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Kollision zweier Fahrzeuge in Kreuzungsbereich

Wenn Fahrfehler zur Schadensersatzpflicht führen

Am 17. Dezember 2018 kam es in Bremerhaven zu einem Verkehrsunfall, in dessen Folge sich die Parteien um die Pflicht der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz stritten. Der Kläger hatte an einer Einmündung Vorfahrt gewähren müssen, als die Beklagte zu 1 ihren Abbiegebogen zu eng nahm und es zur Kollision der Fahrzeuge kam. Bislang sind dem Kläger diverse Kosten entstanden, während die Beklagte zu 2) als Versicherer des Fahrzeugs der Beklagten zu 3) agiert.

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Schuldfrage und Ansprüche geregelt

In einem komplexen juristischen Verfahren hat das Amtsgericht Bremerhaven (Az.: 56 C 671/19) am 15. Dezember 2021 entschieden, dass die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner in unterschiedlichen Größenordnungen für die Schäden aufkommen müssen, die dem Kläger durch den Unfall entstanden sind. Dabei wurden sowohl Schadensersatz, Schmerzensgeld, Nutzungsausfall als auch Anmelde- und Schilderkosten in die Urteilsbegründung miteinbezogen.

Wie die Gerichtskosten verteilt wurden

Das Urteil sieht vor, dass der Kläger 22% der Kosten des Rechtsstreits trägt, während die Beklagten zu 1) und zu 2) für die restlichen 78% aufkommen müssen. Etwaige Kosten der ehemals Beklagten zu 3) hat der Kläger zu tragen. Die Summe der Streitigkeit wurde auf 4.317,76 € festgesetzt.

Vollstreckbarkeit des Urteils und Absicherung

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, jedoch nur für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Dem Kläger wurde zudem gestattet, eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern die Beklagten nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Der Fall zeigt, wie ein Verkehrsunfall zu einem juristischen Streit mit weitreichenden Konsequenzen für die beteiligten Parteien führen kann. Während für den Kläger diverse Kosten entstanden sind, mussten sich die Beklagten ihrer Schuld und der Verantwortung für Schäden, die dem Kläger durch den Unfall entstanden sind, stellen und entsprechende Schadenersatz- und Schmerzensgeldzahlungen leisten.


Das vorliegende Urteil

AG Bremerhaven – Az.: 56 C 671/19 – Urteil vom 15.12.2021

1. Die Beklagten zu 1) und zu 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger Schadenersatz in Höhe von 3.046,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p. a. seit dem 15.02.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagten zu 1) und zu 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger Schmerzensgeld in Höhe von 200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p. a. seit dem 15.02.2019 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle weiteren etwa entstehenden Schäden aus dem Unfallgeschehen vom 17.12.2018 wie etwa Nutzungsausfall, Schilder- und Anmeldekosten zu einer Quote von 80 % zu ersetzen.

4. Die Beklagten zu 1) und zu 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 413,64 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p. a. seit dem 19.06.2019 zu zahlen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 22 % und die Beklagten zu 1) und zu 2) 78 %. Etwaige Kosten der ehemals Beklagten zu 3) trägt der Kläger.

7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Dem Kläger bleibt nachgelassen die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn diese nicht zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

8. Der Streitwert wird auf 4.317,76 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Pflicht der Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen der Folgen eines Verkehrsunfalles zu leisten.

Kollision zweier Fahrzeuge in Kreuzungsbereich
(Symbolfoto: Dmitry Kalinovsky/Shutterstock.com)

Der Kläger befuhr am 17.12.2018 die Max-Diedrich-Straße in Bremerhaven. Er fuhr an die rechtsseitige Einmündung heran, an welcher er den von rechts kommenden Fahrzeugen Vorfahrt gewähren muss. Die Beklagte zu 1) fuhr mit dem bei der Beklagten zu 2) versicherten Fahrzeug der Beklagten zu 3) von dieser Vorfahrtsstraße kommend. Sie bog nach links ab. Es kam zur Kollision der Fahrzeuge. Der Kläger holte ein Gutachten des Sachverständigen ein. Das Klägerfahrzeug erlitt einen Totalschaden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 09.01.2019 (Bl. 10 ff. d. A.) verwiesen. Für dieses Gutachten stellte der Sachverständige 621,83 € in Rechnung. Zudem sind dem Kläger Abschleppkosten in Höhe von 232,05 €, Kosten für Hilfestellung der Feuerwehr in Höhe von 131,38 € und Abmeldekosten von 7,50 € entstanden. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.01.2019 informierte der Kläger die Beklagte zu 2) über den Schadenfall und forderte zur Schadenersatzleistung bis zum 14.02.2019 auf.

Der Kläger behauptet, der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen. Die Kollision habe 3,5 m vor der Kreuzung stattgefunden. Die Beklagte zu 1) habe den Abbiegebogen zu eng genommen und die Kreuzung geschnitten. Der Kläger sei weitestmöglich rechts gefahren und habe im Zeitpunkt der Kollision gestanden. Einen Restwert habe sein Fahrzeug nach dem Unfall nicht mehr gehabt. Er sei bei dem Unfall verletzt worden. Insbesondere habe er eine Thoraxprellung, eine Knieprellung sowie eine Gehirnerschütterung erlitten und sei bis zum 09.01.2019 arbeitsunfähig gewesen.

Der Kläger beantragt, nachdem er die Klage gegen die Beklagte zu 3) mit Schriftsatz vom 02.07.2019 zurückgenommen hat mit der den Beklagten zu 1) und 2) am 18.06.219 zugestellten Klage,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger Schadenersatz in Höhe von 4.017,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p. a. seit dem 15.02.2019 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, welches einen Betrag in Höhe von 200,00 € jedoch nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p. a. seit dem 15.02.2019 zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle weiteren etwa entstehenden Schäden aus dem Unfallgeschehen vom 17.12.2019 wie etwa Nutzungsausfall, Schilder- und Anmeldekosten, zu ersetzen;

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 492,54 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen auf diese Rechtsanwaltskosten in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p. a. seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagten zu 1) und 2) beantragten, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, der Kläger sei mittig aus der Max-Dietrich-Straße herausgefahren. Sie tragen vor, er habe eine Vorfahrtsverletzung begangen, denn das Vorfahrtsrecht erstrecke sich auf die gesamte Fläche der Kreuzung bzw. des Einmündungsbereichs. Außerdem habe der Kläger gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Die Reste des Klägerfahrzeugs hätten zudem noch für 750,00 € verwertet werden können.

Wegen des weiteren Vortrags wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 17.11.2021 verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung zweier Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) … Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Sachverständigengutachten vom 10.09.2020 (Bl. 116 ff. d. A.) sowie vom 14.12.2020 (Bl. 168 ff. d. A.) und die sachverständigen Stellungnahmen vom 08.02.2021 (Bl. 187 ff. d. A.) und vom 10.03.2021 (Bl. 203 ff. d. A.) Bezug genommen. Das Gericht hat ferner den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.11.2021 (BI. 255 ff. d. A.) Bezug genommen. Die Akte der Staatsanwaltschaft mit dem Az.: … war beigezogen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere besteht auch das erforderliche Feststellungsinteresse, § 256 Abs. 1 ZPO. Denn insoweit ist es ausreichend, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in der Zukunft noch weitere Schäden auftreten können. Dies ist vorliegend der Fall, da das streitbefangene Fahrzeug bislang nicht ersetzt wurde. Mithin ist zu erwarten, dass dem Kläger ein weiterer Schaden jedenfalls in Form von Anmeldekosten mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig entstehen wird. Unbestritten fehlen dem Kläger aufgrund der mangelnden Regulierung durch die Beklagten die finanziellen Mittel einer Neuanschaffung. Zwar führen die Beklagten zutreffend aus, dass der Kläger mit einem Zuwarten über einen längeren Zeitraum bis zu einer Ersatzanschaffung deutliche Beweisanzeichen gegen sich selbst setzt. Auch nach der von den Beklagten zitieren Rechtsprechung gilt dies jedoch nicht in dem Falle, wenn der Geschädigte – wie hier – nicht über die finanziellen Mittel für die Ersatzbeschaffung verfügt und abwartet, bis der Haftpflichtversicherer des Schädigers den Kfz-Schaden ausgleicht (vgl. OLG Köln, Urteil vom 08. März 2004 – 16 U 111/03 -‚ juris, m. w. N.).

II. Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Dem Kläger steht gegen die Beklagten zu 1) und 2) gem. §§ 7 Abs. 1, 17, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823, 421 Satz 1 BGB i. V. m. § 115 WG ein Anspruch in Höhe von 80% seines unfallbedingt entstandenen Schadens zu. Die Beklagten haften gesamtschuldnerisch als Fahrerin und Versicherer aus dem Unfallereignis vom 17.12.2018.

a) Der Schaden ist bei dem Betrieb des von der Beklagten zu 1) gesteuerten Pkw entstanden. Die Ersatzpflicht ist auch nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, da für eine Verursachung des Unfalls durch höhere Gewalt keine Anhaltspunkte vorliegen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Unfall von der Beklagten zu 1) verschuldet und verursacht wurde. Die Beklagte zu 1) hat sich pflichtwidrig verhalten, da sie die Kurve beim Linksabbiegen schnitt. Der Kläger hat sich hingegen nicht pflichtwidrig verhalten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme missachtete der Kläger nicht die Vorfahrt der Beklagten zu 1). Denn der Unfall ereignete sich nicht in einem Bereich in welchem der Kläger schon wartepflichtig war, sondern kurz davor. Von daher kann ein Vorfahrtsverstoß nicht angenommen werden.

b) Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG führt zur überwiegenden Haftung der Beklagten in Höhe von 80 %.

aa) Die Beklagte zu 1) trifft das überwiegende Verschulden, weil sie die Kurve geschnitten hat (§ 1 Abs. 2 StVO). Zwar ist anerkannt, dass durch das Schneiden einer Kurve jedenfalls im eigentlichen Einmündungs-/Kreuzungsbereich das Vorfahrtsrecht nicht grundsätzlich verloren geht. Der Vorfahrtsberechtigte muss sein Vorfahrtsrecht „lediglich“ mit Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer ausüben, weshalb es ihm grundsätzlich obliegt beim Abbiegen den Mittelpunkt der Trichterbreite zu umfahren (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 12. Mai 2017 – 13 S 137/16 -‚ juris). Dass die Beklagte hiergegen verstoßen hat, ergibt sich ohne weiteres aus der Unfallrekonstruktion des gerichtlichen Sachverständigen, die auch insoweit von Beklagtenseite nicht in Frage gestellt worden ist.

Der Kläger hat demgegenüber keinen Verkehrsverstoß begangen, insbesondere keinen Vorfahrtsverstoß. Er befand sich im Zeitpunkt der Kollision nicht im von § 8 StVO betroffenen Einmündungsbereich. Zwar führen die Beklagten zutreffend aus, dass sich der von § 8 StVO geschützte Vorfahrtsbereich auf die gesamte Kreuzungsfläche einschließlich der linken Fahrbahnhälfte der untergeordneten Straße erstreckt. Bei einer trichterförmig erweiterten, vorfahrtsberechtigten Einmündung erstreckt sich der Vorfahrtsbereich nicht nur auf das durch die Fluchtlinie der Fahrbahnen beider Seiten gebildeten Einmündungsviereck, sondern um-

fasst auch die ganze bis zu den Endpunkten des Trichters erweiterte bevorrechtigten Fahrbahn (vgl. BGH VI ZR 279/13, Urteil vom 27.05.2014, juris). Auch ist das Vorfahrtsrecht nicht davon abhängig, dass der Berechtigte sich selbst verkehrsrichtig verhält. Der Vorfahrtsberechtigte verliert die Vorfahrt selbst dann nicht, wenn er beim Abbiegen nach links die Kurve schneidet. Der Kläger fuhr zwar an eine bevorrechtigte Straße heran. Aber zur Überzeugung des Gerichts befand sich der Kläger im Zeitpunkt, als es zur Kollision kam noch nicht in einem „wartepflichtigen“ Bereich. Der gerichtlich bestellte Sachverständige … führte in seinem insgesamt überzeugenden und nachvollziehbaren Gutachten aus, dass der Kläger noch 1,4 m vor der gedachten Kreuzungslinie zum Stehen gekommen war. Er befand sich also noch nicht in dem vom BGH umschriebenen „erweiterten“ Trichterbereich. Der Kläger führte in seiner Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2021 zudem glaubhaft und überzeugend aus, dass er sich an dieser eben beschriebenen Position noch an einer Stelle befand, an welcher er noch nicht einmal in die vorfahrtsberechtigte Straße habe hineinsehen können. Der Fahrer, welcher auf eine Vorfahrtsstraße hinzufährt, kann erst dann einen Vorfahrtsverstoß begehen, wenn er eine Position erreicht hat, in welcher ein Warten von ihm gefordert werden kann. An der Stelle an der er zum Stehen gekommen ist, konnte er noch nicht in die Vorfahrtsstraße hineinsehen. Auch nach § 8 Abs. 2 StVO darf sich vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hineingetastet werden, bis die Übersicht gegeben ist. Alles in allem ist das Gericht in dem hier vorliegenden Fall davon überzeugt, dass der Kläger an seiner Position noch keinen Vorfahrtsverstoß im Sinne von § 8 StVO begangen haben kann, da er noch 1,4 m vor der gedachten Kreuzungslinie war und dort zum Stehen gekommen ist. Letzteres belegt auch, dass der Kläger langsam, vorsichtig und bremsbereit in diesen für ihn noch nicht einsehbaren Bereich hereingefahren ist.

bb) Der Kläger hat auch nicht gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Denn er fuhr zwar weiter links als recht, aber da an der rechten Seite überall weitere Fahrzeuge abgeparkt waren, konnte er auch nicht weiter rechts fahren.

cc) Bei Abwägung der unfallursächlichen Momente hält das Gericht den Fahrfehler der Beklagten zu 1) für maßgeblich, weil sie in die Fahrbahnhälfte des Gegenverkehrs geraten ist. Dabei ist auch anerkannt, dass selbst ein tatsächlich schon Wartepflichtiger darauf vertrauen darf, dass ihn ein linksabbiegender Berechtigter nicht auf seiner Fahrbahn schneidet (vgl. z.B. AG Wolfenbüttel, Urteil vom 02. März 2007 – 17 C 85/06 -, juris). Zudem ist festgestellt, dass die Beklagte zu 1) die Kollision hätte vermeiden können. Der gerichtlich bestellte Sachverständige … führte in seinem Gutachten aus, dass das Klägerfahrzeug für sie etwa 1,4 Sekunden vor der Kollision bzw. 14,5 Meter vor der späteren Kollisionsstelle erkennbar gewesen sei. Zur Überzeugung des Gerichts hat somit ein Fahrfehler der Beklagten zu dem Unfallgeführt, während der Kläger in seiner Handlungsweise durch die Verkehrssituation dermaßen eingeschränkt war, dass er nicht anders handeln hätte können. Denn er ist bereits langsam an die Vorfahrtsstraße herangefahren und hat 1,4 m vor dieser Straße angehalten um der Beklagten zu 1) Vorfahrt zu gewähren (s.o.).

Ausweislich des Unfallrekonstruktionsgutachtens vom 10.09.2020 befand sich die Beklagte zu 1) erheblich auf der Fahrspur des Klägers. Insoweit hat die Beklagte zu 1) zwar gegen das allgemeine Rechtsfahrgebot und das gegenseitige Rücksichtnahmegebot verstoßen, sich allerdings nicht grob verkehrswidrig verhalten. Aus Sicht des Gerichts stellt ein Verlassen der Fahrspur in einer Kurve nicht automatisch einen groben Verkehrsverstoß in dem Sinne dar, dass die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeuges dahinter zurückzutreten hätte (vgl. AG Amberg, Urteil vom 14. September 2015 – 2 C 527/15 -‚ juris). Aus Sicht des Gerichts müssten weitere Umstände hinzutreten, wie beispielsweise eine überhöhte Geschwindigkeit. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

c) Dem Kläger sind also unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs 80 % seines Schadens zu ersetzen.

aa) Daher sind dem Kläger 80 % des Wiederbeschaffungsaufwandes zu ersetzen, wobei zur Überzeugung des Gerichts ein Restwert von 210,00 € zu berücksichtigen ist (§ 287 ZPO). Der Kläger kann somit Zahlung von 2.232,00 € verlangen.

Indem der Kläger sein Fahrzeug für 0,00 € abgab, hat er gegen seine Schadenminderungspflicht verstoßen, § 254 BGB. Zwar kann sich ein Geschädigter grundsätzlich auf die Angaben eines Sachverständigen zu etwaigen Restwerten verlassen. Vorliegend ist aus den Ausführungen des Sachverständigen … aber eindeutig und auch für einen Laien ersichtlich, dass dieser keine taugliche Marktanalyse durchgeführte. Denn dieser führte in seinem Gutachten lediglich aus, dass er drei Händler in der näheren Umgebung nach einem Ankauf befragt hätte. Dies stellt auch für einen Laien ersichtlich keine valide Prüfung dar, zumal allgemeinbekannt jedenfalls Materialwerte zu berücksichtigen sind. Der gerichtlich bestellte Sachverständige führte insoweit aus, es sei in diesem Falle nicht nachvollziehbar, dass ein Fahrzeug einen Restwert von 0,00 € haben könne, denn selbst ein vollkommen zerstörtes Fahrzeug habe noch einen Wert, der sich nach Preis/Tonne richte. Der Sachverständige führte weiter aus, dass vorliegend das Getriebe, das Fahrwerk, die Innenausstattung sowie einige Karosserieteile noch hätten verwertete werden können. Der gerichtlich bestellte Sachverständige holte vorliegend einige Restwertangebote ein. Dabei scheint das Angebot von 400,00 € eher einen „Ausreißer“ darzustellen. Das Gericht legt somit den Mittelwert der vom Sachverständigen ermittelten Restwertangebote zugrunde, § 287 ZPO. Das Gericht konnte seiner Schätzung die von dem Sachverständigen angegebenen Restwertangebote zugrunde legen. Dem stand insbesondere keine zu weite Entfernung entgegen. Denn die Restwertkäufer hätten das Fahrzeug vom Kläger kostenfrei abgeholt, sodass diesem weder Aufwand noch Kosten entstanden wären. Dem steht auch nicht die von dem Kläger zitierte ständige Rechtsprechung Bundesgerichtshofs zum sog. regionalen Markt entgegen. Denn danach ist der vorrangige Grund für die Entscheidung, bei der Ermittlung des Restwerts grundsätzlich maßgeblich auf den regionalen Markt abzustellen derjenige, dass es dem Geschädigten möglich sein muss, das Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb eines Ersatzwagens in Zahlung zu geben. Dann ist von dem Geschädigten tatsächlich nicht zu verlangen weitere Nachforschungen einzuholen und nach einem „besseren“ Angebot zu suchen. So lag der Fall hier aber gerade nicht. Der Kläger hat sein Fahrzeug nicht in Zahlung gegeben oder bei einem Händler seines Vertrauens verkauft, sondern es schlicht entsorgt. Zur Überzeugung des Gerichts hätte der Kläger unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen der Erkennbarkeit auch für einen Laien vorliegend jedenfalls minimale Nachforschungen vornehmen müssen.

bb) Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf 80 % der weiteren – ihm unbestritten entstandenen Kosten – für das Sachverständigengutachten, das Abschleppen, die Hilfe der Feuerwehr, das Abmelden sowie der Unfallkostenpauschale. Es ergibt sich ein weiterer Betrag von 814,21 €.

cc) Weiterhin kann der Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 200,00 € verlangen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie dessen Ausgleichsfunktion zu beachten.

Insoweit kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlungen und den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit bestimmt werden. Im Rahmen der bei normalen Straßenverkehrsunfällen nur eingeschränkt zu berücksichtigenden Genugtuungsfunktion ist insbesondere die Schwere des Verschuldens des Schädigers in Ansatz zu bringen. Zwar lässt sich nicht mehr sicher feststellen, dass sämtliche von dem Kläger geschilderten Leiden tatsächlich auf den Verkehrsunfall vom 17.12.2018 zurückzuführen sind, insbesondere bezüglich der Knieschmerzen und Nackenschmerzen konnte der Kläger den Strengbeweis nicht führen. Aber das Gericht ist nach der eindrücklichen Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2021 absolut davon überzeugt, dass dieser als unmittelbare Folge des Unfalls Todesangst erlitt. Er schilderte sehr anschaulich und nachvollziehbar, dass er durch den Unfall an schwerer Atemnot litt. Er schilderte, dass es sich angefühlt hätte, wie wenn einem Taucher die Flasche zugedreht werde. Die von ihm geschilderten Thoraxschmerzen (diese werden zudem davon untermauert, dass der eingereichte Arztbericht von Gurtmarken spricht) wie auch die nachvollziehbar geschilderte Todesangst (der Kläger benennt diese als Existenzangst) in dieser Situation rechtfertigen zur Überzeugung des Gerichts die Zahlung eines Schmerzensgeldes. Zu berücksichtigen ist zudem, dass dem Kläger statt Hilfeleistungen zunächst lediglich Schuldzuweisungen zu teil wurden. Erst auf mehrmaliges Bitten des Klägers wurde für diesen ein Krankenwagen gerufen. Das Gericht erachtet ein Schmerzensgeld in Höhe von 200,00 € daher für angemessen, aber auch für ausreichend.

dd) Weiter besteht ein Anspruch auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 413,64 €. Der Schadensersatzanspruch umfasst verzugsunabhängig die zur Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten, insbesondere Rechtsanwaltsgebühren, sofern die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung des Anspruchs geboten und zweckmäßig ist. Dies ist lediglich in einfach gelagerten Fällen zu verneinen (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage 2020, § 249 Rn. 56 f. m.w.N.). Verkehrsunfälle stellen grundsätzlich keine einfach gelagerten Fälle dar, weil dem Geschädigten die Einholung von Rechtsrat schon wegen der nach § 17 Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge zuzubilligen ist. Anderenfalls müsste der Geschädigte das ihm unzumutbar erhöhte Risiko eines teilweisen Unterliegens oder der Stellung eines hinter dem ihm tatsächlich zustehenden Anspruchs zurückbleibenden Klageantrags eingehen. Rechtsverfolgungskosten sind vom Schädiger nur zu ersetzen, soweit sie für die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs erforderlich sind (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage, 2020, § 249 Rn. 56 f. m.w.N.). Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit richtet sich bei der Berechnung der ersatzfähigen Gebühren nach der Höhe der objektiv berechtigten Schadensersatzforderung und nicht nach dem möglicherweise hierüber hinausgehenden Auftrag, den der Geschädigte dem Rechtsanwalt erteilt hat (BGH NJW 2005, 1112). Nur insoweit wurden die Rechtsanwaltsgebühren vom Schädiger veranlasst. Die darüberhinausgehenden Gebühren sind dem Schädiger weder zuzurechnen noch zur Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs erforderlich. Der Berechnung der nach dem materiellen Kostenersatzanspruch erstattungsfähigen Gebühren ist daher von vornherein nur ein Betrag von 3.246,21 € zugrunde zu legen. Die Rechtsanwaltskosten wurden von der Rechtsschutzversicherung des Klägers gezahlt. Diese trat ihren Erstattungsanspruch zum Zwecke der Einziehung an den Kläger ab (vgl. Schreiben der NRV Rechtsschutz vom 29.07.2019, BI. 85 d. A.), sodass der Kläger auch insoweit aktivlegitimiert ist.

2. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB betreffend die Hauptforderungen und aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB betreffend die Nebenforderung.

3. Die Feststellung entsprechend des gestellten Antrages beruht auf der grundsätzlichen Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner für alle auf dem Unfall beruhenden Schäden.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich für den Kläger aus § 709 ZPO und für die Beklagten aus §§ 708 Nr. 11, 11 ZPO.

V. Der Streitwert war entsprechend der Summe des bezifferten Zahlungsantrages zu 1. sowie einem Betrag von 200,00 € für den Schmerzensgeldantrag und einem weiteren Zuschlag für den Feststellungsantrag (§ 3 ZPO) von 100,00 € festzusetzen.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant:

  1. Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche (§§ 249 ff. BGB): Im vorliegenden Fall geht es um die Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Klägers nach einem Verkehrsunfall. Die Forderungen werden auf der Grundlage der §§ 249 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erhoben. Der Kläger fordert sowohl Schadenersatz für materielle Schäden (z.B. Fahrzeugschäden, Abschleppkosten, Sachverständigengutachten) als auch Schmerzensgeld für erlittene Verletzungen.
  2. Haftung bei Verkehrsunfällen (§ 7 StVG): Die Beklagten werden aufgrund ihrer Beteiligung am Unfallgeschehen gemäß § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) zur Haftung herangezogen. In diesem Zusammenhang wird die Verschuldensfrage im Verkehrsunfallrecht analysiert, um festzustellen, in welchem Umfang die Beklagten für die Schäden aufkommen müssen.
  3. Haftungsquoten: In dem Urteil werden die Beklagten zu 80 % zur Schadenersatzleistung verurteilt, was bedeutet, dass eine Haftungsquote von 80:20 zwischen den Parteien festgesetzt wird. Dies beruht auf einer Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteile am Unfall, welche in der Regel im Bereich des Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB) erfolgt.
  4. Gesamtschuldnerische Haftung: Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, was bedeutet, dass sie gemeinsam für die Zahlung der Forderungen des Klägers verantwortlich sind. Die Grundlagen dafür finden sich in §§ 421, 426 BGB.
  5. Zinsen: Für die Verzinsung der Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen sowie Rechtsanwaltskosten stützt sich das Urteil auf die Regelungen des BGB (§ 288 BGB) in Verbindung mit dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank (EZB).
  6. Rechtsanwaltskosten und Kosten des Rechtsstreits: Im Urteil wird zudem über die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und die Kosten des Rechtsstreits entschieden. Hier greifen Regelungen aus dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sowie die Zivilprozessordnung (§§ 91 ff. ZPO) in Bezug auf die Aufteilung der Kosten zwischen den Parteien.

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