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Gerichtsstand – Versicherungsfälle bis zum 31.12.2008

OLG Braunschweig

Az: 3 W 43/11

Beschluss vom 05.10.2011


Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 01. September 2011 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage, mit der sie die Antragsgegnerin auf Leistung aus einer Unfallversicherung in Anspruch zu nehmen gedenkt.

Der Versicherungsvertrag ist am 01.09.2001 geschlossen worden. Die beiden Ereignisse, die die Klägerin jeweils als invaliditätsbegründend ansieht, datieren vom 19.09.2007 und vom 26.06.2008.

Das Landgericht hat der Antragstellerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt, weil es die eigene örtliche Zuständigkeit für nicht gegeben hält.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Die beabsichtigte Klage ist nicht zulässig, so dass es ihr an der gemäß § 114 ZPO für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt.

Das Landgericht Braunschweig ist nicht örtlich zuständig.

1. Die in seiner jetzigen Fassung am 01.01.2008 in Kraft getretene Regelung in § 215 VVG, nach der eine örtliche Zuständigkeit des Gerichts gegeben ist, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist vorliegend nicht anwendbar.

Für das zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Versicherungsverhältnis der Parteien ist die in Art. 1 Abs. 1 EGVVG enthaltene Übergangsvorschrift einschlägig. Hiernach ist auf solche sog. Altverträge bis zum 31.12.2008 das VVG in seiner bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung anzuwenden, soweit in Abs. 2 und den Artikeln 2 bis 6 nichts anderes bestimmt ist. Art. 1 Abs. 2 EGVVG ergänzt diese Regelung dahingehend, dass das VVG a. F. für Altverträge auch darüber hinausgehend Geltung beansprucht, soweit ein Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

Die Frage, ob sich der Anwendungsbereich der genannten Übergangsvorschriften auf den Gesichtspunkt der örtlichen Zuständigkeit erstreckt, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung allerdings unterschiedlich beantwortet.

Das OLG Saarbrücken vertritt die Auffassung, dass eine übergangsweise Fortgeltung des bis zum Jahresende 2007 gültigen Rechts nur diejenigen Bestimmungen betreffen könne, die die rechtlichen Beziehungen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer ordneten, nicht jedoch solche Vorschriften, die lediglich das Prozessrechtsverhältnis ausgestalteten (Beschluss vom 23.09.2008 – 5 W 220/08). Diese Konsequenz ergebe sich schon aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 EGVVG, der von „Versicherungsverhältnissen“ spreche. Im intertemporalen Verfahrensrecht bedürfe es auch nicht eines Vertrauens- und Bestandsschutzes für die beteiligten Vertragspartner. Dieser Sichtweise hat sich das OLG Frankfurt (Beschluss vom 21.04.2009 – 3 W 20/09) angeschlossen.

Für die vorliegende Konstellation gelangt auch das OLG Dresden (Beschluss vom 10.11.2009 – 3 AR 81/09) zum gleichen Ergebnis. Es nimmt bei der Auslegung der Übergangsnorm des Art. 1 EGVVG eine Differenzierung zwischen dessen Abs. 1 und dessen Abs. 2 vor. Letzterer böte, anders als Abs. 1, mehr Raum für eine restriktive Gesetzesauslegung, da er nicht allgemein auf den Begriff des „Versicherungsverhältnisses“ abstelle, sondern sich konkret auf eingetretene Versicherungsfälle beziehe. Es liege deshalb nahe, dass Art. 1 Abs. 2 EGVVG für Altverträge lediglich die materiell-rechtliche Beurteilung und Abwicklung bis Ende 2008 eingetretener Versicherungsfälle dem alten Recht unterstelle. Denn es sei nicht einleuchtend, dass den Versicherungsnehmern die mit der neuen Regelung in § 215 VVG beabsichtigte Verbesserung ihres Schutzes noch auf Jahre hinaus vorenthalten werden sollte. Es sei deshalb eine einschränkende Interpretation in dem Sinne geboten, dass § 215 VVG seit dem Jahr 2009 ausnahmslos anwendbar sei.

Das OLG Köln (Beschluss vom 09.06.2009 – 9 W 36/09) lässt offen, welcher der beiden vorgenannten Standpunkte der Vorzug zu geben ist.

Der Senat hält beide Auffassungen für mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut in Art. 1 Abs. 1 EGVVG nicht vereinbar. Hiernach ist auf Altverträge das VVG a. F. anzuwenden. Diese Geltungsanordnung ist, abgesehen von den ausdrücklich in Bezug genommenen Ausnahmen, in inhaltlicher Hinsicht einschränkungslos erfolgt und bezieht sich somit auf sämtliche Vorschriften des Gesetzes (wie hier OLG Stuttgart vom 16.06.2008 – 7 AR 5/08, OLG Hamburg vom 30.03.2009 – 9 W 23/09, OLG Hamm vom 08.05.2009 – 20 W 4/09 sowie vom 20.05.2009 – 20 U 110/08, OLG Naumburg vom 15.10.2009 – 4 W 35/09 und OLG Düsseldorf vom 18.06.2010 – 4 U 162/09). Zwar spricht die Gesetzesbegründung zu Art. 1 Abs. 1 EGVVG von der Geltung „vertragsrechtlicher Regelungen“ (BT-Drucks. 16/3945, S. 118). Eine entsprechende Anwendungsbeschränkung hat jedoch keinen Eingang in das Gesetz gefunden (ebenso OLG Hamburg a. a. O., zitiert nach juris, dort Rn 8), auch nicht in den grammatikalisch und sprachlich ebenfalls eindeutigen Art. 1 Abs. 2 EGVVG, bei dem das Wort „insoweit“ lediglich sicherstellen will, dass die Anwendung des alten Rechts nur die Abwicklung des vor dem 01.01.2009 eingetretenen Versicherungsfalls betrifft (näher dazu OLG Düsseldorf a. a. O., zitiert nach juris, dort Rn 48 f.).

Eine weder im Text noch in der Systematik der Norm angelegte Unterscheidung zwischen materiellen und prozessualen Fragestellungen verbietet sich somit aus Gründen der Rechtsklarheit. Zumal zwischen diesen auch ein Sachzusammenhang besteht, da das Prozessrecht nicht einem Selbstzweck, sondern der Durchsetzung des materiellen Rechts dient. Wenn der Gesetzgeber hinsichtlich des Gerichtsstands eine andere Regelung hätte treffen wollen, hätte er dies ebenso deutlich wie bei den sonstigen Einzelregelungen im Kontext des Übergangsrechts tun können. Für eine teleologische Reduktion besteht deshalb kein Raum. Eine solche Rechtsaufspaltung liefe zudem einem auf Transparenz bedachten Verbraucherschutz, dem die Reform des Versicherungsvertragsrechts auch galt, zuwider (ebenso OLG Düsseldorf, a. a. O., zitiert nach juris, dort Rn 47).

2. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Braunschweig ist auch nicht durch § 48 Abs. 1 VVG a. F. begründet.

Hiernach ist das Gericht des Ortes zuständig, an dem der Agent zur Zeit des Vertragsschlusses seine gewerbliche Niederlassung oder seinen Wohnsitz hatte. Vorliegend ist jedoch weder ein Versicherungsagent noch ein Außendienstmitarbeiter der Antragsgegnerin, für den eine analoge Anwendung dieser Vorschrift in Betracht gezogen werden könnte, tätig geworden. Vielmehr erfolgte die Vertragsunterzeichnung in der Geschäftsstelle der Antragsgegnerin in Goslar.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 4 ZPO.

Eine Festsetzung des Beschwerdewerts war im Hinblick auf die in Nr. 1812 KV-GKG enthaltene Regelung nicht veranlasst.

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