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Klageerhebung durch Aufrechnungserklärung?

OLG Frankfurt – Az.: 21 W 112/21 – Beschluss vom 08.12.2021

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landgerichts Limburg vom 22. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 4.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Im Zusammenhang mit dem Komplettumbau seines Wohnhauses beauftragte der Antragsgegner die Antragstellerin mit der Durchführung von Fensterbauarbeiten einschließlich des Einbaus einer Haustüranlage sowie der Ausführung von Heizungs- und Sanitärinstallationsarbeiten. Für die Fensterbauarbeiten stellte die Antragstellerin jeweils unter Abzug vorangegangener Abschlagszahlungen mit Schlussrechnung vom 24. Mai 2018 15.730,12 Euro (Bl. 74 ff. d. A. 4 O 459/19) sowie für das Gewerk Sanitär/Heizung mit weiterer Schlussrechnung vom 24. Mai 2018 10.821,15 Euro (Bl. 363 ff. d. A. 4 O 459/19) in Rechnung. Die Antragstellerin leitete ein selbstständiges Beweissicherungsverfahren gegen den Antragsgegner ein mit dem Ziel, die Mangelfreiheit der von ihr erbrachten beiden Gewerke feststellen zu lassen. Nach Abschluss der Beweiserhebung setzte das Landgericht auf Antrag des Antragsgegners mit Beschluss vom 7. November 2019 den Streitwert auf 26.551,27 Euro fest und bestimmte für die Antragstellerin eine Frist zur Klageerhebung bis zum 15. Januar 2020.

Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2019 erhob der Antragsgegner unter dem Aktenzeichen 4 O 459/19 vor dem Landgericht Limburg Klage auf Vorschuss und Schadensersatz wegen der Mangelhaftigkeit des von der Antragstellerin erbrachten Gewerks Fenster. In dem dortigen Verfahren stellte die Antragstellerin ihren Restwerklohnanspruch aus dem Gewerk Fenster über 15.730,12 Euro erstmals mit Schriftsatz vom 9. April 2020 hilfsweise zur Aufrechnung, was sie in der am 1. Juni 2021 dort stattgefundenen mündlichen Verhandlung nochmals klarstellte (Bl. 231 und 323 d. A. 4 O 459/19).

Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2021 hat der Antragsgegner sodann beantragt, der Antragstellerin die Kosten des Beweissicherungsverfahrens aufzuerlegen. Nach vorangegangenem Hinweis hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss am 22. Juni 2021 den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Antragstellerin habe in dem Gewährleistungsprozess des Antragsgegners gegen die Antragstellerin zwar nach Ablauf der ihr gesetzten Frist aber noch vor Beschlussfassung Widerklage erhoben. Die Widerklage stehe der Klageerhebung nach § 494a ZPO gleich und für die Einhaltung der Frist sei allein maßgeblich, dass die Widerklage noch vor der Beschlussfassung erfolgt sei.

Gegen die seinem Verfahrensbevollmächtigten am 24. Juni 2021 (Bl. 728 d. A.) zugestellte Entscheidung hat der Antragsgegner mit am 28. Juni 2021 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung geltend gemacht, es sei in dem Gewährleistungsprozess keine Widerklage erhoben worden, sondern nur mit vermeintlichen Restwerklohnansprüchen aufgerechnet worden.

Mit am 13. Juli 2021 beim Landgericht eingegangenem und am 19. Juli 2021 (Bl. 374 d. A. 4 O 459/19) zugestelltem Schriftsatz hat die Antragstellerin im Rahmen des Mängelgewährleistungsprozesses den Restwerklohnanspruch aus dem Gewerk Sanitär/Heizung in Höhe von 10.821,15 Euro sodann hilfsweise widerklagend geltend gemacht.

Klageerhebung durch Aufrechnungserklärung?
(Symbolfoto: Pixel-Shot/Shutterstock.com)

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 27. Juli 2021 nicht abgeholfen, sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zutreffend sei zwar, das keine Widerklage erhoben sei, sondern die Werklohnansprüche nur zur Aufrechnung gestellt worden seien. Darauf komme es aber nicht an. § 494a ZPO sei nur da, um eine ohne Hauptsacheverfahren entstehende Lücke zu schließen. Insoweit der Antragsgegner Gewährleistungsansprüche betreffend die Mängel, die auch Gegenstand des selbständigen Beweissicherungsverfahrens waren, nunmehr vor dem Landgericht Limburg klageweise geltend gemacht habe und die Antragstellerin in diesem Verfahren Werklohnansprüche derentwegen sie das selbständige Beweissicherungsverfahren angestoßen habe, zur Aufrechnung gestellt habe, sei hinreichend sichergestellt, dass eine durch § 494a Abs. 2 ZPO zu schließende Lücke gerade nicht bestehe und es deshalb an einem Rechtsschutzinteresse des Antragsgegners fehle. Daher sei der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

Demgegenüber vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, die Entscheidung könne nicht überzeugen, weil es sich um unterschiedliche Streitgegenstände handele. Streitgegenstand des Klageverfahrens vor dem Landgericht Limburg sei die Geltendmachung von Kostenvorschuss- und Schadensersatzansprüchen im Hinblick auf Mängel in Bezug auf die von der Antragstellerin am Bauvorhaben erbrachten Werkleistungen. In diesem Verfahren habe die Antragstellerin erst mit Schriftsatz vom 13. Juli 2021 mit vermeintlichen Restwerklohnansprüchen die hilfsweise Aufrechnung und dann in Bezug auf dieselbe Forderung die Hilfswiderklage erhoben. Die hilfsweise Aufrechnung bzw. Hilfswiderklage sei jedoch keine Klageerhebung im Sinne von § 494a ZPO.

Der Senat hat die Akte 4 O 459/19 beigezogen und den Parteien einen entsprechenden Hinweis erteilt, wobei insoweit auf Bl. 776 d. A. Bezug genommen wird. Daraufhin haben die Parteien ergänzend vorgetragen (Bl. 790 ff. und Bl. 802 ff. d. A.).

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die ihnen beigefügten Anlagen Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 494a Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch ansonsten zulässige Beschwerde, über die gemäß § 568 Abs. 2 ZPO nach Übertragung der Senat zu befinden hat, hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat in der Sache zu Recht und mit im Kern zutreffender Begründung den Antrag auf Kostenfestsetzung gemäß § 494a ZPO als unzulässig zurückgewiesen.

1. Im selbständigen Beweisverfahren ergeht, außer in den Fällen des § 494a Abs. 2 ZPO, grundsätzlich keine Kostenentscheidung. Die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens werden vielmehr von der Kostenentscheidung eines sich anschließenden Hauptsacheverfahrens mitumfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2014 – VII ZB 8/14 mwNachw). Ausreichend ist, wenn zumindest ein Teil der Streitgegenstände und die Parteien der beiden Verfahren identisch sind. Denn eine Teilkostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO ist grundsätzlich unzulässig (vgl. BGH NJW 2004, 3121; NJW 2007, 1282; Musielak/Voit, ZPO, 2021, § 495a Rn. 5b). Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens den nachfolgenden Prozess als Kläger betreibt. Ein Hauptsacheverfahren, in dem eine einheitliche Kostenentscheidung zu ergehen hat, liegt nämlich nicht nur dann vor, wenn Forderungen wegen Mängeln, die Gegenstand des Beweisverfahrens waren, klageweise geltend gemacht werden, sondern auch dann, wenn sie zur Aufrechnung gestellt werden (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 2020, § 91 Rdn. 13.87 Stichwort „Selbständiges Beweisverfahren“). Es widerspräche dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung, über einen Teil der Kosten vorweg im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens zu entscheiden, obwohl noch eine einheitliche Kostenentscheidung ergehen kann, in die das Obsiegen bzw. Unterliegen des Antragstellers mit seinen Gegenansprüchen einfließt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2005 – VII ZB 35/04).

2. Ausgehend von vorgenannten Grundsätzen kommt eine gesonderte Entscheidung über die Kosten des selbständigen Beweissicherungsverfahrens schon deshalb nicht in Betracht, weil die Antragstellerin in dem Mängelgewährleistungsverfahren des Antragsgegners gegen die Antragstellerin ihren Restwerklohnanspruch aus dem Gewerk Fenster über 15.730,12 Euro mit Schriftsatz vom 9. April 2020 hilfsweise zur Aufrechnung gestellt hat.

a) Diese hilfsweise Aufrechnung erfolgte zwar nach Ablauf der vom Landgericht der Antragsgegnerin zur Klageerhebung gesetzten Frist. Für die Wahrung der Frist genügt es aber, wenn sie vor dem Erlass einer Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO erfolgt (vgl. BGH NJW 2007, 3357; OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 427; MünchKommZPO/Schreiber, 2020, § 494a Rn. 8). Jedenfalls die hilfsweise Aufrechnung mit der Forderung aus dem Gewerk Fenster ist damit vor Erlass der zurückweisenden Entscheidung des Landgerichts erfolgt, so dass es auf die Rechtzeitigkeit der Hilfswiderklage mit dem Restwerklohnanspruch aus dem Gewerk Sanitär/Heizung nicht ankommt. Denn die Antragstellerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ausreichend ist, wenn zumindest ein Teil der Streitgegenstände und die Parteien der beiden Verfahren identisch sind. Eine teilweise Identität der Streitgegenstände bei identischen Verfahren ist mit der Geltendmachung des Restwerklohnanspruchs aus dem Gewerk Fenster gewahrt. Entsprechend kommt es weder auf die Frage an, ob die Frist auch dann nicht eingehalten ist, wenn die klageweise Geltendmachung nach einer den Antrag auf isolierte Kostenentscheidung zurückweisenden Entscheidung des Landgerichts erfolgt, noch auf die weitere Frage, ob auf den Zeitpunkt einer erstmaligen Entscheidung des Landgerichts, auf den Zeitpunkt der Abhilfeentscheidung der ersten Instanz oder auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts abzustellen ist (vgl. dazu OLG Koblenz Beschluss vom 27. Februar 2015 – 3 W 99/15 Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. März 2008 – 19 W 4/08; BeckOK ZPO/Kratz, § 494a Rn. 10; in eine andere Richtung weisend BGH, Beschluss vom 28. Juni 2007 – VII ZB 118/06).

b) Darüber hinaus ist nach Ansicht des Senats die hilfsweise Geltendmachung der Forderung mittels Aufrechnung ausreichend, um dem Erfordernis einer Klageerhebung zu genügen (vgl. OLG Stuttgart Beschluss vom 25. Juli 2011 – 12 W 37/11, allerdings für den Fall eines hilfsweise geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts; Zöller/Herget, ZPO, 2020, § 494a Rn. 2; aA OLG Karlsruhe MDR 2008, 526 Rn. 12; MünchKommZPO/Schreiber, 2020, § 495a Rn. 7). Insoweit ist es ohne Relevanz, ob die Aufrechnung primär (dazu BGH, Beschluss vom 25. August 2005 – VII ZB 35/04) oder hilfsweise erfolgt. Ein anderes Verständnis von § 494 a Abs. 2 ZPO führte dazu, dass der Richter, der über die Hauptsache zu entscheiden hat, auch entgegen der materiellen Rechtslage an eine im selbständigen Beweisverfahren ergangene Entscheidung gebunden wäre, sofern er über die Hilfsaufrechnung zu entscheiden hat. Das durch § 494a ZPO geschützte Kosteninteresse des Antragsgegners wird dadurch, dass ihm eine Kostenentscheidung nach dieser Vorschrift verwehrt und er auf die Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren verwiesen wird, nicht unzumutbar beeinträchtigt. Die hierdurch bedingte zeitliche Verzögerung, die ohnehin nur die dem Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten betrifft, muss er hinnehmen. Stellt sich im weiteren Verlauf des Hauptsacheverfahrens heraus, dass die Gegenansprüche der Antragstellerin nicht geprüft werden, kann der Antragsgegner auch dann noch den Weg des § 494 a ZPO beschreiten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2005 – VII ZB 35/04). Diese vom Bundesgerichtshof angestellten Erwägungen zur Primäraufrechnung gelten gleichermaßen für die hilfsweise Aufrechnung. Auch insoweit haben die Interessen des Antragsgegners hinter der materiellen Richtigkeit sowie dem Gebot der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung zurückzutreten, ist § 494a Abs. 2 ZPO als Ausnahmevorschrift entsprechend eng auszulegen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob einer Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren entgegensteht, wenn die Antragstellerin sich in einem Gewährleistungsverfahren des Antragsgegners wegen Mängeln, die Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens waren, hilfsweise auf eine Aufrechnung wegen des noch ausstehenden Werklohnanspruchs beruft, noch nicht abschließend geklärt ist.

Der Streitwert richtet sich nach der Höhe des voraussichtlichen Kostenerstattungsanspruchs.

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