Das Amtsgericht Bad Urach hat einem Mann eine Entschädigung von 250 Euro zugesprochen, weil ein Fitnessstudio ihn aufgrund seiner Kleidungswahl diskriminiert hat. Die Kleiderordnung des Studios, die Männer das Tragen von Tanktops untersagte, während Frauen schulterfreie Kleidung tragen durften, stellte eine unzulässige Benachteiligung aufgrund des Geschlechts dar.
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Übersicht:
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Fitnessstudio- Diskriminierung: Gericht verurteilt geschlechtsspezifische Kleiderordnung
- Der Fall vor dem Amtsgericht Bad Urach im Detail
- ✔ FAQ zum Thema: Geschlechtsspezifische Kleiderordnung
- Was sind die rechtlichen Grundlagen für Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Deutschland?
- Welche Rechte haben Betroffene, wenn sie sich diskriminiert fühlen?
- Welche Rolle spielt das Persönlichkeitsrecht bei Diskriminierungsfällen?
- Wie wird eine Entschädigung bei Diskriminierung berechnet?
- In welchen Fällen kann die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen als gerechtfertigt angesehen werden?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ➜ Das vorliegende Urteil vom Amtsgericht Bad Urach
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Das Gericht sah eine Benachteiligung des Klägers durch die geschlechtsspezifische Kleiderordnung der Beklagten als gegeben an.
- Die Regelung, dass nur Männern das Tragen schulterfreier Oberbekleidung untersagt war, stellte eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar.
- Die Einschränkung der Bekleidungsfreiheit des Klägers berührte sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und war daher eine weniger günstige Behandlung.
- Die Begründung der Beklagten, die Kleiderordnung diene dazu, Bodybuilder abzuschrecken, wurde als nicht sachlich gerechtfertigt angesehen.
- Das Gericht sprach dem Kläger daher eine Entschädigung von 250 Euro zu.
- Die weitergehende Unterlassungsklage wurde abgewiesen, da das Vertragsverhältnis bereits beendet war.
- Die Kostenquote berücksichtigte den überwiegenden Klageerfolg des Klägers.
- Der Streitwert wurde auf 1.500 Euro festgesetzt.
Fitnessstudio- Diskriminierung: Gericht verurteilt geschlechtsspezifische Kleiderordnung
Die Frage der angemessenen Kleidung in öffentlichen Einrichtungen wie Fitnessstudios ist ein oft diskutiertes Thema. Dabei geht es häufig um mögliche geschlechtsspezifische Benachteiligungen durch Kleiderordnungen. Grundsätzlich haben Anbieter das Recht, Verhaltensregeln für ihre Räumlichkeiten aufzustellen. Allerdings dürfen diese Regeln niemanden aufgrund des Geschlechts benachteiligen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sieht ein Verbot solcher Diskriminierungen vor.
Ob eine bestimmte Kleiderordnung tatsächlich eine unzulässige Benachteiligung darstellt, hängt vom Einzelfall ab. Dabei sind unter anderem die Verhältnismäßigkeit der Regelung und ihre sachliche Rechtfertigung zu prüfen. Gerichte haben in der Vergangenheit vereinzelt Kleidervorschriften für Fitnessstudios als zulässig erachtet, wenn sie dem Schutz der Intimsphäre oder der Vermeidung von Gefahren dienten.
In der Praxis kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Studiobetreibern und Kunden hinsichtlich geschlechtsspezifischer Kleidungsvorschriften. Ein aktueller Fall, in dem ein Gericht über eine solche Streitigkeit zu entscheiden hatte, soll im Folgenden näher beleuchtet werden.
Der Fall vor dem Amtsgericht Bad Urach im Detail
Diskriminierende Kleiderordnung im Fitnessstudio – Gericht spricht Entschädigung zu
In dem Fall vor dem Amtsgericht Bad Urach (Az.: 1 C 161/23) ging es um die Klage eines Mannes gegen einen Fitnessstudiobetreiber wegen geschlechtsspezifischer Benachteiligung durch die Kleiderordnung. Der Kläger hatte einen dreimonatigen Vertrag zur Nutzung des Studios abgeschlossen und fühlte sich in der Folge beim Training diskriminiert, da ihm das Tragen von Tanktops untersagt wurde. Frauen hingegen durften im Studio schulterfreie Kleidung tragen. Nach erfolglosen Beschwerden bei der Geschäftsleitung des Fitnessstudios klagte der Mann auf Unterlassung dieser Diskriminierung und auf Zahlung einer Entschädigung.
Der Kläger argumentierte, dass durch die Kleiderordnung allein Männer in ihrer Kleidungswahl eingeschränkt würden und dies eine unzulässige Benachteiligung aufgrund des Geschlechts darstelle. Die Beklagte hingegen rechtfertigte die Regelung mit ihrem unternehmerischen Konzept. Sie wolle sich von Bodybuilding-Studios abgrenzen und ein anderes Klientel ansprechen. Aus diesem Grund seien Muskelshirts, die mit Bodybuilding assoziiert würden, unerwünscht. Frauen würden Tanktops dagegen aus anderen Gründen tragen, nämlich aus funktionalen oder ästhetischen Erwägungen.
Unzulässige Benachteiligung aufgrund des Geschlechts
Das Amtsgericht Bad Urach gab dem Kläger in Teilen Recht. Das Gericht stellte fest, dass die Kleiderordnung des Fitnessstudios tatsächlich eine Benachteiligung des Klägers aufgrund seines Geschlechts darstellte. Die Regelung, dass nur Männern das Tragen von Muskelshirts untersagt war, knüpfte unmittelbar an das Geschlecht an und stellte somit eine Diskriminierung dar. Dies gelte auch dann, wenn die Kleiderordnung formal geschlechtsneutral formuliert gewesen wäre, aber in der Praxis nur gegenüber Männern durchgesetzt würde.
Die Richter sahen diese Benachteiligung als unzulässig an. Die Einschränkung der Bekleidungswahl des Klägers stelle einen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht dar und sei daher eine weniger günstige Behandlung. Der Kläger werde gegenüber Frauen und gegenüber Nutzern anderer Fitnessstudios ungleich behandelt.
Keine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung
Die Begründung der Beklagten, dass die Kleiderordnung dem Image des Studios und der Abgrenzung von Bodybuilding-Studios diene, überzeugte das Gericht nicht. Die Richter sahen darin keine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen.
Eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Geschlechts sei nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nur zulässig, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Dies könne beispielsweise die Vermeidung von Gefahren, der Schutz der Intimsphäre oder die Gewährung besonderer Vorteile sein. Keiner dieser Rechtfertigungsgründe sei im vorliegenden Fall ersichtlich.
Entschädigung für den Kläger
Das Gericht sprach dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 250 Euro zu. Zwar wiege der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht schwer, jedoch stelle die Kleiderordnung eine Diskriminierung dar, die nicht gerechtfertigt sei. Bei der Bemessung der Entschädigungshöhe berücksichtigte das Gericht unter anderem die Dauer der Benachteiligung, die Intensität des Eingriffs und den Verschuldensgrad der Beklagten.
Die weitergehende Klage auf Unterlassung der Ungleichbehandlung wurde abgewiesen, da das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien bereits beendet war und somit keine Wiederholungsgefahr mehr bestand.
✔ FAQ zum Thema: Geschlechtsspezifische Kleiderordnung
Was sind die rechtlichen Grundlagen für Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Deutschland?
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist die zentrale rechtliche Grundlage für den Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Deutschland. Es verbietet unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen sowie Belästigungen und sexuelle Belästigungen wegen des Geschlechts.
Das AGG setzt mehrere EU-Richtlinien um, insbesondere die Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Diese Richtlinie verbietet Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts in Bezug auf Beschäftigung, Berufsbildung, Arbeitsbedingungen und Entgeltgleichheit.
Das AGG gilt sowohl im Arbeitsleben (Einstellung, Beförderung, Entlassung etc.) als auch bei Massengeschäften des täglichen Lebens wie Einkäufen, Gaststättenbesuchen oder Dienstleistungen. Es verpflichtet Arbeitgeber, Diskriminierungen zu unterlassen und aktiv zu verhindern.
Für den Bereich der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern wurde 2017 das Entgelttransparenzgesetz eingeführt. Es gewährt Beschäftigten einen Auskunftsanspruch über Entgeltkriterien und Vergleichsentgelte .
Die Beweislast für das Nichtvorliegen einer Diskriminierung liegt nach dem AGG bei der beklagten Seite, wenn Indizien für eine Benachteiligung vorliegen .
Welche Rechte haben Betroffene, wenn sie sich diskriminiert fühlen?
Laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) haben Betroffene bei Diskriminierung folgende Rechte:
- Beschwerderecht (§13 AGG): Betroffene haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen im Unternehmen oder der Behörde über eine Diskriminierung zu beschweren. Arbeitgeber sind verpflichtet, eine Beschwerdestelle einzurichten und bekannt zu machen.
- Leistungsverweigerungsrecht (§14 AGG): Betroffene können die Erbringung einer Leistung verweigern, wenn der Arbeitgeber keine geeigneten Maßnahmen gegen die Diskriminierung ergreift. Dies gilt ohne arbeitsrechtliche Nachteile.
- Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung (§15 AGG): Bei Diskriminierung können Betroffene Schadensersatz für materielle Schäden und eine angemessene Entschädigung für immaterielle Schäden verlangen.
- Erleichterte Beweislast (§22 AGG): Betroffene müssen nur Indizien für eine Diskriminierung vortragen. Die Gegenseite muss dann beweisen, dass keine Diskriminierung vorlag .
- Frist zur Geltendmachung (§15 Abs. 4 AGG): Ansprüche müssen innerhalb von 2 Monaten nach Kenntnis der Diskriminierung schriftlich geltend gemacht werden.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berät Betroffene kostenlos zu ihren Rechten und möglichen Schritten. Eine anwaltliche Vertretung ist für die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen empfehlenswert.
Welche Rolle spielt das Persönlichkeitsrecht bei Diskriminierungsfällen?
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht spielt eine zentrale Rolle bei Diskriminierungsfällen. Es schützt die Würde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedes Menschen.
Bei Diskriminierungen aufgrund geschützter Merkmale wie Geschlecht, Behinderung oder ethnischer Herkunft kann das Persönlichkeitsrecht verletzt werden. Diskriminierende Handlungen greifen in den Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung ein und können die Würde der betroffenen Person beeinträchtigen.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Grundrechte wie das Persönlichkeitsrecht auch im Zivilrecht zu beachten sind (mittelbare Drittwirkung) . Somit können Diskriminierungen eine unerlaubte Handlung nach § 823 BGB darstellen und Schadensersatzansprüche auslösen.
Zudem ist das Persönlichkeitsrecht im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankert . Das AGG verbietet Benachteiligungen aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Verstöße können Unterlassungs-, Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche nach sich ziehen.
Insbesondere bei Diskriminierungen aufgrund der Geschlechtsidentität wird das Persönlichkeitsrecht relevant . Eine Verletzung kann vorliegen, wenn eine Person gezwungen wird, eine ihrer Identität nicht entsprechende Angabe zu machen.
Wie wird eine Entschädigung bei Diskriminierung berechnet?
Laut den Suchergebnissen richten sich die Kriterien für die Bemessung einer angemessenen Entschädigung bei Diskriminierung nach § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) :
- Art und Schwere der Diskriminierung: Je gravierender die Benachteiligung, desto höher fällt die Entschädigung aus.
- Zahl und Folgen der Diskriminierungen: Mehrfache oder andauernde Diskriminierungen sowie schwerwiegende Folgen für die betroffene Person führen zu einer höheren Entschädigung.
- Ausmaß des Verschuldens des Arbeitgebers: Ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten des Arbeitgebers kann zu einer Erhöhung der Entschädigung führen.
- Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers: Die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers wird bei der Bemessung berücksichtigt.
Das Bundesarbeitsgericht orientiert sich in der Regel an einer Entschädigung von rund 1,5 Bruttomonatsgehältern. Bei besonders schweren Fällen können aber auch deutlich höhere Beträge bis zu einem Jahresgehalt angemessen sein.
Wenn ein abgelehnter Bewerber jedoch auch ohne Diskriminierung nicht eingestellt worden wäre, ist die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG auf maximal drei Monatsgehälter begrenzt .
Die Entschädigung dient der Sanktionierung und präventiven Abschreckung des Arbeitgebers vor weiteren Diskriminierungen und ist daher unabhängig von einem materiellen Schaden zu zahlen .
In welchen Fällen kann die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen als gerechtfertigt angesehen werden?
- Wenn biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern eine Ungleichbehandlung erforderlich machen, z.B. zum Schutz von Frauen während der Schwangerschaft .
- Wenn die Ungleichbehandlung einem rechtmäßigen Ziel dient und die Anforderungen für die jeweilige berufliche Tätigkeit angemessen sind. Dies kann beispielsweise bei bestimmten Schauspieler- oder Modelrollen der Fall sein .
- Bei Fördermaßnahmen zur Herstellung tatsächlicher Gleichstellung, die das unterrepräsentierte Geschlecht vorübergehend bevorzugen (sog. Quotenregelungen) .
- Wenn eine mittelbare Benachteiligung eines Geschlechts beim Entgelt sachlich gerechtfertigt ist, z.B. durch Berücksichtigung von Schicht- oder Wochenendarbeit .
Generell muss eine Ungleichbehandlung jedoch verhältnismäßig sein und das Ziel der Gleichstellung von Männern und Frauen verfolgen. Reine Rollenklischees oder Traditionen reichen als Rechtfertigung nicht aus. Laut dem Bundesverfassungsgericht müssen Ungleichbehandlungen „wegen der funktionalen und biologischen Unterschiede der Geschlechter nach der Natur der jeweiligen Regelungssachverhalte erforderlich“ sein.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), insbesondere § 19 Abs. 1 Nr. 1 und § 21 Abs. 2 Das AGG verbietet Diskriminierung aufgrund verschiedener Merkmale, einschließlich Geschlecht, in zivilrechtlichen Schuldverhältnissen. Im vorliegenden Fall ist relevant, dass der Kläger als Mann im Fitnessstudio anders behandelt wurde als Frauen, was eine unzulässige Diskriminierung nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG darstellt. § 21 Abs. 2 AGG regelt die Entschädigung für immaterielle Schäden, die durch Diskriminierung entstehen, was im Urteil zur Entschädigungszahlung an den Kläger führt.
- § 3 Abs. 1 AGG – Definition der Benachteiligung Diese Vorschrift definiert, was unter einer Benachteiligung zu verstehen ist. In diesem Fall wurde der Kläger durch die Kleiderordnung, die ihm das Tragen von Tanktops verbot, während es Frauen erlaubt war, schulterfreie Kleidung zu tragen, benachteiligt. Das Gericht sah darin eine ungleiche und somit ungünstigere Behandlung des Klägers im Vergleich zu Frauen.
- § 20 AGG – Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung Dieser Paragraph ermöglicht eine unterschiedliche Behandlung auf Basis eines sachlichen Grundes. Die Beklagte versuchte, die Kleiderordnung mit ihrem Image und der Abgrenzung zu Bodybuildern zu rechtfertigen. Das Gericht fand jedoch keinen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen gemäß dieser Regelung, was dazu führte, dass die Benachteiligung als nicht gerechtfertigt angesehen wurde.
- Zivilprozessordnung (ZPO), § 281 Abs. 2 Satz 4 Diese Vorschrift ist relevant für die Zulässigkeit der Klage vor dem zuständigen Gericht. Das Amtsgericht Bad Urach war aufgrund der örtlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Stuttgart zuständig, was die Verweisung des Rechtsstreits erklärt.
- Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), § 23 Der Streitwert des Falles war relevant für die Zuständigkeit des Amtsgerichts. Da der Streitwert unter 5.000 Euro lag, war das Amtsgericht zuständig. Dies beeinflusst die Prozessführung und welche gerichtliche Instanz für die Verhandlung eines Falles zuständig ist.
Diese Gesetze und Vorschriften bilden die rechtliche Grundlage für die Entscheidung des Gerichts in diesem spezifischen Fall der geschlechtsspezifischen Diskriminierung in einem Fitnessstudio. Sie verdeutlichen die Mechanismen, mit denen Diskriminierungsfälle behandelt und beurteilt werden.
➜ Das vorliegende Urteil vom Amtsgericht Bad Urach
AG Bad Urach – Az.: 1 C 161/23 – Urteil vom 14.02.2024
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 250,00 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die durch die Verweisung des Rechtsstreits entstandenen Kosten. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.500,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht Entschädigung nach dem Gleichbehandlungsgesetz geltend.
Die Beklagte betreibt in der Rechtsform der GmbH ein Fitneßstudio in M. Am 26. Februar 2023 schloß der Kläger eine Mitgliedschaftsvereinbarung mit der Beklagten zur Nutzung der Einrichtung für drei Monate. Neben der Aufnahmegebühr sollte der Kläger monatlich 69,90 Euro zahlen.
Nach einem Plakat sollten beim Training die Schultern immer bedeckt sein: „Muskelshirts sind beim Training nicht gestattet!“. Auf dem Plakat waren vier männliche Oberkörper mit unterschiedlicher Rumpfbekleidung abgebildet. Wegen Einzelheiten in der Darstellung verweist das Gericht auf Anlage K 1.
In der Folgezeit nutzte der Kläger die Trainingseinrichtungen der Beklagten. Jedenfalls ab 21. März 2023 fühlte sich der Kläger beim Training in seinem Geschlecht benachteiligt, weil ihm das Tragen von Tanktops untersagt sei, während es für Frauen zulässig sei, schulterfreie Kleidung zu tragen. Er wandte sich deshalb mit Emails an die Geschäftsführung der Beklagten. Am 23. März 2023 schrieb der Kläger an die Beklagte: „nochmals, ich fühle mich benachteiligt. Falls die Ungleichbehandlung nicht bis Morgen beseitigt ist, werde ich weitere Schritte einleiten.“ Am 24. März 2023 schrieb ein Mitarbeiter „M.“ der Beklagten an den Kläger: „Wenn die XXX Kleiderordnung für dich so ein großes Problem darstellt, biete ich dir hiermit ein sofortiges Sonderkündigungsrecht an… Wir legen sehr viel Wert auf die Zufriedenheit unserer Kunden und wollen, dass sich jeder bei uns wohl fühlt. Wenn für dich das Training im Tanktop dazugehört, bis du bei uns leider falsch.“
Am 30. März 2023 bestätigte ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten dem Kläger, dass er von Montag bis Freitag von 22.00 bis morgens 8.30 Uhr und am Wochenende vom 18.00 bis 10.00 Uhr im Tanktop trainieren dürfe. Wenig später hing im Studio folgendes Plakat:
„Ab dem 1. Mai sind Tanktops wieder erlaubt“.
Spätestens im Juli 2023 endete die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten.
Der Kläger sieht sich durch die Kleiderordnung in seinem Recht auf Gleichberechtigung verletzt. Er behauptet, allein Männern sei das Tragen schulterfreier Oberbekleidung durch die Beklagte verboten worden. Diese Regelung knüpfe an das Geschlecht an und diskriminiere den Kläger in seiner Kleidungswahl und seinem Kleidungsstil. Es sei nicht erlaubt, insoweit zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden. Die ganze Regelung sei willkürlich, wie sich schon daran zeige, dass sie nur zu gewissen Zeiten gelten sollte und auch spontan aufgehoben wurde.
Der Kläger habe nahezu täglich bei der Beklagten trainiert und sei wegen seiner Kleidung einmal des Studios verwiesen worden. Auch sonst sei er wiederholt auf die Kleiderordnung angesprochen worden. Außerdem sei er nicht in gebotener Form auf die Kleiderordnung hingewiesen worden, insbesondere sei sie ihm bei Vertragsabschluss nicht ausgehändigt worden.
Der Kläger habe sich zunächst vergeblich bei der Beklagten um Abhilfe bemüht. Er habe sich an das Sozialministerium und den Landesbeauftragten für Gleichstellung gewendet.
Ihm schwebt ein Ersatz in einer Größenordnung von 1.500,- Euro vor. Er begehrt 500,- Euro für die direkte persönliche Beeinträchtigung, 250,- Euro für die Ungleichbehandlung, weitere 250,- Euro für seinen Aufwand, und 250,- Euro präventiv. In die Bemessung müsse auch einfließen, dass auch das „dritte Geschlecht“ benachteiligt würde und die Beklagte im E.-tal quasi eine „Monopolstellung“ habe, der Kläger also nicht einfach in ein anderes Studio ausweichen könne.
Der Kläger beantragt:
1.) Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger aufgrund seines Geschlechts ungleich zu behandeln, insbesondere durch das Durchsetzen von Regeln bezüglich der Kleiderordnung.
2.) Die Beklagte wird verurteilt, eine angemessene Entschädigung in Geld an den Kläger zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Für den Klageantrag Ziff. 1 sei schon kein Raum mehr, weil das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien beendet sei.
Auch der Entschädigungsantrag sei unbegründet, weil es kein ausschließliches Verbot des Tragens von Muskelshirts für Männer gegeben habe. Die Mitglieder würden geschlechtsunabhängig darum gebeten, keine Muskelshirts zu tragen, weil sie trainieren und nicht posen sollten. Muskelshirts würden mit Bodybuilding assoziiert, wovon sich die Beklagte nach ihrem unternehmerischen Konzept abheben wolle. Die Beklagte habe ein betriebswirtschaftliches Interesse daran, ihre Mitgliederstruktur entsprechend zu steuern und für „Bodybuilder“ unattraktiv zu sein. Die gerügte Kleiderordnung sei geeignet, das Publikum der Beklagten entsprechend zu steuern. Frauen dagegen trügen solche Bekleidung aus funktionalen oder vielleicht auch aus Gründen der Eitelkeit, nicht aber um ihre Muskelmasse zur Schau zu stellen, was eben statistisch anders bei männlichen Trainierenden sei. Deshalb sei die Kleiderordnung auch, wenn sie ausschließlich für Männer gelten sollte, sachlich gerechtfertigt.
Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger einmal wegen eines Muskelshirts des Studios verwiesen worden sei. Vielmehr habe der Kläger jederzeit unbeanstandet im Muskelshirt trainieren dürfen und die Kleiderordnung faktisch ignoriert.
Der Kläger reichte seine Klageschrift zunächst beim Amtsgericht Stuttgart ein. Dieses erklärte sich mit Beschluss vom 13. Juli 2023 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Bad Urach. Das Gericht hat am 10. Januar 2024 mündlich verhandelt. Wegen des Gangs der mündlichen Verhandlung verweist das Gericht auf die Niederschrift Bl. 103 ff.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist vor dem Amtsgericht Bad Urach nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO zulässig. Der Streitwert erreicht die Marke von 5.000,- Euro nicht, § 23 GVG.
II.
Die Klage ist zum Teil begründet.
Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG ist eine Benachteiligung wegen des Geschlechts bei der Durchführung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder bei denen das Aussehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen unzulässig. Nach § 21 Abs. 2 AGG ist der Benachteiligende verpflichtet, bei einer Verletzung des Benachteiligungsverbots den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Nach § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG kann der Benachteiligte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.
1.)
Der vorliegende Vertrag über die Nutzung der Fitneßeinrichtungen ist ein von § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG erfaßtes zivilrechtliches Schuldverhältnis.
Die Regelung ist mit Blick auf den Schutzzweck des Gesetzes dahin zu verstehen, dass ein Schuldverhältnis ohne Ansehen der Person begründet wird, wenn der Anbieter im Rahmen seiner Kapazitäten grundsätzlich mit jedermann abzuschließen bereit ist. Massengeschäfte im Sinne dieser Definition sind insbesondere Verträge im Bereich der Konsumgüterwirtschaft und über standardisierte Dienstleistungen etwa des Einzelhandels, der Gastronomie oder des Transportgewerbes. Ein Ansehen der Person liegt hingegen vor, wenn der Anbieter seine Entscheidung über den Vertragsschluss erst nach einer Würdigung des Vertragspartners trifft (BGH, Urteil vom 25. April 2019 – I ZR 272/15 –, Rn. 18, Stipendium).
Auch wenn die Beklagte vorträgt, dass sie aufgrund ihres Geschäftszwecks ihr Angebot vorwiegend an fleißige Sportler und nicht an Bodybuilder richtet, steht ihr Angebot grundsätzlich zunächst Jedermann zu vergleichbaren Bedingungen offen. Sie verwendet allgemeine Geschäftsbedingungen, wie sie gerade für derartige Massengeschäfte üblich sind. Die Verwendung gleichförmiger Formularverträge indiziert regelmäßig ein entsprechendes Massengeschäft (Armbruster, in Erman, BGB Kommentar, 17. Aufl. 2023, § 19 AGG, Rn 15). Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass sie Anfragen nach Mitgliedschaft von vornherein vom Ansehen der konkreten Person abhängig machen würde. Vor diesem Hintergrund stellt der zwischen den Parteien zustande gekommene Fitneßstudiovertrag ein zivilrechtliches Schuldverhältnis im Sinne des § 19 AGG dar. Das Ansehen der Person hat allenfalls eine nachrangige Bedeutung für den Vertragsabschluss.
2.)
Die Beklagte hat den Kläger durch die Kleiderordnung benachteiligt.
Nach der mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass die Kleiderordnung der Beklagten am Geschlecht ansetzt und den Kläger gerade aufgrund seines Geschlechts auch in der Auswahl der Bekleidung beeinträchtigt.
a)
Zunächst ist das Gericht davon überzeugt, dass die Beklagte tatsächlich eine „Kleiderordnung“ erlassen hat, nach der allein männlichen Mitgliedern die Bedeckung der Schultern durch Kleidung vorgeschrieben war. Dies hat die Beklagte zwar so in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich bestätigt und die entsprechende Vorschrift ist auch nie zur Akte gelangt. Das ist indes auch nicht erforderlich. Die Benachteiligung kann nicht nur durch niedergelegte Vorschriften eintreten, sondern auch durch das tatsächlich gelebte Verhalten und die Anwendung von Normen. So diskriminiert die Kleiderordnung Männer auch, wenn sie zwar geschlechtsneutral formuliert sein sollte, aber gegen Frauen nicht durchgesetzt wird, etwa weil sie nach Auffassung der Beklagten Tanktops aus „funktionalen oder vielleicht auch aus Gründen der Eitelkeit“ tragen. Das vom Kläger vorgelegte Poster K 1 zeigt für das Gericht eindeutig männliche Oberkörper, an denen das Beispiel für korrekte oder inkorrekte Kleidung dargestellt wird. Zusammen mit den Ausführungen in der Klageerwiderung ist das Gericht davon überzeugt, dass sich das Muskelshirtverbot in seiner praktischen Anwendung gerade gegen Männer richten sollte. Damit geht von der Kleiderordnung eine unmittelbar aus dem Geschlecht folgende Andersbehandlung aus.
b)
Die Kleiderordnung benachteiligte den Kläger.
Davon ist das Gericht unabhängig von der Behauptung des Klägers überzeugt, er sei einmal wegen eines Tanktops des Studios verwiesen worden. Wäre diese bestrittene Behauptung erwiesen, läge darin eindeutig eine Benachteiligung des Klägers, weil er die von der Beklagten angebotene Leistung nicht wie vertraglich vereinbart nutzen konnte.
Das Gericht sieht jedoch eine Benachteiligung schon in der Regelung als solcher. Eine Benachteiligung setzt nach § 3 Abs. 1 AGG voraus, dass der Kläger aufgrund seines Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Person.
Maßgeblich für die Beurteilung, ob die betroffene Person eine weniger günstige Behandlung erfährt als die Vergleichsperson, ist die objektive Sicht eines verständigen Dritten, nicht die subjektive Sicht der betroffenen Person (BGH, Urteil vom 13. März 2018 – VI ZR 143/17 –, BGHZ 218, 96-111, Rn. 31).
Objektiv betrachtet erfährt der Kläger tatsächlich eine weniger günstige Behandlung. Er wird in der Wahl seiner Kleidung eingeschränkt. Damit ist er in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eingeschränkt (BVerfG, Beschluss vom 3. November 1999 – 2 BvR 2039/99 – NJW 2000, 1399). Als Frau hätte er die Möglichkeit, schulterfrei zu trainieren. Ebenso stünde ihm diese Möglichkeit bei anderen Fitneßeinrichtungen grundsätzlich offen. Der Begriff „weniger günstig“ in § 3 AGG ist nicht monetär zu verstehen. Auch eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann daher eine „weniger günstige“ Behandlung im Sinne einer Freiheitseinschränkung darstellen.
Die Email der Beklagten vom 24. Februar 2023 zeigt auch, dass die Beklagte die insoweit repressive Vorschrift gegen den Kläger auch anwendete. Die Beklagte schlug dem Kläger sogar vor, den Nutzungsvertrag aufzuheben, falls ihm die Kleiderordnung nicht passe. Darin kommt ganz klar zum Ausdruck, dass die Beklagte ihre Kleiderordnung gegen den Kläger auch durchsetzen wollte.
3.)
Diese Benachteiligung ist nicht sachlich gerechtfertigt.
Eine unterschiedliche Behandlung ist nach § 20 Abs. 1 Satz 1 AGG zulässig, wenn für eine unterschiedliche Behandlung ein sachlicher Grund vorliegt. Ein sachlicher Grund kann nach § 20 Abs. 1 Satz 2 AGG insbesondere sein:
1. Die Vermeidung von Gefahren, die Verhütung von Schäden oder andere Zwecke vergleichbarer Art,
2. Das Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit,
3. Die Gewährung besonderer Vorteile, wenn ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt.
Die Beklagte begründet das Verbot mit dem Image von Bodybuildern. Dieses Ziel kann das Gericht aber weder der Gefahrenprävention noch dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre noch der Gewährung besonderer Vorteile zuordnen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Aufzählung in § 20 Abs. 1 Satz 2 AGG unvollständig ist und auch andere Gründe eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Das Gericht sieht jedoch nicht, wie die Beklagte überhaupt ihr (fragwürdiges) Ziel, keine Bodybuilder anzusprechen, mit einer geschlechtsspezifischen Regelung erreichen will. Wenn sich Bodybuilder nach der Logik der Beklagten dadurch auszeichnen, dass sie schulterfrei trainieren, müsste dies doch für Frauen und Männer gleichermaßen gelten. Mit den in der Klageerwiderung genannten Gründen lässt sich jedenfalls eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen nicht rechtfertigen. Ebensowenig ist mit dieser Argumentation die allenfalls zeitweilige Geltung der Kleidungsvorschrift vereinbar.
Das Gericht kann auch aus dem vierten gemeinsamen Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vom 7. Oktober 2021, wonach entsprechende Bekleidungsvorschriften „in der Regel gemäß § 20 AGG sachlich gerechtfertigt“ seien (BT-Drucks. 19/32690, S. 93), in dieser Pauschalität nicht folgen. Es ist schon nicht klar, von welchem Regelfall der zulässigen Benachteiligung die Berichtverfasser ausgehen. Hier hält sich die Begründung des Berichts zurück und liefert keine weiteren Hinweise.
4.)
Ein Verschulden der Beklagten wird nach § 21 Abs. 2 Satz 2 AGG vermutet.
Die Beklagte kann sich insbesondere nicht darauf berufen, die Regelung sei ihr von einem Franchisegeber vorgegeben worden. Sie tritt eigenständig am Markt auf und hat ihre eigenen Vertragsformulare mit eigenen Vertragsklauseln verwendet. Soweit sie eine Vorgabe übernommen hat, muss sie sich das Verhalten des Franchisegebers nach § 276 BGB zurechnen lassen.
5.)
Nach § 21 Abs. 5 AGG muß ein Anspruch nach § 21 innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden. Hierfür stellt das Gesetz keine besonderen Anforderungen auf. Es genügt daher, wenn der Anspruchsteller fristgerecht gegenüber dem Gegner erklärt, dass er wegen der Benachteiligung einen Anspruch auf Beseitigung, Unterlassung oder Schadensersatz geltend macht (Armbrüster in: Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 21 AGG, Rn. 32). Der Kläger berief sich jedenfalls am 23. März 2023 auf die Ungleichbehandlung und forderte deren Abstellung, so dass die Frist des § 21 Abs. 5 AGG gewahrt ist. § 21 Abs. 5 AGG setzt dagegen nicht voraus, dass der Anspruchssteller sogleich seinen möglichen Schadensersatzanspruch beziffert. Er hat unter mehreren Ansprüchen die Wahl.
6.)
Nach § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG kann der Kläger auch für seinen Nichtvermögensschaden eine angemessene Entschädigung verlangen. § 21 AGG trifft insofern eine gesetzliche Anordnung im Sinne des § 253 Abs. 1 BGB.
a)
Das Schmerzensgeld hat rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebenshemmung, die nicht vermögensrechtlicher Art sind. Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, daß der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (BGH, Beschluss vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55 –, BGHZ 18, 149-168, Rn. 14; Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16 – BGHZ 212, 48). Nach der Gesetzesbegründung zum AGG ist die Entschädigung angemessen, wenn sie dem Benachteiligten Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung oder Zurücksetzung verschaffen kann (BT-Drucks. 16/1780, S. 46). Zur weiteren Konkretisierung können die Grundsätze des Geldentschädigungsanspruchs bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herangezogen werden. Hiernach ist zu berücksichtigen, dass der Geldentschädigungsanspruch bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur schwerwiegende und anderweitig nicht auszugleichende Persönlichkeitsrechtsverletzungen kompensiert und für die Bemessung der Entschädigungshöhe die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung erheblich ist (BT-Drucks. a. a. O.).
Ob es für eine Geldentschädigung erforderlich ist, dass die Verletzung des Persönlichkeitsrechts eine gewisse Schwere erreicht, ist danach umstritten. Einige lehnen dies ab. Der europarechtlich geforderte Maßstab einer effektiven Prävention erfordere, dass ausnahmslos jede tatbestandsmäßige Diskriminierung sanktioniert werde (vgl. Mörsdorf, in: beckonlineGK, Stand: 01.09.2021, § 21 AGG Rn. 61 f.; S. Overkamp, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 21 AGG Rn. 22; Deinert, in: Däubler/Beck, AGG, 5. Auf. 2022, § 21 Rn. 62).
Die überwiegende Auffassung vertritt demgegenüber unter Verweis auf die Gesetzesbegründung die Auffassung, dass die Verletzung eine gewisse Intensität der Herab- und Zurücksetzung erfordere (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 14. Dezember 2021 – 24 U 19/21 – MDR 2022, 565 mwN, etwas distanzierter OLG Hamm, Urteil vom 12.01.2011 – 20 U 102/10 -, NJW-RR 2011, 762; OLG Frankfurt, Urteil vom 21. Juni 2022 – 9 U 92/20 – MDR 2022, 1026).
In der hier angewendeten Variante beruhen §§ 19, 21 AGG auf der Richtlinie 2004/113/EG vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Deren Art. 14 Abs. 2 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten bei Verstößen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorsehen. Ein Schadenersatzanspruch kann eine solche Sanktion sein. Die Gesetzesbegründung weist auch ausdrücklich darauf hin, dass § 21 den Anforderungen des Art. 14 der genannten Richtlinie entspreche und genüge (BT-Drucks. 16/1780, S. 46). Die Voraussetzungen an ihren Tatbestand dürfen nicht übersetzt werden, soll der Ersatzanspruch tatsächlich die wirkungsvolle und abschreckende Sanktion sein (vgl. OLG Hamm a. a. O.). Greift der Schadensersatzanspruch erst ab einer bestimmten Eingriffstiefe, hätte dies umgekehrt zur Folge, dass für Verletzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes oberhalb dieser Tiefe keine wirksame und abschreckende Sanktion vorgesehen wäre, die Richtlinie wäre dann nicht vollständig umgesetzt. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG muss deshalb dahin führen, dass jede nicht völlig unerhebliche Ungleichbehandlung auch einen immateriellen Ersatzanspruch nach sich zieht.
b)
Dies vorangestellt, reicht der erwiesene Sachverhalt aus, um dem Beklagten eine Entschädigung von 250,- Euro zuzusprechen.
Auch wenn der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht schwer wiegt und der Kläger objektiv verkraften könnte, anders als Damen nicht schulterfrei zu trainieren, bleibt mit der Regelung ein entsprechender Eingriff verbunden. Die Beklagte hat auch auf die erstmalige Rüge des Klägers nach Aktenlage nicht abgeholfen, sondern auf ihre Vorschriften oder die Vorgaben des Franchisegebers verwiesen. Die von der Beklagten zur Begründung der Ungleichbehandlung ins Feld geführten Argumente im Hinblick auf das unterstellte Kleidungsgebaren so genannter Bodybuilder erwiesen sich auch keineswegs geeignet, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Die Email etwa vom 23. März 2023 weist darauf hin, dass die Beklagte die Kleiderordnung auch durchsetzen wollte und dem Kläger deshalb eine Vertragskündigung anbot. Dies spricht dafür, dass die Ungleichbehandlung auch tatsächlich gelebt wurde.
Auf der anderen Seite ist zu sehen, dass der Kläger die Vereinbarung am 26. Februar 2023 unterzeichnete und spätestens im Mai 2023 die diskriminierende Kleiderordnung geändert wurde. Auch bis Mai 2023 stand es dem Kläger zu gewissen Zeiten frei, sich abweichend von der Kleiderordnung anzuziehen. Zu einem Ausschluss des Klägers vom Training kam es schon seinen eigenen Angaben zufolge nur ein einziges Mal. Die Regelung führte also nicht zu einem vollständigen Ausschluss des Klägers von den Leistungen der Beklagten. Allenfalls verlangte sie vom Kläger, einen vertretbaren Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht hinzunehmen.
Ein gesteigerter Verschuldensgrad ist bei der Beklagten nicht ersichtlich. Insbesondere verfolgte die Beklagte mit ihrer Kleiderordnung nicht das Ziel, gerade den Kläger einzuschränken. Die Vorgabe zur Bedeckung der Schultern traf alle männlichen Studionutzer gleichermaßen, ein besonderer Vorwurf wird vom Kläger insoweit auch nicht erhoben.
Dem Kläger kann keine höhere Entschädigung mit dem Argument zugebilligt werden, die Beklagte halte im E.-tal eine Monopolstellung. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch hat seine Wurzel im Vertrag zwischen den Parteien. Der Kläger kann daher keine Argumente anführen, die mit dem betroffenen Vertragsverhältnis nicht in Zusammenhang stehen.
Ebenso begründet der vom Kläger behauptete Aufwand für die Schadensberechnung und Durchsetzung seiner Ansprüche keine erhöhte Entschädigung. Dieser Aufwand fließt allgemein in die Erwägungen zur Höhe der Entschädigung ein. Es ist ab er nicht zu erkennen, daß der Kläger insoweit deutlich höhere Aufwendungen hatte als andere Personen in der vergleichbaren Lage des Klägers.
Das Gericht berücksichtigt bei der Bemessung auch den Gedanken der präventiven Wirkung einer Entschädigung. Dieser Gesichtspunkt hat allerdings keinen Vorrang vor den anderen für die Bemessung der Entschädigung im Einzelfall zu berücksichtigenden Kriterien. Generalpräventive Erwägungen dürfen nicht dazu führen, dass die Diskriminierung zu einem „Geschäft“ für den Benachteiligten wird (OLG Stuttgart, Urteil vom 12. Dezember 2011 – 10 U 106/11 –, Rn. 35, juris).
Bei der Bemessung orientiert sich das Gericht auch an Vorentscheidungen. Zumeist werden Beträge im vierstelligen Bereich ausgeurteilt (AG Charlottenburg, Urteil vom 14. Januar 2020 – 203 C 31/19 – 3.000,- Euro; LG Essen – Beschluss vom 18. Mai 2022 – 10 S 6/22 – 1.500,- Euro jeweils bei Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt; AG Kassel, Urteil vom 7. September 2023 – 435 C 777/23 – 3.000,- Euro bei Altersdiskriminierung im Zusammenhang mit einem Kreditgeschäft). Wegen rassischer Diskriminierung erhielt ein Betroffener, der von einer Veranstaltung ausgeschlossen wurde, 2011 eine Entschädigung von 900,- Euro (OLG Stuttgart, Urteil vom 12. Dezember 2011 – 10 U 106/11 –, Rn. 35, juris). Dieser Betrag kann im vorliegenden Fall keinesfalls zuerkannt werden, weil der Kläger ganz überwiegend die Trainingsmittel der Beklagten nutzen konnte und daher kein weitreichender Eingriff in den Vertrag stattgefunden hat. Der monatliche Mitgliedsbeitrag lag für den Kläger bei 69,90 Euro. Der Entschädigungsbetrag entspricht einem Äquivalent von 3,5 Monatsbeiträgen und erweist sich danach als ausreichend, um der dem Kläger widerfahrenen Diskriminierung in gebotener, auch abschreckender Weise zu begegnen.
III.
1.)
Ein weiterer Anspruch des Klägers auf Unterlassen der Ungleichbehandlung im Zusammenhang mit der Kleiderordnung besteht nicht. Ein Unterlassungsanspruch erfordert nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AGG, dass weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind. Nachdem aber die Parteien das Vertragsverhältnis beendet haben und der Kläger umgezogen ist, sieht das Gericht keine Wiederholungsgefahr. Der Unterlassungsanspruch ist daher nicht begründet.
2.)
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO, 92 ZPO.
Nach § 281 ZPO trägt der Kläger unabhängig vom Prozeßausgang die durch die Anrufung des Amtsgerichts Stuttgart entstandenen Kosten.
Die übrigen Kosten sind, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, verhältnismäßig zu teilen.
Der Kläger unterliegt mit dem Unterlassungsantrag und obsiegt zum Teil mit dem Zahlungsantrag. Den Zahlungsantrag bemißt das Gericht gemäß §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO entsprechend den Vorstellungen des Klägers von der Entschädigungssumme mit 1.250,- Euro, den Unterlassungsantrag mit weiteren 250,- Euro. Von insgesamt 1.500,- Euro obsiegt der Kläger mit 250,- Euro oder 1/5.
3.)
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Das Urteil entscheidet über eine vermögensrechtliche Streitigkeit und erlaubt eine Vollstreckung unter 1.250,- Euro in der Hauptsache.