LG Berlin – Az.: 44 O 203/18 – Urteil vom 12.02.2020
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten als Gesamtschuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles, der sich am 20.07.2016 gegen 10.15 Uhr auf dem Gelände der …-Klinik, … in … Berlin-Buch ereignet hat.
Der Kläger befuhr zu dem genannten Zeitpunkt mit seinem Fahrrad einen Privatweg auf dem Klinikgelände, welcher von dem vor einem Klinikgebäude der … Klinik befindlichen Fahrradständer in leicht abschüssiger Anlage in Richtung Lindenberger Weg führt und hierbei eine Fahrbahn quert, die mehrere Parkplatzareale des Klinikgeländes miteinander verbindet. Der Weg ist auf der – aus Sicht des Klägers – rechten Seite von hohen Ziergräsern bewachsen. Im Bereich der Fahrbahn ist dieser Weg durch ein Kleinsteinpflaster von der Asphaltfläche der Fahrbahn optisch abgesetzt. Er ist jedenfalls auch zur Benutzung durch Fußgänger bestimmt. Wegen der Unfallörtlichkeit aus Sicht des Klägers wird auf die Anlage B5 (Bl. 49 d.A.) Bezug genommen.
Der Beklagte zu 1.) näherte sich in östlicher Richtung, aus Sicht des Klägers von rechts kommend, auf dieser Fahrbahn mit dem bei der Beklagten zu 2.) gegen Haftpflicht versicherten Kraftfahrzeug der Marke Chevrolet Ctuze mit dem amtlichen Kennzeichen …. Er befuhr die Verbindungsstraße zwischen den Parkarealen, um sein Fahrzeug auf dem östlich gelegenen Parkbereich abzustellen. Wegen der Unfallörtlichkeit aus Sicht des Beklagten zu 1) wird auf das Lichtbild Anlage B4 (Bl. 48 d.A.) Bezug genommen. Der Beklagte zu 1.) stoppte dort mit dem Beklagtenfahrzeug zunächst, um einem Fußgänger das Überqueren der Fahrbahn in Richtung Klinikgelände zu ermöglichen. Nachdem der Fußgänger die Fahrbahn überquert hatte, fuhr der Beklagte zu 1.) mit seinem Fahrzeug wieder an.
Als nunmehr der Kläger mit seinem Rad fahrend auf die Fahrbahn auffuhr, kam es unter zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen Umständen zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug. Der Kläger geriet mit dem rechten Fuß unter das linke Vorderrad des Beklagtenfahrzeugs. Er erlitt unter anderem eine Fraktur der rechten Mittelfußknochen, der mittleren und distalen Phalanx rechts und einen Weichteilschaden I. Grades bei geschlossener Fraktur und wurde in der Zeit vom 20.7. bis 1.08.2016 stationär im … Klinikum Buch behandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Arztbericht des …-Klinikums Berlin-Buch vom 1.08.2016 (Anlage K2, Bl. 7 d.A.) Bezug genommen
Wegen der Einzelheiten hinsichtlich der Unfallörtlichkeit wird auf die polizeiliche Unfallskizze (Bl. 17 der Beiakte) sowie auf die Lichtbilder in der polizeilichen Ermittlungsakte (Bl. 9 der Beiakte), sowie ferner auf die Lichtbildanlagen B1 bis B5 (Bl. 45 d.A.) Bezug genommen. An den auf dem Klinikgelände befindlichen Schildern wird teilweise eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h festgelegt und auf die Geltung der StVO hingewiesen (Anlage B 1, Bl. 45).
Der Unfall wurde zu dem Az. A14- 160720-1015-289371 des Polizeipräsidenten in Berlin polizeilich aufgenommen mit folgendem Sachverhalt:
„Radfahrer befuhr einen Fußgängerweg auf einem Parkplatz, als von rechts ein Kraftfahrzeug angefahren kommt. Auf der Fahrbahn kommt es zum Unfall. Der Kraftfahrzeugführer verlässt den Unfallort“
Das gegen den Beklagten zu 1.) bei dem Amtsgericht Tiergarten unter dem Az. (311 Cs) 3033 Js 7996/16 (246/16) wegen fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde am 30.03.2017 durch Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten nach Erfüllung einer Auflage gem. § 153a StPO eingestellt.
Der Kläger begehrt mit der Klage die Leistung von Schmerzensgeld in einer Größenordnung von mindestens 7.000,- € (Antrag zu 1.) und macht weitere materielle Schadensersatzpositionen in Höhe von 297,34 € geltend, nämlich den Reparaturaufwand für den Schaden am Fahrrad (126 € netto), Zuzahlungen für physiotherapeutische Behandlungen (91,30 €), Ersatz für die Wege zur Physiotherapie (27 €), neues Schuhwerk und Kinesiotape (32,99 €), sowie eine Unkostenpauschale in Höhe von 20 €.
Der Kläger meint, die Beklagten hätten für die unfallursächlichen Schäden vollumfänglich einzustehen. Bei dem vom Kläger benutzten Weg habe es sich nicht um einen Gehweg gehandelt, weil dieser nicht parallel zu einer Fahrbahn verlaufe. Der Weg solle auch von Radfahrern benutzt werden, da sich am Ende des Weges ein auf 50 Fahrräder ausgelegter Fahrradständer befindet. Auf den Fahrbahnen des Klinikgeländes sei die Nutzung durch Fahrräder untersagt. Der Beklagte zu 1.) habe wegen der Überquerung einer nicht für den Kraftverkehr freigegebenen Verkehrsfläche mit jedwedem gemischten, nicht motorisierten Verkehr rechnen müssen, insbesondere wegen der unmittelbaren Nähe zum Krankenhaus auch mit besonders unaufmerksamen Verkehrsteilnehmern.
Der Kläger macht geltend, wegen einer fußbezogenen Schmerzsymptomatik und einer unfallbedingten depressiven Episode könne er nicht mehr in seinem bis dahin ausgeübten Beruf arbeiten. Wegen der unfallbedingten Verletzungen habe sein vormaliger Arbeitgeber ein Arbeitsangebot für die Zeit ab dem 16.01.2017 zurückgezogen.
Der Kläger hat den ursprünglich auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten an die Rechtsschutzversicherung gerichteten Antrag zu 3. aus der Klageschrift mit Schriftsatz vom 13.03.2019 zurückgenommen.
Der Kläger beantragt zuletzt
1. an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, welches allerdings einen Betrag von 7.000,- € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen
2. an ihn weitere 297,34 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten meinen, der Kläger habe den Unfall allein verschuldet, weil er vorschriftswidrig und grob sorgfaltspflichtwidrig mit dem Fahrrad einen Gehweg befahren habe. Der von dem Kläger befahrene Weg sei ein reiner Gehweg und nicht für die Benutzung durch Radfahrer freigegeben. Der Beklagte zu 1.) habe nicht damit rechnen müssen, dass der Kläger als Radfahrer von links kommend auf die von dem Beklagten zu 1.) genutzte Fahrbahn und sodann gegen das Beklagtenfahrzeug fahren würde. Die Beklagten bestreiten zudem die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bzw., unter Berufung auf die aus dem Arztbericht Anlage K 2 hervorgehenden chronischen Vorerkrankungen des Klägers, die Unfallbedingtheit der Arbeitsunfähigkeit und einer etwaigen Beeinträchtigung seiner Berufsausübung.
Die Akten der Amtsanwaltschaft Berlin zu dem Az. (311 Cs) 3033 Js 7996/16 (246/16) haben vorgelegen und sind Gegenstand der Verhandlung gewesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Anhörung des Klägers und des Beklagten zu 1.) gem. § 141 ZPO. Das Gericht hat ferner in der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2020 Beweis erhoben durch Augenschein der Lichtbildanlagen B1, B2, B 4 und 5 (Bl. 45 f der Akte) sowie der Lichtbilder und der polizeilichen Unfallskizze in der Ermittlungsakte (Bl. 9, 17 d. Beiakte). Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2020 (Bl. 75 ff d. A.).
Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird Bezug genommen auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst deren Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift aus dem Termin vom 12.02.2020 (Bl. 75 ff. d.A.).
Entscheidungsgründe
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagten schon dem Grunde nach gemäß §§ 7 Abs. 1, 17, 18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB, und § 115 Abs. 1 VVG keinen Anspruch auf Ersatz seines unfallbedingten Schadens. Der Kläger haftet für den bei der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug bei dem ungebremsten Einfahren mit dem Fahrrad von dem als Gehweg genutzten Privatweg auf die querende Fahrbahn entstandenen Unfallschaden wegen seines weit überwiegenden Mitverschuldens aufgrund des Verstoßes gegen §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1, 8 Abs. 1 StVO i.V.m. § 254, 823 BGB allein. Das Gericht kommt unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten des privaten Klinikgeländes, des Fahrverhaltens der Unfallbeteiligten und des besonderen Sorgfaltspflichtverstoßes des Klägers nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme gem. § 286 ZPO zu der Überzeugung, dass dem Beklagten zu 1.), der mit einem solchen Fahrmanöver eines aus dem – teilweise wegen hoher Gräser schwer einsehbaren – Gehwegbereich kommenden Fahrrades nicht rechnen musste, kein eigener Sorgfaltspflichtverstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO anzulasten ist. Damit hat sich in dem Verkehrsunfall lediglich die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges (§ 7 Abs. 1 StVG) verwirklicht, die jedoch in der Abwägung gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB hinter dem Verursachungsbeitrag des Klägers vollständig zurücktritt. Der Kläger kann daher weder die Zahlung eines Schmerzensgeldes noch den Ersatz der geltend gemachten materiellen Schäden von den Beklagten beanspruchen.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
1.
Die Verpflichtung der Beklagten zum Schadenersatz gemäß §§ 7 Abs. 1, 17, 18 Abs. 1 und 2 StVG, § 823 ff. BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG hängt, da ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 3 StVG von den Beklagten nicht hinreichend dargetan ist, nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB grundsätzlich davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. In der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile mit der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs ist zu berücksichtigen, dass eine Mithaftung des Klägers als Fahrradfahrer nur bei einem feststehenden oder im Wege des Anscheinsbeweises vermuteten Verschulden in Betracht kommt (vergl. hierzu OLG Hamm, Urteil vom 17.1.2017 – I-9 U 22/16 = NJW-RR 2017, 864, beck-online, Heß/Burmann: Die aktuellen Entwicklungen im Straßenverkehrsrecht, NJW 2017, 3127, beck-online). Bezüglich der Abwägung des Verursachungs- und Verschuldensanteils des Beklagtenfahrzeugs sowie unter Berücksichtigung der von seinem Kraftfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr sind nur die tatsächlich feststehenden, d. h. unstreitigen, zugestandenen, oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände heranzuziehen (BGH NJW 2000, 3069, 3071, zit. nach juris).
Das Fahrverhalten des Klägers als Radfahrer ist danach in der Abwägung gem. § 254 BGB zu bewerten. Der Geschädigte ist hiernach für jeden Schaden mitverantwortlich, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat, wobei es nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer Rechtspflicht geht, insbesondere nicht erforderlich ist, dass er gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen hat, sondern nur gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, also um die Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit. Lässt jemand diejenige Sorgfalt außer Acht, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, muss er auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen, weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert. Danach ist hier indes ein überwiegendes Mitverschulden des Klägers im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB anzunehmen, weil dieser diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (vergl. BGH, Urteil vom 17.6.2014 – VI ZR 281/13 (NZV 2014, 399, beck-online).
Danach trifft den Kläger jedoch die volle Haftung für das Unfallgeschehen allein. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Kläger den fraglichen Weg gem. § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 StVO i.V.m. § 63a StVZO nicht mit dem Fahrrad befahren dürfen, jedenfalls aber nicht ungebremst auf die Fahrbahn auffahren, ohne sich zuvor zu vergewissern, dass die Fahrbahn frei sei, oder sich mit einem etwaig dort befindlichen Fahrzeug durch Blickkontakt zu verständigen. Dem von rechts kommenden Fahrzeug hätte der Kläger gem. § 8 Abs. 1 StVO zudem den Vorrang einräumen müssen; die vorhandene Pflasterung beseitigt nicht die Wartepflicht gegenüber dem von rechts kommenden Beklagtenfahrzeug. Zum einen handelt es sich hierbei ersichtlich nicht um einen Fußgängerüberweg im Sinne des § 26 StVO (Zeichen 293), zum anderen würde auch ein solcher nicht zu einem ungebremsten Befahren berechtigen. Gegenüber diesem sorgfaltspflichtwidrigen Verhalten des Klägers tritt die mitwirkende Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs vollständig zurück, da dem Beklagten seinerseits kein eigenständiger Verkehrsverstoß anzulasten ist, insbesondere kein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot, § 1 Abs. 2 StVO.
2.
Das Befahren des Weges auf dem Klinikgelände widerspricht dem, dort entsprechend über § 1 Abs. 2 StVO geltenden, § 2 Abs. 1 StVO, da gem. § 63a StVZO ein Fahrrad als Fahrzeug gilt und folglich der Pflicht des § 2 Abs. 1 S. 1 StVO unterliegt, die Fahrbahn zu benutzen. § 2 Abs. 5 StVO, der die Benutzung von Gehwegen für das Befahren mit dem Fahrrad durch Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr eröffnet, macht zugleich deutlich, dass Gehwege grundsätzlich nicht allgemein für die Benutzung von Radfahrern vorgesehen sind.
a.
Bei dem vom Kläger befahrenen Privatweg auf dem Klinikgelände handelt es sich um einen Gehweg, nicht aber um einen Radweg. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass der Weg von Fußgängern benutzt wird. Ebenso unstreitig ist, dass der Weg nicht durch Verkehrszeichen mit Zeichen 237, 240 oder 241 ausgestattet war, so dass insoweit auch weder als getrennter noch als gemeinsamer Weg mit Fußgängern eine Radwegbenutzungspflicht dieses Weges bestand. Ob auf den Fahrbahnen des Klinikgeländes, wie die Beklagten bestreiten, die Benutzung durch Fahrräder untersagt ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hätte dieser Umstand entgegen der Auffassung des Klägers nicht zur Folge, dass Radfahrer auf dem Klinikgelände auf den angelegten Wegen fahren dürfen, die nicht als Fahrbahn für den Kfz-Verkehr ausgelegt sind. Der von dem Kläger diesbezüglich gezogene Schluss steht schon im Widerspruch zu seinem eigenen Vortrag, wonach auf dem Klinikgelände der besonderen Situation der Fußgänger, die sich ggf. als Patienten auf den Wegen fortbewegen und dabei aus gesundheitlichen Gründen möglicherweise nicht immer die erforderliche Aufmerksamkeit auf den Straßenverkehr der zwischen den Parkflächen fahrenden PKW richten, durch besonders umsichtige Berücksichtigung der Fußgänger Rechnung zu tragen ist. Dies würde erst recht dafür sprechen, die Gehwege von einer Fahrradbenutzung freizuhalten. Vielmehr wäre dann davon auszugehen, dass Fahrräder auf den Gehwegflächen zu schieben sind.
Auch die Tatsache, dass sich vor dem Klinikgebäude ein Fahrradständer befindet, führt entgegen der Auffassung des Klägers nicht dazu, dass der dorthin führende Weg automatisch als Radweg vorgesehen ist. Es besteht schon grundsätzlich keine allgemeine Vermutung dahingehend, dass eine Verkehrsfläche, auf der sich ein Fahrradständer befindet, für die fahrende Benutzung mit Fahrrädern gewidmet sei. Denn zum einen befinden sich vielfach auch in Fußgängerzonen und auf Gehwegen vor Geschäften Fahrradständer. Anders als Parkplätze für PKW, die nur fahrend erreicht werden können, können Fahrradständer auch dadurch erreicht werden, dass die Radfahrer ihr Fahrrad auf dem Gehweg dorthin schieben. Der von dem Kläger nahegelegte Rückschluss von dem Fahrradständer auf eine erlaubte Benutzung des Weges als Radweg greift daher nicht Platz.
b.
Kommt es bei Befahren eines Gehweges mit dem Fahrrad, bzw. beim Einfahren eines Fahrrades von einem Gehweg aus auf die Fahrbahn zur Kollision mit einem KfZ, trifft den Radfahrer in der Regel die volle Haftung (vergl. Grüneberg, Haftungsquoten, E. Rn. 374a, beck-online). Dies gilt in der Regel sogar dann, wenn ein PKW eine Grundstücksausfahrt verlässt und hierbei der gesteigerten Sorgfaltspflicht des § 10 StVO unterliegt.
Hier steht angesichts der örtlichen Gegebenheiten fest, dass es sich bei dem vom Kläger benutzten Weg um einen Gehweg handelte.
Dass in einer solchen Situation, in der ein erwachsener Radfahrer verbotswidrig auf einem Gehweg fährt, ein grober Verkehrsverstoß liegt, gegenüber welchem die Betriebsgefahr des Unfallgegners in der Regel vollständig zurücktritt, und zwar selbst dann, wenn den KfZ-Fahrer die erhöhten Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO treffen, entspricht ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung (vergl. nur OLG Celle, Beschluss vom 31. Januar 2003 – 14 U 222/02 -, Rn. 4, juris mit zahlr weiteren Nachweisen, u.a. auf OLG Celle OLGR 2001, 224 OLG München, ZfS 97, 171; OLG Hamm, NZV 1995, 152; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1991, 547; OLG Schleswig, r + s 1991, 261), welcher das erkennende Gericht sich anschließt. Dies muss erst recht gelten, wenn den KfZ-Fahrer lediglich die allgemeinen Rücksichtnahmepflichten des § 1 Abs. 2 StVO treffen.
Die volle Haftung wurde beispielsweise in der Rechtsprechung dem den Gehweg entgegen der Fahrtrichtung befahrenden Radfahrer im Verhältnis zu einem abbiegenden PKW auferlegt (vergl. LG Stralsund, Urteil vom 10. Mai 2006 -6 O 560/05 -, juris). Auf einen Radfahrer, der einen Gehweg befährt, muss sich selbst ein an sich wartepflichtiger anderer Verkehrsteilnehmer allgemein nicht einstellen. Er darf darauf vertrauen, dass sich auf einem Gehweg kein Radfahrer nähert (vergl. AG Starnberg, Urteil vom 23. 12. 2009 – 1 C 1472/09 = NZV 2010, 152, beck-online; vergl. auch AG Stralsund, Urteil vom 12. 3. 2003 – 11 C 1283/02= NZV 2003, 290, beck-online ähnlich AG Rastatt, Urteil vom 29.01.1998 – 1 C 500/97, NJWE-VHR 1998, 180, beck-online). Der Fahrer des KfZ kann sich auf Fußgänger, die den Gehweg berechtigt benutzen, wegen deren wesentlich langsamerer Fortbewegung besser einstellen (vergl. AG Stralsund a.a.O.).
c.
Ob der Kläger hier tatsächlich Schrittgeschwindigkeit gefahren ist, wie er in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 12.02.2020 geschildert hat, erscheint schon insofern zweifelhaft, als er selbst berichtet hat, der Weg sei zum Lindenberger Weg hin abschüssig, so dass er sich nach einem ersten Tritt in die Pedale habe rollen lassen. Hiermit dürfte er jedenfalls eine höhere Geschwindigkeit erreichen, als Fußgänger auf dem Klinikgelände normalerweise innehaben. Zudem hat der Kläger angegeben, an der Fahrbahnquerung immer „langsam runter“ zu rollen, wenn er sehe, „dass da nichts ist“. Seiner Schilderung ist daher zu entnehmen, dass er seine Fahrweise zunächst darauf eingestellt hat, die Fahrbahn ungebremst queren zu können.
Den Vortrag aus der Klageschrift, wonach das Beklagtenfahrzeug zunächst zwei Fußgänger habe passieren lassen, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung zwar nicht bestätigt, sondern ausgeführt, der Beklagte sei zuvor gefahren und habe erst zum Zeitpunkt der Kollision begonnen zu bremsen. Der Kläger hat jedoch in seiner Anhörung angegeben, ihm seien Fußgänger entgegen gekommen. Insoweit ist dem ebenfalls persönlich angehörten Beklagten zu 1.) Glauben zu schenken, welcher ausgeführt hat, er habe zuvor gestanden, um Fußgänger passieren zu lassen. Auch in der Klageschrift ist geschildert, und daher zwischen den Parteien zunächst unstreitig, dass der Beklagte sein Fahrzeug an der Gehwegquerung angehalten hat, um Fußgänger passieren zu lassen. Jedenfalls hat der Kläger das Beklagtenfahrzeug bereits in einiger Entfernung, wohl in einer Entfernung von 2 bis 3 Meter vor der Gehwegüberquerung, wahrgenommen. Dennoch hat er seine Fahrt offenbar erst abgebremst, als er die Fahrbahn und das Beklagtenfahrzeug erreichte, weil er grundsätzlich davon ausging, dass der Autofahrer ihn gesehen habe und anhalten müsse, um ihn passieren zu lassen. Dass die Sicht des Autofahrers auf ihn durch die hohen Gräser eingeschränkt sein könnte, hat der Kläger hierbei nicht berücksichtigt. Ebenso hat er nicht in Rechnung gestellt, dass der Beklagte zu 1.) aus der Richtung des Gehweges mit Fußgängern, nicht aber mit Fahrradfahrern zu rechnen hatte. Da der Kläger davon ausging, dass der Beklagte zu 1.) ihm Vorfahrt zu gewähren habe, hat er sein Fahrverhalten eben gerade nicht darauf eingestellt, jederzeit bremsbereit zunächst das Kraftfahrzeug durchfahren zu lassen. Das Fahrverhalten des Klägers war, wie sich auch in seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, von der irrigen Annahme geprägt, gegenüber dem KfZ-Verkehr bevorrechtigt und damit zu ungebremster Fahrt berechtigt zu sein. Der Kläger hat ausgeführt, er habe gedacht, „dass der PKW anhalten würde, was wegen der gegenseitigen Rücksichtnahme zu erwarten gewesen wäre“. Weiter sagte er aus, „ich gehe davon aus, dass er mich gesehen hat. Er hätte einfach anhalten müssen“. Einen Blickkontakt zum Beklagten zu 1.) hat der Kläger vor dem Befahren der Fahrbahn nicht hergestellt. Wegen der hohen Gräser konnte er indes schon aus seiner Sichtweise nicht sicher sein, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs ihn wahrgenommen habe.
d.
Hier träfe den Kläger hingegen sogar dann die Wartepflicht des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO, wenn seine Auffassung, den Weg mit dem Fahrrad befahren zu dürfen, zutreffen würde. Sein Fahrverhalten wäre daher selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn die Unfallstelle die Kreuzung mit einem gleichgeordneten Weg gewesen wäre. Denn dann wäre der Beklagte, aus Sicht des Klägers, von rechts kommend, gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 StVO bevorrechtigt gewesen, so dass der Kläger ihm den Vorrang hätte einräumen müssen. Nach § 8 Abs. 2 StVO hätte der Kläger insofern rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, insbesondere durch mäßige Geschwindigkeit, erkennen lassen müssen, dass gewartet wird, nur weiterfahren dürfen, wenn übersehen werden kann, dass wer die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert wird. Wegen der hohen Gräser hätte der Kläger nicht einfach querend auffahren, sondern sich vorsichtig in die Fahrbahn hineintasten müssen, bis für ihn die Übersicht gegeben gewesen wäre. Selbst wenn man die Auffassung des Klägers als zutreffend unterstellte, dass er den Weg hätte befahren dürfen, genügt sein Fahrverhalten daher nicht den Anforderungen an die Wartepflicht gegenüber dem bevorrechtigten, von rechts kommenden Verkehr. Denn der Kläger hat nach eigenem Bekunden das Bremsen erst eingeleitet, als die Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug schon unmittelbar bevorstand.
3.
In der Würdigung des Fahrverhaltens beider Unfallbeteiligter ist dem Fahrverhalten des Beklagten zu 1.) kein eigenes verkehrswidriges oder sorgfaltspflichtwidriges Verhalten anzulasten, so dass seitens des Beklagten zu 1.) nur die Betriebsgefahr seines KfZ zu berücksichtigen ist. Diese tritt indes hinter dem groben Verkehrsverstoß des Klägers zurück.
a.
Insbesondere ist auch unter Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht von einem Verstoß des Beklagten zu 1.) gegen seine allgemeine Rücksichtnahmepflicht gem. § 1 Abs. 2 StVO auszugehen. Dabei übersieht das Gericht nicht, dass auch dem die Fahrbahn bevorrechtigt und von rechts kommend benutzenden Beklagten zu 1.) auch als Bevorrechtigtem gem. § 1 Abs. 2 StVO eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Kläger oblag, § 1 Abs. 2 StVO (vergl. hierzu Heß/Burmann: Die aktuellen Entwicklungen im Straßenverkehrsrecht, NJW 2017, 3127, beck-online). Auch der Bevorrechtigte darf grundsätzlich dieses Recht nicht ohne auf den Kläger zu nehmende Rücksicht durchsetzen.
b.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht jedoch in einem gemäß § 286 ZPO ausreichenden Maße überzeugt, dass der Beklagte zu 1.), der unstreitig zuvor noch einen Fußgänger hatte passieren lassen, die Kollision nicht unter Verstoß gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht herbeigeführt hat, insbesondere es nicht aus Unachtsamkeit oder Rücksichtslosigkeit versäumt hat, sich auf das Verhalten des Klägers einzustellen. Das Gericht kommt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vielmehr zu der Überzeugung, dass der Beklagte zu 1.) der bei Bemerken des Fahrmanövers des Klägers bremste, jedoch an der fraglichen Unfallörtlichkeit zuvor nicht mit dem ungebremsten Befahren der Fahrbahn durch einen Radfahrer hatte rechnen müssen. Angesichts der Bepflanzung des Gehweges mit hohen Gräsern ist es nachvollziehbar, dass der Beklagte zu 1.) den Kläger erst herannahen sah, als dieser nur noch 1,5 bis 2 m von seinem Fahrzeug entfernt war. Nachdem unstreitig ist, dass das Beklagtenfahrzeug zunächst an der Gehwegquerung stand, um einem oder mehreren Fußgängern das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen, ist auch die Darstellung des Beklagten zu 1.) nachvollziehbar, dass dieser vor der Kollision lediglich bei geringer Geschwindigkeit eine kleine Strecke zurückgelegt hatte. Das Gericht kommt jedoch zu der Überzeugung, dass dem Beklagten zu 1.) kein Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung gemacht werden kann, dass er sein langsam anfahrendes Fahrzeug nicht unfallvermeidend zum Stillstand bringen konnte, weil ein Nachweis, dass dies auf Unachtsamkeit oder mangelnder Rücksichtnahme beruhte, dem hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Kläger nicht gelungen ist. Der Beklagte zu 1.) hat überzeugend und glaubhaft angegeben, dass er umgehend gebremst hat, als er das Auffahren des Klägers auf die Fahrbahn bemerkte. Dass er hierbei zu spät reagiert habe, wie der Kläger in seiner Anhörung nahelegte, konnte das Gericht nicht mit der erforderlichen Überzeugung feststellen. Dabei kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass der Beklagte zu 1.) der Auffassung war, der Kläger sei auf das schon stehende Fahrzeug aufgefahren. In diesem Falle hätten die Verletzungen des Klägers, der mit seinem Fuß unter das Rad des Beklagtenfahrzeugs geraten ist, wohl nicht in dieser Form entstehen können. Jedenfalls hat der Beklagte zu 1.) nach Darstellung beider Unfallbeteiligter eine Bremsung eingeleitet, hierdurch jedoch den Unfall nicht mehr verhindern können.
c.
Der Beklagte zu 1.) hat, indem er unstreitig einen oder mehrere Fußgänger an der Stelle hat passieren lassen, obwohl diese nicht etwa durch einen Zebrastreifen bevorrechtigt waren, erkennen lassen, dass er gegenüber den berechtigt den Gehweg benutzenden Verkehrsteilnehmern die – insbesondere, worauf der Kläger zu Recht hinweist, auf einem Klinikgelände – erforderliche Rücksichtnahme walten lässt. Dass er demgegenüber – trotz des die Sicht behindernden Bewuchses mit hohen Gräsern – den Kläger habe herannahen sehen und dennoch angefahren sei, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden. Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 1.) aus seiner Sicht mit dem plötzlichen und ungebremsten Auffahren des Fahrrades auf die von ihm genutzte Fahrbahn auch dann nicht rechnen musste, als er ihn in einer Entfernung von ca. 1,5 – 2 Metern wahrnahm. Selbst nach dem strengen Maßstab des § 286 ZPO bedarf es keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 01. Oktober 2019 – VI ZR 164/18 -, Rn. 8, juris m. zahlr. w.N.). Der Glaubwürdigkeit des Beklagten zu 1.) steht auch nicht entgegen, dass dieser unstreitig den Unfallort verlassen hat, bevor die erforderlichen Feststellungen über den Unfall durch die Polizei getroffen werden konnten. Denn dieses nachträgliche Verhalten hat sich auf die Kollision nicht mehr unfallursächlich ausgewirkt. Zwar kann theoretisch auch ein nachträgliches Verhalten der Partei bei der Würdigung ihrer Glaubwürdigkeit und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben eine Rolle spielen. Der Beklagte zu 1.) hat bei seiner Anhörung indes nicht den Eindruck vermittelt, den Hergang zu seinen Gunsten unzutreffend darzustellen oder nachdrücklich zu beschönigen. Es bleibt daher bei dem auf die Betriebsgefahr beschränkten Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1.), welcher indes wegen des weit überwiegenden Verschuldens des Klägers in der Abwägung hinter diesem zurücktritt. Der Schaden des Klägers hat sich auch nicht etwa dadurch vergrößert, dass der Beklagte zu 1.) den Unfallort verlassen hat, wie dies bei dem Zurücklassen eines Hilflosen der Fall sein könnte. Denn als der Beklagte zu 1.) den Unfallort verließ, waren bereits andere Helfer vor Ort.
4.
Da dem Kläger schon in der Hauptsache kein Anspruch zusteht, besteht auch hinsichtlich der geltend gemachten Zinsen kein Anspruch gegen die Beklagten. Da diese dem Kläger in der Sache keinen Schadensersatz zu leisten haben, sind die gegenüber dem Kläger auch nicht im Sinne des § 286 BGB mit einer Leistung in Verzug geraten.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1 und 2, 711 ZPO.