Oberlandesgericht Köln
Az: 8 U 107/96
Urteil vom 26.05.1997
Vorinstanz: Landgericht Köln – Az.: 5 O 208/95
Das OLG Köln hat auf die mündliche Verhandlung vom 26.05.1997 für Recht erkannt:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 24. September 1996 – 5 O 208/95 – wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Wert der durch dieses Urteil begründeten Beschwer übersteigt 60.000,00 DM nicht.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, weil das Landgericht der Klage zu Recht in vollem Umfang stattgegeben hat.
1.
Die Klägerin hat gemäß §§ 985 i.V.m. 1004 Abs. 1 S. 1 BGB einen Anspruch auf Räumung des in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks und insbesondere auf Entfernung der darauf vom Beklagten errichteten sogenannten „Klagemauer“.
Die Eigentümerrechte der Klägerin werden entgegen der Ansicht des Beklagten nicht durch eine Duldungspflicht beeinträchtigt, aufgrund deren der Beklagte berechtigt sein könnte, die „Klagemauer“ weiterhin auf dem Grundstück der Klägerin zu unterhalten.
Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten besteht eine Duldungspflicht der Klägerin insbesondere nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen. Der Beklagte geht zu Unrecht von einem Eingriff der Klägerin in seine Grundrechte aus, weil er durch die Geltendmachung zivilrechtlicher Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche der Grundstückseigentümerin nicht in eigenen Grundrechten tangiert wird. Vielmehr hat der Beklagte seinerseits durch die Errichtung der „Klagemauer“ und die hierin liegende unerlaubte Inbesitznahme des klägerischen Grundstücks widerrechtlich in die Eigentümerrechte der Klägerin eingegriffen. Auf die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil, die der Senat für vollständig zutreffend erachtet, wird insoweit Bezug genommen. Im einzelnen gilt folgendes:
Der Klägerin ist eine Berufung auf ihre privatrechtliche Eigentümerposition nicht deshalb verwehrt, weil sie das Grundstück bislang keiner förmlichen straßenrechtlichen Widmung zugeführt hat. Selbst wenn nämlich die Klägerin in der Vergangenheit eine – unstreitig unterbliebene – förmliche Widmung der in ihrer heutigen Ausgestaltung tatsächlich als öffentliche Verkehrsfläche genutzten und dem allgemeinen Publikumsverkehr zugänglich gemachten Domplatte vorgenommen hätte, brauchte sie die vom Beklagten errichtete „Klagemauer“ nicht zu dulden.
Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, daß die Errichtung bzw. Unterhaltung der „Klagemauer“ in Form einer festen, dauerhaft erstellten Einrichtung, die das Erscheinungsbild der Domplatte optisch maßgeblich (mit-)prägt und den ungehinderten Fußgängerverkehr im Vorfeld des Doms recht großflächig und keineswegs unmaßgeblich behindert bzw. beeinträchtigt, eine nicht mehr dem Gemeingebrauch unterfallende, vielmehr eine von der Erteilung einer Erlaubnis abhängige Sondernutzung gemäß § 18 StrWG NRW darstellt. Es ist nicht ersichtlich, daß die Klägerin im Rahmen des ihr zustehenden Ermessensspielraums zwingend gehalten wäre, eine derart dauerhaft angelegte Installation des Beklagten zu dulden. Ein Antrag des Beklagten auf Erteilung einer entsprechenden Sondernutzungserlaubnis könnte von der Klägerin ermessensfehlerfrei abgelehnt werden.
Eine Sondernutzungsberechtigung des Beklagten ergibt sich insbesondere nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen.
Die vom Beklagten angeführten Grundrechte auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), künstlerische Freiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) sind nicht verletzt.
Das Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung findet seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, also auch in den Eigentumsschutzvorschriften.
Eine Güterabwägung zwischen dem Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung einerseits und dem nach Art. 14 GG ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrecht der Klägerin andererseits ergibt, daß eine Duldungspflicht der Klägerin nicht besteht.
Bei der Abwägung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Recht der Meinungsäußerung nachrangig, „wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden; ob solche überwiegenden Interessen anderer vorliegen, ist aufgrund aller Umstände des Falles zu ermitteln“ (vgl. BVerfGE 7, 198 (210 f); 35, 202, (223 f)). Bei der Abwägung kann dahinstehen, ob der vom Beklagten errichteten „Klagemauer“ überhaupt meinungsäußernder Charakter zukommt oder nicht. Die Klägerin schränkt nämlich die Meinungsfreiheit des Beklagten jedenfalls nicht dadurch in unzumutbarer Weise ein, daß sie es ihm verwehrt, diese „Meinung“ in Form der „Klagemauer“ gerade auf ihrem Grundstück zu äußern. Zwar umfaßt Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich auch die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, wie ein Gedanke formuliert wird und in welcher Form er zum Ausdruck gebracht werden soll. Die auf diesen Bereich, also die Form, bezogenen Einschränkungsmöglichkeiten sind aber größer, als wenn der Inhalt einer Meinung betroffen ist (vgl. BVerfGE 42, 143 (149 f)). Es ist nicht davon auszugehen, daß das Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung nur dadurch verwirklicht werden kann, daß die „Klagemauer“ gerade auf der im Eigentum der Klägerin stehenden Domplatte erstellt und unterhalten wird. Daß der Klägerin im übrigen gerade nicht daran gelegen ist, den Inhalt der „Meinung“ des Beklagten zu beschränken, ergibt sich bereits daraus, daß sie dem Beklagten unstreitig verschiedene Alternativ-Standorte für die Aufstellung der „Klagemauer“ im Stadtzentrum angeboten hat.
Das Grundrecht des Beklagten auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG ist entgegen der Rechtsansicht des Beklagten nicht berührt.
Um eine Versammlung handelt es sich, wenn eine Mehrheit von Menschen zusammenkommt, die den Zweck der Bildung oder Äußerung von Meinungen verfolgen; dieser gemeinsame Zweck muß die Anwesenden verbinden (vgl. zur Definition des Versammlungsbegriffs von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, 4. Auflage, Rdnr. 12 ff zu Art. 8 m.w.N.). Die Vornahme einer dauerhaften, fest mit Grund und Boden verbundenen Installation, wie sie die vom Beklagten errichtete „Klagemauer“ darstellt, unterfällt diesem Versammlungsbegriff ersichtlich nicht, geht zumindest über ihn hinaus. Der Umstand, daß Menschen die „Klagemauer“ in Augenschein und zum Anlaß von Meinungsbildungen nehmen, steht dem nicht entgegen.
Auch wenn man davon ausgeht, daß die vom Beklagten errichtete „Klagemauer“ dem Begriff von „Kunst“ im Sinne des Art. 5 GG unterfällt, ist es dem Beklagten verwehrt, sich auf das Grundrecht der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG zu berufen. Obwohl die Freiheit der Kunst nach dem Wortlaut des Grundgesetzes vorbehaltlos gewährleistet ist, gilt auch dieses Recht nicht schrankenlos. Die Freiheit der Kunst erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „von vornherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung (sei es im Werk- oder im Wirkbereich der Kunst). Überdies enthält das Eigentumsrecht gleichfalls eine Verbürgung von Freiheit; nach den vom Grundgesetz getroffenen Wertungen steht es nicht prinzipiell hinter der Freiheit der Kunst zurück“ (vgl. BVerfG in NJW 1984, S. 1293 f).
Art. 2 Abs. 1 GG ist bereits im Hinblick auf die Subsidiarität des Rechtes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gegenüber anderen Freiheitsgrundrechten nicht berührt.
Soweit der Beklagte in der Berufungsverhandlung darauf abgehoben hat, daß der überkommene Eigentumsbegriff in Zeiten sozialen Umbruchs und aufgrund einer „Entwicklung hin zum monopolisierten Eigentum einiger Weniger“ eine Einschränkung der damit verbundenen Rechte in Form verstärkter Pflichten zur Duldung verschiedener Formen des Gemein- oder auch Sondergebrauchs erfahren müsse, handelt es sich hierbei um ein rechtspolitisches Anliegen, dem allenfalls der Gesetzgeber entsprechen könnte. Fest installierte, dauerhafte Einrichtungen wie die sogenannte „Klagemauer“ auf im Eigentum Dritter stehenden Grundstücken werden jedenfalls aufgrund der derzeit gültigen Rechtslage weder von einem Recht auf Gemeingebrauch noch von einem Recht auf Sondernutzung gedeckt. Auch insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug.
Sonstige Umstände, die eine Duldungspflicht der Klägerin begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Weder die vom Beklagten vorgetragene Bekanntheit der „Klagemauer“ weit über die Grenzen Deutschlands hinaus noch die vom Beklagten ins Feld geführte positive Resonanz vieler Menschen auf die „Klagemauer“ sind hierbei rechtlich von Bedeutung.
Die Klägerin braucht deshalb im Ergebnis die Anwesenheit des Beklagten in der dargelegten Weise auf ihrem Grundstück nicht zu dulden mit der Folge, daß ihr Räumungsbegehren in der angefochtenen Entscheidung zu Recht für begründet erachtet worden ist.
2.
Auch der auf Unterlassung gerichtete Klageantrag zu b) ist gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB begründet. Der Senat ist ebenso wie das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung der Auffassung, daß die für einen Unterlassungsanspruch als materielle Anspruchsvoraussetzung erforderliche Wiederholungsgefahr gegeben ist.
Lediglich zur Klarstellung sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß der im angefochtenen Urteil unter Buchstabe b) tenorierte Unterlassungsanspruch nur den Wiederaufbau der im anhängigen Verfahren in Rede stehenden Klagemauer in ihrer ursprünglichen Form umfaßt. Dem Beklagten ist danach verboten, das klägerische Grundstück in der Weise in Besitz zu nehmen, daß er eine dauerhafte, sich konkret und körperlich durch Herstellung einer Verbindung mit auf der Domplatte vorhandenen Gegenständen zeigende Ingewahrsamnahme der Fläche vornimmt. Die Entscheidung ist indes nicht vorgreiflich für die möglicherweise von den Verwaltungsgerichten zu entscheidende Frage, ob der Beklagte sich etwa mit beweglichen Gegenständen, auf denen ähnliche Papptafeln wie auf der „Klagemauer“ angebracht sind, auf der Domplatte aufhalten darf oder nicht.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 und 546 Abs. 2 ZPO.
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren beträgt 45.000,00 DM. Der Senat orientiert sich bei dieser Festsetzung am Interesse der Klägerin an der Beseitigung und künftigen Unterlassung der Beeinträchtigung ihres Grundstücks. Dieses Interesse schätzt der Senat gemäß § 3 ZPO ebenso wie das Landgericht auf 25.000,00 DM für den Beseitigungsanspruch und auf 20.000,00 DM für den Unterlassungsanspruch.