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Bezeichnung eines Mitarbeiters als „Kollegenschwein“ – Kündigung?


Landesarbeitsgericht Köln

Az: 11 Sa 905/13

Urteil vom 07.05.2014


Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.10.2013 – 6 Ca 772/13 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Der am 07.01.1956 geborene Kläger, ledig, GdB 30, ist seit dem Oktober 2007 für die Beklagte, die etwa 1.500 Arbeitnehmer beschäftigt, als technischer Angestellter tätig und wurde am Prüfstand eingesetzt.

Der Kläger leidet unter gesundheitlichen Problemen, die er auf die Arbeitsbedingungen am Prüfstand zurückführt. Ab dem 25.10.2012 war der Kläger fortlaufend arbeitsunfähig erkrankt. Auf Einladung der Beklagten fand am 04.02.2013 ein Wiedereingliederungsgespräch statt. Der Kläger strebte in dem Wiedereingliederungsgespräch erfolglos die Versetzung in anderes Team an. Er gab an, dass er seinen Vorgesetzten, den Teamleiter B , nicht akzeptiere und nannte ihn ein „Kollegenschwein“. Nachdem der Kläger sich mit dem Betriebsratsmitglied R beraten hatte, stimmte er am Ende des Eingliederungsgesprächs dem Wiedereingliederungsplan der Beklagten und damit der Beschäftigung im bisherigen Team zu.

Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit einem auf den 14.02.2013 datierten Schreiben wegen der beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe den Teamleiter B in dem Wiedereingliederungsgespräch wiederholt in ehrverletzender Weise als Kollegenschwein bezeichnet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Anhörungsschreibens wird auf Bl. 75 d. A. verwiesen.

Der Betriebsrat meldete unter dem 13.02.2013 Bedenken gegen die außerordentliche Kündigung an und legte Widerspruch gegen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ein. Wegen der Einzelheiten der Begründung des Betriebsrats wird auf. B. 8 ff. d. A. verwiesen.

Nach Eingang der Stellungnahme des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15.02.2013 fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.10.2013 (Bl. 85 ff. d. A.) der Kündigungsschutzklage stattgegeben und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Interessenabwägung falle zugunsten des Klägers aus. Es hat dabei u. a. berücksichtigt, dass es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt habe, der Kläger nicht einschlägig abgemahnt worden und die Äußerung in einem vertraulichen Gespräch in Abwesenheit des Teamleiters erfolgt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbingens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihr am 24.10.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.11.2013 Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründungsschrift ging am letzten Tag der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 24.01.2014 beim Landesarbeitsgericht ein, allerdings ohne Unterschrift des Prozeßvertreters der Beklagten. Nach Hinweis des Landesarbeitsgerichts mit Schreiben vom 07.02.2014 hat die Beklagte unter dem 17.02.2014 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung begründet.

Zum Wiedereinsetzungsantrag führt die Beklagte aus, die Angestellte des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Frau L , habe die Anweisung, die unterschriebene Berufungsbegründung vorab an das Landesarbeitsgericht zu faxen, fehlerhaft ausgeführt und versehentlich eine nicht unterschriebene Fassung gefaxt. Zur Glaubhaftmachung beruft sich die Beklagte auf die eidesstattlichen Versicherungen des Prozessbevollmächtigten und der Angestellten vom 17.02.2014 (Bl. 131 ff. d. A.).

Unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag greift die Beklagte die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung an. Sie hebt hervor, dass der Kläger wiederholt, ohne erkennbaren Anlass den Teamleiter vor einer Vertreterin der Personalabteilung und einem Vorgesetzten in Misskredit gebracht habe. Ein Wiedereingliederungsgespräch sei keine Freifahrtkarte für ehrverletzende Äußerungen. Der Kläger habe wissen müssen, dass die Hinnahme einer solch schweren Beleidigung durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen sei.

Die Beklagte beantragt,

1. der Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren;

2. das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.10.2013(6 Ca 772/13) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 11. Oktober 2013 zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Er habe sich zu der von ihm bedauerten Äußerung nach mehrmaligem Insistieren des Vorgesetzten Dr. S hinreißen lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 17.02.2014 und 24.02.2014, die Sitzungsniederschrift vom 07.05.2014 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäߧ 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Frist des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt. Wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist des § 66 Abs. 1 ArbGG ist der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gemäß § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung zu wahren. Nach § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden eines Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Die Beklagte hat durch Vorlage der Versicherungen an Eides statt vom 17.02.2014 glaubhaft gemacht, dass die sich bisher als zuverlässig erwiesene Rechtsanwaltsfachangestellte L versehentlich die nicht unterschriebene Fassung der Berufungsbegründungsschriftsatzes aus der Postmappe entnommen und am 24.01.2014 an das Landesarbeitsgericht Köln gefaxt hat. Sie hat damit gegen die Einzelanweisung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten verstoßen, die unterschriebene Berufungsbegründung vorab dem Landesarbeitsgericht zu faxen. Hätte sie die Einzelanweisung ordnungsgemäß befolgt, wäre die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden. Den Rechtsanwalt trifft kein der Partei zuzurechnendes Verschulden an der Fristversäumung, wenn er einer bislang zuverlässig arbeitenden Bürokraft eine Einzelweisung erteilt hat, deren Beachtung die Einhaltung der Frist sichergestellt hätte (BGH, Beschl. v. 16.04.2013- VIII ZB 67/12 – m. w. N.).

II. Der Berufung der Beklagten blieb in der Sache der Erfolg versagt. Das Arbeitsgericht hat zu Recht der Kündigungsschutzklage statt gegeben und die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als technischen Angestellten auf der Grundlage des Anstellungsvertrages vom 24.09.2007 weiter zu beschäftigen. Die Ausführungen in der Berufungsschrift rechtfertigen keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

Die Kündigung vom 15.02.2013 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien weder fristlos gemäß § 626 Abs. 1 BGB noch ordentlich (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) zum 30.06.2013 aufgelöst, denn die Kündigungen erweisen sich als unverhältnismäßig und halten einer Interessenabwägung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht stand.

1. Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen solche, im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien zumindest die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine schuldhafte, vorwerfbare und rechts- oder vertragswidrige Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis geeignet. Es genügen Umstände, die aus Sicht eines ruhig und verständig urteilenden Arbeitgebers die Kündigung als angemessene Reaktion auf das Fehlverhalten des Arbeitnehmers erscheinen lassen (BAG, Urt. v. 17.01.2008- 2 AZR 536/06 – m. w. N.). Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, sogar eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG, Urt. v. 07.07.2011 – 2 AZR 355/10 – m. w. N.). Jedoch kennt das Gesetz keine absoluten Kündigungsgründe, vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob sie als Sanktion für den in Rede stehenden Vertragsverstoß angemessen ist. Im Kündigungsrecht gilt nicht das Sanktionsprinzip, sondern das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist und künftigen Pflichtverstößen nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (BAG, Urt. v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – m. w. N.). Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen – wie etwa eine Abmahnung – von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Zudem ist bei der verhaltensbedingten Kündigung stets eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, wobei das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers gegenüberzustellen ist (BAG, Urt. v. 11.07.2013 – 2 AZR 994/12 – m. w. N.). Bei der Interessenabwägung sind u. a. Gewicht und Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr, die Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen störungsfreier Verlauf (vgl. : BAG, Urt. v. 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – m. w. N.) wie auch das Lebensalter und die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. : BAG, Urt. v. 26.03.2009 – 2 AZR 953/07 -; APS-Dörner/Vossen, 4. Auflage, § 1 KSchG Rdn. 433 m. w. N.) zu berücksichtigen.

2. Der Kläger hat seinen Arbeitskollegen B durch die Bezeichnung „Kollegenschwein“ grob beleidigt und erheblich gegen seine vertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen. Das wird auch nicht vom Kläger in Zweifel gezogen. Die erhebliche Ehrverletzung des Teamleiters muss von der Beklagten auch nicht sanktionslos hingenommen werden. Jedoch hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung bereits darauf hingewiesen, dass eine Abmahnung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine geeignete und angemessene Reaktion der Beklagten gewesen wäre. Da es sich bei der Beleidigung um ein steuerbares Verhalten handelt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das zukünftige Verhalten des Klägers durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass eine Verhaltensänderung – z. B. mangels Einsichtsfähigkeit – nicht zu erwarten war. Es handelt sich auch nicht um eine solch schwere Pflichtverletzung, die den vorherigen Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich gemacht hätte. Zwar hat der Kläger die Beleidigung- nach Darlegung der Beklagten zweimal – in Abwesenheit des Teamleiters u. a. gegenüber dem Vorgesetzten des Teamleiters vorsätzlich im Rahmen des Wiedereingliederungsgesprächs ausgesprochen. Jedoch ist nicht vorgetragen, dass der Kläger damit rechnen musste, dass die Ehrverletzung an den Teamleiter weitergetragen wird und damit den Betriebsfrieden stört. Es kann nicht angenommen werden, dass der Kläger bewusst seinen Arbeitsplatz aufs Spiel gesetzt hat. Zudem ist es nicht überzeugend, wenn die Beklagte sich zum einen auf die Schwere der Ehrverletzung beruft, deren erstmalige Hinnahme für sie ausgeschlossen gewesen sein soll, sie aber zum anderen das Eingliederungsgespräch, nachdem zum ersten Mal die Bezeichnung „Kollegenschwein“ gefallen war, ohne weitere Zurechtweisung fortsetzt und die Bemerkung des Klägers – so die E-Mail des Dr. S vom 06.02.2013 – lediglich als unkollegial bezeichnet.

3. Das Arbeitsgericht hat ebenfalls zutreffend angenommen, dass das Fortbestandsinteresse des Klägers das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt.

Zwar handelt es sich, wie bereits dargelegt, um eine schuldhafte, erhebliche Pflichtverletzung des Klägers. Jedoch sind keine nennenswerten Auswirkungen der Entgleisung festzustellen. Weder haben sich die Vorgesetzten des Teamleiters von der Äußerung des Klägers beeindrucken lassen noch gab es, nachdem der Kläger am Ende des Gesprächs dem Eingliederungsplan zugestimmt hat, irgendwelche Konflikte oder Missstimmungen am Arbeitsplatz. Es handelte es sich um einen einmaligen Vorfall – auch wenn ggfs. zweimal geäußert – im Rahmen einer aus Sicht des Klägers wegen des Versetzungsbegehrens aufgrund der bisherigen Arbeitsbedingungen angespannten Gesprächssituation. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr bestehen nicht. Das Arbeitsverhältnis war bisher abmahnungsfrei. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses würde den Kläger aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und seiner Behinderung von GdB 30 verbunden mit den daraus folgenden eingeschränkten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt besonders hart treffen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht gegeben sind. Die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalls. Die angesprochenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.


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