erst im Herbst 2001 erteilt. Vom Berufungsgericht übergangenen Vortrag aus den Tatsacheninstanzen zu einem früheren Auftrag zeigt die Revision nicht auf. Das Beratungsschreiben des Beklagten vom 29. Oktober 2001 nimmt auf eine frühere Auskunft Bezug; wann und aus welchem Anlass diese Auskunft erteilt worden war, ergibt sich jedoch weder aus dem Schreiben selbst noch aus dem sonstigen Vorbringen der Kläger.
b) Aufgrund des ihm erteilten Dauermandats in Steuersachen war der Beklagte allerdings verpflichtet, die Kläger auch ungefragt auf eine für sie so wichtige steuerrechtliche Entwicklung wie die Änderung des Körperschaftsteuer- und des Einkommensteuerrechts durch das Steuerentlastungsgesetz und dessen Folgen hinzuweisen.
aa) Der Steuerberater ist im Rahmen des ihm erteilten Auftrags verpflichtet, den Mandanten umfassend zu beraten und ungefragt über alle steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Er hat seinen Mandanten möglichst vor Schaden zu schützen. Hierzu hat er den relativ sichersten Weg zu dem angestrebten steuerlichen Ziel aufzuzeigen und die für den Erfolg notwendigen Schritte vorzuschlagen (vgl. BGHZ 129, 386, 396; BGH, Urt. v. 15. Juli 2004 – IX ZR 472/00, WM 2005, 896).
bb) Bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 konnte ein Steuerberater erkennen, dass im Jahr 2001 Gewinnausschüttungen für vergangene Jahre empfehlenswert werden könnten. Das Steuersenkungsgesetz vom 26. Oktober 2000 ersetzte das Anrechnungsverfahren durch das Halbeinkünfteverfahren. Die Gewinne einer Körperschaft unterfallen seither einem gegenüber dem früheren Recht abgesenkten Steuersatz von 25 v.H. unabhängig davon, ob sie ausgeschüttet oder einbehalten werden. Auf der Ebene der Anteilseigner wird der körperschaftsteuerlichen Vorbelastung der ausgeschütteten Gewinne dadurch Rechnung getragen, dass die entsprechenden Einkünfte nur zur Hälfte in die Bemessungsgrundlage für die persönliche Einkommensteuer einberechnet werden.
Unter bestimmten Voraussetzungen – je nach der Struktur des Eigenkapitals der Körperschaft und der persönlichen Steuersituation des Ausschüttungsempfängers – war das alte Körperschaftsteuerrecht für die Gesellschafter günstiger als das neue Recht (vgl. im Einzelnen BFH DStR 2005, 1686, 1687). Das neue Recht bewirkte eine Umgliederung des Eigenkapitals; dadurch konnte es zu einer Reduzierung des „Körperschaftsteuerminderungspotentials“ kommen. Durch rechtzeitig vorbereitete Gewinnausschüttungen konnten diese Nachteile vermieden werden (sog. Leerschütten des belasteten Eigenkapitals). Die damit verbundenen Fragen wurden in der Fachliteratur bereits im Jahr 2000 diskutiert (vgl. die Nachweise bei BFH, aaO S. 1688).
c) Eine Beratung zu diesem Thema musste aus damaliger Sicht aber nicht notwendig bereits Ende 2000/Anfang 2001 erfolgen.
aa) Nach der Übergangsregelung des § 36 Abs. 10a KStG n.F. galt für Gewinnausschüttungen, die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr beruhen und im Jahr 2001 erfolgten, noch das alte Körperschaftsteuerrecht. Die endgültige Entscheidung darüber, wie mit thesaurierten Gewinnen aus früheren Jahren verfahren werden sollte, konnte – körperschaftsteuerrechtlich gesehen – auf das Jahr 2001 verschoben werden. Gleiches gilt für die vorbereitenden Beratungen, die der Beklagte aufgrund des Dauermandates möglicherweise schuldete. Noch im Dezember 2001 konnten Gewinne früherer Jahre nach altem Recht ausgeschüttet werden.
bb) Dass etwa im Jahr 2001 vorzunehmende Gewinnausschüttungen für vergangene Jahre zu ungewöhnlich hohen Kirchensteuerbelastungen führen könnten, die nur durch einen sofort zu erklärenden Kirchenaustritt abgewendet werden konnten, war im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Steuerentlastungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 und in den folgenden Monaten noch nicht abzusehen. Der Zwölftelungsgrundsatz ist erst durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen vom 6. März 2001 in das Kirchensteuergesetz des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen worden. Zuvor hatte es möglicherweise entsprechende Verwaltungsanordnungen gegeben (vgl. Giloy/König, Kirchensteuerrecht in der Praxis (1993), S. 74). Ohne eine gesetzliche Grundlage durfte der Zwölftelungsgrundsatz jedoch nicht uneingeschränkt angewendet werden (BFHE 117, 331, 337 zum früheren bremischen Kirchensteuerrecht; FG Münster EFG 1991, 215; Giloy/König, aaO S. 74). Fielen die Dauer der Kirchensteuerpflicht einerseits, der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht andererseits auseinander, war die Einkommensteuer als Maßstabsteuer der Kirchensteuer so aufzuteilen, dass der Berechnung und Festsetzung der Kirchensteuer nur diejenige (fiktive) Einkommensteuer zugrunde gelegt werden durfte, die auf die während der Zeit des Bestehens der Kirchensteuerpflicht erzielten Einkünfte entfiel. Einkünfte nach Ende der Kirchensteuerpflicht – etwa durch eine nach Wirksamwerden des Kirchenaustritts erhaltene Gewinnausschüttung – durften nicht berücksichtigt werden.
Im November 2000 und in den folgenden Monaten durfte ein Steuerberater also davon ausgehen, dass eine umfassende Beratung im Laufe des Jahres 2001 dem Mandanten eine Vermeidung der auf die Gewinnausschüttung entfallenden Kirchensteuer durch Erklärung des Kirchenaustritts vor Dezember 2001 ermöglichte, wenn die Ausschüttung erst im Dezember 2001 vorgenommen wurde. Ohne besonderen Auftrag war der Beklagte daher Ende des Jahres 2000 nicht verpflichtet, die Kläger über die Folgen einer Gewinnausschüttung im Jahre 2001 umfassend steuerrechtlich zu beraten.
3. Auf unterlassene Hinweise im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Kirchensteuergesetzes vom 6. März 2001 haben die Kläger ihre Klage nicht gestützt. Es fehlt jeglicher Vortrag dazu, wann der Beklagte diese Rechtsänderung und ihre Bedeutung für die steuerlichen Belange seiner Mandantschaft hätte bemerken müssen.